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Mit den Konquistadoren ins Goldland Teil 10

Gustav Dittmar
Mit den Konquistadoren ins Goldland
Eine Erzählung aus der Zeit der Welserzüge
Teil 10

Am Abend schmetterte die Trompete des Sebastian Luck lustig durch das Lager. Den Aufhorchenden verkündete Luck in deutscher und spanischer Sprache, dass der Führer ernannt habe:

Joachim Fabricius zum Leutnant an des gefallenen Oviedo Stelle,

Hans Hauser zum Kornett,

worauf hinfort von allen gebührend zu achten sei.

Hans trieb der Stolz die Röte ins Gesicht. »Und Ihr, Kressel?«, wandte er sich an den Kameraden.

Kressel lächelte. »Es kann nicht nur Offiziere, es muss auch Gemeine geben«, erwiderte er ruhig.

Fabricius näherte sich mit einem Zinnbecher spanischen Weines, den er irgendwo beim Tross aufgetrieben hatte. »Ich habe Euch abzubitten«, wandte er sich an Kressel.

»Ist nicht der Rede wert«, erwiderte der Hesse.

»Wir wollen Blutsbrüderschaft trinken«, sagte Fabricius ernst. Mit dem Rapier ritzte er sich den Arm und ließ ein paar Tropfen Blut in den Becher rinnen. Hans Hauser und Martin Kressel folgten seinem Beispiel.

Fabricius brachte den ersten Spruch aus: »Auf Karolus’ des Fünften, deutschen Kaisers und hispanischen Königs, und unserer Führer Georg Hohermut von Speyer und Philipp von Huttens Wohl!«

Martin Kressel tat den zweiten Spruch: »Auf Deutschland, unsere Heimat!« Hans Hauser machte den Abschluss: »Auf treue Freundschaft bis in den Tod!« Dann reichten sie einander die Hände.

Das bösartige Wechselfieber griff in der Truppe immer mehr um sich. Nur mit Mühe konnten sich die Kranken noch auf den Pferden halten. Mit gelben Gesichtern, von rasendem Durst geplagt, hingen sie in den Sätteln. Was halfen die Quacksalbereien Jakob Schmitz’, des lustigen Kölner Barbiers, dagegen! Seine Hauptkunst, ja eigentlich seine einzige, bestand darin, seine Patienten zur Ader zu lassen. Keiner ahnte, dass in der Rinde eines unscheinbaren Baums, dem man häufig begegnete, das Heilmittel schlummerte, das Chinin, mit dem eine spätere Zeit das Tropenfieber so erfolgreich bekämpfen sollte.

Kornett Hans Hauser ritt nun bei den Führern. Trefflich beritten, wie er war, verwendete ihn Hohermut gern als Ordonnanzoffizier. Alle hatten den jungen Konstanzer gern, nur Velasco hasste ihn. Sogar die Fieberkranken lächelten matt, wenn Hans ihnen im Vorbeireiten ein freundliches Wort zurief oder einen Becher Wasser reichte, den selbst zu schöpfen sie zu schwach waren. Sein schneidiger Ritt hatte ihm die Herzen der Reiter gewonnen. Keiner, auch der Altgediente nicht, verweigerte dem jüngsten Offizier der Truppe die schuldige Achtung, wenn auch mancher an Jahren sein Vater hätte sein können.

Abends am Lagerfeuer saß Hans Hauser mit den Freunden, mit Fabricius und Kressel, zusammen. Sie redeten sich nun untereinander mit dem vertraulichen Du an. Mitten unter ihnen hockte Zischende Viper, der Xidehara. Er sprach kein Wort, aber seine Augen hingen unverwandt an seinem Herrn. Was ging in seiner Seele vor? Hasste er den Weißen, der ihn der Freiheit beraubt hatte? Hing er an ihm, wie der Hund an dem Herrn, der ihn aus Raubtierkrallen befreit hat? Sah und empfand er auch nur, dass ihn sein junger Herr besser behandelte als die rohen und grausamen Landsknechte seine Stammesgenossen? Niemand vermochte die Gedanken des Schweigsamen zu erraten.

Manchmal gesellte sich Estéban Martin zu den Freunden. Wenn das Feuer am Erlöschen war, in dem zur Abendmahlzeit das Fleisch eines Aguti oder eines Paca geröstet worden war, und sich über den vier Männern der tropische Sternhimmel in seiner unbeschreiblichen Pracht wölbte, dann geschah es wohl, dass der Pfadfinder ins Erzählen kam. Stockend sprach er zunächst, wie widerwillig, aber dann überkam ihn mächtig die Erinnerung. Voll Rührung sprach er von Ambrosius Ehinger, dem ersten welserischen Statthalter, dem er schon als Pfadfinder bei der berühmten Expedition ins Tal des Magdalena gedient hatte.

»Glaubt mir, Señores«, sagte er, »damals am großen Strom, am Magdalena, standen wir an der Pforte des Dorado! Wäre euer tapferer Landsmann nicht dem Giftpfeil eines Indianers erlegen, vielleicht lebte ich jetzt in Glanz und Reichtum im Land des vergoldeten Königs.«

»Was hält Euch hier, Don Estéban?«, wandte sich Kressel an den Pfadfinder. »Ihr seid keiner der Jüngsten mehr. Verspürt Ihr keine Sehnsucht nach der Heimat, nach einem beschaulichen Dasein, nach dem Frieden eines stillen Hauses?«

Estéban schüttelte den Kopf. »Nein, Don Martino«, sagte er hart. »Ihr wisst, es sind nicht Goldgier und Ruhmsucht, die mich in die Wildnis treiben. Aber ich habe zu lange mit Pflanze und Tier und wilden Indianern in der Freiheit zusammen gelebt, als dass ich je wieder in einer dumpfen Straße zu Valladolid, wo man kaum ein Stückchen Himmel sieht, unter feigherzigen Krämern hausen könnte. Hier im indianischen Land will ich leben, will ich sterben und einstmals begraben sein.«

Er erhob sich. »Gute Nacht, Señores!«, sagte er und wandte sich langsam zum Gehen.

Barquisimeto! Die Züge der Kranken beleben sich, die Gesunden spornen unwillkürlich ihre Pferde, wenn das Wort fällt. Barquisimeto, das ist die Indianerstadt, die Federmann als erster weißer Mann betreten hat. Nahrungsmittel in Hülle und Fülle hatten ihm die friedfertigen Indianer gebracht und Gold »ob dreitausend Pesos, welches bei fünftausend Gulden Rheinisch tut, nicht aus Furcht, sondern um ihre Herrlichkeit damit zu beweisen«. So hatte er geschrieben. Kein Wunder, dass Barquisimeto den erschöpften Soldaten Hohermuts wie das Land der Verheißung erschien. Ein paar Altgediente vertrösteten die Ungeduldigen, dass es nur mehr Stunden dauern könne bis dahin, wo das Frauental sich nach Süden öffne und der großen Indianersiedlung Platz gewähre.

Eines Abends – es dunkelte schon – schnupperte Martin Kressel, der mit Hans Hauser und Fabricius ritt, in die Luft. »Es riecht brenzlig«, meinte er. »Sicher sind wir nicht mehr weit von dem Indianernest mit dem unaussprechlichen Namen. Sie braten schon den Hirsch, mit dem sie uns empfangen wollen.«

Fabricius schüttelte den Kopf. »Es stinkt mehr nach verbranntem Holz, Martin. Was mag da brennen? Der Wald kann es nicht sein, der ist zu feucht dazu.«

Als die Truppe ein wenig später das Lager für die Nacht aufschlug, war der Himmel im Süden wie von einer gewaltigen Feuersbrunst gerötet. Die schaurig-schöne Erscheinung gab zu den seltsamsten Vermutungen Anlass. »Ein Feuer speiender Berg«, sagten die einen, »der Eingang zur Hölle«, raunten abergläubisch die anderen. »Dort bricht das höllische Feuer aus der Erde und verzehrt alles Lebendige.«

Hohermut befahl Hans Hauser beritten zu sich. Er fand auch den Führer und Hutten zu Pferde.

»Folgt uns, Kornett!«, gebot Hohermut.

Die drei ritten auf den glühenden Schein zu, der den Himmel weithin erhellte. Dunkel standen ihre Gestalten in der ungewissen Helligkeit. Sie folgten dem Ufer eines Baches, der in vielen Windungen der Ebene zustrebte. Dann klommen die Pferde leise schnaubend einen Hügel hinauf. Da – plötzlich – lag vor den Reitern ein Flammenmeer. Vor ihnen brannte die Indianerstadt, brannte Barquisimeto. Zerstört waren alle Hoffnungen auf reiche Verpflegung und kostbare Beute. Ein Aschehaufen, von allem Lebendigen verlassen, das war Barquisimeto, das Land der Verheißung.

Hans sah auf Hohermut. Der Feuerschein spielte auf der Sturmhaube des Gubernators und beleuchtete sein unbewegliches Gesicht. Keine Miene verriet, was in ihm vorging. Dann wendete er das Pferd und ritt zum Lager zurück. Hutten und Hans Hauser folgten ihm schweigend.

Noch in der Nacht berief Hohermut die Hauptleute zu sich. »Lasst keine Mutlosigkeit aufkommen, Señores!«, gebot er. »Ich lasse jeden in Ketten legen, der von Umkehr spricht. Ein Rückmarsch über das Gebirge wäre unser Untergang. Ewige Schande, wenn wir verzagen wollten! Vor uns liegen unsterblicher Ruhm und unermessliche Reichtümer, vor uns liegt das Dorado. Nach Süden führt der Weg. Es gibt keinen anderen für Männer von Ehre. Vorwärts!«

Sanchez de Murga, der älteste Hauptmann, ergriff das Wort: »Wir folgen Euch, Don Jorge! Wir verlassen Euch nicht!«

»Wir verlassen Euch nicht!«, riefen auch die anderen durcheinander, und Francisco de Velasco hob die Hand zum Schwur. »Bei der heiligen Gottesmutter, ich will nicht rasten noch ruhen, bis ich das Dorado gefunden habe!«

»Ich danke euch, Señores«, sagte Hohermut. »Ich habe es nicht anders von euch erwartet.«

Grüßend zogen sich die Hauptleute zurück.