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Der Teufel auf Reisen 26

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Sechstes Kapitel – Teil 1
Die Familie Purps

Die Familie Purps bestand aus zwei alten und sechs jungen Purpsen und hatte ihre Wohnung im zweiten Hof eines weitläufigen Gebäudes aufgeschlagen, welches von mindestens dreißig Familien bewohnt wurde, die der Himmel zwar nicht mit des Lebens Gütern, aber mit desto mehr Kindern beschenkt hatte. Unter dieser teils aus Arbeitern, teils aus sehr kleinen Handwerkern bestehenden Bevölkerung hatte sich Frau Purps im Bewusstsein ihrer Würde im Laufe der Zeit eine hervorragende Stellung zu verschaffen verstanden. Frau Purps behauptete nämlich, wie sie sich sehr geheimnisvoll auszudrücken pflegte, dass sie aus dem Ministerium des Innern abstamme, woselbst ihr Vater einen hohen Platz eingenommen und dass ihre Heirat mit dem kleinen Purps, welcher ihr nie zu widersprechen wagte, lediglich eine Heirat aus Liebe gewesen sei, weshalb sie auch, dem Zuge ihres Herzens folgend, mehrere sehr vorteilhafte Partien abgelehnt habe, was, wie sie hoffe (hier machte sie dem kleinen Purps ein paar fürchterliche Augen, während dieser sich wie ein Häschen duckte) bei Purps stets in Erinnerung bleiben werde, denn Undankbarkeit sei das gröbste Laster und sie glaube bestimmt, dass kein Mitglied ihrer Familie (hier folgte ein zweiter gebietender Blick) sich so weit vergessen werde, um das, was sie vermöge ihrer Geburt zu fordern berechtigt sei, aus den Augen zu setzen. Die Wahrheit bestand nun darin, dass die Dame, welche ein sehr männliches Ansehen, einen geschwärzten Teint und die rollenden Augen eines Uhus hatte, die Tochter eines armen Kanzelisten war, welcher allerdings im Ministerium des Innern mit Abschreiben sein kärgliches Brot verdient hatte, und der sehr froh gewesen war, als der kleine Purps in einem Anfall von Sentimentalität und weil er nicht den Mut besaß, noch rechtzeitig den gestellten Schlingen zu entschlüpfen, ihm diese Last unter fünf anderen ähnlichen Lasten abnahm, um mit derselben von nun ab, keuchend und schwitzend, die steilen und ebenen Pfade dieses Lebens gemeinsam zu befahren, wobei sich bald herausstellte, dass Sonnenschein nur äußerst selten, dagegen trübes und stürmisches Wetter sehr häufig vorhanden war. Denn Purps, obgleich vollständig überzeugt, dass ihm eine außergewöhnliche Ehre dadurch zuteilgeworden sei, dass er in die Familie des seligen Kanzleirats (diesen Titel legte die würdige Dame ihrem Vater nach dessen Tode eigenmächtig bei) hineingeheiratet habe, vermochte es doch nicht weiter als bis zum Kassenboten in einem großen Bankgeschäft zu bringen und ungeachtet man seiner Ehrlichkeit oft bedeutende Summen anvertraute und Purps stets dieses Vertrauen auf das Vollständigste rechtfertigte, so stellten sich doch, mit jedem neuen Purps, welcher das Licht der Welt erblickte, immer mehr Sorgen ein. Schließlich fand es die Dame, trotz ihrer hohen bürokratischen Abstammung, für angemessen, aus Sparsamkeitsgründen sich zu der Vorstadt in den zweiten Hof jenes großen Hauses zurückzuziehen, mit welchem wir den Leser bereits bekannt gemacht haben. »Madame Purps«, wie dieselbe nunmehr von ihrem Nachbarn und Hausgenossen genannt wurde, verstand es aber auch in dieser neuen Region (die Dame liebte es stets sich bilderreich auszudrücken) nicht allein ihr Ansehen aufrechtzuerhalten, sondern dasselbe noch zu vermehren. Bald flüsterte man sich in die Ohren, sie sei die Tochter eines Geheimrats und wegen ihrer Liebe zu dem kleinen Purps von ihren Eltern verstoßen. Bald hieß es wieder, sie habe einst noch eine große Erbschaft von einem Vetter in Amerika zu erwarten, der dort unermessliche Reichtümer gesammelt habe und dessen Tod jeden Augenblick gemeldet werden könne. Da nun vollends Frau Purps, wenn sie bei außergewöhnlichen Gelegenheiten einmal ausging, mit einem zwar bereits erheblich ausgebleichten, aber doch sehr umfangreichen Umschlagetuch erschien und statt einer Haube einen Hut trug, der vor etwa zehn Jahren einmal Mode gewesen war, so trug dies noch mehr dazu bei, die Gerüchte über ihre vornehme Abkunft zu verstärken. Der reiche Vetter in Amerika wurde im Hof schließlich zu einer Spukgestalt, die jeder, mit Aktenbündeln von Banknoten bepackt, gesehen haben wollte, während Frau Purps allein wusste, dass derselbe eigentlich nur ein Phantom war, welches sie hervorgezaubert hatte, um ihren Nimbus zu vermehren und der in Wirklichkeit eigentlich nur ein armer Teufel war, welcher vor Jahren über See ging, seitdem aber nur sehr wenig und durchaus nichts Tröstliches von sich hatte hören lassen. Einige Frauen in dem alten verfallenen Haus, welche gewagt hatten, an der Unfehlbarkeit der Frau Purps zu zweifeln, und die sich sogar herausnahmen, verschiedene dunkle Punkte am ehelichen Himmel dieser Dame zu entdecken, indem sie dieselbe der Tyrannei gegen den armen kleinen Purps, der Zanksucht und eines ungerechtfertigten Hochmuts gegen ihre Nachbarn beschuldigten, hatte dieselbe übrigens mit solcher Zungenfertigkeit tot geschrien und war dabei mithilfe eines Besenstiels in so drohender Weife aufgetreten, dass man ihr freiwillig das Schlachtfeld überließ und es für geraten fand, jede weitere Fehde mit ihr zu vermeiden. Auf diese Weise war also, die aus dem Ministerium des Innern in so geheimnisvoller Weise abstammende Dame eine halb gefürchtete, halb angestaunte Person geworden. Sowohl ihr Gatte als auch die jungen männlichen und weiblichen Purpse fanden ebenfalls keine Veranlassung, wenigstens gegen die erste Anschauungsweise etwas einzuwenden. Purps, der Vater, ging übrigens den Mitgliedern seiner Familie mit gutem Beispiel voran, indem er es sich zur Aufgabe machte, sowohl seine dienstlichen als auch ehelichen Pflichten durch Unterwürfigkeit und strengen Gehorsam pünktlich zu erfüllen. So kam er wenigstens in den meisten Fällen noch immer mit einem ziemlich gelinden Platzregen davon, wenn seine Ehehälfte es für angemessen fand, ihre Donnerkeile zu schwingen und die Schleusen ihres Zornes zu öffnen. Schließlich fühlte er sich moralisch schon so durchnässt, dass er gewohnheitsmäßig jeden neuen Guss mit dem größten Gleichmut hinnahm und schon zufrieden war, wenn ihm nach beendigtem Tagewerk von seinem weiblichen Zerberus gestattet wurde, in dem alten ledernen Lehnstuhl, dicht am Ofen sein einfaches Abendbrot einzunehmen, ohne dass er dabei durch erneuertes Rollen des Donners gestört wurde. Die größte Freude machte es dem guten alten Purps, wenn er am Sonntag Nachmittag die Erlaubnis erhielt, die vier jungen Purpse spazieren zu führen. In der Regel hing er sich bei solchen festlichen Gelegenheiten einen alten spanischen Mantel ohne Kragen um und drückte sich einen sogenannten Quäkerhut mit breiter Krempe aufs Haupt. Da er selbst sehr klein und schmächtig war, so hielten ihn viele Leute, wenn er auf diese Weise mit seinen Sprösslingen durch die Straßen schritt, für den Anführer von einem Haufen Kurrendeknaben, die in den Häusern ihre geistlichen Lieder absangen. Außer den vier männlichen Gliedern der Purps’schen Familie bestand der Reichtum derselben aber auch noch aus zwei Töchtern, von denen die Jüngste, Therese, welche eben ihr achtzehntes Jahr zurückgelegt hatte, zu Hause und mitunter wohl auch außer Haus schneiderte, während Julie, die zwei Jahre älter war, in einem Putzgeschäft arbeitete. Frau Purps hatte es trotz ihrer vornehmen Herkunft aus dem Ministerium des Innern, doch nicht unter ihrer Würde gehalten, diese beiden jungen Damen auf solche Weise schon früh daran zu gewöhnen, sich ihr Brot selbstständig zu verdienen. Sie war sogar so herablassend, jeden Sonnabend deren Wochenverdienst in Empfang zu nehmen. Von Julie können wir leider nichts weiter berichten, als was überhaupt von einer jungen Putzmacherin zu berichten ist, die durch die mütterliche Aufsicht genötigt wurde, das unter der Schnürbrust pochende Herz mehr einzuzwängen, als eigentlich wohl in ihrer Absicht lag. Außerdem war sie etwas neidisch und unter dem Einfluss dieses Neides kam es ihr dann auch nicht darauf an, eine kleine Verräterei auszuführen. Therese oder Röschen, war dagegen ein munteres lebhaftes Kind, mit rosigen Wangen, mit lachenden dunkelblauen Augen und vollem flachsblondem Haar, das wie ein Vögelchen, welches sich in seinem Käfig nach der Freiheit sehnt, von früh bis spät in der dunklen nach dem Hof hinausgehenden Stube am Fenster saß und emsig die Nadel schwang, während sie im Stillen von den Freuden träumte, welche andere junge Damen ihres Alters, die weniger unter der mütterlichen Strenge litten, genossen. Aber die Natur hatte es ihr leicht gemacht, diese Entbehrungen zu tragen, denn sie besaß ein gutes sanftes Herz. Besonders ihren Vater liebte sie über alles, und der ehrliche alte Purps liebte sie ebenso. Wie oft strich er ihr, wenn er sich mit ihr allein befand, liebkosend über das weiche Haar und nannte sie seinen Trost und seine Herzensfreude. Wie hatten beide ihre kleinen Geheimnisse, und wie nickte sie ihm heimlich beruhigend und Trost spendend zu, wenn er ausgescholten wurde. Wie oft brachte sie ihm ein Päckchen Tabak mit, das er dann vorgab, im Kontor geschenkt erhalten zu haben. Wie dankbar versicherte er ihr dann in einem unbelauschten Augenblick, wo sie beide allein waren, dass sie immer auf ihn rechnen könne und dass er niemals ein ihm von ihr anvertrautes Geheimnis verraten wolle.

Madame Purps hatte inzwischen als Selbstherrscherin für gut befunden, einige Erweiterungen in ihrem Haushalt vorzunehmen. Zwei große Zimmer im Haus, die an die ihren stießen, waren leer geworden. Sie fasste den Entschluss, dieselben an »anständige junge Herren«, welche die ländliche Stille liebten und die sich vielleicht einer »sehr achtbaren« Familie anzuschließen wünschten, zu vermieten. Zwei dürftige Betten wurden ausgestellt. Mithilfe eines benachbarten Trödlers vervollständigte die spekulative Dame beide Stuben der Art, dass sie ihr nunmehr für einen »achtbaren« Herrn zu genügen schienen. Nachdem diese Einrichtung zum Staunen und wohl auch teilweise zum geheimen Neid der Bewohner des Hofes getroffen war, musste der kleine Purps eines Morgens eine lange Leiter besteigen und gerade über dem Torweg einen Zettel befestigen, auf welchem in großen Buchstaben die Worte: »Herrschaftlich möblierte Wohnung zu vermieten«, zu lesen waren. Da es gerade ein Sonntag war, so erhielt Purps die Erlaubnis, sich die Pfeife anzustecken. Die Dame aus dem Ministerium des Innern war sogar so gnädig, ihm ein Gläschen Wachholderbranntwein einzuschenken.

Hierauf setzte sie sich ihrem Gatten gegenüber und sagte: »Purps, ich muss dir jetzt eine Eröffnung machen, mit der ich mich schon lange herumtrage. Purps, sieh mich an und antworte! Erkennst du auch vollständig die Ehre, welche dir dadurch zuteilwurde, dass ich mich herabließ, dir meine Hand zu reichen? Sprich, Purps, hast du auch manchmal darüber nachgedacht, was es heißt, in eine Familie zu heiraten, die im Ministerium des Innern zu Hause ist?«

»Gewiss«, antwortete der kleine Mann und bückte sich dabei, als wenn er durch etwas hindurchschlüpfen wollte. »Gewiss werde ich täglich daran erinnert, denn ich muss ja jeden Morgen, wenn ich aufs Kontor gehe, bei dem Ministerium vorbei.«

»Gut, Purps, und jetzt merke auf, was ich dir weiter sagen werde. Wer hat dich erst zum Mann gemacht, Purps? Ich war es, Purps, denn als ich mich herabließ, dir meine Hand zu reichen, warst du eine Null im Vergleich zu meinem Vater, dem Kanzleirat. Still, widersprich nicht! … Du sagst, du tust dies nicht? … Oh, Purps, betrübe mich nicht durch eine Unwahrheit, denn ich habe es ganz deutlich gesehen, du hast mit den Augen gezwinkert! …«

Der kleine Mann rutschte unruhig hin und her und rieb sich mit lächelnder Miene in sehr versöhnlicher Weise die Hände.

»Nun gut also, Purps, ich bin es gewesen, die dich zum Mann gemacht hat. So Gott will, werde ich dich noch mehr zum Mann machen. Sollte, wie ich hoffe, der reiche Vetter aus Amerika eines Tages eintreffen …«

Purps hüllte sich hier in eine so gewaltige Wolke, als hätte er damit andeuten wollen, dass er glaube, dieser Vetter werde eines Tages völlig in Rauch aufgehen.

»Doch auch ohne diesen«, fuhr die Dame aus dem Ministerium des Innern fort, »hoffe ich, dass es gehen wird. Wir haben jetzt die beste Aussicht, einen feinen vornehmen Herrn als Mieter zu erhalten. Was meinst du, Purps, wenn einst unsere Therese dazu bestimmt wäre, eine Baronesse oder eine Gräfin zu werden?«

»Hm«, machte unser Bekannter und fuhr sich mit einem sehr ungläubigen Blick mit den Fingern durch die Haare.

»Nun, warum sollte dies nicht möglich sein? Therese sieht mehr mir wie dir ähnlich und du wirst dich hoffentlich noch erinnern, welchen Zauber ich einst auf dich ausübte?«

»Ja, ja«, antwortete der kleine Mann höchst verlegen und rieb sich abermals die Hände, indem er es vermied, in die Uhuaugen seiner Gattin zu blicken.

»Du bist freilich keine ästhetisch gebildete Natur«, bemerkte diese mit einem wegwerfenden Blick, »und deshalb verstehst du von solchen Dingen nichts. Aber ich wiederhole dir, ich werde dich noch zu einem großen Mann machen und du wirft in einer glänzenden Equipage fahren und du wirst mir dann dafür danken, wie du mir schon für so viele andere Dinge zum Dank verpflichtet bist.«

Purps war froh, als dieses Gespräch durch den Eintritt seiner Kinder unterbrochen wurde. Unmittelbar nach dem Essen nahm er schleunigst seinen Mantel und setzte seinen Quäkerhut auf, um draußen vor der Stadt auf der großen Wiese den erst kürzlich angefertigten Drachen steigen zu lassen.

Trotz der zuversichtlichen Erwartungen seiner Ehehälfte vergingen aber doch vierzehn Tage, ohne dass irgendeine Nachfrage nach dem »Herrschaftlich möblierten Zimmer« erfolgte. Eines Nachmittags aber, als einer der jungen Purpse sich gerade im Hof im Sand herumwälzte, brachte dieser die Botschaft, dass draußen ein feiner Herr stehe, welcher das zur Miete angekündigte Zimmer zu sehen wünsche.

Sogleich lagerte sich auf dem sonst eben nicht am mutigen Gesicht der Dame aus dem Ministerium des Innern das entgegenkommendste Lächeln. Rasch hatte sie eine reine Schürze vorgebunden und die Haare aus dem Gesicht gestrichen. Nun stand sie vor dem Fremden, knickste sehr tief und fragte, womit sie aufwarten könne, wobei sie ihn heimlich von oben bis unten sehr aufmerksam musterte.

»Sie haben ein möbliertes Zimmer zu vermieten?«, sagte dieser, indem er sein Lorgnon vors Auge hielt und mit nachlässiger Vornehmheit seine Blicke über den geräumigen Hof schweifen ließ.

»Ja, mein Herr, ein sehr feines, ein herrschaftlich ausgestattetes. Wünschen Sie es zu sehen?«

»Wenn ich bitten darf. Gefällt es mir, so nehme ich es. Sie würden nur wenige Umstände mit mir haben.«

»Oh bitte«, erwiderte Madame Purps mit einem neuen tiefen Knicks und versetzte zugleich einem ihrer Sprösslinge einen derben Puff, der sich, den Mund weit aufreißend, mit seinem von Sand und Staub angemalten Gesicht neugierig herangedrängt hatte.

»Der Herr werden es hier sehr still und ruhig finden«, bemerkte die Dame, indem sie voranschritt und einen mit Spinnweben überzogenen, halb dunklen Korridor betrat.

»Das wünsche ich eben«, lautete die Antwort. »Meine Zeit ist sehr beschränkt und die paar Stunden, welche mir zu meiner Erholung bleiben, möchte ich in ländlicher Abgeschiedenheit zubringen.«

Frau Purps horchte hoch auf. Sie fand nun Gelegenheit, der sie schon seit geraumer Zeit im Stillen beschäftigenden Frage näher zu treten, was für eine Stellung der Fremde wohl einnehme, um danach den Mietpreis festzustellen.

»Darf ich fragen, wem ich die Ehre habe, mich gegenüber zu befinden?«, begann sie mit der ihr eigenen Dreistigkeit.

»Ich bin Bürochef!«

»Bürochef?« Es folgte ein neuer Knicks. »vielleicht im Ministerium?«

»Allerdings.«

»Große Ehre. Ich stamme ebenfalls aus dem Ministerium.«

Ein leichtes Zucken der Mundwinkel verriet, dass der junge Mann gewaltsam ein Lächeln unterdrücken musste. Doch beherrschte er sich und fragte scheinbar überrascht: »Wie, Sie stammen ebenfalls aus dem Ministerium? Waren Sie vielleicht als Portier dort angestellt?«

»Oh nein«, erwiderte die würdige Frau mit einer abwehrenden, die höchste Indignation andeutenden Bewegung, »o nein, ich habe mich vielleicht nicht verständlich genug ausgedrückt. Mein seliger Vater, der Kanzleirat Pipenmeier?«

»Wie, der würdige Pipenmeier war Ihr Herr Vater?«

»Zu dienen, mein Herr.«

»Nun dann gratuliere ich Ihnen zu einem so berühmten Namen. Herr Pipenmeier galt als eine der Hauptstützen des Staates, sein Patent als Geheimer Kanzleirat war bereits ausgefertigt, als er plötzlich starb.«

Frau Purps hob den Kopf stolz in die Höhe. Mit der Stimme einer Märtyrerin sagte sie: »Ich heiratete aus Liebe oder vielmehr aus Mitleid, um meinen Mann vor einem Selbstmord zu bewahren.«

»Welcher Edelmut! Ich schätze Sie jetzt um so höher, Madame.«

Eine neue, sehr gnädige Verbeugung erfolgte. Doch die Dame hatte noch etwas auf dem Herzen, ihre Uhuaugen ruhten noch immer heimlich forschend auf dem Fremden.

»In Ihrem Alter schon Bürochef?«, bemerkte sie, »das kommt nicht häufig vor.«

»Ja«, entgegnete diese nachlässig lachend. »Geld und Protektion spielen heutzutage noch immer eine große Rolle. Der Staat liebt Beamte, die auch äußerlich ihren Rang zu repräsentieren imstande sind.«

Der neue Mieter war also reich. Frau Purps erhöhte das Mietgeld sofort im Stillen um einige Taler. Um aber auch zugleich ihr eigenes Ansehen in den Augen des fremden Herrn zu heben, sagte sie: »Augenblicklich leben wir auf einem etwas beschränkten Fuß, aber in Amerika wohnt ein Vetter von uns – ein Millionär – welchen wir als dessen nächste Verwandte beerben.«

»Dann geht es Ihnen gerade so wie mir. Auch ich habe einen steinreichen Onkel, der mir einst seine Reichtümer vermachen wird.«

Frau Purps machte nun einen ihrer tiefsten Knickse. Zugleich drehte sie den sehr rostigen Schlüssel in dem ebenso rostigen Schloss. Einen Augenblick darauf standen beide in dem zu vermietenden Zimmer.

Alte geschwärzte Wände, deren ursprüngliche Farbe einst blau gewesen war, die aber nun ein verschwommenes Grau zeigten, starrten ihnen entgegen. Dünne, an vielen Stellen bereits ausgebesserte Tüllgardinen bekleideten die Fenster. In einer Ecke stand ein dürftig aussehendes Bett. Sechs wacklige Stühle, und ein ebenso wackliger Tisch sowie ein Sofa mit verbleichtem Überzug bildeten das übrige Ameublement.

»Alles aufs Bequemste eingerichtet«, bemerkte die Dame aus dem Ministerium des Innern mit der ihr eigenen Dreistigkeit.

Der Fremde nickte. »Ich bin an Einfachheit gewöhnt, dies genügt mir.«

»Und eine Aussicht, ganz dem ländlichen Charakter angemessen«, fuhr Frau Purps fort, indem sie zum Hof zeigte, wo gerade die Wäsche von einem halben Dutzend Familien zum Trocknen aufgehängt war.

»In der Tat vortrefflich«, lautete die Antwort, und abermals lagerte sich ein spöttisches Lächeln um den Mund des jungen Mannes. »Darf ich fragen, was das Zimmer für den Monat kostet?«

»Zwanzig Gulden, mein Herr. Als Bürochef …«

»Natürlich, natürlich«, warf der Herr leicht hin. »Geld spielt bei mir keine Rolle, wenn es, wie hier, darauf ankommt, mit einer so liebenswürdigen Familie in Verkehr zu treten.«

Es war, als ob die Sonne auf dem Gesicht der Amazone plötzlich aufgegangen wäre, so huldvoll lächelte sie nun.

»War das Ihre Fräulein Tochter, welche ich vorhin am Fenster sah?«, fragte der neue Mieter.

Bei Frau Purps bildete sich sogleich eine weitere Kombination. Ihre Tochter Therese – der junge Bürochef, im Hintergrund der mystische Vetter aus Amerika – man konnte nicht wissen, wenn man es schlau anfing – vielleicht zuletzt eine Heirat – dies waren die Gedanken der würdigen Frau, als sie nun mit der größten Freundlichkeit die Antwort gab: »Ihnen zu dienen, mein Herr, ich hoffe es gefällt Ihnen einen Augenblick bei uns einzutreten. Ich zähle Sie schon halb zu unserer Familie und meine Tochter Therese wird sich gewiss freuen, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Die Ehre ist ganz auf meiner Seite«, sagte der junge Bürochef, sich sehr zuvorkommend verbeugend.

»Nun, und Sie werden also das Zimmer behalten?«

»Selbstredend. Ich erlaube mir, Ihnen hiermit die erste Monatsrate einzuhändigen«

Die Uhuaugen der würdigen Frau Purps leuchteten, als der Fremde sein Portemonnaie hervorzog und drei Goldstücke in ihre breite knochige Hand legte. So viel Geld hatte sie seit Langem nicht zusammengehabt. Krampfhaft schloss sie ihre Finger, als befürchte sie, dieser Schatz könne ihr wieder entrissen werden.

»Mein Name ist Heidenreich«, bemerkte ihr neuer Mieter leicht hin.

»Baron von Heidenreich?«

»Nein, schlichtweg Heidenreich. Ich hoffe, dies wird mir doch in Ihren Augen keinen Abbruch tun?«

»Oh, keineswegs. Die noblen Manieren machen den feinen Herrn. Überdies bei Ihrer hohen amtlichen Stellung und bei den Geldmitteln, über die Sie zu gebieten haben …«

»Ja, ja«, seufzte der junge Mann, »trotzdem bin ich aber doch ein armer Mensch. Wenn man so allein in der Welt dasteht, kein Herz hat, von dem man sagen kann, dass es einem gehört …«

»Nu, nu«, tröste Frau Purps sehr salbungsvoll, »unverhofft kommt oft. Manchmal findet man das, was man sucht gerade da, wo man es nicht sucht.«

»Aufrichtig, Madame, da wir gerade so vertraut miteinander sprechen, ich frage weder nach Stand und Gut. Was ich suche, ist ein weibliches Gemüt, welches mit dem meinen harmoniert und natürlich, etwas kommt das Äußere dabei auch in Betracht.«

»Das sind sehr edle Grundsätze (die liebenswürdige Dame applizierte hierbei gleichzeitig einem der sich herandrängenden, maulaufsperrenden jungen Purpse einen kräftigen Backenstreich), sehr edle Grundsätze, welche ich meinen Töchtern ebenfalls eingeprägt habe.«

»Apropos, Sie wollten ja die Gewogenheit haben, mich Fräulein Therese vorzustellen.«

»Große Ehre. Sie ist etwas schüchtern, aber ihr Herz, ja ich kann wohl sagen, sie besitzt mein Herz.«