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Der Marone – Eine Liebeszene unter der Ceiba

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 3

Eine Liebeszene unter der Ceiba

Der Liebende, der wirklich geliebt wird, braucht nie eine Täuschung zu befürchten. Treu ihrer Liebe und pünktlich zur bestimmten Zeit erschien die erwartete Herzgeliebte auf der Lichtung.

Mit etwas furchtsamem, doch anmutigem Schritt näherte sie sich der Ceiba, doch war ihre Miene zuversichtlich und bewies klar, dass sie in keiner Weise zweifelhaft war. Ein zutrauliches und etwas gefallsüchtiges leichtes Lächeln, das in ihren dunklen Augen flammte und um ihre anmutig gewölbten Lippen spielte, redete deutlich von einem bereits fest beschworenen Liebesbund und verkündete ein unerschütterliches Vertrauen in die gegenseitig ausgetauschten Liebesschwüre.

Cubina eilte ihr rasch entgegen, und die Liebenden trafen sich auf dem offenen Grund, etwas von dem Riesenbaum entfernt. Beider Haltung beim Begrüßen zeigte, dass dies wohl nicht mehr ihre erste Zusammenkunft sei, sondern dass sie sich schon oft zuvor auf demselben Platz getroffen hatten.

Die Gegenwart des Flüchtlings, der aber von der Stelle nicht gesehen werden konnte, hielt Cubina nicht ab, seine Geliebte mit einem herzlichen Kuss zu empfangen und sie einen Augenblick aufs Zärtlichste in seine Arme zu schließen.

Als der erste Rausch des wonnigen Entzückens vorüber war, begann das Zwiegespräch. Das Mädchen redete zuerst.

»O, Cubina! Neues zu erzählen!«

»Komm, mein Lieb! Was Neues denn? Ah, du siehst ernsthaft aus, Yola. Deine Neuigkeiten sind nicht sehr gut, nicht wahr?«

»Nein, nicht gute, schlechte Neuigkeiten!«

»Lass mich sie hören, Lieb. Hat dir Cynthya vielleicht etwas gesagt? Du solltest gar nicht beachten, was das Mädchen sagt.«

»Nein, Cubina, ich kümmern nicht, was sie sagt. Ich sie kennen – böses, schlechtes Mädchen. Nicht Cynthya sagen, was mich nun quält. Fräulein Käthchen sagen.«

»O, etwas, was Fräulein Vaughan gesagt hat, kann nichts Schlimmes sein. Aber was ist es denn, liebe Yola? Nach all diesen kann es nicht viel sein.«

»O, Cubina, es wohl etwas sein. Ich fürchten, ich bleiben müssen lange Zeit von dir, sehr lange Zeit!«

»Von mir entfernt bleiben? Fräulein Vaughan wird doch deiner Zusammenkunft mit mir nicht entgegen sein?«

»Nein, das nicht. Etwas anderes mich hindern, ganz anderes.«

»Was denn?«, forschte der Liebende, der nun sah, dass seine Geliebte zögerte, ein Wort auszusprechen, dessen Erinnerung allein sie erröten ließ. »Komm, liebe Yola, fürchte dich nicht, es mir zu sagen. Wir sind ja Verlobte und da sollte kein Geheimnis zwischen uns sein. Was wolltest du nur sagen?«

Mit leiser, flüsternder Stimme, während sie mit heißer Liebesglut in seine Augen blickte, sagte das Mädchen das Wort: »Heiraten.«

»Ho, ho!«, rief der Liebende mit zuversichtlichem Ton aus. »Ich hoffe, da will nichts kommen, uns daran zu hindern. Ich habe nun schon fast hundert Pfund aufgespart, und ein glücklicher Fang, den ich diesen Morgen gemacht habe, wird dazu beitragen, die Summe voll zu machen. Der Custos wird auch nicht mehr verlangen als hundert Pfund, obwohl, wenn du einmal mein bist«, fuhr der Liebende fort und richtete einen innigen, mit einem höchst zärtlichen Lächeln verbundenen Blick auf seiner Geliebten holdseliges Angesicht, »obwohl dann alles Geld der Welt mich nicht bewegen könnte, wieder von dir zu lassen. Doch ich hoffe«, fügte er in scherzhafter Weise hinzu, »hundert Pfund werden genügen, dich zu meiner Sklavin zu machen.«

»Deine Sklavin, Cubina?«

»Ja, Yola, so wie ich jetzt der deine bin.«

»Ah, in der Weise, Yola dein, dein für immer, für alle, alle Zeit!«

»Ich will dir glauben, teures Mädchen«, versicherte der Liebende, mit einem freudigen Blick die Heißgeliebte anschauend. »Ich bin überglücklich in dem Gedanken, dass du auf diese Weise bereits mein bist und dass ich deiner Versicherung zufolge dein Herz wie deine Seele besitze. Aber, teuerste Yola, so lange noch ein anderer der Eigentümer deines Körpers ist, und wenn auch nicht mit Recht, doch die Macht besitzt, ganz nach seinem Belieben zu verfahren. Denn wer kann diese stolzen Pflanzer hindern, Verbrechen zu begehen, deren Richter sie selbst sind? O, Yola, es ist erschreckend, über ihre schändlichen Handlungen nachzudenken. Diesen Morgen noch bin ich auf ein schlimmes Beispiel ihrer Grausamkeit gestoßen, und wenn ich daran denke, dass du in der Macht eines solchen bist, so ergreift mich ein Gefühl, als wäre jede Stunde, bis ich deine Freiheit zu erlangen vermag, ein ganzer, ewig langer Tag. Stets habe ich Furcht, es möge sich noch etwas ereignen, was mich verhindern könnte.«

»Gerade heute hatte ich große Hoffnungen«, fuhr der Liebende dann fort und verstärkte seine Worte durch ein liebesvolles Lächeln. »Es ist mir nämlich geglückt, die hundert Pfund beinahe zusammenzubringen, und das Beutegeld, das ich für den aufgefangenen Flüchtling zu bekommen erwarte, wird sie vollmachen.«

Das Mädchen gab auf diese Rede ihres Geliebten keine Antwort, sondern blickte ihn schweigend und gleichsam halb vorwurfsvoll an. Er bemerkte etwas der Art in ihren Blicken oder glaubte es vielmehr zu bemerken.

»Was, Yola, du bist nicht mit dem, was ich sagte, zufrieden? Du tadelst mich? Ja, du hast recht. Ich muss zugestehen, es ist gerade keine sehr achtbare Weise, das Kaufgeld für dich zu erwerben! Maldito! Was kann ich denn nur tun? Wir Maronen haben ja keinen anderen Weg, Geld zu verdienen, ausgenommen durch die Jagd auf Wildschweine und durch den Verkauf des eingesalzenen Fleisches. Doch das gibt uns nicht mehr, als zum Leben nötig. Caramba! Auf die Weise würde ich niemals hundert Pfund zusammenbekommen. Deshalb tadele mich nicht, herzliebste Yola, um das, was ich getan habe. Ich versichere dir, es ist mir selbst höchst zuwider, dieses Menschenjägergeschäft. In Betracht des jungen, heute Morgen eingefangenen Burschen, so würde ich lieber schon einige Gefahr laufen, als ihn zurückgeben, wäre dies nicht dazu förderlich, dir die Freiheit zu verschaffen. Dazu muss ich die hundert Pfund haben, die hoffentlich genügen werden, deinen Herrn zu befriedigen.«

»Ach, Cubina«, erwiderte die Sklavin seufzend, »das die schlechten Nachrichten, ich bringen. Hundert Pfund nicht genug für Massa. Vor zwei Tagen zweimal so viel geboten für arme Sklavin Yola.«

»Zweihundert Pfund geboten für dich!«, rief der Marone mit der höchsten Verwunderung aus, während seine Stirn sich mit düsteren Wolken umzog. »Ist es das, was du meinst, Yola?«

»Ach ja!«, antwortete die Sklavin, ihren tiefen Seufzer wiederholend.

»Und wer – wer ist es?«, fragte der Liebende schnell und ernst, während ein Strahl der Eifersucht aus seinen dunkeln Augen gleich einem Doppelblitz durch den wolkenschwangeren Himmel hervorschoss.

Er wusste ganz wohl, dass kein Mensch zweihundert Pfund für eine Sklavin, selbst für Yola, ohne eine schlechte Absicht dabei zu haben, bieten könne. Des Mädchens Schönheit zugleich mit dem übertriebenen Anerbieten würde selbst dem an ihrem Geschick gänzlich Teilnahmslosen leicht den Beweggrund an die Hand gegeben haben. Wie viel mehr musste dies alles den Verdacht eines Liebhabers bemerken!

»Ist es ein weißer Mann?«, fuhr er fort, ohne die Antwort auf die erste Frage abzuwarten. »Eigentlich brauche ich danach nicht zu fragen. Aber sag mir, Yola, wer ist es, der so schändlich dein Eigentümer werden möchte? Du weißt es vermutlich?«

»Fräulein Käthchen mir alles sagen. Er Jude – böser, weißer Mann! Derselbe, der mich nahm vom großen Schiff, der mich zuerst verkauft an Massa Vaughan.«

»Ha!«, stieß der Liebende mit scharfem, zornigem Ton aus, »der alte Halunke ist es. Wohl magst du ihn einen bösen weißen Mann nennen. Ich kenne den alten Schurken ganz gut. Caramba, was kann er von ihr wollen?«, murmelte der Marone nachsinnend mit bekümmerter Reue. »Irgendeine schändliche Absicht, ja das ist ganz gewiss, ganz unzweifelhaft!« Dann wandte er sich abermals an seine Geliebte.

»Du bist doch gewiss, Yola, der alte Jude machte dieses Gebot?«

»So Missa mir sagen.«

»Zweihundert Pfund! Und Herr Vaughan schlug sie aus?«

»Fräulein Käthchen nicht erlauben Massa Vaughan, mich zu verkaufen. Sie sagen: Niemals! Ach, junges Fräulein so gut! Sehr, sehr gut! Nicht kümmern, wie viel Geld er geben. Sie niemals bösen weißen Mann Yola nehmen lassen. Sie so sagen alle Zeit.«

»Fräulein Käthchen, ja, es ist wahr, Yola. Sie ist gut, sie ist edelmütig! Sie muss es nicht gewollt haben, sonst würde der Custos nimmer so ein verlockendes Anerbieten ausgeschlagen haben. Zweihundert Pfund! Es ist eine große Summe. Nun, ich muss von Neuem beginnen, ich muss Nacht und Tag arbeiten, um sie zu verdienen; doch dann, wenn sie mich auch abweisen würden? Ha, was dann?«

Der Redende hielt inne, nicht, als erwarte er eine Antwort von der dicht bei ihm Stehenden, sondern vielmehr von seinen eigenen Gedanken.

»Daran ist nicht zu denken!«, fuhr er fort und seine Gesichtszüge nahmen wieder einen hoffnungsvollen und unbekümmerten Ausdruck an. »Sei für die Zukunft nur nicht bange, Yola. Mag es auch zum Ärgsten kommen, du sollst dennoch mein werden. Ja, Teuerste, du sollst mindestens meine Gebirgsheimat teilen, wenn es auch nur die Heimat eines Geächteten ist!«

»O!«, rief das junge Mädchen aus, erschreckt durch die wilden Blicke und Worte des Geliebten, und zu gleicher Zeit die Blutspuren der erschlagenen Hunde erblickend. »Blut, Cubina?«

»Nur das einiger Tiere, ein wilder Eber und zwei Hunde, die gerade hier getötet wurden. Lass dich das nicht erschrecken. Du musst nun mutig sein, meine liebste Yola, da du die Frau eines Maronen sein sollst. Unser Leben ist stets voll Gefahren.«

»Mit dir Yola nichts fürchten. Sie hingehen überall, – weit über die Berge, – selbst nach dem Jumbéfelsen, – überall, wo du sie heißt hingehen, Cubina.«

»Vielen Dank, liebe Teure! Vielleicht mögen wir einmal gezwungen sein, weit über die Berge zu gehen, und noch dazu auf der Flucht, Yola. Aber wir wollen es zu vermeiden suchen. Wenn dein Herr rechtschaffen handelt, haben wir es nicht nötig. Wenn nicht, dann wirst du mit mir fliehen! Willst du nicht?«

»Was Cubina wollen, Yola auch wollen. Wohin er gehen, sie auch gehen!«

Dies leidenschaftliche, mit aller Glut der reinen Liebe erteilte Versprechen wurde durch einen heißen Kuss besiegelt, dem während einiger Augenblicke ein heiliges Stillschweigen folgte.

»Genug nun!«, sagte der Liebende dann. »Als letztes Rettungsmittel mögen wir das immerhin tun, doch wollen wir das Beste hoffen, und vielleicht kann ja ein glücklicher Zufall eintreten. Die Männer meines Gefolges sind alle treu und werden mir stets helfen, aber leider sind sie alle arme Jäger wie ich selbst. Wohl mag es noch eine lange Zeit dauern, bevor ich dich vor der Welt furchtlos ganz mein eigen nennen kann, länger vielleicht, als ich erwartet habe. Aber das macht nichts aus, wir können oft zusammenkommen. Doch nun, herzliebste Yola, höre aufmerksam dem zu, was ich dir jetzt sagen werde, höre aufmerksam zu und behalte es wohl! Wenn je ein weißer Halunke dich beschimpfen will – du weißt schon, was ich meine! Wenn du dich jemals in einer solchen Gefahr befindest, worin du gewiss sein würdest, wäre der alte Jessuron dein Herr geworden, und wer mag wissen, ob so etwas nicht jeden Tag eintreten kann, dann, liebes Herz, dann fliehe nach dieser Lichtung hier im Wald und warte auf mich. Wenn ich selbst nicht kommen könnte, so soll ein anderer für mich kommen. Jeden Tag will ich einen von meinen Leuten hierher senden. Fürchte dich auch nicht, nötigenfalls ganz allein fortzugehen. Obgleich ich wegen eines gewöhnlichen Sklaven nicht gerade in Ungelegenheit kommen möchte, so würde ich doch alles aufbieten, ja selbst mein Leben wagen, um dich zu beschützen, teuerste Yola!«

»O Cubina!«, rief das braungelbe Mädchen in leidenschaftlicher Bewunderung aus, »du guter, tapferer Cubina! Du nicht Gefahr fürchten?«

»Es ist keine überaus große Gefahr dabei«, versetzte der Marone zuversichtlich. »Wenn ich mich einmal entschlossen habe, dich zu entführen, so würde ich dich bald außerhalb aller Verfolgung bringen können. In den schwarzen Gründen könnten wir jedenfalls ohne Furcht vor der Tyrannei der weißen Männer leben. Aber ich möchte nicht gern wie ein wilder Eber gehetzt werden. Ich wollte lieber, du solltest mein in ehrlicher Weise werden, das heißt, ich wollte dich lieber kaufen, wie ich es beabsichtige. Dann könnten wir uns nahe bei den Pflanzungen ansiedeln und ohne alle Furcht leben. Vielleicht ist der Custos mit mir nicht so hart wie mit dem alten Juden. Deine junge Herrin ist jedenfalls gütig, wie du mir gesagt hast. Sie würde vielleicht etwas für uns tun.«

»Gewiss, Cubina, sie mich lieben, sie niemals sagen, mich zu trennen.«

»Das ist schön. Sie meint, sie will sich nie von dir gegen deinen Willen trennen. Doch wenn ich mich erbiete, dich zu kaufen, das wäre doch etwas ganz anderes. Vielleicht kannst du ihr nach und nach alles mitteilen. Aber zuvor muss ich noch etwas erfahren, und erst dann wünsche ich, dass du es ihr sagst. So, teure Yola, behalte das Geheimnis noch ein wenig länger für dich. Und nun!«, fuhr der Marone mit verändertem Ton fort und wandte sich beim Sprechen nach der Ceiba hin, »hier habe ich etwas dir zu zeigen. Hast du je schon einen Flüchtling gesehen?«

»Flüchtling?«, sagte das ernste Mädchen. »Nein Cubina – noch nie.«

»Wohl, mein Lieb, hier ist einer, nicht weit von dir. Diesen Morgen habe ich ihn eingefangen, nur kurze Zeit vorher. Und nun will ich dir auch sagen, warum ich ihn hier festhalte. Weil ich mir einbilde, dass er dir gleicht, Yola!«

»Mir gleicht?«

»Ja, und das ist es auch, warum ich für den armen Burschen so etwas wie Mitleid fühle, da er diesem grausamen alten Juden angehört. Wie es mir scheint, muss er sogar einer von deinem eigenen Volk sein. Ich bin sehr neugierig, zu erfahren, was für Auskunft er wohl über sich selbst gibt.«

»Er Fellah, glaubst du?«, fragte begierig das afrikanische Mädchen, während ihre Augen bei dem Gedanken funkelten. Jemand von ihrem eigenen Stamm zu treffen.

»Ja, es scheint mir dies fast gewiss zu sein. In der Tat, er hat sich selbst mehrere Male einen Fellah geheißen, obgleich ich nicht verstehe, was er sagt. Wenn er wirklich von deinem Stamm ist, so musst du mit ihm reden können. Da ist er!«

Cubina hatte während dessen die Geliebte um den Baum herum an die Seite desselben geführt, wo der junge Mann zwischen den beiden mächtigen Wurzelausläufern verborgen war.

Der Afrikaner saß hier im Winkel an den Stamm der Ceiba gelehnt. Sobald die beiden Gestalten vor ihn hintraten und seine Augen auf das Gesicht des Mädchens fielen, sprang er urplötzlich auf und stieß einen hellen Freudenschrei aus.

Wie ein Echo wiederholte Yola diesen Schrei. Dann redeten sie heftig verschiedene Worte in einer unbekannten Sprache, stürzten aufeinander und umschlangen sich in gegenseitiger heißer Umarmung.

Cubina stand wie in den Boden eingewurzelt. Höchstes Erstaunen, ja vielleicht noch etwas mehr, machte ihn sprachlos. Er vermochte nur zu denken: »Sie kennt ihn! Vielleicht ihr Liebhaber in ihrem Vaterland?«

Ein schneidendes Gefühl von Eifersucht begleitete diesen Gedanken und tobte in der Brust des Maronen fort, bis Yola sich aus der zärtlichen Umarmung loswand, auf ihn mit freudiger Gebärde hinwies und die beruhigenden Worte ausrief: »Mein Bruder!«