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Der Teufel auf Reisen 25

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Fünftes Kapitel – Teil 9
Abenteuer auf dem Lande

Onkel Gottfried hatte inzwischen in seinem Schlafrock gekramt. Schließlich zog er ein Papier aus demselben. »Hier ist auch noch ein Brief von Sonnenberg, den er wahrscheinlich in der Eile hat liegen lassen. Derselbe ist an Vampyr adressiert.« »Meine Herren, erscheint es gerechtfertigt, wenn ich denselben öffne?«, fragte der Baron. »Es handelt sich nämlich darum, vielleicht einem Komplott auf die Spur zu kommen, denn ich habe schon lange gegen diesen Sonnenberg Verdacht geschöpft.« »Sie sind im vollen Recht, wenn Sie den Brief öffnen«, bemerkten die beiden Offiziere. »Auch uns scheint es sehr wahrscheinlich, dass dieser Herr in der engsten Verbindung mit Vampyr und Konsorten steht, und dass es von beiden von Haus aus darauf abgesehen war, Ihrem Herrn Bruder die Federn tüchtig zu rupfen.«

»Öffne das Schreiben unter allen Umständen«, sagte nun auch Onkel Gottfried, »ich übernehme die Verantwortlichkeit dabei.«

»Da ist von keiner Verantwortlichkeit die Rede«, bemerkte der Freiherr ruhig, »die Notwendigkeit gebietet und rechtfertigt dies. Also fort mit dem Siegel!« Er löste dasselbe mit entschlossener Hand und überflog rasch den Inhalt des Briefes, während ihn die übrigen Herren mit dem Ausdruck der höchsten Spannung umringten.

»Gerettet!«, rief er endlich, indem er mit leuchtenden Blicken um sich schaute, »mit einem solchen Dokument hoffe ich, diese ganze Bande von Beutelschneidern bald zum Schweigen zu bringen.«

Onkel Gottfried sprang in seiner Freude drei Ellen hoch in die Höhe und fiel abwechselnd einem der An-wesenden nach dem anderen um den Hals.

»Hören Sie nun auch, meine Herren, was diese Zeilen enthalten«, sagte der Baron.

Ein allgemeines Schweigen folgte und Herr von Bergheim fing folgendermaßen an zu lesen:

Teurer Freund!

Ich treffe noch diese Woche mit unserer lieben Jenny bei Ihnen ein, die uns, wie ich hoffe, reichliche Zinsen eintragen soll. Der einfältige Baron Gottfried (hier rückte derselbe sehr stark an seiner Nachtmütze), der einfältige Baron Gottfried also ahnt nicht im Geringsten, auf welchem Vulkan er steht. Erteilen Sie sofort unserem Freund Schufterle die nötigen Instruktionen. Lassen Sie dem Herrn Präsidenten umgehend mit einer Kriminalklage drohen und ich stehe Ihnen dafür, dass er zahlen wird. Dass eine Gesellschaft zum Anbau inländischen Tabaks in der Wirklichkeit gar nicht existiert, sondern dass sich dieselbe bloß auf dem Papier befindet, davon hat dieser Strohkopf (Onkel Gottfried ballte hier drohend die Faust) nicht die geringste Ahnung, ebenso wenig davon, dass die angeblich ausgegebenen Aktien wohlverwahrt in Ihrem Schreibpult liegen und zu nichts weiter brauchbar sind, als einen solchen Schwachkopf um einige Tausend Taler leichter zu machen.

»Da siehst du«, bemerkte der Freiherr, »in was für Hände du geraten bist. Hätte Sonnenberg diesen Brief nicht zufällig verloren oder verlegt, so würdest du wahrscheinlich deine Sucht, den Präsidenten zu spielen, sehr teuer haben bezahlen müssen. Jetzt freilich werden diese Schnapphähne noch froh sein, wenn wir sie nicht selbst dem Kriminalgericht überliefern. Doch genug hiervon, eile und mache dich reisefertig, in einer Stunde müssen wir unterwegs sein.«

Onkel Gottfried ließ sich dies nicht zweimal sagen, er stürzte aus dem Zimmer, in welchem nur noch die beiden Offiziere mit dem Baron zurückblieben.

»Aber wo bleiben denn heute meine Töchter?«, bemerkte der Letztere, bei dem seine gute Laune wieder vollständig zurückgekehrt war.

Die beiden Offiziere drehten verlegen an ihren Schnurrbärten. Glücklicherweise ließ sich in diesem Augenblick ganz unerwartet die helle liebliche Stimme Mariannes vernehmen und von diesen Tönen elektrisiert, richtete sich Felsen sofort steif wie ein Rekrut empor und heftete seinen Blick mit dem Ausdruck der höchsten Spannung auf den Eingang des Zimmers. Plötzlich wurde die Tür desselben lebhaft geöffnet und Marianne trat mit siegesstrahlenden Blicken und mit einem Freudengeschrei herein.

»Oh, mein Gott«, rief sie zu ihrem Vater gewendet, »oh, mein Gott, Margarethe ist soeben angekommen! Sie hat mir alles gesagt … Oh, hören Sie nur, mein teurer Vater …«

»Margarethe?«, wiederholte der Freiherr mit sichtbarer Befangenheit, »die Tochter des Matrosen? … Was führt die denn so früh hierher? Haben wir vielleicht auch in Bezug auf sie etwas Schmerzliches zu vernehmen?«

»Nein, nein«, fuhr Marianne mit leuchtenden Blicken fort. »Im Gegenteil, sie ist geheilt, sie ist gerettet und hier – hier steht derjenige, welcher dieses schöne Werk vollbracht hat!«

Die junge Dame zeigte dabei auf Herr von Felsen, der nach dieser Einleitung nunmehr allerdings das Beste hoffte. Marianne ließ ihn auch nicht lange in Ungewissheit, denn als fühle sie, dass sie ihm für die erlittenen Schmerzen eine Genugtuung schuldig sei, eilte sie plötzlich mit der ganzen Anmut ihres Wesens auf ihn zu, streckte ihm ihre beiden Hände entgegen und rief in einem Ton, der keine Zweifel über ihre Gefühle zuließ, und der Herrn von Felsen wie Sirenengesang klang.

»Sie haben gelitten und für Ihre gute Tat wäre Ihnen beinahe Undank zuteilgeworden. Aber nun sollen Sie auch belohnt werden. Kommen Sie, Margarethe wartet draußen, um sich nochmals bei Ihnen zu bedanken und Ihnen zugleich ihren Verlobten vorzustellen.«

»Wie, Margarethe will heiraten?«, fragte ganz erstaunt Herr von Bergheim.

»Ja, einen jungen braven Burschen, der sich im Stillen schon längst um sie bewarb, den aber das verblendete Mädchen in der letzten Zeit kalt und hochmütig den Rücken zugekehrt hatte. Seit gestern ist es aber anders – doch kommen Sie, Herr von Felsen, ich habe dem jungen Paar versprochen, dass es Ihnen vorgestellt werden soll und ich will Wort halten.«

Hinaus schlüpfte das liebenswürdige Mädchen, indem es schelmisch lächelte und den jungen Offizier in einer Weise mit sich fortzog, als stände er bereits vollständig unter ihrer Herrschaft.

»So ist doch wenigstens eine gerettet«, sagte der Freiherr, »und vielleicht gelingt es auch noch der anderen die helfende Hand zu reichen, ehe sie der Strudel, in welchen ihr Leichtsinn sie stürzte, in die Tiefe zieht. Entschuldigen Sie, Herr von Reingold, aber ich muss sehen, was mein Bruder macht und ihn zur Eile antreiben, denn der hat gewiss unter den gegenwärtigen Umständen vollends den Kopf verloren.«

Fort war auch der Baron und Reingold befand sich nun allein und blickte finster vor sich hin.

»Für alle löst sich der geschürzte Knoten glücklich, nur für mich nicht«, murmelte er, »das böse Gewissen hält Clementine fern und ich verlasse dieses Haus mit einem vor Schmerz und Bitterkeit überfließenden Herzen.«

Im höchsten Grad verstimmt warf er sich in einen Sessel, griff nach einem auf dem Tisch liegenden Buch und blätterte gedankenlos in demselben.

Da wurde plötzlich nach einer Weile die Tür aufgerissen und Felsen trat mit strahlendem Gesicht ein.

»Wie, du Träumer«, rief er, »ich finde dich noch hier, während du längst zu den Füßen Clementines knien solltest.«

»Lass solchen unzeitigen Scherz. Ich gönne dir dein Glück, störe mich aber auch nicht in meinem Schmerz.«

»Das will ich aber doch!«, rief der andere mutwillig. »He, Träumer, ermanne dich und erwache zu neuem Leben!«

»Was soll das bedeuten?«

»Das soll bedeuten, dass du Clementine bitteres Unrecht getan hast und dich ganz und gar im Irrtum befindest.«

»Mensch, wenn du die Wahrheit sprächest! Woher hast du diese Nachricht?«

»Nun, von Marianne. Weißt du, was du getan hast?«

»Nun?«

»Du hast dir ganz nutzlos eine schlaflose Nacht gemacht.«

»Ich verstehe dich nicht.«

»Du hast eine liebenswürdige junge Dame angeklagt, ohne zu prüfen, ob dir ein Recht dazu zur Seite stand.«

»Aber ich bitte dich …«

»Höre nur weiter zu«, fuhr Felsen fort. »In einigen Tagen ist des Freiherrn Geburtstag. Clementine, die mit so inniger Liebe an ihrem Vater hängt, wollte ihm eine Überraschung bereiten. Hierzu bedurfte es indessen verschiedener Vorbereitungen und das Fräulein hatte dabei einen alten Herrn der Nachbarschaft zu ihrem Vertrauten gemacht.«

»Oh, mein Gott, jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen!«

»Der alte Herr hat sie noch über die Taufe gehalten, er kennt die Familie seit dreißig Jahren.«

»So habe ich mich also durch meine Übereilung bei Clementine für immer unmöglich gemacht!«

»Na, nur nicht gleich verzagt! Jetzt will ich dir auch die in deinem Versteck gehörten Worte erklären: ›Das Geheimnis ruhe tief in seinem Herzen, den weiteren Plan wolle er mit ihr bei der nächsten Zusammenkunft verabreden.‹ Die Sache hatte nämlich Eile und deshalb schickte das Fräulein noch spät am Abend einen Boten zu ihrem Paten, wobei sie demselben den Befehl erteilte, sie im Park zu erwarten, denn der Vater sollte ja nun einmal nichts merken.«

»Es ist also das Glück meiner ganzen Zukunft an einem unglückseligen Missverständnis gescheitert!«, seufzte zerknirscht Reingold.

»Du siehst zu schwarz, lieber Freund. Hast du jemals gehört, dass eine Frau unversöhnlich bleibt, wenn man aus Eifersucht gegen sie fehlt? …«

»Ja, aber …«

»Weg mit den Aber! Marianne hat bereits in deinem Interesse gewirkt. Benutze die dir angebotene Vermittlung. Es gibt Fälle, wo man am besten tut, wenn man den Damen so wenig wie möglich Zeit zum Überlegen lässt.«

»Nun, was soll ich denn tun?«

»Mein Gott, ist dir denn jedes taktische Talent plötzlich verloren gegangen? So komm, ich will dein Führer sein.«

Er zog Reingold mit aus dem Zimmer und eine Minute darauf standen sie vor Marianne.

»Erbarmen Sie sich des armen Sünders«, bat Felsen im komischen Ton.

»Das Verbrechen ist aber fast gar zu groß«, antwortete diese lächelnd.

»Üben Sie Mitleid. Sie sehen ja, er kann sich kaum mehr auf den Beinen halten.« »Nun, ich will sehen, was sich tun lässt.«

Mit diesen Worten verschwand das Fräulein und nach etwa einer Viertelstunde kehrte sie zurück. »Clementine ist bereit, Sie zu empfangen«, sagte sie.

Reingold jauchzte auf. »Wo finde ich sie?«

»Oben auf ihrem Zimmer.«

Die Leser werden gern glauben, dass sich der Husar dies nicht zweimal sagen ließ. Welche Erklärungen zwischen ihm und der Schwester Mariannes stattfanden, ist nie in die Öffentlichkeit gelangt. Nur so viel steht fest, dass die beiden Offiziere nun nicht das Schloss verließen, dagegen aber bei der Rückkehr des Barons einzeln um eine geheime Unterredung mit demselben baten und dass die Folge davon wenige Wochen nachher eine doppelte Verlobungsanzeige war.

»Mein sehr werter Freund«, sagte eines Morgens der falsche Herr von Florheim zu dem Freiherrn, »ich bin entzückt von der Liebenswürdigkeit, mit welcher Sie mir hier Gastfreundschaft gewährt haben. Aber meine alte Wanderlust beginnt wieder bei mir zu erwachen. Und so mögen Sie gestatten, dass ich mit dem besten Dank von Ihnen Abschied nehme.«

»Kann Sie denn nichts mehr zurückhalten?«

»Ich bin wie ein Zugvogel. Wenn meine Zeit kommt, muss ich fort.«

 

Als sich Schwalbe wieder mit dem Baron von Schwefelkorn auf der Eisenbahn befand, fragte er diesen: »Wo geht es nun hin?«

»Wieder in eine sehr große Stadt. Es bietet sich uns dort eben Stoff zu einer ganz interessanten Geschichte und den dürfen wir doch nicht unbenutzt lassen.«

»Wo spielt dieselbe denn, in einem Palast oder in einer Hütte?«

»Na, in einem ziemlich abgelegenen Winkel. Doch jetzt fragen Sie nicht weiter, sonst geht das Interesse verloren.«

»Gut, so wollen wir von gleichgültigen Dingen sprechen und uns vor allem eine Zigarre anstecken.«

Wir aber führen den Leser noch einmal unter die breitästigen Linden, wo, wie früher, die Familie von Bergheim den Tee einnahm.

»Nun, Bruder Gottfried«, sagte der Baron, indem er sich lächelnd zu diesem wendete. »Du bedauerst also wirklich nicht, Deine Präsidentenwürde niedergelegt zu haben?«

»Ganz und gar nicht«, antwortete dieser, »auch bedauere ich das Lehrgeld nicht, welches ich habe bezahlen müssen.«

»Ohne jeden Verlust konnte es nicht abgehen, das konnte man voraussehen«, bemerkte Felsen, »aber ein Glück war es, dass wir uns im Besitz des Briefes befanden.«

»Der fiel aber auch wie ein Donnerschlag unter die Bande. Das saubere Kleeblatt sah sich plötzlich in den eigenen Schlingen gefangen, und so kam ich noch mit ziemlich heiler Haut davon«, murmelte Onkel Gottfried.

»Sonnenberg und Jenny sind wenigstens miteinander verheiratet«, bemerkte der Freiherr, »was sie nun für Zukunftspläne schmieden, ist ihre Sache.«

»Sie werden schon in Paris ihre Rolle spielen«, sagte Onkel Gottfried. »Jenny versteht es darauf zu laufen! Undankbar war es freilich von ihr, dass sie ihren Abschiedsbrief gerade an die Spitze meiner Nachtmütze befestigte. Sie hätte sich hierbei jedenfalls zarter benehmen und etwas mehr Romantik an den Tag legen können.«