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Felsenherz der Trapper – Teil 6.1

Felsenherz-der-TrapperFelsenherz der Trapper
Selbsterlebtes aus den Indianergebieten erzählt von Kapitän William Käbler
Erstveröffentlichung im Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1922

Band 6
Die Goldgräber der Jicarilla-Berge

Erstes Kapitel
Der geheimnisvolle Maultierreiter

Die Llano Estacado, die große Hochlandwüste in West-Texas in Nordamerika, ist in ihren östlichen Randbergen das Quellgebiet zahlreicher Flüsse, so auch des Colorado River, der nicht mit dem gleichnamigen, in den Golf von Kalifornien mündenden Colorado verwechselt werden darf.

An einem windstillen, heißen Herbsttage lagerten etwa fünf Meilen östlich der Quelle des Colorado River in einem steinigen, gestrüppreichen und von dunklen Tannenkulissen umgebenen Tale drei Weiße und ein schlanker, kräftiger Indianer, dessen edel geschnittenes Gesicht und offene, lebhafte Augen im Verein mit einer gewissen Würde in Haltung und Sprache ihn weit über den Durchschnitt der Rothäute hinaushoben. Die vier saßen um ein kleines, durch trockenes Reisig genährtes Feuer herum und warteten auf die Rückkehr zweier indianischer Späher, die man morgens hinter einem Buschklepper hergeschickt hatte, der ihnen am vergangenen Tage entwichen war.

Der eine der Weißen, ein großer blonder Trapper, sagte zu dem Indianer, indem er auf die über dem Feuer am Spieß bratende Hirschkeule deutete: »Unsere Mittagsmahlzeit wird sofort fertig sein, Schwarzer Panther. Wenn wir gegessen haben, werden wir beide den Spähern folgen. Es beunruhigt mich, dass sie noch nicht zurückgekehrt sind. Wir wissen ja, dass die Buschklepperbande, von der wir nun erst vier

Mann unschädlich gemacht haben, hier irgendwo im Quellgebiet des Colorado ihren Schlupfwinkel hat und dass der Rest der Bande noch aus mindestens dreizehn Leuten besteht. Die beiden Comanchenkrieger können also sehr leicht in einen Hinterhalt geraten sein.«

»Mein weißer Bruder spricht das aus, was der Schwarze Panther selbst bereits befürchtet, obwohl meine beiden Krieger erprobte Fährtensucher und Jäger sind, die sich nicht so leicht überlisten lassen«, entgegnete der schlanke Indianer ernst. »Der Schwarze Panther meint aber, dass es besser wäre, wenn auch Ben und Sepp uns gleich begleiten würden. Weshalb sollen wir uns trennen, Felsenherz?«

»Ich wollte Ben nur schonen, der sich von seinem Schulterschuss noch nicht ganz erholt hat«, erklärte der junge Trapper.

»Old Boy«, warf der zwergenhafte Ben, stets Ben der Hinkende genannt, der einer der bekanntesten Westmänner der Indianergebiete war, lachend ein. »Old Boy, um den kleinen Ben macht Euch nur keine Sorgen. Der fühlt sich schon wieder so frisch wie ein junger Büffel, wenn’s auch mit der Jugend nicht mehr weit her ist!« Dabei deutete er auf die grauen Haare, die unter seiner Pelzkappe hervorkamen. Die Pelzkappe hatte längst jede Spur von Pelz eingebüßt und glich nur noch einer recht wunderlichen Ledermütze.

Der dritte Weiße, der eigentlich Zeitungsberichterstatter war und nur zufällig den Trapper Felsenherz und dessen Freunde kennengelernt hatte, sagte nun lebhaft: »Mir wär’s auch lieber, wenn wir zusammenblieben, Häuptling! Schon deshalb, weil ich schon vor fünf Minuten, als ich drüben die Talwand hochgeklettert war, etwas hörte, das wie ferne Schüsse klang.«

Felsenherz blickte den Sprecher überrascht an. »Und das sagt Ihr jetzt erst, Sepp!«, rief er vorwurfsvoll.

Sepp Stieglitz, der aus der schönen Isarstadt München stammte, lächelte verlegen. »Hm, ich bin doch nur ein Greenhorn in allen Dingen, die mit dem Leben in der Wildnis zusammenhängen, Felsenherz! Vielleicht habe ich mich auch verhört. Vielleicht waren’s keine Schüsse, sondern lediglich das Geräusch abstürzender Steinmassen, die irgendein Wild ins Gleiten brachte. Man blamiert sich doch nicht gern! Obwohl ich schwören möchte, dass ich wirklich vier bis fünf Schüsse vern…!«

Er wollte vernahm sagen, konnte das Wort jedoch nicht mehr beenden, da der Comanchenhäuptling plötzlich aufgesprungen war, seine Doppelbüchse ergriffen hatte und nach dem Eingang des Tales hinüberschaute, wo soeben durch die Sträucher ein gesatteltes Maultier sich einen Weg gebahnt hatte, noch einige Sprünge tat und dann zusammenbrach.

Auch die drei Weißen waren hochgeschnellt. Doch der Schwarze Panther winkte schon warnend und flüsterte: »Feuer aus!« Gleichzeitig bückte er sich und begann auf das Maultier im Schutz der Steine und des Gestrüpps zuzukriechen.

Ben hatte schon eine flache Steinplatte über die Glut gedeckt, hatte sich dann neben Felsenherz und Sepp hinter einen Steinblock kniend niedergelassen und seine Büchse gleichfalls gespannt.

Der Häuptling musterte das bereits verendete Tier, das drei Schüsse in der Brust hatte, nur kurz und glitt nun durch die Sträucher aus dem Tal ins Freie, wo ein kleines Felsplateau zu einer grasreichen Prärie emporführte.

Als der junge blonde Trapper bemerkte, dass sein roter Bruder feststellen wollte, woher das angeschossene Maultier gekommen sei, schritt er ebenfalls davon, indem er Ben und Sepp leise zurief: »Sattelt unsere Tiere und macht alles zum Aufbruch fertig. Sepp hat ganz recht. Es waren Schüsse, die er hörte, und mit der Sicherheit dieser Gegend ist es nicht weit her.«

Er blieb dann bei dem toten Maultier stehen.

Der Sattel war ohne Frage mexikanischer Herkunft, ebenso das bunt verzierte Zaumzeug. Außer zwei Satteltaschen trug das Reittier einen nur noch halb gefüllten Wasserschlauch.

Felsenherz durchsuchte die Satteltaschen. Sie enthielten nur das, was so der Westmann in die Wildnis mitzunehmen pflegte.

Dann folgte er dem Häuptling in die Prärie, wo dieser im hohen Gras lag und angestrengt nach Westen spähte.

Als Felsenherz, noch durch ein paar Büsche gedeckt, den Schwarzen Panther in dieser liegenden Stellung erblickte, kroch er auf allen vieren weiter, schob sich neben ihn und fragte: »Hat mein Bruder Thokariga, der Schwarze Panther, drüben etwas Besonderes bemerkt?«

»Felsenherz, schaue in die Luft empor«, meinte der Comanchenhäuptling kurz.

Der Trapper gewahrte denn auch sechs Aasgeier, die jenseits der Prärie über einem Waldstreifen ihre Kreise zogen.

»Sechs Geier – also auch irgendeine Beute für die Vögel!«, sagte Felsenherz ebenso kurz.

»Und zwei Krähenschwärme«, fügte der Schwarze Panther hinzu. »Die Wildnis hat ihre besondere Sprache, mein weißer Bruder. Wer diese Sprache nicht versteht, bringt seinen Skalp in Gefahr. Dort, wo rechts und links von den Geiern die Krähen wie Wolken über dem Wald schweben, müssen sich mehrere Leute befinden. Vor einem einzelnen Mann steigen Krähen nicht in solcher Menge auf. Es werden sogar größere Reitertrupps sein, die die Vögel aufscheuchten.«

»Derselben Ansicht bin auch ich, Schwarzer Panther«, bestätigte dies Felsenherz mit einem Kopfnicken. Wie wär’s, wenn wir – der eine von links, der andere von rechts – an den Wald heranreiten und uns dann dort treffen würden, wo die Geier eine Beute bemerkt haben? Sepp und Ben könnten mir folgen.«

»Mein Bruder rät das Richtige«, meinte der Häuptling. »Der Nord- und Südrand dieser Prärie hat genügend Büsche, die das Anschleichen an den Wald erleichtern. Holen wir unsere Pferde.«

Gleich darauf ritt Felsenherz nach Norden zu durch ein anderes Tal davon, um sich ungesehen dem Walde nähern zu können.

Als er das Tal hinter sich hatte, setzte er seinen Weg in einer flachen Bodenvertiefung fort, die nach Westen hin durch eine Menge Buschinseln geschützt war. Der junge Trapper spähte vom Sattel aus fortwährend argwöhnisch in die Runde, beobachtete sowohl die Büsche als auch den grasbedeckten Boden und nahm ebenso sein Gehör zu Hilfe, um rechtzeitig irgendetwas Verdächtiges zu entdecken.

Dann gewahrte er vor sich im Gras einen Strich, der von rechts aus einer kleinen Baumgruppe hervorkam und schräg nach links durch die Büsche offenbar in die Prärie hinein sich fortsetzte.

Er sprang sofort ab, spannte seine Doppelbüchse und untersuchte die Fährte. Sie war ganz frisch. Einige Blutflecken neben der Spur dieses Tieres, das den kleinen Hufen nach nur ein Maultier gewesen sein konnte, brachten ihn auf die naheliegende Vermutung, dass hier jenes Maultier vorübergekommen sein könnte, welches nachher in seiner Todesangst noch mit letzter Kraft bis in das Tal geeilt war, wo die vier Freunde vorhin gelagert hatten.

Die Spuren zeigten weiter, dass das Maultier dort aus einer kleinen Baumgruppe hervorgaloppiert und auf die Prärie hinausgestürmt sei.

Felsenherz überlegte. Er hatte bisher angenommen, dass die Geier, die drüben im Westen vor dem fernen Wald ihre Kreise zogen, vielleicht den erschossenen Reiter des Maultieres als Beute erspäht hatten. Dies erschien ihm jedoch sehr unwahrscheinlich. Das Maultier hätte ja dann, wenn es durch die drei Kugeln von den Mördern des Reiters verwundet worden wäre, trotz der schweren Verletzungen noch eine Strecke zurückgelegt haben müssen, die durch diesen Umweg hier nach Norden hin fast doppelt so groß war als die Prärie lang.

Um nun festzustellen, ob hier vielleicht ein zweites verwundetes Tier vorübergekommen sei, schlich er durch die Büsche bis zum Rand der Bodenmulde weiter und verfolgte von dort mit den Augen die weitere Richtung dieser Fährte.

Das Maultier war tatsächlich auf jenes Tal zugelaufen, wie Felsenherz erkannte.

Er machte kehrt. Sein Brauner blieb, da er indianische Dressur hatte, von selbst hinter ihm. So bog Felsenherz, stets auf den Spuren des todwunden Tieres bleibend, in die Baumgruppen ein.

Die Fährte lief im Bogen unter den Bäumen hin und durchquerte dann abermals nach Westen zu die Bodensenke. Also konnte das Maultier doch von dorther gekommen sein, wo jenseits der Prärie die Aasgeier schwebten.

Der junge Trapper wollte seinen Braunen schon wieder besteigen, als er neben der Fährte im Gras etwas entdeckte, das ihn stutzig machte.

Hier war fraglos ein Mensch aus dem Sattel gesprungen, ohne dass das Maultier in seinem tollen Dahinrasen auch nur einen Moment gezügelt worden wäre.

Das Gras neben der Fährte war niedergedrückt, aber wieder aufgerichtet worden. Trotzdem konnte man deutlich den Eindruck von Stiefelabsätzen erkennen, die die Erde etwas gelockert hatten.

Auch die Fortsetzung der Spur des Reiters, der hier mit großer Gewandtheit abgesprungen war, ließ sich für einen so erfahrenen Westmann, wie Felsenherz es in Kurzem geworden war, unschwer finden, obwohl der Besitzer des Maultieres seine eigene Fährte aufs Beste verwischt hatte.

Diese Fährte lief am Rande der Baumgruppe hin, hörte dann jedoch plötzlich unter einer uralten, riesigen Buche mit mächtigen, zum Teil waagerechten Seitenästen vollständig auf, und zwar in einer Entfernung von etwa vier Metern von dem rissigen, moosbewachsenen Stamm des Baumes.

Felsenherz stand hier gleichsam vor einem Rätsel. – Wo war der Reiter hingeraten? – Den Baum konnte er nicht erklettert haben, dann hätte die Fährte bis an den Stamm hinführen müssen.

Dann hob er frisch abgebrochenen Zweig auf und dazu etwas Baummoos, blickte nun empor und gewahrte drei Meter über den letzten Stiefeleindrücken des Reiters einen Seitenast von Schenkeldicke.

Nun kannte er den Weg, den der Reiter genommen hatte. Der Fremde hatte ein Lasso über den Ast geschleudert und war so emporgeklettert! Dabei hatte er jedoch unvorsichtigerweise das Zweiglein abgebrochen und das Moos von dem Ast herabgeworfen.

Felsenherz konnte nur vermuten, dass der Flüchtling noch oben im Laubwerk der Buche steckte.

Er rief also leise: »Master, wer Ihr auch seid – meldet Euch! Ihr habt von mir nichts zu fürchten!«

Und die Antwort …?

Ein Pfeil zischte von oben herab, fuhr durch des jungen Trappers Hutkrempe und dann in den Kolben seiner Büchse.

Mit einem langen Satz war Felsenherz schon hinter den nächsten Baum gesprungen.

Ein Blick ach den Pfeil, der eine schmale Eisenspitze und am Schaft sauber eingearbeitete Federn des Berghähers hatte, verriet ihm, dass der Schütze ein Indianer vom Stamm der Apachen sein müsse.

Vorsichtig zog er den Pfeil heraus. Und doch – er hatte dabei den linken Ellbogen hinter dieser weit dünneren Buche etwas preisgegeben. Sofort kam ein zweiter Pfeil aus dem Laub der anderen Buche herabgesaust, ritzte Felsenherz den Unterarm und blieb im Ärmel seines hirschledernen Jagdrockes hängen.

Der junge Trapper riss ihn heraus, war jetzt aber noch vorsichtiger. Dann schaute er nach rechts. Dort standen ein paar Büsche kaum vier Meter entfernt.

Ein neuer Sprung – und er hatte nun hier eine bessere Deckung, die ihm zugleich auch gestattete, nach dem Schützen Ausschau zu halten.

Er kroch hinter den Büschen weiter. Er musste den Apachen dort oben auf jeden Fall unschädlich machen, bevor dieser noch auf den Gedanken kam, auf den Braunen zu zielen, der, friedlich die Gräser abrupfend, langsam sich den Büschen näherte

Da wurde Felsenherz von links angerufen. Er hatte hier durch das Auffinden der Fährte gut zwanzig Minuten Zeit eingebüßt, und Ben und Sepp Stieglitz waren nun inzwischen ebenfalls herangekommen.

»He – was treibt Ihr da, Felsenherz?«, hatte Ben der Hinkende ihm zugerufen.

»Vorsicht! Apachen in der Nähe!«, warnte blonde Trapper laut. »Einer der Rothäute steckt dort oben in der alten Buche!«

»Na – den werde ich gleich herabpusten!«, meinte Ben, der schleunigst wieder hinter den nächsten Büschen verschwunden war.

Nun kam die große Überraschung für die drei Freunde. Aus dem grünen Blätterdach des Riesenstammes meldete sich jemand mit tiefer, voller Stimme in gutem Englisch.

»Ich sehe ein, dass ich mich geirrt habe! Ihr gehört nicht mit zu den Leuten, die mich überfallen haben. Wenn Ihr mir besprecht, keinerlei Fragen an mich zu richten, komme ich zu Euch herab!«

»Man, da habt Ihr auch ‘n böses Gewissen!«, rief Ben zurück. »Trotzdem klettert ruhig ein paar Stockwerke tiefer! Ihr habt es hier mit ehrlichen Trappern zu tun!«