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Das Gespenst von Amalfi – Teil 3

Das-Gespenst-von-AmalfiDas Gespenst von Amalfi
Eine Erzählung von Robert Kohlrausch

Ein paar Tage vergingen, ohne dass irgendetwas Besonderes vorgekommen wäre. Wir hatten den Abend mit seinen Gespenstergeschichten schon beinahe vergessen. Das Wetter, das bisher immer leuchtend schön gewesen war, bereitete sich bei nahendem Vollmond anscheinend auf einen Wechsel vor. Die Sonne verschwand hinter trübem Gewölk, und ein heftiger Schirokko wehte von der See heulend um das graue Vorgebirge mit seinem weißen Kloster herein. Der Lärm, den er im Haus verursachte, war ziemlich arg. Er hinderte mich am Abend sogar längere Zeit am Einschlafen, weil er sich ein paar schlecht befestigte Fensterläden zum Spielzeug ersehen hatte. Sie schlugen in unregelmäßigen Zwischenräumen gegen die Mauern und veranlassten ein ärgerlich-nervöses Warten auf die Wiederholung der unharmonischen Töne.

So lag ich, obwohl ich mein Zimmer schon zeitig aufgesucht hatte, weil ich von angestrengter Arbeit müde war, an jenem Abend lange wach. Ich hatte vergeblich um Schlaf gekämpft und starrte mit wieder geöffneten Augen in das matte Halblicht in meinem Zimmer. Der Mond, nur zeitweise hinter Wolken verborgen, sandte Helle genug zu mir herein, um alles deutlich erkennen zu lassen. Ich sah die tiefe Türnische vor mir, über der ein rundes, ebenso tiefes Fenster auf einen großen Vorsaal hinausging. Sogar das Muster der Tapete, die mit kleinen grauschwarzen Kreuzen auf einem weißen Grund verziert war, zeichnete sich in voller Klarheit ab. Ich fing an, diese Kreuze zu zählen, um so vielleicht endlich den ersehnten Schlaf zu finden. Aber der Schirokko, der mir stets die Nerven unangenehm aufregte, blieb auch diesen Versuchen gegenüber Sieger. Ich war zu wach, um hinterher das, was nun geschah, mir als Traum auslegen zu können.

Der lockere Fensterladen über mir schlug in den üblichen Pausen mit lautem Knall an die Wand, von unten klang die wilde Meeresbrandung in regelmäßigeren Zwischenräumen herauf, der Wind heulte mit beinahe menschlichen Lauten durch die Gänge des Klosters. Aber trotzdem war ich keinen Augenblick im Zweifel, dass es wirklich eine Menschenstimme sei, die mich plötzlich erschreckt emporfahren ließ. Ein lauter Schrei, kurz, grell und gleich wieder verstummend, wie jähes Entsetzen ihn erpresst, war zu mir gedrungen. Und ich meinte bestimmt, er sei nicht von außen, von der Straße her gekommen, sondern im Kloster selbst ausgestoßen worden. Denn eine Art von Widerhall, das Echo der gewölbten Klostergänge, war ihm gefolgt.

Ich sprang auf, eilte zur Tür und öffnete. Das elektrische Licht brannte draußen – alles blieb still. Der Schrei wiederholte sich nicht, kein fremder Laut mischte sich weiter in die schon gewohnten Geräusche der Sturmnacht. Ich horchte dann in meinem Bett wohl noch eine Stunde lang aufgeregt hinaus, schlief endlich aber vor Übermüdung ein.

Am nächsten Morgen beim Frühstück war mein Erstes, dass ich Personal und Gäste wegen des Schreis befragte, den ich in der Nacht gehört zu haben meinte. Doch fand ich zu meinem Staunen keinen einzigen Zeugen für meine Wahrnehmung. Margherita war schon um zehn Uhr in ihr Bett gegangen und gleich eingeschlafen. Gaetano sagte, dass er um die von mir genannte Zeit zwar noch auf gewesen sei, doch nichts anderes als den Lärm des Windes gehört habe. Von den Gästen hatte niemand etwas Ungewöhnliches vernommen.

Ärgerlich über mich selbst und über den Streich, den meine Nerven mir anscheinend gespielt hatten, verließ ich den Speisesaal. Im Kreuzgang begegnete mir Elena. Sie trug die Morgenpost in den Händen, die sie zu verteilen gewohnt war, und blieb vor mir stehen, um einen Brief hervorzusuchen, der für mich angekommen war.

So bot sich mir Gelegenheit, sie genau zu betrachten, und ich erschrak darüber, wie blass und ernst ihr Gesicht an diesem Tag war. Sonst hatte sie mir die Post immer mit irgendeinem Scherzwort überreicht, doch suchte sie zerstreut unter den Papieren umher, und mein Blick fand schneller als der ihre den für mich bestimmten Brief.

»Da, da!«, rief ich ihr zu. »Hier steht es ja doch. ›Herrn Doktor Alfred Gruber, Kunsthistoriker.‹ Soviel ich weiß, bin ich das immer noch.«

»Ja freilich, das ist Ihr Brief. Aber weiter ist nichts für Sie da.« Sie, die sonst immer zum Lachen bereit war, lachte nicht einmal über ihren Irrtum, sondern gab mir den Brief mit einem Gesicht, als ob ihre Gedanken weit ab mit anderen Dingen beschäftigt wären. Auch ging sie gleich weiter.

Aber mir fiel ein, dass auch sie vielleicht über irgendetwas in der Nacht erschrocken sein könnte, wodurch ihr ungewohntes Wesen sich erklärte. So rief ich sie zurück und fragte nun auch sie geradezu nach dem Schrei, den ich gehört hatte.

Sie wurde noch ein wenig bleicher, wie mir schien, bewegte jedoch mit lebhafter Verneinung die Hand.

»Nein, nein, ich habe nichts gehört. Gar nichts. Es wird auf der Straße gewesen sein, wenn der Signore nicht überhaupt geträumt haben.« Damit wandte sie sich um und eilte zum Speisesaal hinüber, um die Post an die Gäste zu verteilen.

Ihr zerstreut-ernsthaftes Wesen blieb auch an den folgenden Tagen unverändert, und mein Freund Umberto blickte gleichfalls finster in die Welt. Seine gewohnte Geschicklichkeit bei den gemeinsam vorgenommenen Messungen verlor sich, er nannte falsche Zahlen und hörte manchmal gar nicht, was ich sagte.

Nach und nach wurde mir die Verstimmung dieser beiden jungen Menschen, deren Persönlichkeit und Geschick mich interessierte, so störend und unbehaglich, dass ich mich einschloss, Locatelli darüber zu befragen.

Die Gelegenheit bot sich mir bald. Wir waren beim Dom im zugehörigen Kreuzgang, der dem unseres Gasthauses ähnlich war, mit unseren Messungen beschäftigt, als Locatelli plötzlich das Notizbuch mit Zahlen sinken ließ und geistesabwesend stumm vor sich hinstarrte.

»Was ist denn nur mit Ihnen, Freund Umberto?«, rief ich ihm zu. »Sie sind ja völlig verwandelt. Schenken Sie mir doch Ihr Vertrauen, vielleicht kann ich Ihnen helfen.«

Er schüttelte den Kopf. »Mir hilft niemand. Ich wollte, dass ich nie geboren wäre.«

»Das hat schon mancher gesagt und hat ein paar Wochen später gejubelt, weil das Leben doch gar zu schön ist. Das kann auch Ihnen passieren.«

»Mir? Mir? O nein, für mich gibt es nichts Gutes mehr. So jung ich bin, so viel hab’ ich schon verloren. Mein Vater ist mir gestorben, meinen geliebten Beruf hab’ ich aufgeben müssen und nun …«

Mit einer unbestimmten Handbewegung brach er ab. Es blieb mir zweifelhaft, ob der übergroße Schmerz ihn verstummen ließ, oder ob er fürchtete, dem Fremden zu viel zu vertrauen.

Aber ich hatte mir vorgenommen, ihn zum Reden zu bringen. So trat ich nahe vor ihn hin, legte die rechte Hand auf seine Schulter und sagte: »Mein lieber Signore Umberto, so kommen Sie nicht los. Es ist mein Wunsch, Sie zu trösten und Ihnen zu helfen. Aber dazu muss ich wissen, was Ihnen fehlt. Ihren früheren Kummer hatten Sie schon ganz gut überwunden. Es muss etwas Neues sein, was Sie quält. Und ich glaube, dass diesmal ein paar hübsche Mädchenaugen eine Hauptrolle dabei spielen. Heißt Ihr gegenwärtiger Kummer nicht Elena Serra?«

Schwer atmend, mit sich kämpfend, stand er einen Augenblick wortlos. Dann brach die Leidenschaft aus ihm hervor. »Elena! Ja, Signore, so heißt mein Glück und mein Unglück! Durch ihr Lachen, durch ihre liebe Stimme war ich in meinem Herzen wieder gesund geworden. Ich hatte die Hoffnung wieder gefunden, glaubte wieder an eine Zukunft. Nun aber – auf einmal ist es aus und vorbei!«

Sein Gesicht, sein ganzer Körper sprachen zugleich mit seinen Lippen. Bei den letzten Worten war es, als wenn eine schwere Hand seine Gestalt niederdrückte, sodass er kleiner zu werden schien.

»Was ist denn geschehen? Warum ist es aus?«

»Wenn ich es nur wüsste! Das ist es ja, was mich rasend macht. Seit ein paar Tagen ist Elena wie verwandelt, ohne dass ich aus ihr herausbringen kann, weshalb. Sie weicht mir aus, läuft vor mir davon, wenn sie mich sieht. Und gestern – da habe ich sie gestellt, habe verlangt, sie soll sprechen. Sie aber hat gesagt: ›Lass mich. Vergiss mich.‹ Dann hat sie sich losgerissen und ist fortgelaufen, ich habe die Tränen auf ihrem Gesicht gesehen. Aber was hilft mir ihr Weinen, wenn sie mich nicht mehr lieb hat?«

»Elena hat Sie noch lieb, Umberto, sonst hätte sie nicht geweint.«

»Meinen Sie?« Seine bebenden Finger packten mich an, seine brennenden Augen fragten und flehten.

Ich nahm eine von seinen Händen fest in die meinen. »Mein Ehrenwort, ich bin davon überzeugt. Aber ebenso sicher bin ich, dass etwas uns noch Unbekanntes, irgendein Geheimnis Elenas merkwürdige Verwandlung verschuldet. Wir müssen herausbringen, was das ist, wir beide zusammen. Ist Ihnen das recht?«

»Oh, Sie sind sehr gütig! Wenn Sie mir helfen – es wäre ja zu schön, wenn ich noch einmal hoffen dürfte!«

»Sie sollen und müssen es. Und nun zunächst wieder an unsere Arbeit. Am Abend aber trinken wir nach dem Essen ein Glas Wein miteinander und besprechen, was für Sie geschehen kann.«

Umberto presste dankend meine Hand mit festem Druck. Von diesem Augenblick an schien es, als ob er durch neue Hoffnung Flügel bekommen hätte. Er sprang elastisch hierhin und dorthin, klomm bei den Messungen zu gefährlichen Höhen mit unfehlbarer Sicherheit hinan und leuchtete mich mit seinen schönen, verklärten Augen an. Ich gelobte mir, für ihn zu tun, was irgend in meinen Kräften stand.

Wir sprachen von Elena nicht eher wieder, bis wir abends nach unserer gemeinsamen Mahlzeit in die Stadt gegangen waren und in einer kleinen, weindurchdufteten Osteria beim Dom hinter den rot funkelnden Gläsern saßen. Dass mir auf dem Wege dorthin der verliebte Guazzo begegnet war, hatte mich nur ganz flüchtig unangenehm berührt, und ich vermied es wohlweislich, mit Locatelli von seinem Nebenbuhler zu sprechen.

Umberto schüttete mir an diesem Abend sein ganzes Herz aus und erzählte mir die Geschichte seiner glücklich-unglücklichen Liebe vom ersten Anfang an. Er war aber nicht imstande, mir irgendeinen Wink dafür zu geben, woher die plötzliche Störung des Verhältnisses gekommen war. Ich fragte, forschte, sprach Vermutungen aus, doch wollte sich das Geheimnis nicht lösen.

Es war bereits elf Uhr vorüber, als wir aufbrachen.

Locatelli bestand mit liebenswürdigem Eifer darauf, mich bis an mein Hotel zu begleiten, und so gingen wir nebeneinander den wohlbekannten Weg über dem dunklen, rauschenden Meer.

Nahe beim Hotel blieb Umberto stehen und sah hinauf zu dem felsgestützten Gebäude. »Dort wohnt sie – dort wohnt Elena!« Seine Lippen flüsterten die Worte mit sehnsüchtiger Leidenschaft, seine Hand wies zu einem Fenster empor, hinter dessen geschlossenen Läden ein leiser Lichtschimmer noch sichtbar war.

Mit einem ermutigenden Scherzwort nahm ich von dem Verliebten Abschied.

Ich hatte mir ein für alle Mal einen Schlüssel für die Haustür geben lassen, um nach abendlichen Sitzungen beim Wein in der Stadt niemanden stören zu müssen. Leise schloss ich auch diesmal auf und stieg die Stufen der gewundenen Treppe hinauf. Ein paar der elektrischen Laternen brannten wie immer und erhellten mir genügend meinen Weg. Vor meinem Zimmer befand sich ein geräumiger Vorsaal, der zum Flur hin mit einer Flügeltür geschlossen war, und an dem die Zugänge zu den hier befindlichen Gasträumen lagen. Er war unerleuchtet, und als ich die Flügeltür öffnete, fiel mir, wie schon ein paarmal, ein merkwürdiger Lichteffekt auf. Denn hinten an der Wand von diesem Vorsaal, die der Tür gegenüber war, hing ein großer, weit herabgehender Spiegel, und jenseits des langen, dunklen Raumes wiederholten sich in ihm der kaum erkennbare Vorsaal und ein Stück der Treppe, während ich selbst als eine große, schattenhafte Gestalt in dem viereckigen Rahmen der Türöffnung vor der halben Helle da draußen stand.

Ich fühlte bei diesem Anblick aufs Neue, wie sehr das alte Kloster zum Erfinden von Geistergeschichten herausforderte. Das geheimnisvolle Bild fesselte mich so sehr, dass ich einen Augenblick stehen blieb, um es ganz in mich aufzunehmen.

Bevor ich mich dann zu meinem rechts am Vorsaal gelegenen Zimmer wandte, hielt mich ein leises Geräusch zurück, das von außen her zu mir hereindrang. Unwillkürlich blieb ich noch in der Tür zum Vorsaal stehen und hielt meinen Blick auf den Spiegel geheftet, in dem sich alles abmalte, was auf dem Flur hinter mir vorging.

Vielleicht war es ein vorahnendes Gefühl, was mich so gefesselt hielt. Aber was ich auch zu sehen erwartet haben mochte, die Wirklichkeit übertraf jede Vermutung. Die Geisterwelt wurde mir lebendig in diesem Augenblick. Das Hausgespenst gewann Gestalt und Leben, der weiße Mönch glitt hinter mir vorüber! Ich erkannte mit sehenden Augen, was ich für Erfindung abergläubischer Torheit gehalten hatte. Von unten her über die Treppenstufen, die mein eigener Fuß kurz vorher betreten hatte, kam die weiße Gestalt scheinbar aus dem Boden aufsteigend langsam heraus, trat für einen Augenblick in den helleren Lichtkreis des Flures, dass mir ein Kopf mit grauem Haar und Bart unter halb verhüllender Kapuze für eine Sekunde deutlich erkennbar war, und verschwand dann nach oben.

Es war keine Täuschung möglich, der weiße Dominikanermönch war mir erschienen.

Einen Augenblick blieb ich wie gelähmt stehen. In wilden Schlägen hämmerte mein Herz. Aber dann kam der Ärger über mein abergläubisches Entsetzen. Vielleicht war es ein lebender Mönch, der hier wohnte, den meine Phantasie zum Gespenst umgeschaffen hatte. Das musste aber klar werden, ich wollte wissen, was ich gesehen hatte. So ging ich eilig zur Treppe und rief mit gedämpfter Stimme hinauf: »Heda, wer war eben hier unten? Antwort – ich muss es wissen.«

Meine Stimme stieg mit leisem Widerhall unter den Wölbungen des Treppenhauses hinan, aber kein Ton kam ihr aus der Stille der Nacht entgegen.

Nun lief ich die Stufen empor, die zum zweiten Stockwerk mit seinem Kreuzgang führten. Doch kam ich nicht bis nach oben. Ein unerwartetes Hindernis hemmte meinen Fuß. Mitten in meinem eiligen Lauf erloschen plötzlich auf einen Schlag sämtliche Lichter im Haus, und undurchdringliche Dunkelheit legte sich um mich her.

Ich griff in die Tasche nach Streichhölzern und fand mit Ärger, dass ich keine bei mir führte. Der Brauch, das Haus auch bei Nacht erleuchtet zu halten, hatte mich zu dieser Nachlässigkeit verführt. So blieb mir nichts übrig, als mich im Dunkeln langsam die Treppe wieder hinunter und zu meinem Zimmer zu tasten. Aber ich muss gestehen, dass mir nach dem Geschauten und Geschehenen in dieser Finsternis ein kaltes Grausen durch die Glieder lief.

Erst im Schein der endlich gefundenen und angezündeten Kerze verlor sich die Beklemmung, die mir das Atmen schwer gemacht hatte. Nun kam ruhiges Überlegen zu mir zurück und ich beschloss, mit meinem Licht bewaffnet noch einmal nach dem verschwundenen Mönch zu suchen. So stieg ich wieder die Treppenstufen hinauf und ließ das flackernde Licht in meiner Hand über die weißen Mauern dahingleiten. Tiefe Schlagschatten erschreckten mich ein paarmal mit abenteuerlichen Gestaltungen, aber sonst war nichts Ungewöhnliches aufzufinden, obwohl ich durch die leeren Kreuzgänge rund um den Klosterhof ging, aus dem die Nacht mit leisem Baumrauschen zu mir sprach.

Ich war immer noch tief erregt und wurde dadurch unsicher und ungeschickt. Ich hatte meine Hand vor das Licht gehalten, um nicht von ihm geblendet zu werden, und so entging meinen Blicken ein Stuhl, den ein Gast mit seinen Kleidern vor eine der Türen gestellt hatte.

Gegen ihn stoßend warf ich ihn zu Boden, wobei hallender Lärm den Kreuzgang erfüllte.

Nach wenigen Sekunden öffnete sich auch schon eine benachbarte Tür, und Signore Domenico, der Padrone, trat halb angekleidet aus ihr hervor.

»Was gibt es denn?«, rief er zornig. »Wer macht solchen Lärm, und warum ist es dunkel im Haus? Auch in meinem Zimmer habe ich kein Licht – wer hat sich diesen dummen Scherz erlaubt?«

Er hatte mich in seiner Aufregung nicht erkannt, beruhigte sich nur wenig, als ich im Licht meiner Kerze nahe vor ihn hintrat, denn sein Zorn brach verdoppelt wieder los, als ich in flüchtigen Worten von dem weißen Mönch sprach, den ich in dieser Nacht mit eigenen Augen gesehen hatte.

»Das ist ja Unsinn! Es gibt keine Gespenster, und hier in meinem Haus am allerwenigsten. Und wenn wir gute Freunde bleiben sollen, Signore, dann behalten Sie diese Träumereien hübsch für sich. Geträumt müssen Sie haben, das ist sicher, und von Träumen zu reden ist Weibersache!«

Der sonst so höfliche Padrone war ganz verwandelt, offenbar aus Angst um den guten Ruf seines Hauses.

Ich fragte daher nur noch: »Woher kommt es denn, dass alle Lichter erloschen sind?«

»Weiß ich es?«, rief er, noch immer nicht besänftigt.

»Aber das habe ich niemals gehört, dass Gespenster sich auf elektrische Beleuchtung verstehen. Vielleicht hat einer von den Gästen sich einen Scherz gemacht.«

Ein zorniger Blick auf mich sagte deutlich genug, wen er in Verdacht hatte.

»Vielleicht fehlt auch nur der Strom«, fügte Domenico dann ein wenig ruhiger hinzu. »Das passiert mitunter – wir wollen sehen.«

Er ging zu der Stelle, wo die Treppe mündete, und griff nach einem kleinen schwarzen Hebel an der Mauer, der mir bisher entgangen war. Mit einem Male entzündeten sich alle nächtlichen Lichter wieder, und ihre ruhige Helle schien auch ihn milder zu stimmen.

Er gewann seine gewohnte Höflichkeit zurück, entschuldigte sich mit einigen Worten wegen seines barschen Wesens und wünschte mir eine Gute Nacht. Über meine Mönchserscheinung aber sprach er kein Wort mehr.

Ja, das gewohnte, ruhige Licht herrschte wieder in dem alten Kloster und geleitete mich auf mein Zimmer zurück. Aber die gewohnte Ruhe war nicht in meiner Brust. Mehr als ich es vermutet hätte, zitterten Schrecken, Staunen, Zweifel in mir nach. Ich wollte nicht an den von mir gesehenen Geist glauben, aber die Nerven gehorchten meinem Verstand nicht. Und während ich nun auf meinem Bett in dem wieder verdunkelten Zimmer lag, das nur von außen her ein wenig dämmerndes Licht erhielt, packte mich ein körperliches Grausen an, das mächtiger war als Vernunft und Überlegung. Ich wagte nicht, einzuschlafen, und starrte mit weit offenen Augen in das Zwielicht um mich her. Beim unablässigen Hinstarren auf die kleinen, grauschwarzen Kreuze, die sich an der Wand vom hellen Tapetengrund abhoben, begannen sie sich zu bewegen, und helle Flecken tanzten daneben umher. Ein Palmettenornament am Fußende meines eisernen Bettgestells verzerrte sich zur grinsenden Fratze, die mich höhnisch anlachte. Die gewohnten Töne der Nacht verwandelten sich für mein gereiztes Gehör. Die Stimme des Windes wurde zum Geflüster unverständlicher Worte, das Rauschen des Meeres klang mir wie das Drohen von übermenschlichen Stimmen, das Ticken meiner Uhr dröhnte gleich Hammerschlägen auf Eisen.

Erst als das frühe Licht des Morgens in mein Zimmer langsam hereinquoll, fand ich ein wenig Schlaf, doch war mir immer noch wüst und übernächtigt zumute, als ich aufstand.

Mein vorsichtiges Fragen beim gemeinsamen Frühstück, ob den anderen Gästen in der Nacht irgendetwas Besonderes begegnet sei – Signore Domenicos Mahnung zum Schweigen wirkte noch in mir nach -, hatte kein Ergebnis, und unbehagliche Zweifel wurden dadurch in mir wach, ob nicht in der Tat allein meine Phantasie die weiße Mönchsgestalt erschaffen hätte.

Nur das tatsächliche Verlöschen der Lichter im Haus bestätigte mir scheinbar, dass irgendetwas Außergewöhnliches darin vorgegangen sein müsse.

Der Neugier, die durch meine Fragen erweckt worden war, wich ich mit ein paar mühsamen Scherzworten aus, aber ich versank unmittelbar darauf in ein stummes, tiefes Grübeln. Das Erlebnis der Nacht hatte mich stärker gepackt, als ich selbst es für möglich gehalten hätte. War ich krank, dass mein Puls noch immer so gewaltsam schlug? Und wenn ich es war, konnte nicht alles ein halbwacher Fiebertraum gewesen sein? Oder gab es wirklich Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen unsere Schulweisheit sich nichts träumen lässt? Waren meine Blicke hell geworden in der Nacht, um hinüberzuschauen über die Grenze, die Natürliches und Übernatürliches voneinander trennt?

Je mehr ich mich fragte, um so mehr verwirrten sich meine Gedanken, und ich fühlte wieder und wieder das abergläubische Grausen der Nacht mir durch die Glieder strömen.

Meine ernste Zurückhaltung, die mit meiner sonstigen Art nicht übereinstimmte, fiel auch den übrigen auf.

In seiner lauten Art rief mir der Major lachend über den Tisch herüber zu: »Was ist denn mit Ihnen heute los, verehrter Herr Doktor? Sie machen wahrhaftig ein Gesicht, als ob Sie den weißen Mönch gesehen hätten.«

Gerade bei diesen Worten kam Elena herein, um etwas mit Gaetano zu besprechen, und es fiel mir auf, dass ihr hübsches Gesicht noch bleicher und ernster war als an den Tagen zuvor. Auch trat bei den Worten des Majors ein Ausdruck plötzlichen Erschreckens darauf hervor. Sie sagte nichts und ging eilig wieder hinaus.

Zum ersten Mal fehlte Locatelli an unserem Tisch, und ich fühlte nun erst recht, wie lieb mir der hübsche Mensch mit seinen schwermütigen Augen geworden war. Und wenn ich auch allen anderen gegenüber hartnäckig schwieg, mir hätte viel daran gelegen, wenigstens mit ihnen zu bereden, was mir begegnet war. Ein losbrechender Gewittersturm, der an diesem Abend tobte, hielt mich ab, noch in die Stadt zu gehen und ihn aufzusuchen.

Lange lag ich hinter verschlossener Tür in meinem Bett und horchte hinaus, ob in den Klostergängen sich wieder etwas regte. Doch vernahm ich nichts. Auch war der Lärm von Meer, Sturm und nieder prasselndem Regen so stark, dass er wohl jedes leise Geräusch im Haus übertönt hätte.

Am anderen Morgen traf ich zu meiner Freude Umberto bei der gemeinsamen Arbeit. Er wurde sehr nachdenklich bei meinem Bericht über das, was mir in vorletzter Nacht begegnet war, um dann vor sich hinzumurmeln: »Das erklärt vielleicht …«

Ich wollte Näheres wissen, weil er verstummte, doch blieb er verschlossen und sagte nur: »Ich bitte Sie, Signore, halten Sie die Augen offen. Sie können vielleicht ein gutes Werk tun.«

Weiter war nichts aus ihm herauszubringen, und ich verließ ihn über sein ablehnendes Wesen einigermaßen verstimmt.

Das Gespräch mit ihm hatte mir also keine Klarheit und Erleichterung verschafft, und ich fühlte mit angstvollem Unbehagen, dass die Spannung meiner Nerven sich nicht verlieren wollte. Bei plötzlichen Geräuschen fuhr ich zusammen, Temperatur und Puls waren erhöht, und ich musste mir sagen: Wenn ich nicht schon seit mehreren Tagen krank war, so war ich doch jetzt auf dem sicheren Weg, es zu werden. In meiner Seele mischte sich auf merkwürdige Weise die Furcht vor Dingen außerhalb mir und in mir selbst. Ich fürchtete mich vor einer durch Krankheit hervorgerufenen Täuschung meiner Sinne, zugleich aber vor etwas Wirklich-Unwirklichem, das unerwartet neu vor mich hintrat.

Es half auch nichts, dass ein paar Nächte vergingen, ohne dass irgendein Ton oder ein Anblick mich erschreckte. Das Warten auf das Übernatürliche, das einmal – eingebildet oder wirklich – in mein Leben getreten war und sich nicht wieder zeigte, war fast aufreibender, als der Schrecken über sein erneutes Erscheinen es hätte sein können. Ich bildete mir das wenigstens ein.

Jedoch ich sollte Gelegenheit haben, mir diese halb friedliche Wartezeit wieder zurückzuwünschen. Denn jetzt kam ein Ereignis, das mich im Tiefsten erschütterte.