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Der Freibeuter – Flaxmanns Etui

Der-Freibeuter-Zweiter-TeilDer Freibeuter
Zweiter Teil
Kapitel 2

Im Schloss hatte man schon den Empfang des Kapitäns vorbereitet. König Karl pflegte bald auf zu sein und sich sogleich, wenn er sich von seiner harten Matratze erhoben hatte, in seinen einfachen Soldatenrock und lange Reiterstiefel zu stecken, in welchen er stets zu sehen war. Der Feldmarschall Graf Mörner hatte eben Zutritt und erhielt Befehle, da trat der Stadtpräfekt, ein Reichsrat, in das Vorzimmer und verlangte Audienz. Der König ließ ihn herein. Der Präfekt machte mit kurzen Worten, wie es der König liebte, die Anzeige des in der verwichenen Nacht vorgefallenen Mordes nebst der Inhaftierung des Mörders. Er nannte die beteiligte Dame.

»Was?«, fuhr der König auf und fragte den Grafen Mörner ansehend, »ist das nicht dieselbe?«

»Dieselbe!«, versetzte dieser.

»Mit welchem Schiff ist der fremde Mörder gekommen?«

»Mit Kapitän Norcroß. Der Mörder ist ein leiblicher Bruder der Dame.«

»Kapitän Norcroß? Vortrefflich! Eine abgekartete Geschichte. Wart, Patron! Ihr könnt gehen.«

Der Präfekt wollte gehen, als der diensttuende Kammerjunker meldete, eine vornehm gekleidete Dame begehre mit Heftigkeit Seine Majestät zu sprechen, doch verweigerte sie, ihren Namen zu sagen.

»Führ’ sie herein!«, versetzte der König unmutig, der mit Frauen nie gern zu schaffen haben mochte. Die Flügeltüren gingen auf und Friederike von Gabel trat mit der ihr angeborenen Majestät und mit der ihr angebildeten dezenten Gewandtheit herein. Ihre herrliche Gestalt, ihr ganzes Wesen überzeugten den König zur Stelle, mit welch’ einer Frau er hier zu reden habe. Er war einen Augenblick von ihrer Erscheinung so sehr überrascht, dass ihn unwillkürlich ein plötzliches Erwachen jener ritterlichen Galanterie, welche auch er, der Frauenfeind, in seiner Jugend geübt, vom Sessel empor und ihr entgegentrieb. Er wollte sie mit einer Zartheit, der seine Hand entwöhnt war, seitdem sie den Schwertgriff nicht viel abzulegen pflegte, bei den Händen fassen und zu einem Polster führen.

Aber sie glitt mit bezaubernder Grazie zu seinen Füßen nieder, erhob ihre schönen Hände bittend mit den Worten: »Erbarmen sich Eure Majestät des unglücklichsten Mannes, der jemals Ihre Staaten betrat, und in dieser Nacht als Mörder hier verhaftet wurde. Beim großen Gott! Er ist unschuldig! Geruhen Eure Majestät nur in diese Schreibtafel zu blicken, die er mir, bevor er ins Gefängnis geführt wurde, anvertraut hat. Ich weiß keinen besseren Gebrauch davon zu machen, als sie in die höchsteigenen Hände Eurer Majestät niederzulegen. Sie werden das darin enthaltene Geheimnis bewahren.«

Der König hatte das Etui genommen. Es war bereits geöffnet. Er tat einen Blick hinein und über sein sonst eisernes Gesicht goss sich eine Fülle von Erstaunen. Er entfaltete ein Dokument und las.

»Großer Gott!«, rief er in größter Aufregung. »Bei meiner Seele! Es ist Jacobs Hand!« setzte er mit Bestürzung hinzu. Keiner von beiden gegenwärtigen Männern hatte den nordischen Löwen schon in solcher Verwirrung gesehen. Die Hand, mit welcher er das verhängnisvolle Etui hielt, zitterte. Seine Augen irrten über die Schriften hin, die er nacheinander entfaltete. Dann starrte er die beiden Porträts, welche in der inneren Wand des Buches befestigt waren, an und sagte: »Gut getroffen! Entsprechend ähnlich!«

Endlich fielen seine Blicke wieder auf die noch in kniender Stellung befindliche Friederike. »Aber wer sind Sie, meine Dame?«, fragte er, »und in welcher Beziehung stehen Sie mit dem Besitzer dieses Büchleins?«

Friederike warf einen besorgten Blick auf die beiden Zeugen dieser Szene.

»Erwartet meine Befehle!«, herrschte der König jenen zu, die sich sogleich entfernten. »Stehen Sie auf«, sagte er dann mit der möglichsten Milde seiner Stimme, »und folgen Sie mir in dieses Kabinett.«

Er fasste sie höflich an der Hand und führte sie selbst hinein.

Als sie nach einer halben Stunde wieder heraustraten, erteilte der König dem herbeigerufenen Stadtpräfekten Befehl, unverzüglich eine Schaluppe zu rüsten und den Gefangenen darauf zu bringen. Der König selbst bestimmte einen Leutnant zur Führung des Bootes und befahl, denselben herbeizuholen, damit er die Befehle zur Reise erhalte. Friederike gab er das Etui zurück, aber es war mit einer beträchtlichen Summe in Staatspapieren angefüllt. Ein kostbarer Ring glänzte an des Fräuleins Finger, den sie vorhin noch nicht getragen hatte. Der König trieb zur Eile.

Auf dem Korridor vor den königlichen Zimmern begegnete der an des Präfekten Seite schreitenden Friederike Kapitän Norcroß, welcher sich, erhaltenem Befehl gemäß, zum König verfügen wollte.

»Wissen Sie schon, Kapitän?«, rief sie dem über ihre Anwesenheit an diesem Ort Erstaunten zu.

»Nichts weiß ich, gar nichts«, erwiderte er. »Ich lebe von Rätseln umgeben. Sagen Sie, ich beschwöre Sie! Was Sie über mein Schicksal wissen, mein Fräulein!«

»Über das Ihre?«, sagte sie befremdet. »Wie soll ich zur Kenntnis Ihres Schicksals kommen? Ich ersuche Sie dringend, in einer Stunde bei mir zu sein. Da sollen Sie alles Außerordentliche erfahren, was sich in dieser Nacht zugetragen hat. Die Zeit drängt.« Und sie ließ den armen Norcroß, in neue Pein der Ungewissheit verstrickt, stehen.

Er wusste nicht, ob er weiter gehen sollte. Eine Verblüffung bemächtigte sich seiner, welche anfing, ihn gegen alles, was kommen konnte, gleichgültig zu machen, und sollte es auch das Schlimmste sein.