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Der bayerische Hiesel – Teil 6

Der-bayerische-HieselFriedrich Wilhelm Bruckbräu
Der bayerische Hiesel
Wildschützen- und Räuberhauptmann, landesverrufener Erzbösewicht

Wiedersehen

Um 3 Uhr nach Mitternacht, als die Morgendämmerung anbrach, das Gewitter vorübergezogen und der Regen in einzelne Nebelwogen aufgelöst war, kehrte Bobinger mit seinen Gesellen zurück. Hinter ihnen jedoch, von zwei Wildschützen begleitet, folgte ein mit erbeuteten Hirschen und Rehen schwer beladener Wagen.

Hiesel öffnete ihnen das große Einfahrtstor.

»Hast du heute Nacht nicht zweimal schießen hören?«, fragte Bobinger. »Es muss dicht in der Umgebung gewesen sein. Die beiden Schüsse machten uns gewaltig stutzig. Wir waren eben auf dem Anstand.«

»Ich war freilich näher dabei wie Ihr«, entgegnete Hiesel lachend. »Seht Euch nur einmal auf der anderen Seite der Hütte um. Während Ihr auf dem Anstand wart, hab’ ich da drüben aufgeräumt.«

Rasch eilten die Wildschützen auf die bezeichnete Stelle und erblickten dort die beiden Kerl in ihrem Blut.

»Beim Teufel, was hast du denn da gemacht? Das sind ja Schufte von der Bande des Schwarzen Martin, der uns immer auf dem Nacken sitzt und das Wild vor der Nase wegschießt«, sprach Bobinger.

»Lasst Euch’s von der Afra erzählen!«, antwortete Hiesel gleichgültig, »es lohnt sich nicht der Mühe, von dieser Kleinigkeit viel Aufhebens zu machen. Sie wollten herein in die Hütte. Natürlich hab’ ich das nicht gelitten, und hätt’s nicht gelitten, wären ihrer auch 10 statt 5 gewesen. Bei dieser Gelegenheit haben sich nun diese zwei da die Nasen verbrannt.«

Afra erzählte die Geschichte und strich den Mut des Hiesel gar kräftig heraus.

»Du bist ein Mordskerl, Hiesel, nimm mir’s nicht übel«, sprach Bobinger, während die übrigen die beiden Leichen bis auf den nackten Leib entkleideten und unweit der Hütte in eine tiefe, mit Kalk gefüllte Grube warfen, wo vielleicht schon mancher verirrte Wanderer sein Grab gefunden haben mochte.

»Du hast mir mein Eigentum gerettet, und selbst das Leben meiner Schwester. Ich bin dir großen Dank schuldig. Bleib bei uns, Hiesel. Leb mit meiner Schwester Afra, die ohnehin ein Auge auf dich hat, wie sie mir schon längst sagte, und werde unser Hauptmann. Ich trete dir gerne das Kommando ab.«

»Ich danke Euch, Bobinger, für Euren guten Willen und für das schöne Anerbieten. Allein ich kann es aus wichtigen Gründen nicht tun, die ich zur Zeit noch in meiner Brust verschließen will. Wenn ich Euch eine Gefälligkeit getan habe, so war’s nur meine verdammte Schuldigkeit. Ihr habt mir ja das Leben gerettet und meine Gesundheit wiedergegeben. Da bleib’ ich denn doch noch immer Euer Schuldner. Allein es treibt mich fort. Eine innere Unruhe leidet mich nicht mehr länger bei Euch. Vielleicht verliert sie sich mit der Zeit, und dann lass ich’s Euch schon zu wissen machen, wo ich bin und wie es mir geht. Auf jeden Fall bleiben wir gute Freunde.«

»Hiesel, geh’ nicht! Es wird dich vielleicht noch reuen!«

»Will’s versuchen! Ich muss mich ja doch erst umsehen im lieben Schwabenland, sonst bleib’ ich mein Lebtag ein armseliger Stümper.«

»Wann willst du schon gehen?«

»Heute Nacht!«

»Du kennst ja die Wege nicht!«

»Lasst mich nur bis zur Lechbrücke führen. Ich finde dann schon nach Hause.«

»Nach Hause?«

»Natürlich! Ich hab’ dort einen Stutzen verborgen, wie’s keinen mehr gibt in der ganzen Jägerwelt. Den will ich mir holen.«

»Wie magst du so verwegen sein?«

»Passiert! Den Stutzen will ich bald haben, und dann wird sich’s schon machen!«

Hiesel ließ sich’s beim Abendtisch noch weidlich schmecken, nahm von Bobinger, Afra und den übrigen Gesellen Abschied und wanderte auf Umwegen der Lechbrücke gemächlich zu. Dort verließen ihn die Begleiter und wünschten ihm alles Glück für die Reise.

Hiesel ging noch gegen eine halbe Stunde dicht am Ufer des Lechs stromaufwärts, schwamm über den Fluss, hielt sich im letzten Wald vor Kissing bei dem Bauer, der ihm den ersten Hirsch abgekauft hatte, während des Tages auf und trat in das Haus seines Taufpaten zu Kissing, als er mit der frommen Marie das Nachtgebet geendigt hatte, um sich zur Ruhe zu begeben.

Sie waren sehr bestürzt, als sie ihn so unvermutet vor sich sahen. Besonders konnte Stettner eine gewisse ängstliche Verlegenheit nicht verbergen.

»Dich hätt’ ich nicht erwartet, Hiesel, da du hier in der Nähe von Friedberg in großer Gefahr bist. Die da drüben würden dir’s eintränken, wenn sie dich bekämen. Du hast ja das Landgericht und das Militär gefoppt!«

»Hat nichts auf sich. Ich bin jetzt in Burgau’schen Jägerdiensten und bin nur zu Euch gekommen, um einige Kleinigkeiten, die noch im Haus liegen, abzuholen und auf längere Zeit Abschied zu nehmen, denn meine vielen Geschäfte werden mir nicht mehr viel Zeit für Besuche lassen.«

»Hiesel, Hiesel, betrüge mich nicht, du betrügst sonst dich selbst am meisten. Ich fürchte, es geht bei dir nicht mit rechten Dingen zu.«

»Ei, warum nicht gar! Schlagt Euch doch diese Gedanken aus dem Kopf.«

Hiesel aß einige gebackene Nudeln und sprach dem Bierkrug fleißig zu. Sein Gesicht verriet nicht die geringste Befangenheit.

Marie leuchtete dem Hiesel in seine Schlafkammer. Sie stellte das Licht auf den Tisch, ergriff seine beiden Hände, drückte sie an ihr Herz, schaute ihn mit seelenvollem Blick an und fragte mit Tränen in den Augen:

»Liebst du mich nicht mehr, Hiesel?«

»Du zweifelst, Marie?«

»Vor zwei Tagen fühlte ich mich sehr unwohl. Fieberfrost ergriff mich. Da träumte mir, du seist mir untreu geworden vor meinen Augen, und ich habe vor Leidwesen die Hände gerungen.«

Hiesel fühlte sich getroffen.

»Sei unbesorgt, Schätzchen! Träume sind Schäume ! Du oder keine! Kannst dich darauf verlassen!«

Sie setzte sich auf das Bett zu Hiesel, in dessen Seele kein unreiner Gedanke erwachte. Die Tugend des frommen Mädchens war ihm heilig.

Sie plauderten noch lange, dann entfernte sich Marie und wünschte ihm wohl zu ruhen.

Hiesel sehnte sich aber nicht nach Ruhe. Er schrieb auf den Tisch mit Kreide, dass er ohne Abschied scheiden wolle, weil ihm der Abschied zu schmerzlich falle. Dann nahm er die Kugelbüchse, den ihm so lieb gewordenen Stutzen, und eilte durch die finstere Nacht wieder dem Lechufer zu.

 

***

 

Dass Hiesels Herz noch nicht ganz verdorben war, dass es manchen Keim des Guten enthielt, der unter günstigeren Umständen einen braven Mann aus ihm gemacht hätte, beweist sein rascher Entschluss, der sündhaften Nähe der Afra zu entfliehen, und seine standhafte Achtung der Tugend Maries. Kein Mensch wird auf einmal zum Engel, keiner auf einmal zum Teufel. Stufen führen aufwärts und abwärts. Wohl demjenigen, dem ein guter Hirt zur Seite steht, damit er sich nicht verirre!