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Mit den Konquistadoren ins Goldland Teil 8

Gustav Dittmar
Mit den Konquistadoren ins Goldland
Eine Erzählung aus der Zeit der Welserzüge
Teil 8

Das Tal wimmelte plötzlich von nackten, behänden Indianern.

»Der Geier soll sie holen! Wir hätten die Augen besser aufmachen sollen«, knirschte Fabricius.

Die Indianer stürzten sich mit wildem Geheul auf die Leiche des gefallenen Spaniers, und die Christen sahen mit Grausen, wie sie dem Toten die Kleider vom Leib rissen und sich daran machten, mit ihren scharfen Feuersteinmessern die Glieder vom Rumpf zu trennen. Die Verfolgten mussten trotz des abscheulichen Schauspiels verständigerweise alles vermeiden, was sie verraten konnte. Aber ehe Fabricius es verhindern konnte, riss ein heißblütiger Spanier die Armbrust von der Schulter und schoss mitten hinein in den Haufen, der sich um den Toten drängte. Ein Indianer brach zusammen. Sofort aber stürmten an die hundert Indianer laut schreiend auf das Versteck der Weißen zu, das der Schuss ihnen verraten hatte.

Fabricius überflog die Zahl seiner Getreuen. Es waren nach Oviedos Tod noch sieben, dazu mit dem Pferd des Gefallenen acht Pferde. Zwei Spanier und ein Deutscher trugen Arkebusen, die übrigen hatten Armbrüste.

Gegen das kleine Häuflein waren die anstürmenden Indianer an Zahl ungeheuer überlegen.

»Nicht zu früh schießen!«, gebot Fabricius. Dann, als die Indianer auf weniger als hundert Schritt herangekommen waren, donnerten die Büchsen, schwirrten die Sehnen der Armbrüste. Ein paar Angreifer fielen, die anderen stutzten. Der Angriff schien abgeschlagen. Doch noch einmal liefen die Indianer an. Diesmal drangen sie bis an den Eingang der Schlucht vor. Es kam zu einem Handgemenge. Ein Indianer zückte schon seinen Speer auf Hans Hauser, aber Fabricius’ Rapier war schneller. Mit einem Stich in der Brust sank der Indianer zu Boden. Verwirrt zogen sich die Indianer zurück. Den Belagerten war eine Atempause gegönnt, aber ihre Lage war übel.

»Können wir sie nicht überreiten?«, fragte Fabricius die Gefährten. »Ihr wisst, wie die Wilden die ›Hirschungeheuer‹ fürchten.«

»Unmöglich«, erwiderte einer von den Spaniern, ein Altgedienter, der schon unter Federmann gekämpft hatte. »Auch wenn wir die Vordersten überwältigen, werden sie uns durch ihre Übermacht erdrücken.«

»Da stecken wir schön in der Mausefalle!«, meinte Kressel.

Hans Hauser sah prüfend an den Wänden der Schlucht in die Höhe. »Da hinauf zu kommen, ist kaum möglich«, meinte er. »Überdies können wir die Pferde nicht im Stich lassen.«

Fabricius nahm wieder das Wort auf: »Die steilen Wände sichern uns aber auch gegen den Angriff aus der Flanke. Freilich, die Indios könnten auf den Gedanken kommen, uns ein paar Felsbrocken von da oben auf den Kopf zu schmeißen. Greifen sie uns aber von vorn an, so werfen wir sie allemal zurück, solange unsere Arkebusiere Munition und unsere Armbrustschützen noch Pfeile haben. Nur sparsam müssen wir mit der Munition sein. Ja, und dann …« Fabricius wies nach dem Innern der Schlucht. »… in den Rücken könnten sie uns kommen. Sie könnten höher im Gebirge in die Schlucht hinabsteigen …«

Ein gewaltiges Krachen erschütterte die Luft und schnitt Fabricius das Wort ab. Große Steine schlugen klatschend auf den Boden.

»Da haben wir’s!«, schrie Fabricius.

Eine gewaltige Staubwolke erhob sich. Es gab ein großes Durcheinander. Die Pferde bäumten sich auf und waren nur mit Mühe zu bändigen.

»Alle dicht an die Wand!«, gebot Fabricius. Als die Staubwolke sich verzogen hatte, stellte sich heraus, dass zum Glück niemand verletzt war. Auch die Pferde waren unversehrt. Nur waren Menschen und Pferde über und über mit Staub bedeckt.

Die Christen drängten sich eng an die Felswand und zogen auch die Pferde dahin. Gleich darauf ging eine noch größere Steinlawine nieder. Es erwies sich aber, dass hart an der Felswand Menschen und Pferde leidlich Schutz fanden. Nur wer aus der Deckung heraustrat, war in Gefahr, getroffen zu werden. Das ließ sich freilich nicht vermeiden, denn nun gab Fabricius Befehl, den Eingang der Schlucht durch einen Verhau aus Buschwerk und Felsen zu sperren. Alle machten sich an die Arbeit, mit ihren Buschmessern das Gestrüpp abzuhauen, das reichlich in der Schlucht wuchs. Nur einen Spanier stellte Fabricius als Posten aus, um gegen einen überraschenden Angriff in den Rücken seiner kleinen Schar gesichert zu sein.

Die Dornenhecke wuchs rasch empor.

Fabricius rief Kressel und Hans Hauser zu sich. »Was nun?«, begann er. »Wir sind in einer belagerten Festung. Der Schuss des Spaniers hat uns die ganze Gesellschaft auf den Hals gelockt. Ich will versuchen, mich unter dem Schutz der Nacht in Richtung des Gebirges durchzuschlagen.«

»Unmöglich«, erwiderte Kressel ernst. »Soeben hat uns die Wache am rückwärtigen Verhau gemeldet, dass die Schlucht weiter oberhalb von Indianern wimmelt.«

»So bleibt uns nur die Hoffnung, dass Hohermut uns entsetzt«, sagte Hans Hauser.

»Gewiss«, versetzte Fabricius. »Können wir uns aber so lange halten, bis der Gubernator kommt?«

»Man müsste ihm eine Botschaft senden«, meinte Kressel.

Fabricius rechnete nach. »Wir sind drei Tagesmärsche vom Lager entfernt. Ein Reiter, der Tag und Nacht reitet, kann in zweimal vierundzwanzig Stunden das Lager erreichen. Mindestens ebenso lange dauert es, bis Hohermut hier sein kann. Was haben wir heute für einen Tag? – Sonntag – ja, wirklich Sonntag. Vor Freitag kann Hohermut nicht eintreffen. Es geht nicht!,« entschied er mit einer Handbewegung. »Heute Nacht brechen wir durch und reiten und schlagen alles nieder, was sich uns in den Weg stellt.«

»Wenn Ihr Befehl dazu gebt, Fabricius, so werde ich Euch folgen, selbstverständlich «, sagte Kressel ernst. »Nur glaubt nicht, dass wir alle sieben durchkommen! Einer vielleicht, auch zwei, drei. Ihr vielleicht oder ich oder Haus Hauser. Der Verlust an Menschen und an Pferden – Ihr wisst, wie unersetzlich sie sind – wird auf alle Fälle groß sein.«

»Wollt Ihr hier zugrunde gehen und Euch von den Indios fressen lassen?«, brauste Fabricius auf.

»Man müsste Botschaft an Hohermut senden«, erwiderte Kressel hartnäckig. »Ein einzelner Reiter schlüge sich vielleicht durch.«

Alle drei schwiegen.

Dann sagte Hans Hauser: »Ich will reiten.«

»Es ist ein Ritt auf Leben und Tod«, warnte Fabricius.

»Ich weiß es«, erwiderte Hans ruhig.

Die Belagerten blieben tagsüber von neuen Angriffen der Indianer verschont. Nur noch einmal ging – glücklicherweise ohne Schaden anzurichten – eine gewaltige Steinlawine nieder, die die Indianer in Bewegung gesetzt hatten. Als die Nacht hereinbrach, rüstete sich Hans Hauser zum Ritt. Er entlastete seinen Hengst den allem überflüssigen Gepäck. Die Kameraden versorgten ihn mit Mundvorrat, so knapp auch ihre eigenen Vorräte waren. Da Hans die Armbrust nicht brauchen konnte und außer ihr nur noch die Machete, das Buschmesser, trug, gab ihm Fabricius sein Rapier. Es war eine prachtvolle Toledaner Klinge. In den Stahl waren die Worte »Patria ac honos« geätzt.

Die Indianer hatten außerhalb des Wirkungsbereichs der Waffen ihrer Feinde ein mächtiges Feuer entzündet, das sie mit lautem Geschrei umtanzten. Vermutlich brieten sie dort den unglücklichen Oviedo. Fabricius war es aber nicht unerwünscht, dass die Wilden, durch das schauerliche Fest angezogen, sich in dichten Scharen um das Feuer drängten. Dadurch wurde ihre Aufmerksamkeit von der Schlucht abgelenkt und die Aussicht größer, dass Hans sich unbemerkt durch den Ring der Belagerer hindurchschleichen könne. Aufmerksam verfolgten die Kameraden das Treiben der Wilden. Glücklicherweise war die Nacht dunkel. Es hatte stark geregnet, und das Tal war von leichten Nebelschleiern erfüllt. Ernst sah Hans Hauser in die Dunkelheit. Kressel, der neben ihm stand, fragte ihn leise, ob für den Fall, dass ihm Unheil zustoße, er, Kressel, irgendjemand etwas ausrichten solle. Hans überlegte. Dann erwiderte er zögernd, dass er ganz allein auf der Welt stehe. Immerhin könne Kressel das da – der Junge nestelte etwas verlegen ein Amulett los, das er am Hals trug – mit einem Gruß der Jungfer Berta Köhler übergehen, die in Konstanz am Münster wohne. Doch hoffe er, es der Jungfer mit Gottes Hilfe noch einmal selbst zurückzubringen. Kressel versprach, den Auftrag zu erfüllen, soweit es in seinen Kräften stehe.

Die Zeit drängte. Kurz vor Mitternacht schien Fabricius der Augenblick gekommen, wo die Tat gewagt werden musste. Das Fest der Wilden war auf seinem Höhepunkt. Schreiend führten sie einen Tanz um das Feuer auf. Offenbar hatte auch die Chicha, das berauschende Getränk, seine Wirkung getan, das die Indios aus gegorenem Mais zubereiten pflegen.

Mit möglichster Lautlosigkeit wurde ein Stück des Verhaus weggeräumt, sodass eine Lücke entstand, gerade groß genug, um einen Reiter hindurchzulassen. Hans gab den Freunden die Hand. Die Stahlklinge des Rapiers, das er in der Hand hielt, blinkte matt. Dann glitt der Schatten eines Reiters aus der Schlucht. Hans hielt sich zunächst an der Berglehne, angestrengt in die Dunkelheit spähend. Er konnte nichts vom Feind entdecken. Sollte sich wirklich die ganze Schar schreiend und betrunken um das Feuer drängen? Dann hätte doch vielleicht den Christen der gemeinsame Durchbruch gelingen können? Einen Augenblick überlegte Hans, ob er nicht zurückreiten und Fabricius seine Beobachtung melden solle. Da ging wie ein Stück Wild ein Indianer vor ihm hoch und rannte schreiend auf das Freudenfeuer seiner Stammesgenossen zu. Zugleich tauchten überall vor dem Reiter dunkle Indianergestalten auf.

»Gott sei mir gnädig!«, murmelte Hans und gab Lutz die Sporen. Drei Indianer, auf die er mit geschwungenem Rapier zuritt, stoben auseinander. Groß war doch immer noch, selbst bei den Xidehara, die Furcht vor den Hirschungeheuern der weißen Männer. Hans sah aber jetzt, wie die Wilden vom Feuer auf ihn zuliefen.

Ein Indianer war den anderen weit voraus. Offensichtlich versuchte er Hans den Weg abzuschneiden. Hans spornte das Pferd, aber der Abstand zwischen ihm und dem Wilden verringerte sich immer mehr. Nun war der Indianer auf Speerwurfnähe an ihn heran. Hans bückte sich auf den Pferdehals, handbreit über ihm flog der Speer des Indianers und bohrte sich in das Erdreich. Doch kostbare Sekunden waren verloren. Wie eine Katze sprang der Indio den Reiter an und hängte sich in die Zügel. Hans schlug ihm eine Terz über den Schädel, dass es krachte. Mit einem gellenden Aufschrei ließ der Wilde die Zügel fahren.

Hans sprengte auf den Bach zu, der den Talgrund durchstoß. Gelang es ihm, die andere Talseite zu erreichen, so war viel gewonnen. Er gab Lutz die Sporen, um über den Bach zu setzen. Doch da geschah das Unerwartete, dass der aufgeregte Hengst das Hindernis verweigerte. Hans schlug ihm die flache Klinge über die Kruppe, aber das Pferd bäumte sich nur steil in die Höhe, sodass Hans Mühe hatte, im Sattel zu bleiben. Immer näher hinter sich hörte er die Rufe der Indianer. Es blieb ihm nichts übrig, als bachaufwärts zu galoppieren. Das Pferd keuchte. Versagte es, so war Hans verloren. An einer schmäleren Stelle des Baches setzte er noch einmal zum Sprung an. Diesmal sprang das Pferd, aber beim Landen auf dem jenseitigen Bachufer stürzte es in die Knie. Hans kam aus dem Sattel, hatte aber Geistesgegenwart genug, das Pferd am Zügel zu halten, das sofort wieder aufsprang. Blitzschnell schwang sich der Reiter wieder in den Sattel. Ohne Bügel und Zügel, die Linke in der Mähne des Braunen, in der Rechten das blutige Rapier, so galoppierte er auf einen Wald zu, der den jenseitigen Talrand dunkel begrenzte. Hinter sich am Bach hörte er das Geschrei der Wilden. Es klang schon entfernter. Hatten sie seine Spur verloren? Gaben sie die Verfolgung auf? Hans wagte es kaum zu hoffen.