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Der Teufel auf Reisen 24

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Fünftes Kapitel – Teil 8
Abenteuer auf dem Lande

Beide traten in den Speisesaal und fanden dort den Freiherrn gerade im Begriff das Zimmer zu verlassen.

»Meine Herren«, rief er ihnen heiter entgegen, »ich bitte meine Abwesenheit auf eine Stunde zu entschuldigen, ein kleines Geschäft ruft mich fort. Ich lasse Sie in der Gesellschaft meiner Töchter zurück und hoffe, Sie werden so meine Abwesenheit weniger vermissen.«

»Herr Baron«, entgegnete Reingold, sich etwas zeremoniös verneigend, »es ist für uns ebenso überraschend wie schmerzlich, Ihr gastliches Haus wahrscheinlich früher als wir dies gewünscht hatten, verlassen zu müssen.«

»Wie, so plötzlich?«, fragte Herr von Bergheim erstaunt.

»Wir wollten Sie schon gestern davon benachrichtigen«, fuhr hier Felsen etwas verlegen fort, »allein Sie werden es ganz natürlich finden, dass wir dies so lange wie möglich hinausschoben. Unser Regiment bricht zu den Übungen auf, und da es augenblicklich an Offizieren mangelt, so hat unser Oberst uns den Befehl zur Rückkehr erteilt.«

»Der Dienst geht natürlich allem anderen vor«, erwiderte der Freiherr, »aber jedenfalls müssen Sie mir versprechen, nicht vor Abend aufzubrechen, und somit Gott befohlen, in einer kleinen Stunde bin ich zuverlässig wieder zurück.« Ein herzlicher Händedruck folgte und fort war der alte Herr.

Die kleine Marianne war so schlau, diese Gelegenheit zu benutzen, um gleichzeitig mit aus dem Zimmer zu schlüpfen. Herr von Felsen aber, wahrscheinlich in der Hoffnung, eine Gelegenheit zu finden, mit ihr unter vier Augen zusammenzutreffen, folgte ihr auf dem Fuß, ungeachtet ein paar zornglühende Blitze aus den schwarzen Augen der jungen Dame ihm den Weg zu versperren suchten.

Reingold befand sich jetzt mit Clementine allein. Sie sah lieblicher und schöner als je zuvor aus, obgleich allerdings etwas blass und angegriffen. Der Husaren-Offizier senkte den Blick verlegen zu Boden, während das Fräulein seinerseits auf eine Anrede zu warten schien. Da dieselbe aber nicht erfolgte, so trieb sie ihre Ungeduld, dies Schweigen zu brechen.

»Sagen Sie mir doch, worüber Sie grübeln«, begann Clementine mit ihrer milden freundlichen Stimme, »denn, dass Sie heute Ihre gewöhnliche Ruhe verlassen hat, das sehe ich Ihnen wohl an.«

»Ich bin ermüdet, wie Sie, gnädiges Fräulein«, lautete die Antwort Reingolds, indem er sich kalt verbeugte. »Die Nachtluft hat mich angegriffen.«

»Die Nachtluft? Sie haben also eine nächtliche Promenade gemacht? Haben Sie vielleicht die Elfen im Mondschein tanzen gesehen?«, fügte die Baronesse scherzend hinzu.

»Wenn auch keine Elfen, und wenn auch nicht tanzend«, rief mit einer vor innerer Aufregung bebenden Stimme der Offizier, »aber vielleicht ließe sich vieles von einer gewissen jungen Dame erzählen, die …«

Clementine erbleichte. Es war ihr jetzt alles klar, sie mochte einsehen, dass hier ein Leugnen nichts mehr half. »Wozu in Abrede stellen, was Sie mit eigenen Augen erblickt zu haben scheinen«, begann sie daher mit unsicherer Stimme. »Es ist wahr, ich bin es gewesen, die Sie diese Nacht im Garten sahen. Allein ich wende mich an Ihre Diskretion. Ich bitte Sie, über das, was Sie vielleicht gehört haben, zu schweigen, da ich das, was damit zusammenhängt, vorläufig noch als ein Geheimnis betrachte.«

»Oh«, rief Reingold, nun in ein rücksichtsloses Gelächter ausbrechend, »seien Sie unbesorgt, mein Fräulein, durch mich sollen Ihre Geheimnisse nicht verraten werden. Ich kann schweigen, und wenn es sein muss, den dienstgefälligen Leporello vortrefflich spielen.«

»Wie«, entgegnete Clementine, indem sich ihre Gestalt plötzlich stolz emporrichtete und ihre sonst so sanften Augen die Glut des Zornes belebte. »Wie, mein Herr, Sie setzen die Ritterlichkeit, welche Sie einer Dame schuldig sind, so weit beiseite, dass Sie es sogar wagen, mich mit einem weiblichen Don Juan zu vergleichen?«

Da stand der junge Mann niedergeschmettert. Durch seine Hitze hatte er den Vorteil gegen die Schuldige aus der Hand gegeben. Aus einer Angeklagten war sie plötzlich eine Anklägerin geworden, und Clementine hatte recht, denn vor jedem Gerichtshof der guten Sitte wäre Reingold unstreitig verurteilt worden.

Der Arme bereitete sich jetzt zu einer Entschuldigung vor. Kaum aber waren die ersten Worte über die Lippen, als ihm Clementine mit dem Stolz einer Königin eine Verbeugung machte und mit einem Ernst, der sich in wahrhaft gebietende Würde hüllte, sich an ihn wandte.

»Ich erlasse Ihnen jede Rechtfertigung, Herr von Reingold.«

Hiermit schien aber auch ihre Kraft gebrochen zu sein. Tränen – heiße Tränen, die brennend auf das Herz ihres Anbeters fielen, drangen aus den schönen, sanften blauen Augen und erschöpft schwankte sie der Tür zu.

Bestürzt eilte der Offizier ihr nach, aber mit einer sanften Bewegung der Hand gebot die Baronesse ihm zurückzubleiben. Geräuschlos verschwand sie, während Reingold, brennende Fieberhitze im Gehirn, auf einen Stuhl sank, zweifelhafter als je zuvor, was er von diesem Auftritt und von dem Benehmen des Fräuleins denken sollte. Felsen, dem es nicht gelungen war, die erwünschte Unterredung mit Marianne zu erlangen, kehrte nun ebenfalls zurück und setzte sich mit einem Gesicht, welches sich in den kläglichsten Ausdruck hüllte, ans Fenster, indem er auf den Scheiben einen Marsch halb trommelte, halb pfiff. Beide jungen Leute stimmten übrigens jetzt nur noch mehr wie früher in dem Wunsch überein, dass unter so gänzlich veränderten Verhältnissen erst der Abend und mit ihm die Stunde des Abschieds erscheinen möchte, wobei sie sich indessen vornahmen, den Freiherrn nicht das Geringste merken zu lassen und auch gegenüber den Damen dem äußeren Schein nach in ihrem Benehmen nichts zu ändern, wenn sie diese überhaupt noch wiedersehen sollten.

»Das ist eine traurige Brautfahrt geworden«, sagte Felsen seufzend, »mit den schönsten Hoffnungen erfüllt, kamen wir hierher und jetzt müssen wir auf die jämmerliche Weise abziehen.«

»Oh«, entgegnete Reingold, nach dem Fenster zeigend, »dort kommt der Freiherr zurück und ich wünschte der Augenblick des Abschieds von dem liebenswürdigen Mann wäre schon vorüber.«

»Nun, meine Herren«, sagte dieser eintretend, »so allein?«

»Die Damen …«, stotterte Reingold.

»Wir waren eben im Begriff …«, meinte Felsen.

Herr von Bergheim sah den einen und den anderen verwundert an. Er mochte wohl ahnen, dass irgendetwas vorgefallen sei, und öffnete bereits die Lippen, wahrscheinlich, um sich eine nähere Erklärung auszubitten, als die Tür heftig aufgerissen wurde und Onkel Gottfried wie ein Besessener hereinstürzte. Er hatte sich nicht einmal so viel Zeit genommen, sich seiner Pantoffeln und seines geblümten Schlafrocks zu entledigen. Er hatte selbst seine Perücke aufzusetzen vergessen. Sein breites, von der Aufregung gerötetes Gesicht nahm sich unter der weißen Schlafmütze noch dümmer wie gewöhnlich aus.

»Um Gotteswillen, was gibt es?«, rief der Freiherr, seinem Bruder bestürzt entgegeneilend.

»Was es gibt?«, rief dieser, sich in einen Sessel werfend und einen Brief in seinen Händen zerknitternd. »Da! Lies! Oh, das undankbare Geschöpf, ich wollte sie zur Baronin machen, und zum Dank dafür geht die verworfene Person mit diesem Schwindler, mit diesem Gauner, dem Sonnenberg durch!«

»Meine Ahnung!«, seufzte Herr von Bergheim, von tiefstem Schmerz ergriffen, indem er sich beide Hände vors Gesicht hielt und einige Schritte zurücktaumelte. »Oh, ungeratenes Kind! Und doch hat es ihr hier an guten Lehren und guten Beispielen nicht gemangelt!«

Dann wandte er sich an seinen Bruder und sagte: »Dein ehrenwerter Freund, dieser, wie du dich stets auszudrücken beliebtest, von der Welt verkannte und von jedermann verleumdete Sonnenberg, hat sich also wie ein gemeiner Dieb und Verführer aus dem Staub gemacht?«

»Ich schenkte dem Menschen allerdings zu viel Vertrauen «, murmelte Onkel Gottfried im zerknirschten Ton, indem er seine Nachtmütze ratlos hin- und herschob.

»Freilich tatest du das«, entgegnete der Schlossherr, »und jetzt siehst du die Folgen davon. Sowohl Sonnenberg als auch Jenny haben nach ihrer Art ganz richtig auf deine Eitelkeit und Geistesschwäche spekuliert.«

Onkel Gottfried gab sich, als überhöre er diese Bemerkung und entfaltete stattdessen das Papier, welches er in seiner Hand noch soeben zerknittert hatte. »Diesen Morgen, als ich erwachte«, fuhr er ingrimmig fort, »finde ich dieses Briefchen mit einer Stecknadel an der Spitze meiner Schlafmütze angeheftet.«

»Nicht übel«, murmelte der Bruder, »also in der unmittelbaren Nähe deines Hauptes – dem Sitz der Weisheit.«

»Ich bin genug gestraft«, murmelte der Arme, »oh, die Undankbare, mein Vertrauen in so gröblicher Weise zu verletzen!«

»Nun, was steht denn in dem Brief?«, fragte der Freiherr. »Du brauchst dich hier vor den beiden Herren nicht zu genieren, sie gehören so gut wie zur Familie.«

»Gerade nicht das Schmeichelhafteste«, antwortete der Präsident der Tabakgesellschaft mit einem kläglichen Gesicht. »Höre nur«, und Onkel Gottfried räusperte sich und begann dann mit der größten Ernsthaftigkeit zu lesen.

Alter Schwachkopf!

»Der Teufel!«, rief Herr von Bergheim, »du musst mit der Jenny auf einem sehr vertrauten Fuße gestanden haben.«

»Also!«

Alter Schwachkopf! Ich will Ihnen die Beschämung ersparen, Sie zum Hahnrei zu machen, welches unfehlbar geschehen wäre, wenn Sie mich geheiratet hätten.

»Nun, darin liegt wenigstens Offenherzigkeit. In vielen Fällen wäre dies als Nachahmung zu empfehlen«, bemerkte der Freiherr humoristisch.

»Wenn Sie mich geheiratet hätten«, fuhr Onkel Gottfried, den letzten Satz wiederholend fort.

Ich gebe Ihnen daher Ihre Schwüre, mit denen Sie im Gegensatz zu Ihrer sonstigen Knickrigkeit so freigebig waren, hiermit zurück und benachrichtige Sie, dass ich direkt nach Paris reise, um dort als Gräfin oder Herzogin zu leben.

»Meine Herren«, sagte der Baron zu den beiden Offizieren gewendet, »Sie sind hier Zeugen eines für mich und meine Familie tief ergreifenden Ereignisses.«

»Wir wissen Ihren Schmerz vollständig zu würdigen«, antwortete Felsen bewegt. »Das sind Heimsuchungen, welche selbst die Besten treffen können.«

»Und es bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass Sie auf unsere unbedingte Diskretion rechnen dürfen«, fügte Reingold hinzu.

»Ich danke Ihnen, meine Herren.«

Und zu seinem Bruder sich wieder wendend, fuhr er mit unerbittlichem Spott fort: »Weißt du übrigens, dass du, wenn du zu den Zeiten des Kaisers Andronikus gelebt hättest, mit dieser Jenny dein Glück gemacht haben würdest? Andronikus belehnte nämlich diejenigen, mit deren Frauen er engeren Umgang pflegte, mit der Jagdgerechtigkeit. Zum Zeichen eines solchen Rechts war es schon damals Sitte, ein Hirschgeweih an die Tür zu nageln. Und so zweifele ich gar nicht, dass du es mithilfe einer so vortrefflichen Gattin mindestens bis zum Oberjägermeister gebracht haben würdest.«

»Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen«, entgegnete der Gefoppte sehr kleinlaut. »Aber nun sei auch barmherzig und stehe mir mit deinem Rat bei, denn siehe hier …!« Der Arme zog mit einer bejammernswerten Grimasse einen zweiten Brief aus der Tasche seines Schlafrocks.

»Nun, was gibt es denn noch weiter?«, fragte Herr von Bergheim nicht ohne Unruhe.

»Ruiniert – entehrt, wenn es zum Eklat kommt!«, stöhnte Onkel Gottfried.

»Oh Bruder, oh Bruder«, rief der Baron, »zu welchen Torheiten hast du dich verleiten lassen! Wovon handelt denn dieser Brief?«

»Du weißt doch, dass ich Präsident der Aktiengesellschaft zum Anbau inländischen Tabaks bin.«

»Leider. Es ist das unsinnigste Unternehmen, was jemals ausgeheckt wurde. Die Gegend, wo dieser Anbau stattfinden sollte, ist ein sumpfiges Terrain, wo man also selbstredend keinen Tabak ziehen kann.«

»Aber die Sachverständigen, welche zur Besichtigung desselben dorthin geschickt wurden, haben die vorteilhaftesten Berichte abgestattet.«

»Deine Sachverständigen werden wohl zu einer Bande Gauner und Betrüger gehören, in deren Netz du trotz der ernstesten Warnungen von meiner Seite geraten bist.«

»Herr Vampyr, ein Mann von der größten Rechtschaffenheit und Solidität …«

»Na, Gott bewahre jeden vor einer solchen Rechtschaffenheit«, rief der Baron bitter lachend aus. »Jetzt wird man den Herrn Präsidenten wohl aus der Patsche ziehen müssen, nachdem derselbe den Karren bis an die Achse in den Kot geschoben hat.«

Der Herr »Präsident« senkte sehr niedergeschlagen das Haupt und sagte, auf das Schreiben deutend, welches er in der Hand hielt: »Dieser Brief ist von einem gewissen Herrn Schufterle.«

»Ein empfehlenswerter Name, das muss man sagen.«

»Er erklärt mir, dass das ganze Aktienunternehmen auf Schwindel beruht.«

»Das wird er wohl allerdings am besten wissen.«

»Er bemerkt ferner, dass die Aktien künstlich in die Höhe getrieben worden wären, und zwar, wie er sich gerade nicht in sehr schmeichelhafter Weise ausdrückt, durch die spitzbübischen Manöver dieses gewissenlosen, schurkischen Vampyr.«

»Ich wette, dass die beiden Ehrenmänner jetzt ganz vertraulich zusammensitzen und sich vergnügt die Hände wegen des guten Geschäfts reiben, das sie zu machen gedenken«, bemerkte Reingold.

»Schufterle sagt ferner«, fuhr der Expräsident fort, »dass sich bereits die nachteiligsten Gerüchte über das Unternehmen auf der Börse verbreitet hätten. In zwei bis drei Tagen würden die Aktien vielleicht bis auf fünfzehn Prozent herabsinken. Unter diesen Umständen hätten die Teilnehmer der Gesellschaft in einer Versammlung beschlossen, unverweilt ihre Gelder nach dem jetzigen Stand der Aktien von mir zurückzufordern und Schufterle zu diesem Zweck mit Vollmacht versehen.«

»Nun, und wenn Du nicht zahlst?«, fragte der Freiherr.

»Dann droht er, unverzüglich beim Kriminalgericht eine Klage wegen absichtlichen Betruges gegen mich einzuleiten. Man wird mich mit Gendarmen auf die Anklagebank schleppen. Man wird mich wie einen gemeinen Verbrecher verurteilen. Ich werde beschimpft, entehrt für immer sein!«

Der arme Präsident zum Anbau inländischer Tabake hielt sich hier die Hände vors Gesicht und stöhnte in erbarmenswerter Weise.

»Die Ehre unseres Namens muss unter allen Umständen aufrechterhalten werden, Bruder«, sagte Herr von Bergheim, »und sollte dabei auch unser halbes Vermögen geopfert werden.«

»Wir stellen unsere Geldmittel zu Ihrer Disposition, wenn Sie derselben für den Augenblick bedürfen sollten«, bemerkte Felsen, mit einer Verbeugung, der sich auch Reinhold anschloss.

Der Freiherr drückte beiden sehr warm die Hand. »Den besten Dank, meine Herren, aber ich denke, es wird sich auch so machen lassen. Ohne Verluste dürste es freilich nicht abgehen.«