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Der Marone – Ein anderes von derselben Art

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 1

Ein anderes von derselben Art

Ein gleicher Auftritt von ähnlichem Charakter wie bei Jessuron fand zu derselben Zeit in Willkommenberg statt. Loftus Vaughan hielt mit seiner Tochter eben ein solches Gespräch, wie Jacob Jessuron mit Judith. Der Gegenstand war derselbe, und die Beweggründe des Pflanzers eben so niedrig wie die des Koppelhalters.

Smythje war noch im Bett. In seiner teuren Metropole hatte er Frühstunden niemals gekannt und vielleicht hatte er in seinem ganzen Leben die Sonne noch nicht aufgehen sehen. Die gewöhnliche Frühstückszeit auf Jamaika wäre für ihn viel zu früh gewesen. Deswegen hatte sein höflicher Wirt, der seine Gewohnheiten kannte, bereits jeden Morgen die Aufschiebung des Frühstücks angeordnet, bis sein Gast unzweideutige Zeichen von Wiederbelebung gegeben hatte. Keinem war es erlaubt, seine Träume als auch seinen Schlummer zu stören, bis Morpheus freiwillig sein Schlafzimmer verließ. Dann musste sein Kammerdiener Thomas, der die wichtige Wache versah, ins Zimmer treten und zurückkehrend die höchst wichtige Nachricht überbringen, dass sein Herr baldigst erscheinen werde.

In dieser Weise lag der Cockney den zweiten Morgen nach seiner Ankunft noch später wie gewöhnlich im Bett. Der Pflanzer sowie Käthchen hatten die frische Morgenluft schon einige Stunden vorher genossen. Beide waren draußen, wenn auch auf verschiedenen Wegen, gewesen und trafen sich nun in der großen Halle zu der Zeit, in welcher sie sonst gewohnt waren, ihr Frühstück einzunehmen. Aber noch war kein Frühstück bereit, auch wenn das Tischtuch längst aufgedeckt lag, denn es sollte erst aufgetragen werden, sobald der ausgezeichnete Gast die Gewogenheit haben würde, gütigst zu erscheinen.

Die junge Kreolin quälte sich wenig um die veränderte Stunde der Morgen- oder einer anderen Mahlzeit. Sie war zu jung, um bestimmte feste Gewohnheiten zu besitzen, die Berücksichtigung verlangen.

Bei Herrn Vaughan war dies aber anders und er empfand die Verschiebung des Frühstücks als eine sehr große Unbequemlichkeit. Um diese wenigstens etwas zu verringern, hatte er sich eine Tasse Kaffee und etwas Zwieback bestellt, und hiermit war er gerade beschäftigt, als Käthchen ins Zimmer trat.

Gelegentlich, halb erwartungsvolle, halb unruhige Blicke, die er nach dem großen Gang, den Käthchen kommen musste, hinaufwarf, zeigten deutlich eine bestimmte Absicht an. Entweder er erwartete eine besondere Mitteilung oder er hatte selbst eine solche zu machen.

Das Letztere war jedenfalls wahrscheinlicher, da die junge Kreolin beim Eintreten sich sofort mit einer Frage an ihren Vater wandte.

»Du hast nach mir gesandt, Papa? Das Frühstück ist ja doch noch nicht fertig!«

»Nein, Katharina«, erwiderte Herr Vaughan ernst, »deswegen geschah es auch nicht.«

Der ernste Ton war gar nicht nötig, die Benennung Katharina war schon hinreichend, um Käthchen anzudeuten, dass ihr Vater in höchst ernsthafter Stimmung sei, denn nur dann pflegte er sie bei ihrem wirklichen vollen Taufnamen zu nennen.

»Setz dich dahin!«, sagte er und wies auf einen Sessel, dem er selbst gegenübersaß. »Setze dich, meine Tochter und höre mich an, ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen.«

Die junge Dame gehorchte schweigend, nicht ohne ein wenig von jener widerstrebenden Verlegenheit, die gewöhnlich Kranke zeigen, wenn sie sich dem Arzt gegenübersetzen, oder die ein unartiges Kind kundgibt, wenn es sich vorbereitet, elterlichen Ermahnungen zuzuhören.

Indes war die natürliche Heiterkeit der kleinen Quasheba nicht so leicht zu besiegen. Obwohl der auf ihres Vaters Gesicht sich abmalende ungewöhnliche Ernst sie leicht zurückgedrängt haben könnte, so hatte doch die Förmlichkeit, mit der die Unterredung begann, eine ganz entgegengesetzte Wirkung, denn in den beiden lieblichen Winkeln ihres niedlichen Mundes hätte man eine unverhüllte Neigung zum Lächeln wahrnehmen können.

Ihr Vater bemerkte dies, aber anstatt das Lächeln zu erwidern, wurde er nur noch ernsthafter.

»Komm, Katharina!«, sagte er verweisend, »ich habe dich eines ernsthaften Gegenstandes halber rufen lassen. Ich hoffe, du wirst mir ernsthaft zuhören, wie es dem Gegenstand angemessen ist, den ich dir vorführen will.«

»Aber, Papa, wie kann ich nur ernsthaft sein, bevor ich den Gegenstand kenne. Du bist doch nicht krank, so hoffe ich?«

»Ei, was, nein, nein! Dies hat mit meiner Gesundheit gar nichts zu tun, die Gott lob gut genug ist, und mit deiner auch nicht. Es betrifft nicht unsere Gesundheit, sondern unseren Wohlstand, Katharina!«

Die letzten Worte wurden mit Nachdruck und zugleich in vertraulichem Ton gesprochen, als wollte er der Tochter Mitgefühl und Teilnahme für den vorzubringenden Gegenstand gewinnen.

»Unsern Wohlstand, Papa? Ich hoffe, es ist nichts Besonderes vorgefallen? Hast du Verluste gehabt?«

»Nein, liebes Kind«, erwiderte Herr Vaughan, nun in einem zärtlichen väterlichen Ton redend. »Nichts der Art, Dank dem Glück und vielleicht auch ein wenig meiner eigenen Klugheit. Es sind keine Verluste, sondern Gewinne, an die ich denke.«

»Was, Gewinne?«

»Ja, Gewinne, du kleiner Schelm! Gewinne, zu denen du mir helfen kannst.«

»Ich, Papa? Wie könnte ich dir wohl helfen? Ich weiß ja gar nichts von Geschäften, ganz gewiss, ich weiß gar nichts davon.«

»Geschäft? Ha, ha! Es ist ja gar kein Geschäft, Käthchen. Die Rolle, die du dabei zu spielen hast, wird dir Vergnügen machen, so wenigstens hoffe ich.«

»Bitte, sage mir doch, was es ist, Papa? Vergnügen habe ich ja gern, das weiß jedermann.«

»Katharina!«, sagte der Vater, noch einmal den ernsten Ton anschlagend, »weißt du, wie alt du bist?«

»Gewiss, Papa! Nach dem, was man von mir gesagt, bin ich am letzten Geburtstag gerade achtzehn Jahre alt gewesen.«

»Und weißt du auch, was junge Mädchen in dem Alter gewöhnlich tun und woran sie denken sollen?«

Käthchen stellte sich entweder so oder wusste wirklich nicht, welche Antwort sie hierauf geben sollte.

»Komm«, sagte Herr Vaughan spöttisch, »du weißt schon, was ich meine, Katharina.«

»Nein, Papa, ich weiß wirklich nicht. Du weißt ja wohl, ich habe kein Geheimnis vor dir. Hätte ich eins, ich würde es dir sagen.«

»Ja, ich weiß, du bist ein gutes Mädchen und würdest mir alles sagen. Aber das ist eine Art Geheimnis, das du freilich wohl keinem sagen würdest, selbst nicht mir, deinem Vater.«

»Bitte, was ist es, Papa?«

»Nun, in deinem Alter, Käthchen, fangen die meisten Mädchen – und es ist ganz recht und der Natur gemäß, dass sie dies tun – an einen jungen Mann zu denken an.«

»O, ist es das, was du meinst? Nun, da kann ich dir sagen, Papa, dass ich auch schon an einen gedacht habe.«

»Ja?«, rief Herr Vaughan verwundert, doch zufrieden aus. »Hast du, hast du wirklich schon?«

»Ja, gewiss«, antwortete Käthchen mit einer Miene der unschuldigen Naivität. »Ich habe wirklich an einen gedacht, und so häufig, dass der Gedanke mich kaum wieder verlassen will.«

»Ha!«, erwiderte der Custos, aufs Höchste verwundert über ein so unerwartetes und offenes Bekenntnis. »Seit wann ist das gewesen, mein Kind?«

Die Antwort wurde mit einiger Ungeduld und unruhig erwartet.

»Seit wann?«, wiederholte Käthchen sinnend.

»Ja, wann fingst du zuerst an, an den jungen Mann zu denken?«

»O, vorgestern nach dem Mittagsessen, als ich ihn das erste Mal sah, Vater.«

»Beim Mittagsessen sahst du ihn zuerst«, verbesserte Vaughan seine Tochter, »aber darauf kommt es nicht an«, fuhr er fort und rieb sich froh die Hände, während er das verwirrte Aussehen Käthchens gar nicht beachtete. »Du hast vielleicht in den ersten Augenblicken bei der Vorstellung gar nicht daran gedacht. Das ist freilich nicht oft der Fall. Das bisschen Blödigkeit wird schon vorübergehen. Und so, Käthchen, du magst ihn wirklich leiden – du denkst, du magst ihn leiden?«

»Ja, Vater, das tue ich wirklich, besser als einen, den ich je gesehen, ausgenommen dich selbst, liebster Papa.«

»Ah, mein kleiner Liebling, das ist ein großer Unterschied. Das eine ist Liebe, das andere ist kindliche Zuneigung, beides ganz recht an seinem Platz. Nun, Käthchen, da du ein so gutes Mädchen bist, habe ich auch einige angenehme Nachrichten für dich.«

»Was denn, Papa?«

»Ich weiß wirklich nicht, ob ich es dir sagen soll oder nicht«, sagte der Custos und klopfte seiner Tochter spielend auf die Wange. »Wenigstens nicht jetzt, meine ich. Es könnte dich zu glücklich machen.«

»O, Papa, ich habe dir gesagt, was du von mir gewünscht hast und ich sehe, es hat dich vergnügt gemacht. Nun wirst du mir doch gewiss nicht vorenthalten, was, wie du sagst, mich beglücken wird. Was ist das für eine Neuigkeit?«

»Höre denn, Käthchen«, und Herr Vaughan beugte sich vorn über, als wolle er seine Mitteilung noch eindringlicher machen, und flüsterte ihr zu: »Er teilt deine Gefühle, er mag dich leiden!«

»Vater, ich fürchte, das ist nicht der Fall«, sagte die junge Kreolin mit ernsthafter Miene.

»Ja, ja! Ich sage es dir, Mädchen! Er ist über die Ohren in dich verschossen, ich weiß es. Ich sah es auch von der ersten Minute an. Ein Blinder hätte es sehen können, aber ein Blinder sieht auch besser als ein verliebtes Mädchen. Ha, ha, ha!«

Custos Vaughan lachte laut und lange über den so unerwartet vorgebrachten Witz, denn in diesem Augenblick war er wirklich zur höchsten Fröhlichkeit gestimmt.

Sein liebster Traum sollte jetzt in Erfüllung gehen.

Montagu Smythje liebte seine Tochter. Das wusste er zwar schon zuvor, aber nun hatte seine Tochter selbst es halb zugegeben, ja geradezu eingestanden, dass sie Smythje leiden möge. Und war Leidenmögen hier nicht Liebe?

»Ja, Käthchen«, sagte er, sobald sich seine übermäßige Freude ein wenig gelegt, »du bist blind, du kleine Einfalt, sonst hättest du alles gleich gesehen. Sein Betragen hätte dir gleich gezeigt, welche Rücksichten er auf dich nimmt.«

»Ach, Vater, ich meine, sein Betragen zeigt vielmehr, dass er auf keinen von uns Rücksicht nimmt. Er ist zu stolz, um auf jemanden Rücksicht zu nehmen.«

»Was, zu stolz? Unsinn! Das ist nur so seine Art. Dir hat er sich gewiss nicht so gezeigt, Käthchen?«

»Ich kann ihn eigentlich nicht tadeln«, fuhr das junge Mädchen in ernsthaftem Ton sprechend fort. »Es war nicht sein Fehler. Deine Behandlung, lieber Vater – du musst mir nicht böse sein, dass ich dies sage – war die nicht vollkommen genügend, um ihn dazu zu bringen, was er getan hat?«

»Meine Behandlung«, rief der Custos überrascht.

»Kind, ich glaube, du faselst! Ich konnte ihn doch nicht besser behandeln, wie ich es gemacht habe. Ich habe ja alles getan, um ihn zu unterhalten, damit er sich hier zu Hause fühlen soll. Nach der Art, wie er sich gegeben hat, so ist das alles Unsinn, was du von seinem Stolz gesprochen hast. Uns gegenüber hat er ihn wenigstens gar nicht gezeigt. Im Gegenteil, er hat sich ganz bewunderungswürdig uns gegenüber betragen. Ganz gewiss, kein Mann könnte sich mit größerer Höflichkeit gegen dich benehmen, als es Herr Smythje getan hat.«

»Herr Smythje!«

Das Erscheinen dieses Herrn in demselben Augenblick hielt Herrn Vaughan ab, die Wirkung zu bemerken, welche die Nennung dieses Namens bei Käthchen hervorbrachte, in Wahrheit eine ganz unerwartete und auffallende Wirkung, die sich offen in dem Ausdruck zeigte, den Käthchens Züge plötzlich annahmen.

Diese Unterbrechung, die nun die weitere Aufklärung verhinderte, die seine Tochter sonst unbezweifelt sofort herbeigeführt haben würde, ließ Herrn Vaughan sich unverzüglich zum Frühstück mit beträchtlich vermehrtem Appetit sehen.

Sein Gast hatte seine ganze Aufmerksamkeit erfordert und hatte ihn auch veranlasst, das Zwiegespräch abzubrechen. Er hatte deshalb weder die eigentümliche Wiederholung des Namens Smythje gehört, noch die von Käthchen mit leiser Stimme, als sie sich dem Frühstückstisch zuwandte, gemurmelten Worte. »Ich glaubte, es sei Herbert!«