Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Sagen- und Märchengestalten – Die Alchemie (Goldmacherkunst) – Teil 1

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Die Alchemie (Goldmacherkunst) – Teil 1

Von dem gebildeten Europäer, der mit vornehm-gleichgültiger Miene Haufen Goldes an der Spielbank des Lebens gewinnt oder verliert, bis hinab zu dem unzivilisierten Wilden, der seine Jagdbeute, seinen Schmuck aus gelbem Metall, seine Zahlmuscheln hingibt für einen Krug Feuerwasser, – von der höchsten bis zur niedrigsten Staffel huldigt alles der Macht jenes furchtbaren Götzen, des Goldes, vor welchem der Höllenfürst selbst zurückzuweichen scheint.

So alt die Welt auch sein mag, der Durst nach Habe und Besitz ist nur um ein Geringes weniger alt. Weder die Umwälzungen der Erde, noch die großen kulturhistorischen Bewegungen vermochten ihn zu verlöschen. Zu allen Zeiten sind es nur wenige glänzende Namen, die sich darüber erhoben.

Es gab eine lange Epoche in der Geschichte der Welt, in der man es nicht verstand, mit Zahlen zu operieren wie mit Münzen, ein Papier gleichzustellen den Tonnen Goldes.

In jenen unschuldsvollen Tagen vermochten einzelne Gesetzgeber freilich noch der Sittenverderbnis, welche in dem Hang zum Luxus und zur Verschwendung wurzelt, wirksam zu steuern durch Münzen von Leder und Eisen, deren Schwerfälligkeit in der Tat Hausse und Baisse unmöglich machten, den Besitzer stets nur auf das nächste, notwendige denken ließen.

Allein auch diese frühe Zeit trug sich mit habsüchtigen Gelüsten. Tyrannische Fürsten häuften ungeheure Schätze auf und schwelgten im Gefühl ihrer Macht. Fromme Seelen erbauten der Gottheit prächtige Tempel, deren Wände und Kuppeln von gediegenem Gold strotzten. Wer es nicht vermochte, so reicher Gaben Herr zu werden, sann auf Mittel, welche ihm den Besitz erzwingen helfen sollten. Sicherlich war es der schwächere Teil der Menschheit, der es versuchte, der Gewalt die List entgegenzusetzen, auf geheimnisvollen, wenn auch nicht immer ungefährlichen Weg dasjenige zu erringen, wonach das Herz begehrte, Gold und Macht. Der Reiz der glänzenden Metalle machte die Habsucht erfinderisch. Man strebte, die vorhandene geringe Masse künstlich zu vermehren. So entwickelten sich die Versuche, unedles Metall in edles, Kupfer, Blei und Silber in Gold zu verwandeln.

Länger als siebzehn Jahrhunderte unserer Zeitrechnung beherrschte den menschlichen Geist die Vorstellung, dass es möglich sei, der Natur gewissermaßen nachzuschaffen und dasjenige ihr zum Trotz zu erzeugen, mit welchem sie in ihrer Fülle die Begehrlichen allzu sparsam versehen haben sollte.

Der Ursprung dieser Kunst reicht weit in die Fabelzeit hinauf, und wenn es Adam nicht war, der mit dem ersten unvollkommenen Schmelztiegel zu operieren begann, so war es der zauberkundige, unehrerbietige, rebellische Sohn Noahs, Cham, von dem Ägypten Chemia genannt worden. Näher lag es noch, die hervorragenden Gestalten des alten Bundes mit dem Schimmer der Gold erzeugenden Magie zu umkleiden: den weisen Tubalkain, der so herrlich in Erz und Eisen zu bilden wusste, Salomo, dessen Schlüssel das Reich der Geister öffnete und schloss, Moses, der mit einem Schlag seines Stabes die Wasserbäche aus den Felsen lockte und die bittere Quelle in eine süße umwandelte.

Das heidnische Altertum stand nicht dagegen zurück. Wir sehen Jason ausziehen, das Fell des geheiligten Widders, das goldene Vließ heimzubringen. Vielleicht war es auch nur das Symbol jener kostbaren Urkunde, wie das edle Metall zu bereiten sei. Nicht unebenbürtig reiht sich der phrygische König Midas hier an mit der ihm von Bacchus verliehenen Kraft, durch bloße Berührung Gold zu erschaffen. Und wer dürfte der eben so schönen wie verbrecherischen Königin von Ägypten, der Cleopatra, jede Wissenschaft der Alchemie absprechen, wenn edle Perlen sich durch ihre Kunst flüssig erzeigten und sie dem üppigen Antonius den wunderbaren Trank darreichte?

Aus Ägypten kam die älteste Kunde des geheimnisvollen Prozesses, der mit dem Namen der Alchemie belegt wurde.

Doch nennen die Alchemisten nicht Cleopatra oder einen der Könige als Stifter ihrer Kunst, obwohl auch von diesen manche Sage redete, sondern eine mythische Persönlichkeit, den Hermes Trismegistos. Ihn rühmt zuerst Iamblichos als einen Mann, der zwanzigtausend, nach anderen mehr als sechsunddreißigtausend Bände verfasste, in denen alle Wissenschaften behandelt waren.

Von dieser ungeheuren Anzahl ist aber nur die berühmte Tabula Smaragdina übrig geblieben, welche Alexander der Große auf seinem Zug nach Ägypten, als er des Hermes Grabmal entdeckte, in demselben gefunden haben soll. Wenngleich der Ursprung dieses Werkes nicht so hoch hinaufreicht, als man anzunehmen geneigt war, so ist es doch das älteste alchemistische Denkmal, welches wir kennen.

Hermes Trismegistos, d. h. dreimal der Größte, wird seit dem 5. Jahrhundert in allen alchemistischen Schriften als der Vater der Scheidekunst erwähnt. Aus seinem Namen erstand die Bezeichnung hermetischer Verschluss, wie die Alchemie auch hermetische Kunst genannt wurde.

Bedeutend früher als alle anderen Völker sollen die Chinesen mit dem Geheimnis der Goldbereitung vertraut gewesen sein, und Missionare versicherten, aus den von ihnen an Ort und Stelle angestellten Untersuchungen das Resultat geschöpft zu haben, dass schon 633 v. Chr. ein berühmter Alchemist die Herrlichkeit des himmlischen Reiches habe vermehren helfen.

Die ersten sicheren Nachrichten über künstliche Gold- und Silbererzeugung datieren aus dem 4. Jahrhundert und finden sich bei griechischen Schriftstellern. Anfänglich erstrebte man nur eine nachhaltige Färbung unedler Metalle, und diese Produktionen ließen bald auch das Verlangen rege werden, die innere Beschaffenheit zu übertragen. Besonders hervorzuheben unter den älteren Alchemisten ist der Bischof von Ptolemais, Synesius, der den Destillationsprozess genau schildert. Zu Anfang des 7. Jahrhunderts Zosinus, der über chemische Gerätschaften und Öfen, Stephanos Alexandrinos, der über neun Ausführungen der Goldbereitung schrieb, sämtlich aus der Alexandrinischen Schule.

Das Vordringen der Araber nach Afrika, von dort nach Europa, bezeichnet einen neuen Abschnitt in der Geschichte der Alchemie. Eine bloße Färbung der Metalle genügt ihnen nicht. Sie fordern eine Verwandlung derselben mit allen eigentümlichen Bestandteilen. Der erste Alchemist von Ruf lebte an der arabischen Hochschule zu Sevilla. Er hieß Geber. Arabische Handschriften desselben befinden sich in den Bibliotheken zu Leyden, Paris und Rom. Schwere und Eigenschaften der Metalle waren ihm genau bekannt. Er hielt Kupfer für eine zur Erzeugung von Gold und Silber besonders geeignete Masse. Von den Arabern verbreitete sich die Neigung zu alchemistischen Versuchen in das Abendland, wahrscheinlich um die Mitte des 9. Jahrhunderts. Bischof Haimo von Halberstadt, ein Schüler des gelehrten Alouin, den er nach Tours in Frankreich begleitete, empfing dort die ersten Anregungen zu alchemistischen Studien.

Doch erst im 13. Jahrhundert beginnen die auf den arabischen Hochschulen gesammelten Kenntnisse Wurzel zu fassen, und zwar in Spanien und Frankreich durch Raimundus Lullus, Arnoldus Villanovanus, in Deutschland und England durch Roger Bacon, Albertus Magnus.

Raimundus Lullus erblickte das Licht der Welt im Jahre 1235 zu Palma, auf der Insel Mallorca.

Geburt und Tod dieses seltsamen Mannes werden übereinstimmend berichtet, wie abweichend auch sein Leben geschildert ist.

Nach einigen war er das Kind vornehmer und reicher Eltern, deren Vermögen er im lustigen Lagerleben des aragonischen Kriegsheeres verschwendete. Seine Mittellosigkeit, – er selbst fingierte eine göttliche Botschaft, – berief ihn zu anstrengendem Studium der damals bekannten Sprachen, die er zu St. Jago de Compostella und in Montpellier erlernte. 1281 wendete er sich nach Paris, widmete sich der Theologie und ließ sich in den Minoritenorden aufnehmen. Roger Bacon und später Arnoldus Villonavanus, mit dem er längere Zeit in Neapel zusammenlebte, weihten ihn in das Studium der Alchemie ein. Seine Reisen durch den Orient erweckten in ihm den Gedanken, die Mauren auf der Nordküste Afrikas zu bekehren, und durch das Gold, welches aus seinen Schmelztiegeln hervorging und zur Prägung englischer Rosenobels benutzt worden sein soll, suchte er den britischen Herrscher, Eduard II., für seinen Plan zu gewinnen. Wie man sagt, nahm dieser Fürst das Gold, verwendete es jedoch zu einem Krieg gegen Frankreich, und Raimundus machte sich nun allein auf, seine große Mission zu erfüllen. Eingekerkert zu Bugia und einige Jahre lang gefangen gehalten, ging er nach erfolgter Freilassung von Neuem ans Werk und predigte in Algier und zuletzt in Tunis das Christentum. Endlich steinigten ihn die Muselmanen. Sein Leichnam wurde nach Mallorca gebracht und dort begraben. Auf seinem Grab steht die Jahreszahl 1315. Andere Schriftsteller behaupten, er sei nicht tot gewesen, sondern geheilt worden und habe 1330 noch in Italien den Stein der Weisen gesucht, dessen Herstellung ihm bis zur höchsten Vollkommenheit gelungen sei. Dann erst wäre der König von England, durch seine Kunst mit reichen Schätzen ausgerüstet, zu einem Kreuzzug von ihm aufgefordert worden, doch ohne Erfolg, worauf Raimundus gegen 1333 spurlos verschwunden sei.

Romantischer gestaltet eine andere Sage das Leben des berühmten Adepten. Raimundus war Seneschall am Hof des Königs von Mallorca. Dort lebte die schöne Eleonore, deren Reize die Männerwelt bezaubern. Gefesselt von der rührenden Schwermut, welche ihre Stirn, den nonnenhaften Gewändern gleich umschleierte, mit denen sie ihre Gestalt verhüllte, ließ Raimundus in jugendlicher Glut mit heißem Flehen nicht ab, bis sie ihm nächtlichen Besuch gestattete. Als er mit leidenschaftlich erregten Blicken ihr Gemach betrat, und liebeglühend die herrliche Gestalt mit seinen Armen umfangen wollte, löste Eleonore das Band, welches ihre Gewänder zusammenhält, schlug den in Tränen schwimmenden Blick zu ihm auf und flüsterte mit bebender Lippe: »O, Raimundus, ich bin das unglückseligste Geschöpf, welches die Erde trägt. Ich liebe dich mehr als mein Leben, das ich willig opfern würde, wenn es dich glücklich machen könnte. Und nun sieh!«

Mit diesen Worten enthüllte sie ihren Busen und er schaute mit Entsetzen die furchtbaren Verwüstungen, welche das hartnäckigste aller Übel, der Krebs, den herrlichen Formen bereitet hatte. Voll tiefen Schmerzes schlug er die Hände vor sein Angesicht und in dem stillen Gemach vernahm man lange Zeit nur das halberstickte Schluchzen der beiden Liebenden. Endlich ermahnte sich Raimundus. Zärtlich umschlang er die Weinende, deren Leid sie ihm noch teurer machte, und gelobte feierlich, nicht zu ruhen und zu rasten, bis die Geheimnisse der Arzneikunst ihm ihre tiefsten Tiefen erschlossen hätten, damit er die Geliebte dauernd von dem schrecklichen Übel zu befreien vermöge. Dann schied er und ein Schiff trug ihn nach Spanien.

Schnell verrann die Zeit dem eifrigen Forscher, langsam schlich sie der Harrenden auf ihrer Insel in den blauen Wogen des Mittelmeeres dahin. Endlich kehrte Raimundus zurück, und seinen Wundermitteln gelang die Besiegung des tödlichen Übels.

Das Studium der Philosophie, der Chemie, Medizin und Theologie hatte nun neue Kräfte in der bisher schlummernden Seele des jungen Müßiggängers erweckt und er widmete sich demselben mit stets wachsender Neigung. Mehrere nützliche Erfindungen gingen aus seinen Versuchen hervor, unter denen die des Branntweins sich für das Gemeinwohl vielleicht am wenigsten heilsam erwies. Zahllose Schriften werden ihm zugeeignet, wie einst dem Trismegistos. Doch herrscht in ihnen dieselbe Verworrenheit der Begriffe und Ausdrücke, und überdies jene religiöse Magie, die den folgenden Jahrhunderten besonders eigen war. Nach ihm bildete sich die Sekte der Lullisten, die von Papst Gregor XI. gegen 1374 in den Bann getan und durch die Inquisition verfolgt wurde.

Lehrer und Zeitgenosse des Raimundus war der nicht minder gelehrte und berühmte Arnold von Villeneuve oder Arnoldus Villanovanus aus Katalonien. Auf der Hohen Schule zu Barcelona lauschte er den Vorträgen des Johannes Casa Mila, eines Arztes von bedeutendem Ruf. Nachdem er lange Zeit hindurch Philosophie und Medizin studiert hatte, ließ er selbst sich als Lehrer in Barcelona nieder und wurde wie Pietro von Apone nach verschiedenen Orten berufen, wo seine Kenntnisse in der Heilkunde nahezu Wunder bewirkten. Durch geheim gehaltene chemische Arzneien soll er mehrere Päpste und den König von Sizilien vom drohenden Tod gerettet haben, die ihn mit so reichen Spenden belohnten, dass seine Nachkommen in der Provence lange Zeit hindurch zu den wohlhabendsten Familien des Landes gezählt wurden, und die öffentliche Meinung den gelehrten Mediziner zu einem erfahrenen Adepten stempelte.

Man erzählt von ihm, dass er am römischen Hof im Beisein aller Kardinäle einen gewaltigen Klumpen Kupfer in das lauterste Gold verwandelt habe, und es ist nicht zu leugnen, dass er sich viel mit den kabbalistischen Wissenschaften beschäftigt hat.

An das Krankenbett des Königs Peter von Aragonien berufen, erkannte sein geübter Blick sofort die unvermeidliche Katastrophe. Als aber nach seiner Vorhersagung der Tod dieses Fürsten wirklich eintrat, gab man ihm die Schuld, er habe durch seine Prophezeiung den traurigen Ausgang hervorgebracht. Durch den Bannstrahl des Erzbischofs von Tarragona vertrieben, wendete sich Arnoldus nach Paris, ohne Ruhe zu finden. Als Goldmacher und Zauberer verfolgt, entwich er von einer Stadt zur anderen, von Frankreich nach Italien, wo ihm endlich der König von Sizilien einen Zufluchtsort gewährte. Sechzehn Jahre verlebte er dort unter dem Schutz dieses Fürsten, der ihn 1312 nach Frankreich schicken wollte, um Papst Clemens V., welcher zu Avignon krank lag, mithilfe seiner berühmten chemischen Mittel zu heilen.

Allein das Schiff, auf dem er die Überfahrt machte, scheiterte während eines furchtbaren Sturms und das Meer begrub den seltenen Mann.

Arnoldus glaubte nicht nur an die Macht des Steins der Weisen und an die Möglichkeit, unedle Metalle in edle zu verwandeln, sondern teilte auch die in jenen Tagen vielfach ausgesprochene Ansicht, dass flüssig und trinkbar gemachtes Gold eine wunderbare Heilkraft besitze. Solche Goldmedikamente wurden bereitet, indem man entweder eine glühende Goldplatte in Wein ablöschte, oder durch scharfe Flüssigkeiten und allerlei Mischungen eine goldfarbene Medizin hervorbrachte. Sicher ist, dass Arnoldus sehr wohl mit metallischen Mitteln umzugehen wusste. Schon er verordnete die graue Quecksilbersalbe, stellte durch Destillation verschiedene Öle her, empfahl den aus Rotwein erzeugten Weingeist und schrieb viel über Gifte und Gegengifte.

Während eines Zeitraums von nahezu hundert Jahren verlautet nichts von neuen chemischen Entdeckungen, obwohl die Zahl der Goldsuchenden sich fast bis ins Unglaubliche vermehrte und Leute aller Stände Habe und Leben an die Erforschung der magischen Geheimnisse setzten. Das 14. Jahrhundert bietet nur einige bedeutende Namen. Im Jahre 1317 drohte eine Bulle des Papstes Johann XXII. der Ausübung und Verbreitung der Goldmacherkunst schwere Strafen an. Leo Africanus berichtet von den Arabern, dass sie sich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts eifrig mit der hermetischen Kunst beschäftigten. Sie suchten einesteils die Vervielfältigung der Metalle ins Werk zu setzen, anderenteils die Wundertinktur zu erlangen. Beide Bestrebungen fanden beinahe immer ihren Ausgangspunkt in der Falschmünzerei und man sah damals in den größeren Städten an der Nordküste Afrikas eine große Anzahl Leute, welchen die Hände abgehauen waren, eine landesübliche Strafe für die Verfertigung falschen Geldes.

Aus dem 14. Jahrhundert sind noch zu erwähnen die Alchemisten Hollandus, Vater und Sohn, die das Dasein des Steines der Weisen als unzweifelhaft voraussetzten, und von denen der Ältere ihn als Panazee (Universalheilmittel) empfahl.

Zu größerem Ruhm gelangten Nicolas Flamel, 1330 zu Pontoise geboren, und dessen Frau Pernella, die aus dürftigen Verhältnissen zu großem Reichtum emporkamen, wie man sagte, mittels des wunderwirkenden Steines, in Wahrheit aber durch glückliche Handelskombinationen. Ein dauerndes Gedächtnis hat ihnen die edle Verwendung des so gewonnenen Gutes gegründet. Sie unterstützten Witwen und Waisen, stifteten Hospitäler, erbauten Kirchen.

Das 15. Jahrhundert weist mehrere überaus gelehrte Adepten auf. Selbst im Land der Sarmaten erhob sich die Kunde des geheimnisvollen Wirkens. Der erste Alchemist jener Nation war ein politischer Mönch, Vincenz Koffsky, der 1488 zu Danzig starb. In Italien erlangte Graf Bernhard von Trevigo die Goldtinktur, welche ihm viele Schätze und langes Leben brachte. Bedeutender noch waren zwei englische Alchemisten, Thomas Norton und George Ripley. Der Letztere war schon früh in den Augustinerorden getreten, reiste viel umher und kehrte endlich nach England zurück, wie man sagt, im wirklichen Besitz des Geheimnisses. Die ihm zugeflossenen Reichtümer soll er zu frommen Stiftungen verwendet und ein zurückgezogenes Leben geführt haben.

Keiner der Genannten erreichte nun die bedeutungsvolle Höhe des Basilius Valentinus, welcher das 15. Jahrhundert abschloss. Man weiß weder das genaue Jahr seiner Geburt noch seines Todes. Selbst seine Existenz wurde von vielen angefochten, obgleich er mehrere schätzenswerte Schriften hinterließ, deren Inhalt Kaiser Maximilian I. veranlasste, Nachforschungen über ihn anzuordnen, die nun zu keinem Resultat führten. Erst später erwies sich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit, dass Basilius Mönch in dem Benediktiner-Kloster zu St. Peter in Erfurt gewesen war und aus dem Elsass stamme. Obwohl auch er keinen Zweifel in die Macht des Steines der Weisen setzte, weicht er doch in manchen Punkten von dem Hergebrachten ab. In ihm entwickelten sich die Ansichten, welche Lullus aussprach, mit großer Entschiedenheit und dies macht ihn zu einem der wichtigsten Vertreter jener mystischen Richtung. Nach ihm vermag nur durch keusches Leben und unablässiges Gebet eine Offenbarung erlangt zu werden, die den Alchemisten in den Stand setzt, den Wunderstein zu finden. Ihm gipfelt die Wissenschaft in der Erschließung des göttlichen Geheimnisses, und von diesen Betrachtungen voll, leugnet er die Verwandlung unedler Metalle in Gold und Silber, welche gewöhnliche Menschen ohne Gebet und Fasten nur mithilfe chemischer Mischungen in ihren Schmelztiegeln vollbracht haben wollten. Seine Ansicht über die Täuschungen, denen die Adepten sich hingaben oder zu denen sie andere leichtgläubige Personen verlockten, basiert auf der richtigen Voraussetzung, dass aus Vermengungen edler und unedler Metalle das Feuer im Reinigungsprozess das Gold geschieden habe, aus einer bloßen Vermischung von Eisen, Zinn, Blei oder Kupfer aber Gold zu erzielen, sei ohne den Stein der Weisen unmöglich.

Von außerordentlicher Wichtigkeit für spätere Entdeckungen sind die chemischen Präparate, welche man ihm verdankt. Er stellte das Spießglanz und die Salzsäure her, Knallgold, Bleizucker und grünen Vitriol. Seine Erfahrungen sind mannigfaltig, die Beobachtungen, welche er machte, zeugen von scharfem und klarem Verstand, solange sie das mystische Gebiet nicht berühren.

Er beschäftigte sich zuerst eingehend mit den Eigenschaften der verschiedenen Gifte und deren Wirkungen bei der Heilung kranker Körper, indem er das Herkommen der Erfahrung unterordnete und dabei in bittere Klagen über die Unwissenheit der Ärzte ausbricht. Seine Schriften sollen in einer Mauer unter dem Refektorium des Klosters gefunden worden sein. Aus ihnen schöpfte Paracelsus angeblich seine ganze Weisheit. Später kaufte die Königin Christina den größten Teil derselben auf und ließ sie nach Schweden bringen.

In der Geschichte des 16. Jahrhunderts verbindet sich die Alchemie vorzugsweise mit der Medizin und fast alle Ärzte von einigem Ruf widmen diesem Studium einen Teil ihrer Zeit.

Paracelsus darf mit Recht als der Schöpfer jener veränderten Richtung betrachtet werden. Er stellte die Kabbala oder geheime Philosophie, die Magie, Astrologie und Alchemie, welche Letztere nach seiner Auffassung richtiger durch Chemie bezeichnet wird, als die vier Hauptstützen der medizinischen Wissenschaft dar. Allmählich tritt jedoch ein bestimmter Unterschied der Begriffe ein, Chemiker und Alchemisten trennen sich, weil ihre Zwecke sich voneinander zu sondern beginnen. Bis dahin war die hermetische Kunst fast nur von Geistlichen ausgeübt worden, und Arnoldus Villanovanus ausgenommen, gehörten die Alchemisten dem Mönchstand an. Jetzt beginnt eine neue Ära für die Erzeugung edler Metalle: Geistliche und Weltliche, Ärzte, Gelehrte, Fürsten und Abenteurer, besonders während des 17. und 18. Jahrhunderts, wetteifern in der geheimen Kunst. Durch sie sollen die geleerten Kassen wieder gefüllt werden, und in einer Art von Trunkenheit opfern die Wundersüchtigen enorme Summen zu einem völlig nutzlosen Zweck.

Die strenge Zurückgezogenheit, in welcher jeder für sich allein möglichst verborgen und ungestört der magischen Kunst oblag, wurde durch die ungemeine Verbreitung derselben unterbrochen. Nur die Bedeutenderen hielten sich nach wie vor abgesondert, während der große Haufen sich in Gesellschaften zusammenschloss. Schon im 15. Jahrhundert hatten solche Vereinigungen unter den maurischen Alchemisten stattgefunden, die sich nächtlich in den Moscheen versammelten, um über ihre Arbeiten und die erlangten Resultate Bericht abzustatten und Erörterungen anzustellen. Der ersten hermetischen Verbindung zu Paris kann nicht füglich ein Einfluss beigemessen werden, um so mehr den Rosenkreuzern, deren Orden im Abendland alle Anhänger der Goldmacherkunst in ein gemeinsames Streben zusammenschmolz. Mit ihm verwechselten Uneingeweihte nicht selten eine Gesellschaft in Südfrankreich, die, nach ihrem Stifter Rose Collegium Rosianum genannt, nicht nur die Veredlung der Metalle und die Herstellung des Steines der Weisen anstrebte, sondern auch das Perpetuum mobile zu finden sich bemühte.

Im 17. Jahrhundert gründeten Geistliche und Ärzte zu Nürnberg die alchemische Gesellschaft, deren Sekretär für einige Zeit Leibnitz war, der sich später zurückzog, aber eine gewisse dauernde Neigung zur Alchemie nicht unterdrücken konnte.

Die letzte Vereinigung dieser Art scheint eine hermetische Gesellschaft gewesen zu sein, die nur zwei wirkliche Mitglieder zählte. Sie veröffentlichten im Jahr 1796 in dem Reichsanzeiger, einer der meistgelesenen Zeitungen, einen Aufruf an die Anhänger der Alchemie, in welchem sie, unter dem Schein einer Verbindung von erfahrenen und viel wissenden Adepten, dieselben zur Mitteilung aufforderten, wie und mit welchen Mitteln sie bisher gearbeitet und was sie durch ihre Bestrebungen erzielten. Auf ihre Zuschriften sollten eingehende Antworten erteilt, Belehrung und Aufklärung nicht versagt werden. Überaus zahlreich waren die Erwiderungen aus allen Ständen, denn alle verlangten nach dem Stein der Weisen, alle hofften jetzt endlich eine Unterweisung zu empfangen, die ihnen ohne Mühe das geheimnisvolle Reich erschließen werde.

So war es nun nicht gemeint. Die beiden Repräsentanten hielten den Steinkohlenteer für eine Masse, deren Bearbeitung zu großen Resultaten führen müsste. Im Übrigen vertrösteten sie die Wissbegierigen so gut es gehen wollte und wussten ihre Antworten so geschickt abzufassen, dass niemand die wahre Sachlage argwöhnte, um so weniger, als bald ein hermetisches Journal erschien, dem mehrere Traktate über die interessante Materie folgten.

Es bildeten sich Zweigvereine und die Muttergesellschaft ernannte sogar Ehrenmitglieder, denen ein wirkliches Diplom in lateinischer Sprache erteilt wurde. Einige Jahre hindurch herrschte große Rührigkeit unter den Anhängern der hermetischen Kunst, selbst Chemiker von Ruf beteiligten sich daran. Seit dem Jahre 1804 begann der Eifer zu erkalten und die gewaltigen Schwingungen der nach Mystik begierigen Geister hörten allmählich auf. Nach 1819 erlöschen die letzten allgemeinen Bewegungen, um anderen Interessen Raum zu geben.

Höchst wichtig für die Kenntnis jener Zeit ist ein Passus der Schrift, welche den Vorträgen im Karlsruher hermetischen Verein zugrunde gelegt wurde und 1802 im Druck erschien. »In unserem Blut«, sagt der Verfasser, »liegt eine zähe Materie verborgen, Gluten genannt, die mit der Animalität nähere Verwandtschaft als mit dem Geist hat. Dieses Gluten ist der Sündenstoff. Diese Materie kann durch sinnliche Reize verschieden modifiziert werden und nach der Art der Modifikation unterscheiden sich auch im Menschen die Neigungen zur Sünde. In ihrem Ausdehnungszustand bewirkt diese Materie Hochmut und Stolz. In ihrem höchsten Attraktionszustand Geiz, Selbstliebe, Egoismus, in ihrem Repulsionszustand Wut und Zorn, in der Zirkelbewegung Leichtfertigkeit, in ihrer Exzentrizität Völlerei, in ihrer Konzentrizität Neid, in ihrer Essenzialität Trägheit.« Ein so bequemes System hebt die Verantwortlichkeit des Individuums auf, – wer kann denn für die ungünstige Beschaffenheit des seinem Blute innewohnenden Glutens?

Nur vereinzelte alchemistische Bestrebungen begegnen uns noch im 19. Jahrhundert. Im Jahre 1837 sendete ein thüringischer Alchemist dem weimarischen Gewerbeverein eine Tinktur zu, welche nach näherer Untersuchung schon etwas Gold enthielt und dadurch anderen Metallen eine schwache Goldbeimischung mitteilte.

Die vielfachen Betrügereien, deren die Anhänger der hermetischen Kunst sich schuldig machten, indem sie die angeblich in gutes Gold oder Silber verwandelten unedlen Metalle in den Handel beförderten, riefen strenge Maßregeln gegen sie hervor. Päpstliche Bullen wetteiferten mit kaiserlichen und königlichen Dekreten, welche schwere Strafen über diese Art der Eigentumsschädigung verhängten. Indessen trug das maßlose Verlangen, sich Schätze zu erwerben, bei den meisten, wenn nicht bei allen, den Sieg über die Furcht davon, und der Zauber des Goldes lockte so mächtig, dass selbst die Nachfolger der Fürsten, welche ein Verbot erlassen hatten, der hermetischen Kunst mit Eifer anhingen und zahlreiche Jünger um sich versammelten. So geschah es im Orient, so im Abendland. In dem einen Staat verfolgt, eingekerkert und bestraft, sahen die Alchemisten sich in einem anderen mit offenen Armen empfangen. Sie flohen vom Kontinent nach England. Heinrich IV. hatte daselbst alle alchemistischen Bestrebungen auf das Strengste untersagt. Heinrich VI. dagegen forderte sogar die Geistlichen auf, sich mit der Golderzeugung zu beschäftigen, um die ungeheure Schuldenlast zu tilgen, welche das Land fast erdrückte. Es bildeten sich bald privilegierte Assoziationen, deren falsches Gold und Silber, zu Geld geprägt, die Länder jenseits des Kanals überschwemmte, die sich durch Grenzsperre zu schützen suchten, wenn sie nicht gar Gleiches mit Gleichem vergelten, wie es in Frankreich geschah. Dort lebte zurzeit König Karl VII. ein berühmter Adept, Jaques Le Coeur oder kurz Jaques-Coeur genannt, der angebliches Gold für die Münze lieferte. Das Volk, aufgebracht über den Betrug, verlangte energische Bestrafung des königlichen Helfershelfers, nun wurde er im Jahre 1453 nur des Landes verwiesen.

Englische Schriftsteller erzählen von einem gewissen Richard Carter, der sich in der Gunst Eduard IV. so festgesetzt hatte, dass dieser Fürst ihn zu ungestörter Beschäftigung mit der Alchemie sich drei Jahre lang in Schloss Woodstock aufhalten ließ. Indessen erfuhr man nichts Näheres über die Resultate dieser Forschungen, und da keine falschen Münzen in den Verkehr befördert wurden, so werden seine Versuche wahrscheinlich ohne Erfolg geblieben sein.

Auf der Plassenburg hauste der Burggraf von Nürnberg, Johann von Brandenburg mit dem Beinamen des Alchemisten. Dort loderte ununterbrochen das Feuer unter den Schmelztiegeln, dampften die Metalle in Gold schaffender Verbindung des grauen Wunderpulvers, wanderten fahrende Adepten ab und zu, und der alte heimische Schatten der sagenreichen Burg, die weiße Frau, musste den fremden Lärmgeistern weichen.

Aber auch zarte Frauenhände verschmähten nicht die vielverheißende Beschäftigung. Kaiserin Barbara, die Gemahlin Sigismunds, arbeitete fleißig in ihrem Laboratorium, verwandelte vor den Augen Sachverständiger Kupfer in Silber, beides gemischt in Gold, und niemand wagte, die Richtigkeit dieser Prozesse, welche die hohe Frau vollbracht, anzuzweifeln. Vielmehr fand das Produkt zu seinem eingebildeten Wert Aufnahme.

Nur wenige Fürsten vermochten sich dem allgemeinen Wahn zu entziehen, wie Papst Leo X., der einem Alchemisten für seine kostbare, dem heiligen Vater gewidmete Schrift einen leeren Beutel mit dem Bemerken reichen ließ. »Wer so hoher Künste Meister ist, bedarf nur der Gefäße, um das Gold zu sammeln.«

Mannigfach waren die Beschäftigungen im Bereich der Alchemie, und je nach der Art des Verfahrens oder der Erfolge empfingen sie verschiedene Bezeichnungen. Die Kunst selbst nannte man die hermetische, nach dem schon erwähnten Stammvater derselben, dem Hermes Trismegistos, Alchemie nach dem Arabischen, die heilige Kunst nach dem Beispiel der Byzantiner; Goldmacherei im verächtlichen Sinne; nach der Tabula Smaragdina die Kunst oder das Werk der Sonne. Sofern sie sich die Aufgabe stellte, Metalle zu sondern, zu schmelzen, zu läutern, hieß die Alchemie die metallische; sofern es ihr Geschäft war, nicht bloß die Metalle, sondern auch die Erden-, Tier- und Pflanzenstoffe zu verbrennen, zu destillieren, überhaupt zu trennen und zu vereinigen, gab man ihr den Namen der spagirischen. Danach nannten sich die Ausübenden selbst Alchemisten oder Spagiriker; Adepten zum Unterschied von den Suchenden, die das angestrebte Ziel noch nicht erreicht hatten.

Eine Antwort auf Sagen- und Märchengestalten – Die Alchemie (Goldmacherkunst) – Teil 1