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Der Marone – Ein Ränke schmiedender Vater

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 37

Ein Ränke schmiedender Vater

Jacob Jessuron war gewiss niemals freigebig gewesen, ohne dafür alsbald einen Lohn zu erwarten. Wohl niemals in seinem Leben hatte er ein Vögelchen fliegen lassen, ohne die Erwartung, dafür eine gebratene Gans wieder einzufangen.

Welchen Gegenstand hatte er aber nun in Aussicht, da er der Gönner und Beschützer des jungen Engländers geworden war, eines flüchtigen Abenteurers, der offenbar nicht die geringste Wiedervergeltung leisten konnte? Warum solche freigebige, freiwillige und offenbar unverdiente Bedingungen? Denn in Wahrheit, Herbert war doch gewiss kein geeignetes Holz, um einen Sklaventreiber daraus schnitzen zu können, eine Bezeichnung, die ziemlich gleichbedeutend mit der eines Buchhalters war.

Unbezweifelt hatte der Jude einen tief angelegten Plan, aber sowohl hierin als auch in anderen Dingen behielt er seine Gedanken für sich. Selbst seine »kostbare Judith« war diesmal nur halb in seine Absichten eingeweiht, obwohl eine zwischen Vater und Tochter stattgefundene Unterredung der Letzteren einige Haltepunkte gegeben hatte, dieselben mutmaßen zu können.

Diese Unterredung fand am Morgen nach Herberts Ankunft auf dem Jessurons Hof statt und bezog sich hauptsächlich auf die Behandlung, die der neue Buchhalter von den Bewohnern des »glücklichen Tales«, doch ganz besonders von Judith selbst genießen sollte.

»Erweise dem jungen Mann jede Gefälligkeit, liebe Judith! Gib dir alle Mühe, ihm zu gefallen.«

»Warum denn nun gerade ihm, mein werter Vater?«

»Still, Judith, sprich leise, um Gottes Willen. Lass ihn dich nicht so sprechen hören. Ich habe einen Grund, ihm gegenüber freundlich zu sein.«

»Warum? Weil er der Neffe des sauberen Custos ist? Ist das dein Grund, Rabbi?«

»Sprich doch leise! Er ist in seinem Schlafzimmer und kann uns hören. Ein einziges Wort, wie das von dir gesagte, kann alle meine Pläne vernichten.«

»Wohl, Vater, ich will ganz leise sprechen, wenn du es wünschst. Doch was sind deine Pläne? Willst du sie mir nicht mitteilen?«

»So, das will ich schon, aber nicht grade jetzt. Ich habe einen Gedanken, meine Tochter, einen großen Gedanken, wirklich. Und wenn alles recht gut geht, Judith, wirst du dann die reichste Frau auf Jamaika sein!«

»O, dagegen hätte ich gar nichts, die reichste Frau auf Jamaika zu sein mit einem Fürsten als Bediensteten! Wer würde da nicht Judith Jessuron beneiden, des Sklavenhändlers Tochter?«

»Halt, hierüber grade nur ein Wort, liebe Judith. In seiner Gegenwart müssen wir so wenig wie möglich von Sklaven reden. Der muss auch keine Peitschen sehen, bis er schon daran gewöhnt ist. Ravener muss sich mäßigen. Ich kenne mehr als einen jungen Engländer, der seinen Platz grade deshalb verlassen hat. Der braucht gar nicht unter die Sklaven zu kommen. Dafür will ich sorgen. Aber, liebe Judith, alles hängt von dir ab und ich weiß, du kannst, wenn du nur willst.«

»Was können, lieber Vater?«

»Mache diesen jungen Mann geneigt, bei uns zu bleiben.«

Der diese Worte begleitende schlaue Blick verriet einen ganz anderen Sinn, als den sie buchstäblich enthielten.

»Wohl«, erwiderte Judith und schien sie nur buchstäblich zu nehmen, »ich denke, das wird keine großen Schwierigkeiten machen. Wenn er wirklich so arm ist, wie du gesagt hast, so wird er mit seiner jetzigen Stellung wohl zufrieden sein und wird sich dieselbe zu erhalten suchen.«

»Das ist mir noch nicht so ganz gewiss. Er ist ein junger Mahn von stolzem Geist. Das hat er dadurch bewiesen, dass er seinen Onkel verließ, ohne einen Heller in der Tasche, und den Custos sein Geld verschmähte. Bei meiner Seele! Was ein närrischer Kerl das ist! Er muss behandelt werden, Judith, er muss behandelt werden, und du bist gerade die rechte, das zu tun.«

»Wie, Vater, wenn man dich hört, so könnte man glauben, dieser arme, junge Engländer wäre eine reiche Zuckerpflanzung, die für einen großen Gewinn erhandelt werden müsste …«

»Ha, ha!«, rief der andere, sie unterbrechend, »dieses könnte ja auch sein, dass er wirklich eine reiche Zuckerpflanzung ist. Wir werden sehen, wir werden sehen.«

»Nun, wenn es der große Gast von Willkommenberg wäre«, fuhr Judith, ohne die Unterbrechung zu beachten, fort, »oder wenn es der Herr von Schloss Montagu gewesen wäre, den ich behandeln sollte.« Hierbei lächelte die Jüdin bedeutungsvoll, »dann hätte ich dich vielleicht schon etwas besser verstanden.«

»Ach, dazu ist ja gar keine Aussicht da, nicht die geringste Aussicht, Judith.«

»Keine Aussicht, wozu?«, fragte die schöne Jüdin plötzlich.

»Keine Aussicht, das heißt …«

»Komm, werter Rabbi, sprich dich aus! Du brauchst nicht bange zu sein, mir zu sagen, was du denkst, denn ich weiß es bereits.«

»Was dachte ich denn, Judith?«

Der Vater stellte diese Frage mehr in der Absicht, einer weiteren Auseinandersetzung zu entgehen, aber die Tochter antwortete auf der Stelle.

»Du dachtest und denkst auch noch, dass ich, deine Tochter, das Kind eines alten Sklavenhändlers, keine Aussicht auf den Neuankömmling hätte, diesen Herrn Montagu Smythje. Nicht wahr, das denkst du, Jacob Jessuron?«

»Ja, Judith, ja! Du weißt, er ist der Gast des Custos, und der Custos, wie ich Grund habe zu glauben, hat ein Auge auf ihn für seine Tochter. Fräulein Vaughan würde für eine Schönheit gehalten, und es würde uns von keinem Nutzen sein, ihn zu gewinnen.«

»Sie eine Schönheit!«, rief die Jüdin aus, indem sie stolz den Kopf in die Höhe warf und ihre schöne Nase leicht rümpfte. »Sie war nicht die Schönste auf dem letzten Ball in der Bay, sie nicht, gewiss nicht. Und was nun noch das Gewinnen anbelangt, so ist die Tochter eines Sklavenhändlers mindestens eben so gut, wie die Tochter einer Sklavin, die sogar selbst eine Sklavin ist, wie ich dich habe sagen hören.«

»Still, Judith! Nichts mehr davon, nicht ein leises Wort, das der junge Mann hören könnte, denn du weißt ja, er ist ihr Vetter! Still!«

»Mir ist’s gleich, ob er ihr Bruder ist«, versetzte die Jüdin mit einem Ton trotzigen und verachtungsvollen Unwillens, denn Käthchen Vaughans Schönheit war Judith Jessurons Hauptfeind. »Ich würde ihn schlechter behandeln, wie ich jetzt tun will. Glücklicherweise für ihn ist er nur ihr Vetter, und er mit ihnen allen im Streit, so vermute ich. Hat er irgendetwas von ihr gesagt?«

»Von seiner Cousine Käthchen, meinst du?«

»Wen sollte ich sonst meinen«, sagte die Tochter barsch. »Es gibt ja kein anderes weibliches Wesen zu Willkommenberg, von dem der junge Engländer etwa reden könnte. Aber du hast noch immer das kupferfarbige Mädchen im Kopf. Natürlich meine ich Käthchen Vaughan. Was sagt er von ihr? Er muss sie gesehen haben, wenn sein Besuch auch noch so kurz gewesen. Deshalb hast du letzte Nacht gewiss mit ihm über sie gesprochen, denn du hast lange genug mit ihm aufgesessen, um allen möglichen Schandkram auf der ganzen Insel zu besprechen. Nun wohl, was sagt er von ihr?«

Bei all diesem Geschwätz schien Judith doch nicht die ursprüngliche Frage außer Acht gelassen zu haben, und deren oftmalige Wiederholung war lediglich darauf berechnet, das große Interesse zu verbergen, mit dem sie die Antwort erwartete. Verrieten ihre Worte auch nicht dies Interesse? Ihre Blicke taten dies gewiss, denn wie sie sich vorwärts beugte, um genauer zu hören, hätte ein geübter Beobachter in ihren Augen ganz sicher die Art ihrer Beunruhigung entdecken können, die von einem Herzen stammt, wo die Leidenschaft der Liebe gerade im Beginn zu erwachsen, knospend, aber noch nicht in voller Blüte.

»Ja, Judith, ja«, gab der Sklavenhändler zu, so von seinem eigenen Kind verspottet, »der junge Mann sprach freilich von seiner Cousine Käthchen, denn ich wünschte zu wissen, was wohl seine Meinung von ihr sei und fragte ihn. Ich hoffte sehr, er hätte mit ihr auch gezankt, aber nein, er hat dies nicht getan.«

»Und was machte dir das aus?«

»Viel, sehr viel, Tochter Judith! Wirklich sehr viel!«

»Du bist ein sonderbarer, geheimnisvoller alter Mann, Vater Jacob, und obwohl ich dich nun schon beinahe zwanzig Jahre studiere, so verstehe ich dich jetzt doch nicht halb. Aber was sagte er von der Käthchen Vaughan? Er sah sie doch?«

»Ja, er hatte eine Zusammenkunft mit seiner Cousine. Er sagt auch, sie war sehr freundlich ihm gegenüber. Er ist nicht böse auf sie, durchaus gar nicht.«

Diese Nachricht schien gerade keinen angenehmen Eindruck auf Judith zu machen, welche die Augen auf den Boden niederschlug und einige Augenblicke in gedankenvoller Haltung blieb.

»Vater«, sagte sie mit einem halb ernsten, halb scherzhaften Ton, »der junge Mann hat ein Stück blaues Band im Knopfloch. Du hast es gewiss auch bemerkt. Ich bin neugierig zu wissen, was das bedeutet. Ist es ein Orden oder was sonst? Erzählte er’s dir nicht?«

»Nein. Ich bemerkte es wohl, doch da er nichts darüber sagte, so hab ich ihn nicht gefragt. Es ist kein Orden, nichts der Art. Sein Vater war nur ein armer Künstler.«

»Ich möchte doch wohl wissen, wo er das Band her hat?«, sagte Judith mit leisem Ton, halb mit sich selbst redend.

»Du kannst ihn selbst fragen, Judith. Da ist nichts dabei.«

»Nein, nicht ich«, antwortete Judith und wechselte die Farbe, als schäme sie sich, sich neugierig und schwach gezeigt zu haben. »Was kümmere ich mich auch um ihn oder um sein Band.«

»Das macht nichts, Judith, das macht gar nichts, wenn du nur machen kannst, dass er sich um dich bekümmert.«

»Dass er sich um mich bekümmert! Was, Vater, willst du, dass er sich in mich verliebt?«

»Just das, just ja.«

»Warum denn das, sag’?«

»Frag jetzt nicht. Ich habe ein Vorhaben und du sollst es zur rechten Zeit wissen, Judith. Mach ihn nur in dich verliebt, bis über die Ohren womöglich.«

Der Rat schien der ihn Empfangenden nicht gerade zu missfallen, und in ihren Blicken war, als sie ihn vernahm, gerade kein Missvergnügen zu bemerken.

»Aber wie?«, fragte sie, nach einer Pause des Nachdenkens und beim Sprechen lächelnd, »wie, wenn, um ihn einzufangen, ich selbst in die Falle geriete? Sagt man nicht, dass die Tarantel oft in ihrer eigenen Falle gefangen wird?«

»Wenn’s dir gelingt, die Fliege einzufangen, meine kleine Spinne, du, so hat das nichts zu bedeuten. Dann ist es um so besser. Aber erst deine Fliege einfangen. Gib dein Herz ja nicht früher fort, bis du seins gewiss hast, und dann ihn, wie du Lust hast. Doch nun sei still, ich höre ihn aus seiner Kammer kommen. Ich muss hin und ihn zu seinem Frühstück bringen. Nun, Judith, erweis ihm alle Achtung und zeig ihm auch dein bestes, freundlichstes Lächeln.«

So mit dieser väterlichen Einschärfung das Gespräch beendend, schritt Jacob Jessuron davon, um seinen Gast in die große Halle zu führen.

»O, du würdiger Vater«, sagte Judith, während sie ihm mit einem ganz besonderen Lächeln nachblickte, »diesmal noch sollst du mich als gehorsame Tochter finden, wenn auch nicht deinetwegen oder deiner Absichten wegen, was sie auch immer sein mögen. Halb kann ich sie mir schon denken. Nein, ihretwegen, und des großen damit verbundenen Glückes wegen, wofür es abgesehen wird, gewiss nicht. Es gibt doch noch etwas Größeres, das Spiel mit einer gefährlichen Leidenschaft, und gerade der Gefahr wegen will ich damit spielen. Ja – er kommt! Wie stolz sein Schritt! Er sieht wie der Herr aus, und du, alter Israelit wie sein Aufseher – Ha! Ha! Ha!«

»Ach!«, rief sie aus, hemmte plötzlich ihr Lachen und verwandelte ihr Lächeln in einen Drohblick. »Das Band! Er trägt es noch! Was kann es nur bedeuten? Doch jetzt ist keine Zeit dazu. Lange darf es aber nicht dauern, bis ich dies seidene Geheimnis entwirre, selbst wenn das Herz dabei zerrissen werden sollte!«

Ende des ersten Buches

 

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