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Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande 13

Friedrich Gerstäcker
Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Kapitel 13

Die Korallenriffe und das Korallen-Insekt
Ankunft auf Java

Das schwer beladene Boot ruderte etwas schwerfällig an Bord zurück, wo die Leute schon bereitstanden, die eingetauschten Früchte in Empfang zu nehmen. Stricke wurden niedergelassen, um die Bananen und Körbe mit Orangen und süßen Kartoffeln herauszuheben, während andere die einzelnen Kokosnüsse unter Lachen und Erzählen ihren Kameraden an Deck hinaufwarfen.

Der Leutnant war schon dem Quarterdeck zugegangen, dem Kapitän Bericht über die Vorgänge auf der Insel abzustatten, wobei er besonders rühmend den Knaben erwähnte, der durch seinen so zeitgemäßen und kecken Einsprung nicht allein großes Blutvergießen verhütet, sondern auch sehr wahrscheinlich Mr. Evans Leben gerettet hatte.

Fritz stand an Bord, die mitgebrachten Waffen, die Mr. Evans von unten zureichte, in Empfang zu nehmen, bis sie an die Kalebasse mit den Tamarinden kamen. Ob der kleine Mann nun unten glaubte, sie wäre zu schwer für den kräftigen Burschen, oder ob er ihn nicht damit belästigen wollte, kurz, er rief seinen Diener, einen kleinen vollkommen runden Malaien, der ihn auf all seinen Reisen begleitet hatte, das Gefäß in Empfang zu nehmen. Dieser sprang auch, dem Ruf gehorsam, auf die Schanzkleidung und bog sich nach vorn über, mit beiden Händen das schwere Gefäß zu ergreifen, das ihm Mr. Evans, vorn in der äußersten Spitze des Bootes stehend, hinaufreichte. Wenn aber einmal ein Unglück sein soll, hilft auch die größte Vorsicht nicht dagegen. Der Malaie hatte das Gefäß entweder nicht für so schwer gehalten oder oben nicht seine nötigen Vorsichtsmaßregeln getroffen, fest zu stehen, aber der Erfolg blieb sich gleich.

»Hast du’s?«, fragte Mr. Evans unten im Boot. Der Kopf wurde ihm dick und rot von der Anstrengung, das schwere Gefäß so hoch emporzuheben.

»Hat ihn schon, Tuwan!«, sagte der Malaie, schoss auch im nächsten Augenblick, und zwar in demselben Moment, als sein Herr unten den Arm wegnahm, von der Kalebasse vorn übergezogen, den Henkel des Gefäßes gewissermaßen als Anker benutzend und diesem folgend, über Bord und ins Meer, dass die Flut nicht allein über ihm zusammenschlug, sondern ihm auch die Augen der überraschten Matrosen noch weit in die Tiefe folgen konnten, wie er, einem Senkblei gleich, mehr und mehr in der purpurnen Finsternis verschwand.

»Segne meine Seele!«, rief der kleine Naturforscher, die Hände zusammenschlagend. »Wo geht der mit den Tamarinden hin?«

»Fragt lieber, wo die Tamarinden mit ihm hingehen«, rief der Bootsmann lachend, der das Ganze von oben mit angesehen hatte. »Wenn er nicht loslässt, wird er wohl in etwa neunzig Faden sicher vor Anker kommen.«

Alles drängte sich besorgt zu der Stelle, wo der kleine Malaie verschwunden war, und starrte lautlos in die Tiefe nieder.

»Das ist er!«, rief plötzlich eine Stimme.

»Wo?«

»Dort unten – tief – da kommt er.«

Aus der Tiefe heraus quoll, wie eine große hellgrüne Blase, denn das Seewasser gibt dem darin befindlichen fremden Gegenstand eine eigentümliche Farbe, größer und größer werdend, einen runden Schein heraus. Mehr und mehr kam er ans Tageslicht und wurde dunkler, je höher er stieg, bis plötzlich der dicke schwarze Kopf des Versunkenen nicht allein an die Oberfläche kam, sondern der Körper bis über die Brust aus dem Wasser emporschnellte.

»Hilfe!«, schrie da die Gestalt, als sie wieder sank, und das Seewasser quoll in den weit aufgerissenen Mund. Aber ein paar kräftige Fäuste hatten sich schon in das schwarze dichte Haar gekrallt. Wenige Minuten später lag der kleine dicke Malaie von einem rasch niedergeworfenen Tau aufgeholt, oben an Deck und schnaubte wie ein kleiner Walrat – die Tamarinden aber blieben verschwunden. Zum Glück für den Malaien war übrigens der Henkel der Kalebasse abgerissen. Er wäre sonst richtig mit in die Tiefe gegangen, denn diesen trug er noch fest und krampfhaft in der geschlossenen Hand und konnte erst später, als er sich vollkommen erholt hatte, mit vieler Mühe bewogen werden, ihn wieder loszulassen.

Der Flying Fish setzte nun, mit frischem Gemüse und Früchten ziemlich reichlich versehen, seine Reise ohne weiteren Aufenthalt nach Westen fort, lief zwischen den neuen Hebriden und Salomon-Inseln hin und passierte die gefährlichen Riffe und Klippen der Torresstraße, wo sie übrigens dreimal nachts ankern mussten, ehe sie das freie Fahrwasser des Indischen Ozeans erreichten.

Ich habe dem Leser nun aber schon soviel über die Korallenriffe jener Inseln erzählt, dass ich nicht umhin kann, ihm gerade hier in der Torresstraße, welche Australien im Norden von Neuguinea scheidet, wo sich diese Riffe und Korallen-Formationen in ihrer fremden und wunderlichen Weise zeigen, ihre näheren Bestandteile und Typen mitzuteilen.

Auf dem Grund des Meeres, oft an Stellen, die über vierhundert Faden, also 2400 Fuß Wasser tief, steigt der Korallenbaum schroff und senkrecht, teils in ausdehnenden Hängen bis an die Oberfläche des Meeres – nie darüber – empor, zweigt und breitet seine Arme nach allen Seiten aus. Die Koralle ist eine weiche und sehr poröse Steinmasse, von schmutzig weißem oder braunem Aussehen, über deren Entstehung man eigentlich noch nicht einmal einig ist. Das Wahrscheinliche ist allerdings, dass der Baum oder die baumartig emporgeschichtete Masse von einem winzig kleinen Insekt herrührt, das aus einem gewissen Saft oder mit einem sonstigen Material, wie die Schwalbe ihr Nest an die Häuser baut, Zelle an Zelle in undenklicher Masse aufeinanderhäuft und bewohnt, dadurch mit der Zeit jene riesigen und unregelmäßigen, unberechenbaren Auswüchse in diesen Meeren bildet, aus denen nicht allein diese Quantität von Riffen, sondern sogar die Mehrzahl sämtlicher Inseln der Südsee und fast der ganze Meeresboden dort besteht.

Andere dagegen behaupten, dass der Korallenbaum oder diese sich so gewaltig ausbreitende Masse, eben wie eine andere Pflanze wächst und nicht von dem Insekt gebildet werde. Diese Behauptung hat das ganze Aussehen der Koralle, wie noch besonders die Eigenschaft des Insekts selber, von dem die Koralle herrühren soll, für sich, da dasselbe nur imstande sein soll, höchstens dreißig Fuß unter Wasser zu leben. Wäre das wirklich der Fall, so bildete die Koralle damit den Übergang zwischen der Pflanzen- und Steinwelt, würde emporschießen, von dem allerdings darin befindlichen kleinen Koralleninsekten nur in den vorgefundenen nicht erst gebildeten Poren zu Wohnungen benutzt.

Wie dem auch sei, schroff und steil steigen diese Korallenmassen am Eingang der Torresstraße, den sie mit einem förmlichen the barriers genannten Wall umgeben, empor, hier und da nur eine schmale Einfahrt lassend, während sie an ihrer östlichen Grenze, vom Stillen Ozean bespült, bis in Steinwurfnähe nicht einmal Ankergrund bieten, hingegen nach Westen zu eine dicht gedrängte Gruppe von teils nackten, teils bewaldeten oder wenigstens mit Gebüsch bewachsenen Klippen und Inseln bilden, zwischen denen sich die Schiffe mühsam die Durchfahrt suchen und nachts, meist mit fünf bis fünfzehn Faden Ankergrund, ihren Anker fallen lassen müssen.

Viele dieser Inseln sind ebenso wie die meisten der Südsee vulkanischen Ursprungs. Wunderbarerweise lässt sich bei der großen Mehrzahl derselben sogar eine gleiche Formation in ihrem Ursprung nachweisen, indem die Gebirge in ihrer Mitte eine entschiedene Neigung von Westen nach Osten haben.

Am deutlichsten ist diese Neigung bei den Ladronen, den Karolinen und den Mulgrave-Inseln zu erkennen. Ein Blick auf die Karte zeigt schon, dass sie nicht allein nach Osten zu mit den Neuen Hebriden, Fitschis, Freundschaftsinseln, Navigators und den Gesellschaftsinseln zusammenhängen und hinter diesen in die flachen Korallen-Inseln des gefährlichen Archipels oder der Pomatugruppe abdachen, sondern auch nach Osten hin ihre Verbindung mit dem ostindischen Archipel bis nach Luzon hinauf, abzweigend durch die lange Inselkette von Timor Laut, Timor, Flores, Sumbaye Lomok, Bali, Java, Sumatra und von dort hinein in die Halbinsel Malakka unterhalten. Besonders die Letzten sind eine fast unterbrochene Reihe von meist noch tätigen Vulkanen, deren einstige überseeische Verbindung sich noch jetzt erkennen lässt, denn das Meer, von den Mosunen getrieben, brach sich nur Bahn hindurch, wo es den schwachen Widerstand fand. Die noch bis zu diesem Augenblick gemeinsamen unterseeischen Feuerquellen haben Sicherheitsventile, welche den angehäuften vulkanischen Stoff, je nachdem sich die Masse ein wenig mehr westlich oder östlich neigt, entweder in den Sandwichs-Inseln auf Hawaii, auf Java durch den Gedé oder andere, oder auch auf Sumatra hinausschleudern.

Der Leser darf aber nicht glauben, dass alle diese Inseln allein und ursprünglich aus Korallen bestehen. Die Inseln des ostindischen Archipels, mit Bergen bis zu 11.000 und mehr Fuß Höhe, sind fast alle vulkanischen Ursprungs. Auf vielen derselben befinden sich die Krater noch in steter oft furchtbarer Tätigkeit, auf anderen stehen sie ausgebrannt und kalt, ihren Ursprung aber noch in Form und Gestein verratend. Andere wieder gleichen einer Masse Stein und Lava, die durch unterirdische Feuer, vielleicht durch ein Erdbeben zusammengerüttelt wurde und jetzt nur noch in ihren Lavamassen und schwarz gebrannten Felsen die frühere Verwüstung des gewaltigen Elements verrät, während angewachsene Fruchterde den größten Teil derselben bedeckt und mit üppiger Vegetation überzieht.

Einzig aus Korallen bestehen jedoch eine große Menge Inseln der Südsee, die aber selbst dann wieder, sogar bei den flachen, eine gewisse Kraterform verraten, indem lange und schmale Streifen Korallen oft kreisförmig tiefe Lagunen oder Seen umziehen und dem Betrachter unwillkürlich fast den Gedanken aufdrängen, er stehe hier hoch über dem Gipfel alter versunkener Vulkane, deren obere Konturen der Korallenbaum ihren Rand zum Piedestal nehmend auf der Oberfläche der See getreu und mahnend wiedergebe.

Die kuriose Formation der Koralle spricht sich aber in den Rissen aus, welche fast sämtliche Inseln – ja ich kann wohl sagen, alle ohne Ausnahme, in einer Entfernung von einer halben oder ganzen englischen Meile umziehen und über denen sich die See im ewigen Ansturm bricht. Sie reichen meist bis an die Oberfläche des Wassers, gewähren dadurch den Inseln einen breiten Gürtel vollkommen stillen und ruhigen Wassers. Es mag das Meer draußen stürmen und toben, so arg es will, in dem die Insulaner nicht allein dem Fischfang ungestört nachgehen können, sondern auch imstande sind, eine stete und stets sichere Verbindung mit den verschiedenen Teilen ihrer Insel zu unterhalten.

Meist da, wo ein kleiner Strom süßen Wassers aus den Bergen niederkommt und sich mit dem Salzwasser vermischt, bilden diese Korallen, denen reines und unvermischtes Seewasser ein Bedürfnis ist, tiefe und bequeme Einfahrten für Schiffe, die sich innerhalb der Riffe und gewöhnlich in der Nähe des frischen Wasserstromes nicht selten zu bequemen und geräumigen Häfen ausdehnen. Andererseits sind aber viele Inseln, die das nicht haben, auch den größeren Schiffen vollkommen unzugänglich und nur hier und da gestatten dann tiefer liegende Korallenbänke kleineren Booten den Aus- und Eingang.

In diesen Binnenriffen wechselt die Tiefe des Wassers von oft vielen Faden bis zu der an die Oberfläche steigenden Korallen, hier der Flut die dunkelblauen Farbe des Meeres zeigend, oft auch mit seiner Tiefe und dicht daneben den lichten Korallenboden, wie mit einem Kristallglas überdeckt, aus dem die wunderlich gezackten Äste und Bäume hervorstarren und niedliche in allen Farben schillernde Fische, sich ihres sicheren Verstecks bewusst, auf und abspielen durch die wildverworrenen zackigen blumigen Massen.

Doch genug von Korallen und Riffen, um dir, lieber Leser, wenigstens einen flüchtigen Überblick gegeben zu haben, denn all die Wunder jener Welt zu beschreiben, reichen Bände nicht aus.

Der Flying Fish strich denn auch durch die gefährliche Straße rasch und glücklich. Erst einmal das tiefe ruhige Wasser des Timorsees wieder unter dem Kiel, setzten sie ihre Reise schnell und ohne weitere Abenteuer fort, passierten, mit den hohen gewaltigen Bergen Balis zur rechten, die Balistraße und erreichten, an der Nordküste Javas hinlaufend, Semarang nach einer Fahrt von fünf Wochen, seit sie die Fidschi-Inseln verlassen hatten.

Dort angelangt ging Mr. Evans, den Fritz begleiten durfte, augenblicklich an Land, in eines der holländischen Hotels, wo sich Fritz plötzlich in eine neue, nie geahnte Welt versetzt fand. An wirklichen Luxus, ja nur die größeren Bequemlichkeiten des Lebens nie gewohnt, sah er sich hier zum ersten Mal wie mit einem Zauberschlag in einen Zustand versetzt, der für ihn etwas vollkommen märchenhaftes hatte.

Als Weißer schon war er diesem Gemisch von Malaien und Chinesen in deren, von Kindheit aus daran gewöhnten Augen, ein höher stehendes Wesen, der Dienstleistungen, die er bis dahin und mit dem besten Willen von der Welt für andere verrichtet hatte, fand er sich hier nicht allein vollkommen überhoben, sondern vier oder fünf farbige Diener jeden Augenblick bereit, sie für ihn selber zu tun. Den ersten Tag hatte das Ganze den doppelten Reiz der Neuheit, dem er sich mit voller Lust hingab, ja in dem er die einzeln selbst schärfer hervortretenden Züge nicht einmal zu fassen und herauszuheben vermochte. Das Ganze umschwirrte ihn in einem tollen Gewirr von Sprachen und Gestalten, wozu es in der Tat Wochen bedurfte, sie voneinander zu trennen und der Wirklichkeit wieder einzuverleiben. Aber schon nach dem ersten Tag fing ihm die knechtische Dienstfertigkeit der Malaien an, lästig zu werden. Er versagte sich manches, das zu erlangen ihm nur ein Wort gekostet hätte, um nicht gleich vier oder fünf Menschen danach stürzen zu sehen, seine Befehle auszuführen.

Denkwürdig kamen ihm die Chinesen vor, mit ihren weiten kurzen baumwollenen Hosen und Jacken, den kahlen Köpfen und langen Zöpfen, mit ihren klumpigen Schuhen und schräg geschnittenen, aber gar verschmitzt schauenden Augen. Überall, wohin er sah, begegnete seinem Blick diese geschäftige, tätige unermüdliche Rasse. Hier waren sie Kaufleute, die in den wunderlich verzierten Buden standen und dem halb unfreiwilligen Käufer aufschwatzten, was er nicht gebrauchen konnte, dort Schmiede, Schneider und Schuster, die in ihren Werkstätten bis an den Gürtel nackt standen oder saßen und Hammer oder Nähnadel mit unermüdlichem Fleiß ihre Dienste verrichteten. Dort fand er sie als Bäcker, da als Feuerwerker, hier als Krämer mit schweren, auf einem über die Schulter liegenden Stock balancierten Körben die Straßen durchziehend, als Spieler und Opiumhändler, als Schauspieler in hohen Bambusbuden, kurz als alles, was sich nur im Leben und Treiben unserer Welt denken ließ – aber nie müßig, nie faul.

Lange Zeit wurde Fritz aber nicht gewährt, sich in der Stadt umzusehen, denn Mr. Evans hatte durch die Einladung eines bedeutenden Kaffeepflanzers im Inneren eine vortreffliche Gelegenheit bekommen, in den Bergen zu jagen. Die wollte er sich ungern entgehen lassen. Fritz durfte ihn dorthin begleiten.

Das Reisen in Java ist gar bequem. In weicher Cidomo, von schnellen, wenn auch kleinen Ponys im Galopp dahingezogen, sieht man die wundervolle Szenerie dieses schönen Landes mit Windeseile an sich vorüberfliegen. Alle fünf Paal etwa (der Paal nicht ganz eine englische Meile) ist eine Poststation, wo die Tiere gewechselt werden. Ohne Aufenthalt, denn die malaiischen Diener stehen schon mit den aufgeschirrten Pferden unter dem an solchen Stationen angebrachten Portal bereit, die Stelle der ausgespannten augenblicklich wieder zu ersetzen, rasselt der in bequemen Federn hängende Wagen die herrliche breite Poststraße entlang.

Die Holländer wissen, wie man sich alles auf der Welt bequem macht. Andere Nationen könnten sich darin wohl ein Beispiel nehmen – wenn es überhaupt nötig wäre, dass man den Körper, mit Vermeidung selbst der geringsten Anstrengung, so sehr verweichlicht.