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Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande 12

Friedrich Gerstäcker
Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Kapitel 12

Ein Besuch auf den Tonga Inseln und wie Fritz seinen Naturforscher gegen einen Häuptling auswechselte

Die entsetzliche Aufregung der vorigen Stunden war aber für die ohne dies angegriffene Natur des Knaben zu viel gewesen. Er bekam ein hitziges Fieber und lag einige Wochen zwischen Leben und Sterben an Bord des Dampfers, wo ihm jedoch jede nur mögliche Pflege zugutekam. Seine gute Natur siegte endlich über die Schwäche des Körpers. Im balsamischen Klima jener Zone trug die Luft ebenfalls das ihre dazu bei. Er erholte sich endlich zwar langsam, aber doch vollständig wieder.

Als er nun so weit war, ohne Gefahr eines Rückfalles an ihn gerichtete Fragen zu beantworten und die vergangenen Bilder seines Gott sei Dank überstandenen Leids vor seinem inneren Geist heraufbeschwören zu können, musste er dem Kapitän des Dampfers einen treuen Bericht über den Charakter des geheimnisvollen Schoners abstatten. Er tat das so genau und umständlich, wie er es selber imstande war.

Er erfuhr auch, dass ein Boot mit fünf Mann wirklich zwischen die Riffe entkommen sei, trotz den ausgesandten Booten, die tagelang darauf verwandten, die Flüchtigen einzufangen. Möglich schien es übrigens auch, dass es später doch in den Riffen verunglückt war, denn die Leute des Kriegsschiffes hatten die Trümmer eines Bootes zwischen den kleinen Koralleninseln treiben sehen.

Fritz war nun wie neugeboren. Obgleich ihm aber der Kapitän freundlich anbot, ihn bei sich an Bord ebenfalls als Steward zu behalten, bis er ihn einmal später nach England oder Amerika mit zurücknehmen könne, hatte er das Leben auf dem Wasser durch den gezwungenen furchtbaren Aufenthalt an Bord des Piraten doch so satt bekommen, dass er dringend bat, ihn an der ersten europäischen Ansiedlung, die sie berühren würden, an Land zu setzen.

Der Kapitän des Dampfers sagte ihm das gern zu, versicherte ihm aber auch, dass der Platz noch ziemlich fern liege, da er gerade erst vor wenigen Wochen Kohlen in Valparaiso eingenommen habe und nun direkt nach den indischen Besitzungen bestimmt sei, die er sobald als möglich zu erreichen wünsche. Der einzige Platz, wo er unterwegs anzulegen habe, sei Java, um dort Depeschen für das englische Konsulat abzuliefern. Dort wolle er ihn lassen und da finde er ja auch Landsleute genug, die sich auf seine eigene Empfehlung hin seiner annehmen würden.

Fritz hatte weiter keine Wahl wie eine Fahrt nach Indien, fand aber auch bald, dass er in keiner Hinsicht zu bereuen habe, an Bord des Flying Fish, wie der Dampfer hieß, gekommen zu sein, denn nicht allein, dass er von der ganzen Mannschaft, die mit gespanntem Interesse und manchem leise gemurmelten oder laut ausgestoßenen Fluch seinen Erzählungen vom Bord des Piraten lauschte, auf das freundlichste behandelt wurde, sondern er machte hier auch noch eine ebenso angenehme, wie ihm nützliche Bekanntschaft.

An Bord des Flying Fish befand sich nämlich ein Naturforscher, der mit Empfehlung der englischen Regierung Passage nach Semarang auf Java bekommen hatte, um dort eine Zeit lang im Innern umherzureisen und Sammlungen zu machen. Dieser gewann den Knaben mit seinem offenen treuherzigen Wesen bald so lieb, dass er ihn aufforderte, bei ihm zu bleiben. Fritz selber fühlte sich zu dem kleinen dünnen Männchen, das ganz prächtig zu erzählen wusste und schon unendlich viel in der Welt gesehen hatte, hingezogen. Schon nach kurzer Zeit waren sie so vertraut miteinander geworden, dass Fritz ihm seine ganze Lebensgeschichte – einfach genug bis zu dem letzten Jahr – erzählt hatte. Da sein treues blaues Auge dabei der beste Bürge der Wahrheit blieb, beschloss Mr. Evans, so hieß der Naturforscher, ihn, solange es ihm selber da gefallen würde, bei sich zu behalten.

Der Dampfer hatte währenddessen im ruhigen Wasser dieser Meere bei fast gänzlicher Windstille raschen Fortgang gemacht. Die Hitze aber, teils auch der Wunsch, die Monotonie einer so langen Reise zu unterbrechen, veranlasste den Kapitän, sich den Inseln, aus deren Bereich er bisher der vielen Riffe wegen hinausgehalten hatte, wieder etwas zu nähern, eine von ihnen anzulaufen und Früchte an Bord zu nehmen. Die Navigators-Inseln zu Steuerbord lassend, hielten sie einen West-Süd-Westkurs, sichteten bald darauf eine Insel am Horizont, die der Kapitän des Dampfers für Vava’u, die nördlichste der Freundschaftsinseln erklärte.

Die Nacht hindurch legten sie bei. Am anderen Morgen, schon vor Tag ihren Kurs wieder aufnehmend, fanden sie sich bald unweit der Riffe, wohin ihnen schon ein ganzer Schwarm von mit Leuten besetzten Kanus entgegenkam.

So gern diese Insulaner aber auch sonst wohl ein Schiff anlaufen sahen und Handel treiben mochten, kamen sie kaum nahe genug, die Räder zu erkennen, die mit furchtbarer Gewalt das Wasser peitschten, als sie auch wieder in wilder Eile an Land zurückruderten, ihre Kanus dort, als ob ihr Leben davon abhinge, ausluden, die Bank hinauf schleppten und dann selber in die Büsche flüchteten. Sie glaubten jedenfalls damit einer entsetzlichen Gefahr entgangen zu sein.

Damit war aber Kapitän Ellis nicht gedient und er beorderte ein Boot hinaus, das Kleinigkeiten für den Tauschhandel mitnahm und das Mr. Evans sowie Fritz begleiten durften. Vom Ufer aus waren sie natürlich beobachtet worden. Als aber das Boot vom Dampfer abstieß und sich der Küste näherte, wussten die Insulaner auch, dass sie von dem nichts zu fürchten hatten, kamen rasch zum Ufer wieder, um es zu empfangen. Sie sahen jetzt aber keineswegs mehr so friedlich aus als da, wo sie in ihren schwankenden Fahrzeugen standen und grüne Zweige schwenkten. Die Sache hatte sich jetzt herumgedreht. Zuerst wollten sie die Weißen besuchen und mussten deshalb deren Erlaubnis dazu einfordern und sich ihren guten Willen erwerben. Nun aber kamen die Weißen zu ihnen und sie hatten zu sagen, ob die Begegnung freundlich oder feindlich sein sollte. Das große Schiff schoss überdies fortwährend gerade in die Luft hinein (sie hielten natürlich die kleinen Röhren, durch die der Dampf der arbeitenden Maschine nach oben gelassen wurde, für eine wunderliche Art von Kanonen) und konnte ihnen auf die Art nicht viel Schaden tun.

Es war eine stattliche Menge von Kriegern, die ihre Ankunft erwartete – wilde meist fast nackte und tätowierte Gestalten mit langen mächtigen hölzernen Wurf- und Angriffslanzen, neun und zehn Fuß hohen Bogen und wohl fünf Fuß langen spitzen, oft mit Widerhaken versehenen Pfeilen; manche davon auch mit gewichtigen und wunderlich geschnitzten Kriegskeulen in der Hand und das Haupt mit Federn und Blumen geschmückt, ihrer heimischen Sitte nach. Im Anfang schien es, als ob sie den Fremden die Landung streitig machen wollten. Sie sammelten sich wenigstens dicht am Strand, wo das Boot anlaufen sollte. Die Bewegungen, die sie mit Lanzen und Keulen hinüber machten, sahen nichts weniger als freundlich und friedlich aus. In der Tat hatten sie gern mit den Weißen an Bord ihres eigenen Schiffes Handel treiben wollen, fühlten sich dagegen gar nicht geneigt, ihnen das Betreten ihrer Insel zu gestatten, da sie schon zu viel Unheil von dem Besuch der weißen Männer erfahren und wahrscheinlich nicht wünschten, derlei mutwillig selber herbeizuführen.

Der Offizier, der das Boot des Flying Fish befehligte, war nun natürlich nicht an einer Insel gelandet, deren Bewohner schon oft genug Beweise gegeben hatten, wie feindselig sie manchmal den nahenden Europäern gesinnt wären, ohne seine Leute ordentlich bewaffnet zu haben. Mit der strengen Order seines Kapitäns aber, unter keiner Bedingung unnützerweise von den Waffen Gebrauch zu machen und nur zu eigener Notwehr Blut zu vergießen, suchte er zu einer friedlichen Verständigung zu kommen. Vorn in das Boot tretend und aufrecht darin stehen bleibend, schwenkte er ein weißes Tuch als Zeichen der Freundschaft.

Die Matrosen lagen auf ihren Rudern, die Wirkung abzuwarten, die der freundliche Gruß auf die Insulaner haben würde. Zwischen diesen herrschte denn auch in der Tat plötzlich eine ganz eigentümliche Bewegung. Sie drängten untereinander hin und her. Wenn Einzelne für das Landen der Fremden sein mochten, so sprach sich ein anderer Teil doch auch wieder dagegen aus. Diese waren es hauptsächlich, die am meisten ihre Speere und Streitäxte schwangen, in der Tat einen Heidenlärm vollführten.

Da plötzlich teilte sich das Knäuel. Auf den weißen Korallensand der Landung trat die wunderlichste Menschengestalt hervor, die Fritz in seinem ganzen Leben mit Augen gesehen oder je möglich gedacht hatte. Es war einer der schlanken und kräftig gebauten Krieger der Insel, wohl einen halben Fuß fast über die übrigen ebenfalls stattlichen Männer hinausragend, als er in ihrem Kreis stand, aber auf die sonderbare Art herausstaffiert, die nur gedacht werden konnte.

Statt des Schurzes von Tapa, eines Zeugs, das die Frauen selber aus der Rinde gewisser Bäume zu verfertigen wissen, den fast alle übrigen um die Lenden trugen, war er mit beiden Beinen durch die gesprengten Armlöcher einer Weste gefahren, das Rückteil derselben nach vorn und hinten, wie sie später sahen, mit einer Reihe von blanken Messingknöpfen sorgfältig zugeknöpft. Als eine Art Harnisch hatte er aber einen Schnürleib, der Gott weiß wie, vielleicht von einem gestrandeten Schiffe, in ihre Hände gefallen war, befestigt und hinten mit Baststreifen, da es seinen Körper nicht vollständig umschloss, gebunden. Um den Hals trug er einen Hosenträger, und an einem Fuß einen Stiefel, an dem anderen einen gestickten, durch Seewasser aber arg mitgenommenen Pantoffel. Das Schönste aber und Interessanteste war sein Kopfputz, ein alter, in alle möglichen Formen hineingedrückter grauer Filzhut, in dessen überall offenen Deckel in der Mitte noch ein besonderes Loch gemacht war, das Hindurchstecken einer Anzahl Federn zu erlauben, die wie der Reiherbusch eines Helmes über ihm in der frischen Brise flatterten.

Fritz sah seinen neu gewonnenen Freund, Mr. Evans an, wäre um sein Leben gern gerade herausgeplatzt. Dieser aber, der vielleicht schon ähnliche Zeremonien erlebt haben mochte, winkte ihm sogar mit ängstlicher Miene, ruhig zu sein und ernsthaft zu bleiben, da gerade in diesem Augenblick eine Verhöhnung des Häuptlings schlimme Folgen haben könnte. Fritz mochte das auch wohl fühlen und sah vor sich nieder. Er vermochte wahrhaftig nicht zu der Figur aufzuschauen und ernsthaft zu bleiben, aber auch hier tanzte vor seinem inneren Auge die misshandelte Weste und der Schnürleib herum. Als er endlich einmal wieder einen, nur ganz flüchtigen Blick nach oben warf, wo der stolze Bursche immer noch in all seiner Pracht und Herrlichkeit stand und sich jetzt sogar umdrehte, ihnen auch die Eigenschaften seiner Persönlichkeiten von der anderen Seite vorzuführen, hielt er sich nicht länger. Erst kicherte er leise in sich hinein und dann brach sich der lang zurückgehaltene Jugendübermut die Bahn, mochte er dagegen ankämpfen, wie er wollte. Und er blieb dabei nicht ununterstützt, denn kaum hörten die Matrosen den wohlbekannten Laut, als weder Subordination noch Furcht vor späterer Gefahr sie zurückhalten konnte und ein einziges schallendes Gelächter über das Wasser tönte.

Die Insulaner fuhren im ersten Augenblick wild empor und der alte Häuptling griff die Lanze auf, die er bis dahin wie ein Gewehr auf der Schulter getragen hatte. Aber es half nichts, der Anblick war zu komisch und die Leute konnten sich nicht wieder fassen. Im Anfang wollte ihnen der Leutnant wehren und sie auf die Gefahr aufmerksam machen, der sie sich aussetzten. Aber da fiel sein Blick gerade in dem Moment auf den Wilden, als sich dieser umdrehte. Auch um seinen Ernst war es geschehen. Er lachte, dass ihm die Tränen an den Wangen herunterliefen.

Was übrigens vielleicht stundenlanges Unterhandeln nicht zuwege gebracht hätte, bahnte diese, wenn auch unfreiwillige Fröhlichkeit der Matrosen ohne Weiteres an. Die Insulaner hielten allerdings noch kurze Zeit Stand und warfen den lachenden Bleichgesichtern finstere Blicke hinüber. Ihr eigener fröhlicher leichter Sinn ließ sie aber in so munterer Gesellschaft auch nicht lange allein ernsthaft bleiben, und der Häuptling machte dabei merkwürdigerweise selbst den Anfang. Zuerst sah er bald die Weißen, bald seine eigenen Leute an, und sein Mund verzog sich zu einem immer breiteren Grinsen, die Augen wurden immer größer und weiter und zuletzt hihahate er gerade so wild und ausgelassen hinaus, wie der Argste der Seeleute, was denn natürlich bei den Insulanern ebenfalls das Signal zu ungemäßigter Freude war.

Mr. Evans war der Einzige, der ernsthaft blieb, erklärte das aber später als in Folge einer spröden Lippe, an der er die frisch geheilte Haut nicht hatte wieder sprengen wollen.

Die erst noch so wilden Krieger stellten nun, als ob durch dieses kleine Intermezzo jeder weiteren Zeremonie genüge geleistet wäre, ihre Waffen rasch beiseite. Während ein Teil von ihnen in das Wasser sprang, das Boot näher zum Strand zu ziehen, eilten andere zurück, die schon vorher an das Ufer gebrachten Früchte, Bananen, Ananas, Papayas, Kokosnüsse, Brotfrucht und Orangen herbeizuholen und einen Handel mit den Fremden zu beginnen.

Der alte Häuptling spielte dabei eine sehr hervorragende Rolle, denn er bestimmte nicht allein die Preise der Früchte, sondern auch den Wert der zum Tausch gebrachten Artikel. Sein Urteilsspruch war vollkommen maßgebend. Was er sagte, galt, die Fremden mochten dagegen protestieren, soviel sie wollten. Mr. Evans allein, der etwas von der Sprache dieser Stämme verstand, schien einigen Einfluss auf sie auszuüben. Es gefiel ihnen ungemein, dass ein Weißer die Sachen ebenso bei Namen nannte wie sie selber. Wenn er auch nichts an den Preisen für die Mannschaft ändern konnte, beluden sie ihn selber doch mit Geschenken. So brachten sie unter anderem auch eine große Kalebasse mit Tamarinden gefüllt, die er leidenschaftlich gern aß. Als er dem Häuptling dafür aus Dankbarkeit sein Taschenmesser und einen Uhrschlüssel schenkte, fühlte sich dieser dadurch so gerührt, dass er ihm um den Hals fiel und als Zeichen innigster Freundschaft Nasen mit ihm rieb.

Es ist dies eine, in allen Inseln der Südsee angenommene Sitte, die innigste herzlichste Begrüßungsformel, ganz unserem Kuss gleichkommend, die nur zwei Wesen gegeneinander ausüben können, wenn sie sich anfassen und mit inniger Rührung in den Zügen ihre Nasen aneinanderreiben. Mr. Evans musste sich denn auch, während er noch in dem linken Arm die große Kalebasse mit den Tamarinden hielt, wohl oder übel dieser Zeremonie unterziehen und tat das wirklich mit einem Gesicht, das hier schwer zu beschreiben wäre, die Mannschaft aber wieder einem Lachkrampf auszusetzen drohte.

Diesmal aber nahm es der alte Häuptling übel. Ein paar weggeworfene Orangen, die neben ihm auf der Erde lagen, aufgreifend, schleuderte er sie mit merkwürdiger Sicherheit und vortrefflichem Erfolg nach den Köpfen der Ausgelassensten und befahl ihnen in Zeichen, die sie nicht gut missverstehen konnten, mit lauter drohender Stimme, augenblicklich in ihr Boot zurückzukehren.

Überdies mit dem Fruchthandel so ziemlich im Reinen war der Leutnant gern damit zufrieden, sich wieder einzuschiffen, denn die umstehenden Eingebornen fingen auch an, zudringlicher zu werden und hatten schon mehrfach den Versuch gemacht, einzelne Kleinigkeiten den Matrosen unter den Händen fortzustehlen. Hier aber zeigte sich eine, und zwar ganz unvorhergesehene Schwierigkeit. Der Häuptling Te-ta-i-ta, wie er von den Insulanern mehrmals genannt wurde, hatte ganz urplötzlich eine solche Zuneigung zu dem kleinen dürren Naturforscher gefasst, den er, wie er versicherte, zu seinem Arzt und Zauberer machen wollte, dass er erklärte, das Boot könne, so schnell es wolle, wieder zu dem Schiff zurückfahren, aber die alten matabooles oder Räte hätten bestimmt (und kein Mensch weiter hatte ein Wort gesagt), dass das kleine Bleichgesicht ihr Zauberer werden solle und Taaroa Tuhono (einer ihrer Hauptgötter der Medizin) selber habe ihn an diese Küste geführt, an der er jetzt ein großer Mann und ein Häuptling werden würde.

So schmeichelhaft das Ganze nun auch für den kleinen Naturforscher sein mochte, so wenig zeigte er sich selber damit einverstanden. In der Tat hatte er die verräterischen Eingeborenen weit eher in Verdacht, ihn trotz seiner Magerkeit braten zu wollen, als zu einem Zauberer zu machen – das Erstere überdies leichter als das Letztere – denn wer kennt den Geschmack solcher Leute, die manchmal vielleicht lieber Knochen und Knorpel als fettes Fleisch mögen.

Der Leutnant lachte im Anfang bei der Idee, denn er glaubte, der alte Häuptling mache sich einen kleinen Spaß. Te-ta-i-ta schien hierbei aber gar nicht zum Spaßen aufgelegt, befahl zweien seiner Leute, sich des weißen Doktors zu versichern, und winkte dann den Fremden in ihr Boot zu steigen. Die Indianer selber nahmen zu gleicher Zeit wieder eine drohende Miene an, griffen ihre langen Speere, Bogen und Pfeile auf und schüttelten ihre Kriegskeulen in einer nichts weniger als freundlichen Art. Es schien fast, als ob sie kaum noch zurückgehalten werden konnten, über die Europäer herzufallen. Der Offizier musste, so gern er auch Feindseligkeiten vermeiden wollte, auf ihre eigene Sicherheit denken.

Sein rasch gegebener Befehl veränderte plötzlich den Schauplatz an Land. Zwei der Leute – der Bootsmann mit einem der Matrosen und alle gut bewaffnet – mussten im Boot bleiben, die anderen sprangen alle in das kaum knietiefe Wasser und wateten zum Ufer, wo sie sich, das Gewehr im Arm, in zwei Reihen still und schweigend aufstellten. Es waren raue wilde Gestalten, die Seeleute in ihren ungezwungenen, aber trotzigen Stellungen neben einer kleinen Abteilung steifer Marinesoldaten, die als Schutz des Bootes mit herübergekommen waren. Plötzlich wurde der gegebene Befehl ausgeführt, dass die Insulaner am Anfang wirklich glaubten, die Fremden hätten Feindseligkeiten begonnen. Zwei Pfeile schwirrten schon zu ihnen herüber, von denen der eine vor ihnen in die Erde fuhr und der andere am Schloss einer Muskete abprallte. Zugleich zogen sie sich aber auch, den Naturforscher jedoch in ihrer Mitte haltend – Mr. Evans hatte die Kalebasse mit Tamarinden noch immer nicht losgelassen – während Te-ta-i-ta aus der Schar der Seinen vorsprang und mit großen Schritten vor ihnen auf und ab stolzierend, anfing eine lange Rede zu halten, in der er sich wahrscheinlich ein Loblied sang und die Europäer verhöhnte.

Fritz war der Einzige, der noch mit ihm auf dem Zwischenraum, zwar ganz unbeachtet zurückgeblieben war. Unschlüssig, ob er seinem neu gewonnenen Freund auch zu den Insulanern folgen oder sich unter den Schutz der Matrosen stellen solle, kauerte er noch auf der alten Stelle und blickte zweifelnd bald nach der einen, bald nach der anderen Seite. Die Wilden zogen sich aber in der Tat immer weiter mit ihrem Gefangenen zurück. Te-ta-i-ta schien, die Weißen verhöhnend, einen Kriegstanz ganz allein und nicht fünf Schritt von dem Knaben entfernt, ausführen zu wollen. Er sah diesen natürlich. Da er aber vollkommen unbewaffnet auf der Erde kauerte, hielt er es weit unter seiner Würde, ihn mehr als eines flüchtigen Blickes zu würdigen.

»Meine Burschen«, sagte der Offizier zu den Leuten, »es wird uns nichts übrig bleiben, als einen Angriff zu machen. Sie schleppen uns den kleinen Mann wahrhaftig mit fort, und wir dürfen das nicht leiden – aber schießt nicht, bis ich kommandiere – fällts Gewehr!«

Nach dem Kommando, wenn auch nicht gerade in einem Schlag, fällten die Leute ihre Musketen mit den aufgesteckten Bajonetten. Te-ta-i-ta hielt bei dem Klang der Waffen in seinem Tanz einen Moment ein und blieb, mit etwas gespreizten Beinen den Rücken gerade nach Fritz zugedreht, lauschend stehen. Wie ein Blitz durchzuckte diesen da der Gedanke, das sei der richtige Moment, einen Handstreich auszuführen. Im Nu, ehe weder die Matrosen noch die Insulaner, am wenigsten aber Te-ta-i-ta ahnen konnte, was er beabsichtige, schnellte er empor. Sein ganzes Gewicht in den Sprung werfend flog er mit dem Kopf, dicht unter der zugeknöpften Weste hin, zwischen den Beinen des Häuptlings durch, die er zu gleicher Zeit fasste und emporhob.

Die Wirkung war zauberschnell, denn die Arme mit einem Ruck emporwerfend, bekam der, auf solche Art an der Kehrseite angegriffene Häuptling das Übergewicht und schlug in dem Augenblick in seiner vollen Länge rückwärts über den Knaben hin, als der Leutnant diesen Vorteil rasch ergreifend »Vorwärts!« kommandierte. Ehe sich die Wilden zum Ansprung sammeln konnten, befand sich Te-ta-i-ta in der Gewalt der Bleichgesichter. Rasch wieder emporgehoben verhinderte er sogar durch seinen eigenen Körper, dass sie nicht einen Pfeil- und Speerregen, der den Alten vor allen anderen hätte treffen können, nach ihnen hinüber sandten.

Die ganze Sache hatte aber dadurch eine so plötzliche Wendung genommen, dass die Eingeborenen erst wirklich in Zweifel schienen, ob sie sich nicht lieber mit ihrem Gefangenen zurückziehen wollten. Ob aber nun der alte Häuptling zu zweifeln anfing, dass Taaroa Tuhono selbst den kleinen Mann zu ihrem eigenen Nutz und Frommen hierher gesandt hatte oder ob er der Insel nicht den ganzen Vorteil allein lassen wollte, während er, ohne etwas davon zu haben, als Geisel fortgeschleppt wurde. Kurz, sein Ruf, ein scharfer, gellender Aufschrei, bannte plötzlich die Krieger auf ihren Platz. Nach einigen herüber- und hinübergewechselten Ausrufungen kam endlich eine kleine Deputation von Unbewaffneten, welche den Naturforscher mit seiner Kalebasse, zugleich aber auch noch mit einer ganzen Partie von Früchten und prächtig geschnitzten Waffen und sonstigen Schmuck den Europäern vorführte.

Der Leutnant trat auf sie zu, jedoch nicht außer dem Bereich der Bajonette, nahm den kleinen Mann bei der Hand und winkte dann seinen Leuten, den Häuptling freizulassen, wies aber zugleich die übrigen Früchte und Waffen zurück, weil er glaubte, die Wilden wollten damit einen neuen Tauschhandel beginnen. Diese weigerten sich jedoch hartnäckig, sie wieder mit zurückzunehmen. Da die Weißen gar nicht begreifen konnten, woher diese unerwartete Großmut auf einmal komme, musste Mr. Evans selber den Dolmetscher machen, der sich die Sache erst zweimal von den Insulanern auseinandersetzen ließ und dann immer noch nicht mit der Sprache heraus wollte, obgleich man ihm ansehen konnte, dass er verstanden habe, was sie meinten. Endlich musste er aber beichten. Wieder brachen die Weißen in ein schallendes Gelächter aus, als Mr Evans mit einem etwas verlegenen Gesicht ihnen erzählte, die roten Halunken hielten es unter ihrer Würde, einen so großen Häuptling gegen einen so kleinen unbedeutenden Weißen gleich und gleich einzutauschen, und betrachteten die beiliegenden Sachen nicht etwa als ein Geschenk, sondern als den Europäern rechtmäßig zustehendes Draufgeld. Soviel wäre der Indianer wenigstens mehr wert.

Von Bord des Dampfers aus hatte der Kapitän mit seinem Teleskop die drohenden Bewegungen der Insulaner wohl bemerkt, schickte indessen noch ein bewaffnetes Boot ab, dem ersten, falls es nötig werden sollte, beizustehen. Der Leutnant, der das Draufgeld auf den Naturforscher durch die Insulaner selber zum Boot schaffen ließ, zog sich langsam dorthin zurück. Das Boot wurde dann flott gemacht und die Mannschaft watete damit ein Stück hinaus in tieferes Wasser, wo erst die eine Hälfte einstieg und ihre Waffen in Ordnung brachte, während die andere noch weiter damit in See ging, dann, als die erste ihre Bewegung deckte, nachfolgte. Die Marinesoldaten blieben dabei aufrecht stehen, während die Matrosen wieder zu den Riemen griffen. Fünf Minuten später waren sie aus dem Bereich jedes Pfeiles, hätten die Insulaner noch überhaupt böse Absichten gegen sie gehabt.

Diese aber standen am Ufer, tanzten und sprangen. Allen voran prangte Te-ta-i-ta in all seiner Herrlichkeit, den Korallensand stampfend mit den nackten Füßen und die Keule schwingend, dass die Federn in seinem Hut hin und her schwankten und flatterten.