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Der Freibeuter – Eine Frau von Ehre

Der Freibeuter
Erster Teil
Kapitel 19

Die kleine Gesellschaft trat ein und sah sich bald in der Schenk- und Barbierstube der belobten Witwe. An einigen Tischen saß männliche Gesellschaft, ein Schlag Menschen, die weder Zutrauen für sich, noch für die Wirtin einzuflößen imstande waren. Sie unterhielten sich mit Würfel und Karte, und der vor ihnen dampfende Punsch zeigte zur Genüge, was ihr Geschmack war. Flaxmann hatte die Szene kaum überblickt, als er sehr lebhaft an die edle Versammlung im Kaffeehaus vor dem Dammtor in Hamburg erinnert wurde, ja er glaubte für den ersten Augenblick dieselben Gesichter zu sehen, welche ihn dort umgeben hatten, und ein ängstliches Gefühl überkam seine Seele. Die schauerlichen Erlebnisse jener wüsten Nacht und jenes grauenvollen Tags, wo er im Spiel seine letzte Habe verloren, wo ihn Liebeswahnsinn, Verzweiflung und die nichtswürdige List seiner Umgebung zu einem schrecklichen Schritt getrieben hatten, zogen in düsteren Schattenbildern rasch an seinem inneren Auge vorüber. Es gemahnte ihn wie ein Traum, dass der Gegenstand seiner glühendsten Wünsche, das reizende Ziel seines kochenden Rachegefühls, die eigentliche Ursache jenes verzweifelten Schrittes nun neben ihm stand, nicht mehr von ihm begehrt, nicht ersehnt, sondern freiwillig von seinen Wünschen aufgegeben, die nun weit flatterten nach einem anderen Gegenstand einer neuen heißen Sehnsucht. Aus diesem träumerischen Brüten schreckte ihn der Blick eines der Spieler. Der Kerl glotzte ihn an, und Flaxmann war überzeugt, dass dieser verwegen aussehende Mensch bei seiner Anwerbung zur dänischen Fahne in Hamburg gegenwärtig gewesen sein müsse.

Unterdessen hatte Juel sein Gesuch bei der Wirtin vorgebracht. Eine lange hagere Frau von schwärzlichem Teint, den Kopf gebückt vorwärts tragend, trat ihnen entgegen. Ihr langes eingefallenes Gesicht erhielt durch eine auf ihrer langen höckrigen Nase sitzende sehr unförmliche und unschimmere Brille durch und über welche ihre kleinen schwarzen Augen argwöhnisch lugten, und durch die unordentlich unter der schmutzigen ledernen Haube in Stirn und Schläfe hereinhängenden halb schwarzen, halb grauen Haare einen abschreckenden Ausdruck.

Juel hatte mit geläufiger Zunge den höflichen Gruß von Meister Habermann vorgebracht und das Begehr der Fremden genannt.

»Danke, danke schön, mein Puttchen, danke für die Ehre«, schmunzelte Frau Ankarfield, und klopfte den Jungen mit ihren langen dunkelbraunen knöchernen Händen auf die blühenden Wangen. »Meister Habermann ist ein Ehrenmann, denn er weiß andere Ehrenleute zu schätzen. Unsereins hat auch feine Ambition. Er ist ein guter Freund meines seligen Mannes gewesen und hat mir immer viel Ehre angetan.

Danke, danke schön, für die große Ehre von Meister Habermann! Er wird mich doch morgen besuchen, mein Söhnchen?«

»Ganz gewiss, sehr ehrenwerte Frau Ankarfield, wird er das. Ich hatte vergessen, Euch seinen baldigen Besuch anzusagen.«

»Sehr viel Ehre, lieber Junge.«

»Ehre, dem Ehre gebührt«, versetzte der schelmische Knabe, der die schwache Seite der Barbierwitwe kannte.

»Komm, mein Scheckchen und labe dich an einem Glas Punsch. Du bist verständiger, wie man nach deinem jugendlichen Aussehen schließen möchte, und weißt jedermann seine gebührende Ehre anzutun. Eine große Seltenheit in deinen Jahren. Komm und trink, mein Schätzchen.«

»Ich werde die Ehre zu erwidern wissen, hochgeschätzte Frau Ankarfield , aber sagt mir doch gefälligst zuvor, seid Ihr gesonnen, den beiden Fremden hier ein paar Stuben in Eurem ehrenwerten Haus einzuräumen?«

»Ein Paar? Ein paar Stuben? Wie gern, lieber Junge, wenn ich nur könnte! Ein Paar kann ich nicht. Doch hör nur, kleines blauäugiges Spitzbübchen, komm, hier steht dein Punsch. Schöne Dame, setzt Euch, ich bitte, dort in den Lehnstuhl in der Ecke. Es ist gewöhnlich mein Platz. Tut mir die Ehre an, ich bitte!«

Damit schob sie Friederike in den weichen Stuhl und zog Juel an einen entfernten Tisch, ihm dort den Becher mit dem dampfenden Getränk überreichend und ihm zu gleicher Zeit vertraulich ins Ohr zischelnd.

»Sag mir doch, Hänschen, wer ist denn die prächtige Dame, die mir die Ehre antut?«

»Das ist allerdings eine große Ehre für Euer Haus, dass diese vornehme Dame darin wohnen will. Aber wer sie ist, kann ich Euch so eigentlich nicht sagen, denn ich weiß es selber nicht. Aber sowohl der Kapitän als auch alle andere graduierten Personen auf dem Schiff begegneten ihr mit der größten Ehrfurcht, und sie muss demnach von hohem Stand sein. Das sieht man ihr auch schon an Gesicht und Kleidern an. Meister Habermann ist sicherlich über sie genau unterrichtet, und sagte mir, er werde Euch morgen das Nähere schon mitteilen.«

»Morgen erst, viel Ehre!«, seufzte die Frau. »Aber wie heißt sie denn? Woher kommt sie? Wo habt ihr sie an Bord genommen? Wo will sie hin? Was will sie hier anfangen? Sag, Kind, ich bitte sich, sag an, sag an!«

»Ihr könnt glauben, wertgeschätzte Frau Ankarfield , dass ich Euch hoch verehre und alles aufbiete, Euch meine Ergebenheit an den Tag zu legen. Aber fürwahr, beim besten Willen bin ich unmöglich imstande, Euch alle Fragen zu beantworten. Was Euch zu fügen in meinen Kräften steht, sollt Ihr wissen und erfahren. Auf unserer Fregatte wurde sie gnädiges Fräulein genannt, aber ich vermute aus vielen Gründen, dass sie weit mehr ist und sich nur so titulieren ließ. An Bord haben wir sie genommen von einem dänischen Schiff, und dass sie eine Dänin ist, könnt Ihr aus der Sprache hören. Ich horchte einmal so mit halbem Ohr und da merkte ich, dass sie hier mit dem König konferieren werde.«

»Mit des Königs Majestät!«, schrie die Frau auf. »Welche erstaunliche Ehre! Unsereins hat auch seine Ambition. Nun sieh an, mein Schäfchen, die Ehre lass ich mir nicht entgehen, die Dame behalte ich im Haus. Ihre Kleider sind über die Maßen vornehm und prächtig. Sieh nur einmal den grünseidenen kurzen Überwurf mit goldenen Litzen besetzt. Was mir das für eine Ehre ist! Ich werde jetzt mit Ehre überschüttet. Es vergeht kein Tag, wo mir vornehmer Besuch nicht Ehre antut. Nun, ich weiß es auch zu schätzen. Sieh, Kindchen, eben habe ich ja fast das ganze Haus voll. Eine reiche, vornehme Dame, eben so stattlich, eben so prächtig gekleidet, hat meine große Mittelstube, die daranstoßende grüne Stube, das Hinterstübchen und die Erkerstube mit der Dachkammer inne. Das macht, sie hat noch Dienerschaft bei sich. Einen alten guten Freund und Zunftgenossen meines seligen Mannes, der hat ihr eben das Logis bei mir rekommandiert, nebst dessen Frau und Tochter und einem schmucken netten Kammerdiener obendrein. Der Kammerdiener, dort sitzt er mit am Tisch und spielt Karten, der Krauskopf. Er hat heute viel Glück im Spiel. Der Kammerdiener also, sag ich, wohnt im Erkerstübchen, der muss heraus und sich mit ins Hinterstübchen einquartieren, und oben hinein nehme ich das gnädige Fräulein. So geht’s!«

Und sogleich schritt sie mit unterwürfigen Gebärden auf Friederike zu und sagte: »Die Ehre, so Ihr mir antut, ist kein auf unfruchtbaren Boden fallendes Korn. Ich habe schon ein sehr reiches, vornehmes Fräulein im Haus, die mir viel Ehre angetan hat. Nun, unsereins hat auch seine Ambition, und ich sehe ihr alles an den Augen ab. Sie liegt nun schon vierzehn Tage bei mir und wartet auf einen Seekapitän, der hier im Hafen einlaufen soll. Lieber Himmel, es wird wohl ihr Herzgespons sein. Der tut nicht übel, so wahr ich eine Frau bin, die kein Mensch verachtet! Sie hat das Geld in Säcken aus ihrem Wagen heben und in die große Mittelstube schaffen lassen, da liegt’s im Kleiderschrank unten. Der ganze Boden ist mit den Säcken ausgefüllt. Na, die wird eine Freude haben, in Euch Gesellschaft zu finden, und für mich ist die Ehre doppelt groß.«

Sie knickste während dieser lebhaft hervorgebrachten Worte zu verschiedenen Malen und erwischte endlich das grünseidene Jagdkleid des Fräuleins, um einen Kuss darauf zu drücken.

»Was aber soll aus meinem Begleiter werden? Der kann doch nicht mit mir in einem Zimmer wohnen«, fügte Friederike, auf Flaxmann deutend, der auf einer Bank jenem ihm wohlbekannten Spieler gegenüber Platz genommen und mit demselben eben eine Unterhaltung angeknüpft hatte.

»Nun gnädiges Fräulein«, schmunzelte die Wirtin, »es versteht sich von selbst, dass Euer Diener nicht mit Euch in einem Zimmer wohne. Er erhält hier unten in dem Hausflur unter der Treppe ein Kämmerlein. Es ist zwar neben der Küche und deshalb etwas räucherig, aber was können solche Leute mehr verlangen?«

»Jener Mann ist nicht mein Diener, gute Frau, und muss so gut wie ich in einem Zimmer wohnen.«

»Nicht Euer Diener?«, rief Frau Ankarfield erstaunt. »Er wird doch nicht gar … nun, nun, vornehme Leute haben gar oft auch Appetit zu geringer Kost und speisen zuweilen mit dem Bauer Sauerkraut und Schweinefleisch. Ich verstehe schon! Freilich in einem Zimmer könnt Ihr nicht mit dem Herrn wohnen. Das geht nicht an. Man muss sich vor nichts in der Welt mehr hüten, wie vor bösem Leumund. Da seid Ihr grade wie ich, gnädiges Fräulein. In meinen jungen Jahren hielt ich so gut auf Ehre, wie in meinen alten. Nun so alt bin ich eben noch nicht, und mein Mann pflegte gar oft zu sagen, er würde mich nie geheiratet haben, wenn ich nicht so viel Ambition gehabt hätte. Und so habe ich auch meine Kinder erzogen, die mir Gottlob alle wohl geraten sind. Der Älteste ist ein Schneidermeister und nährt sich deshalb so gut, weil er seine ganz besondere Schneiderambition hat, und wollte niemandem sein Unglück versagen, der ihm an sotane Ambition zu rühren wagte. Der Zweite ist Kammerdiener bei Seiner Gnaden, dem Herrn Freiherrn Görz von Schlitz, ganz besonderem Freund Seiner Majestät unseres großmächtigsten Königs, und ist mit seinem Herrn jetzt nach Holland gereist. Der hat erst seine Ambition, so recht wie ich. Er war ein gelernter Barbier und Friseur, hatte aber auch noch in mancherlei anderen Dingen besondere Geschicklichkeit. Mein seliger Mann sagte stets: ›Aus dem Niels wird einmal was Großes.‹ Und dann sagte ich jedes Mal: ›Von dem erleben wir die meiste Ehre.‹ Du lieber Himmel, mein Seliger hat die große Ehre noch genossen, dass Niels Kammerdiener des mächtigsten Mannes nach dem König im ganzen Schwedenreich geworden ist. Aber der Junge spricht auch schwedisch, dänisch, holländisch, englisch und französisch. In der letzteren Sprache habe ich gar manches von ihm profitiert, was mir oft gut bei meinen französischen Gästen zustattenkommt. Was er für eine besondere Ambition hat, mag Euch ein allerliebstes Verslein beweisen, welches er stets im Mund zu führen pflegt und das ich mir auch gemerkt habe, weil’s ebenfalls auf meine Ambition vortrefflich passt. Hört nur, mein gnädigstes Fräulein! Es heißt:

Adieu mon ame,
Ma vie au roi
Mo Coer aux dames,
L’honneur pour moi
.

»Ist das nicht herrlich l’honneur pour moi? … Ja, das wollt ich doch sagen. Das war’s. Seht, nun kommt meine Ebba. Die hat ebenfalls ihre Ambition, denn ihr Mann ist ein Trödler und wohnt hier gerade gegenüber, wo Ihr den Kleiderkram seht. Extra schöne Kleider, nach der neuesten Mode und für jedermann. Wenn Ihr Eurem Freund einen besseren Anzug kaufen wollt«, sagte sie leise, dem Ohr des Fräuleins näher gerückt, »so kann ich Euch meinen Schwiegersohn bestens empfehlen. Er wird Euch gut, prompt und billig bedienen. Ihr werdet wohl daran tun, gnädiges Fräulein, damit man nicht in Verlegenheit kommt, Euren Freund für Euren Diener anzusehen. Für wenige Taler werdet Ihr ihn wie einen Grafen herausputzen. ‘s ist ein hübscher Mann, er wird sich in einem besseren Kleid stattlich ausnehmen.«

»Ihr nehmt viel teil an ihm», unterbrach Friederike den Redestrom der ehrliebenden Frau, »aber ich bitte Euch, gute Frau, beweist mir zuvörderst das dadurch, dass Ihr eine Wohnung für ihn besorgt.«

»Ihr tut mir viel Ehre an, mich damit zu beauftragen. In meinem Haus habe ich aber kein Winkelchen mehr frei, wohin ich ihn stecken könnte. Aber wartet, mir fällt ein guter Gedanke ein. Wie gesagt, meine älteste Tochter drüben hat auch ihre Ambition und eine nette Stube mit Kammer hinter heraus. Sie wird sich eine Ehre daraus machen, solche Euch für ein Billiges abzutreten, zumal, wenn Ihr Euren Freund mit Kleidern aus ihres Mannes Laden verseht. Lasst mich nur machen. Ich will sogleich hinübergehen und mit ihr reden. Ihr sollt bald schöne Antwort haben.«

Damit trollte sie sich zur Tür hinaus.