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Der Totenwirt und seine Galgengäste 10

Der-Totenwirt-und-seine-GalgengästeDer Totenwirt und seine Galgengäste
Eine abenteuerliche und höchst wundersame Ritter-, Räuber-, Mörder- und Geistergeschichte aus der grauen Vorzeit, um 1860

Der Erdspiegel

»Das ist ein Erdspiegel«, sagte er, »worin nur jener Mensch etwas sehen kann, dem er von einer frommen Hand geschenkt wird. Versucht es, etwas darin zu sehen, Junker.«

»Ich sehe nichts«, erwiderte dieser nach aufmerksamer Betrachtung der schwarzen spiegelglatten Fläche.

Der Einsiedler schaute hinein, lange, sehr lange …

In fieberhafter Aufregung stand ihm Hildebert gegenüber. Die Züge des Greises wurden immer heiterer, der Puls des angstvoll harrenden Junkers schlug immer lebhafter. Endlich verhüllte Norbert den Erdspiegel wieder sorgsam, küsste das Bild des Erlösers auf dem Tuch dreimal, streckte dreimal die Hand segnend darüber aus, legte die geheimnisvolle Platte wieder in den Tabernakel und gab diesem durch eine Wendung wieder seinen früheren Stand.

»Gepriesen sei Gott im Himmel und Friede den Menschen auf Erden! Hildebert, glaubt Ihr, etwas unternehmen zu können, wozu ein größerer Mut gehört als in der blutigsten Schlacht?«

»Ich fürchte nichts als die Sünde.«

»Gut, dann enden morgen alle Schmerzen der jungen Gräfin, und spätestens in zwei Monaten wird sie wieder eine so blühende und schöne Jungfrau sein, wie zuvor.«

Hildebert stieß einen Freudenschrei aus.

»Auch noch ein anderes großes Glück ist Euch beschieden. Vollzieht aber genau, was ich Euch jetzt sagen werde.«

»Ich werde Euch pünktlich gehorchen.«

»Von mir weg reitet Ihr sogleich zum Obermeister der zwölf Eisenhammerwerke des Grafen Bardenfels. Kennt Ihr ihn?«

»Sehr gut. Der riesige Gordian muss ja alle Vierteljahre mit mir abrechnen.«

»Wisst Ihr, wo er seine Hütte hat?«

»Ja. Ich bin schon oft auf der Jagd hingekommen.«

»Gut. Sagt ihm, er soll die nötigen Anstalten treffen, dass alle seine Hammerschmiedknechte am nächsten Sonnabend wohl bewaffnet, und eures Befehles gewärtig, in seiner Abteilung nachmittags 5 Uhr versammelt seien.«

»Ich werde es tun, obgleich ich noch nicht weiß, zu welchem Zweck.«

»Ihr werdet ihn noch in dieser Nacht erfahren. Stellt Euer Ross bei ihm ein und geht dann allein fort, um bei dem Totenwirt zu übernachten.«

»Bei dem Totenwirt?«, fragte der Junker ganz erstaunt.

»Ja. Ihr fürchtet ja nichts.«

»Gewiss nicht. Wie werde ich aber in der dunklen Nacht den Weg zu diesem furchtbaren Ort finden, den ich nie sah, und dies selbst auf unseren Jagdzügen immer vermieden wurde?«

»Ein Irrlicht wird Euch leuchtend als Wegweiser vorangaukeln, das sonst einsame Wanderer in das Verderben lockt, Euch aber an das ersehnte Ziel Eures Glücks führt.«

»Wer schützt mich aber vor der Möglichkeit, das Opfer einer Zauberei zu werden?«

»Befestigt dieses Kreuz mit der Schnur an Eurem Hals, Junker, und der böse Feind wird keine Macht über Euch haben, denn es ist am Heiligen Grab geweiht worden.«

Dankend befolgte Hildebert diesen Rat.

»Und jetzt sputet Euch, Junker!«, fuhr Norbert fort, »und verzagt nicht.«

Fünf Minuten später sprengte Hildebert von dannen.