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Frederick Marryat – Die Sendung – Kapitel 9

Kapitän Frederick Marryat
Die Sendung
Umschlagzeichnung nach Originalentwürfen von Professor Honegger
Neue deutsche Ausgabe. Magdeburger Verlagsanstalt. 1915
Kapitel 9

Am Montag brachen sie mit dem Tageslicht auf und setzten ihre Reise fort, ohne übrigens rasch vorwärts zu komme, weil man die Wagen in einem weglosen Land, in welchem Schluchten und Gebirge miteinander abwechselten, nicht gut weiter schaffen konnte. Der zweite Tag war noch schwieriger. Sie mussten Bäume fällen, Löcher ausfüllen und große Felsstücke beseitigen. Aber trotz aller Vorsicht gerieten doch die Wagen oft in Unordnung und man musste haltmachen, um Ausbesserungen vorzunehmen.

Am Abend waren sie noch ungefähr vier Stunden vom Mthatha entfernt. Die Berichte der Eingeborenen machten es zweifelhaft, ob sie mit ihren Wagen bis an das Ufer desselben kommen konnten. Auch erfuhren sie, dass die Amaguibi, die unter Quitu stehende Kriegernation, welche vom Norden heruntergekommen war, von zweien der eingeborenen Stämme, denen einige Weiße mit Gewehren Beihilfe leisteten, angegriffen worden seien. Die Weißen hätten insgesamt den Tod gefunden und die feindliche Armee sei auf dem Marsch nach dem Süden begriffen.

Die eingeborenen Xhosa gerieten hierüber in einen panischen Schrecken, der sich bald auch den Khoikhoi mitteilte. Anfangs murmelten sie an ihrem Feuer und brachen zuletzt in offene Meuterei aus. Der große Adam kam mit drei anderen zum Feuer, an welchem unsere Reisenden saßen, und erklärte ihnen, dass man augenblicklich umkehren müsse, zumal sie nicht Lust hätten, auch nur einen Schritt weiter zu gehen. Wollten die Gentlemen durchaus vorwärts, so sollten sie es allein tun, denn die Khoikhoi seien nicht geneigt, sich von den herankommenden Wilden ermorden zu lassen. Swinton konnte Holländisch sprechen und erwiderte, nachdem er sich zuvor mit Alexander und dem Major beraten hatte, es fei allerdings richtig, dass sich Quitus Armee im Norden befinde, aber die Kunde von der Niederlage der Xhosa und vom Vorrücken der Armee habe sich noch nicht bestätigt. Sie sei bloßes Gerücht und könne ebenso gut falsch sein. Aber selbst wenn die Sache sich so verhalte, so folge daraus noch nicht, dass der Feind in die Richtung kommen müsse, welche sie selbst einzuschlagen gedächten. Zum Rückzug sei noch hinreichend Zeit, wenn sie sich von dem wahren Sachbestand überzeugt hätten, und dies könne spätestens im Verlauf einiger Tage geschehen. Die Khoikhoi wollten jedoch auf keine Vorstellungen hören, sondern erklärten, dass sie nicht geneigt seien, weiterzuziehen.

Inzwischen hatten sich alle übrigen Khoikhoi den ersten Sprechern angeschlossen und stellten dieselbe Forderung, indem sie erklärten, dass sie keinen Schritt weiter ziehen wollten. Nur Bremen und Swanevelt setzten sich dagegen und versicherten, dass sie ihren Herren folgen würden, wohin diese sie zu führen geneigt wären. Alexander ließ nun den Dolmetscher und den Häuptling der Xhosa-Krieger, die ihm Hinza mitgegeben hatte, kommen und Letzteren fragen, ob er mit seinen Leuten geneigt sei, ihnen zu folgen. Der Xhosa antwortete bejahend. Hinza habe sie mit dem Schutz der Fremdlinge beauftragt, und sie könnten nicht zurückkehren und sagen, sie hätten ihre Pflegebefohlenen verlassen, weil ein Feind in der Nähe gewesen sei. Wenn sie dies täten, würde Hinza sie alle töten lassen. Sie müssten deshalb die Reisenden wohlbehalten zurückbringen oder ihr Leben in Verteidigung derselben verlieren.

»Gut also«, sagte der Major, »jetzt können wir ohne diese memmenhaften Schurken auskommen, die doch zu nichts nütze sind, als zum Essen und Trinken. Wir wollen sie samt und sonders abdanken, Bremen und Swanevelt ausgenommen.«

»Ich bin mit Euch einverstanden, Major«, versetzte Alexander. »Was haltet Ihr von der Sache, Swinton?«

»Ja, wir wollen sie abdanken, denn sie geraten dadurch in eine köstliche Klemme. Natürlich lässt man ihnen die Waffen und fordert sie auf, nach Hause zu gehen. Da sie nun dies nicht wagen werden, so müssen sie bleiben. Zuerst aber wollen wir uns ihrer Musketen bemächtigen, die sie um ihr Feuer herumliegen haben, denn gutwillig werden sie die Waffen nicht ausfolgen wollen, und dann wären wir in einer schwierigen Lage. Ich will mich fortschleichen und Ihr besprecht Euch mit ihnen, bis ich zurückkehre. Wenn ich wiederkomme, sind alle Gewehre in den Magazinen eingeschlossen.«

Swinton erhob sich und der Major redete die Khoikhoi folgendermaßen an.

»Wohlan, ihr Burschen, da sind Bremen und Swanevelt, welche sich bereit erklärt haben, uns zu folgen. Auch weigern sich die Xhosa-Krieger nicht, ein Gleiches zu tun. Ihr aber, ein Häuflein von ungefähr zwanzig – ihr wollt euch sträuben? Nein, ich kann mir nicht denken, dass ihr uns verlassen wollt, denn ihr wisst, dass wir euch gut behandelt und euch reichlich Tabak gegeben haben. Auch ist euch nicht unbekannt, dass euch Züchtigung bevorsteht, sobald ihr zum Kap zurückkehrt. Warum seid ihr also so töricht? Besinnt euch! Ich bin überzeugt, ihr werdet euch eines Besseren bedenken. Lasst mich einmal deutlich und klar eure Gründe vernehmen, warum ihr nicht mit uns ziehen wollt. Ich wünsche sie noch einmal zu vernehmen, und jeder von euch soll für sich sprechen.«

Die Khoikhoi begannen ohne Zögern abermals die Gründe ihrer Weigerung vorzutragen. Der Major gewann dadurch, dass er jeden einzeln sprechen ließ, die erforderliche Zeit. Ehe sie noch ausgeredet hatten, kam Swinton zurück und nahm seinen Platz beim Feuer ein.

»Alles ist in Richtigkeit«, sagte er. »Die Gewehre von Bremen und Swanevelt sind mit den übrigen eingeschlossen.«

Unsere Reisenden hatten ihre neben sich liegen. Die Xhosa-Krieger, welche hinter den Khoikhoi standen, waren mit Assagaien bewaffnet. Ihre Schilde aber hingen wie gewöhnlich an den Seiten der Wagen. Der Major ließ die Khoikhoi ausreden und sagte sodann zu Wilmot: »Jetzt können wir den Stiel umdrehen.«

Alexander erhob sich nun mit dem Gewehr in der Hand, und der Major folgte mit Swinton seinem Beispiel. Dann erklärte Ersterer den Khoikhoi, dass sie ein Pack memmenhafter Schurken seien, die man recht gut entbehren könne, da Bremen und Swanevelt als auch die Xhosa-Krieger erklärt hätten, sie wollten bei ihnen aushalten. Wenn sie nun einmal nicht mitziehen wollten, so befehle er ihnen jetzt, das Lager augenblicklich zu verlassen, da er ihnen in Zukunft weder Nahrung noch sonst etwas reichen werde.

»Also fort mit euch – fort mit euch allen. Und wenn ihr euch noch morgen früh in der Nähe des Lagers blicken lasst – ja, wenn sich auch nur ein Einziger untersteht, uns zu folgen, so werde ich den Xhosa Befehl erteilen, den Ungehorsamen niederzustechen. Ihr seid entlassen, und morgen brechen wir ohne euch auf.«

Alexander rief dann den Häuptling der Xhosa-Krieger herbei und forderte denselben in Beisein der Khoikhoi auf, seine Krieger anzuhalten, dass sie die Nacht über dem Vieh, den Pferden und Schafen besondere Aufmerksamkeit widmen und jeden niederstechen sollten, der es versuchen sollte, ein Stück davon anzurühren.

»Tut dies augenblicklich«, fügte Alexander gegen den Häuptling bei, der sich ohne Zögern mit seinen Leuten besprach, worauf diese hingingen, um seine Befehle in Vollzug zu setzen.

Die Khoikhoi, welche alles dies mit angehört hatten, zogen sich jetzt zu ihren Wagen zurück, waren aber nicht wenig bestürzt, als sie fanden, dass man ihre Gewehre beiseitegeschafft hatte, denn durch ihre Waffen und den Schießbedarf wäre es ihnen allein möglich gewesen, sich auf dem Rückweg Nahrung und Schutz zu sichern. Sie berieten sich in gedämpfter Stimme. Als sie umschauten, bemerkten sie, dass unsere drei Reisenden das Feuer verlassen hatten und mit ihren Gewehren auf den Wagen Wache hielten, damit vonseiten der Khoikhoi kein Versuch gemacht werden könne, die Vorräte zu rauben. Außerdem hatte unmittelbar nach der Besprechung einem Befehl des Majors zufolge der Xhosa-Häuptling zehn seiner Leute mit ihren Speeren neben den Wagen aufgestellt. Die Khoikhoi sahen nun, dass sie außerstande waren, etwas anzufangen.

Wie hätten sie auch ohne Mundvorrat, ohne Waffen und Munition einen Weg von so vielen Meilen zurücklegen können? Wie konnten sie leben, wenn sie an Ort und Stelle blieben? Als sie unsere Reisenden zur Rückkehr zwingen wollten, hatten sie den Umstand ganz übersehen, dass sich diese mit den Xhosa-Kriegern schützen konnten, und dass sie selbst durchaus nicht in der Lage waren, ihrem Ansinnen Nachdruck zu geben.

Nach langer Beratung taten sie, was die Khoikhoi in allen Fällen zu tun pflegen – sie legten sich beim Feuer nieder und schliefen ein. Sobald sich Swinton überzeugt hatte, dass sie wirklich schliefen, machte er seinen beiden Freunden den Vorschlag, selbst auch zur Ruhe zu gehen und die Wache den Xhosa zu überlassen, was denn auch geschah. Denn sie wussten wohl, dass ein Khoikhoi, wenn er einmal eingeschlafen ist, sich nicht leicht wieder wecken lässt, selbst wenn es sich um Verrat, List und Beute handelt.

Kurz nach Tagesanbruch kam Bremen mit der Nachricht, er habe gefunden, dass die Wagen nicht weitergehen könnten. Er sei vorausgegangen und habe die Entdeckung gemacht, dass etwa eine Viertelstunde vor ihnen eine Schlucht liege, die nur mit Schwierigkeit dem Vieh Übergang gestatte, den Wagen aber ein unüberwindbares Hindernis in den Weg lege. Eine Stunde weiter unten habe er den Fluss sehen können. Aber auch dieser sei so in Felsen eingebettet, dass an ein Weiterbringen der Wagen nicht zu denken sei.

Der Major machte sich augenblicklich mit Bremen auf den Weg, um sich von der Wahrheit dieser Angabe zu überzeugen, und kehrte mit der Erklärung zurück, dass die Wagen nicht weitergeschafft werden könnten.

»Dann müssen wir Kriegsrat halten«, sagte Swinton. »Ihr geht natürlich vorwärts, Wilmot. Dies ist ausgemacht. Wir müssen jetzt zu Pferde weiter. Es handelt sich nur noch um die Frage, welche Streitkraft wollt Ihr mitnehmen, und wen wollen wir als Wache bei den Wagen zurücklassen?«

»Ich denke, wir können auf die Xhosa bauen. Meint Ihr nicht?«

»Allerdings. Aber es wäre mir ungemein lieb, wenn die Khoikhoi sich nicht empört hätten. Sie sind zwar in mancher Hinsicht feige Tröpfe, halten sich aber doch, wenn sie ihre Musketen in der Hand haben, wacker, und können die Eingeborenen zur Ordnung verweisen.«

»Der Inhalt unserer Wagen könnte den Xhosa zur Versuchung werden. Bei den Khoikhoi wäre dies nicht zu befürchten, da ihnen bloß darum zu tun ist, wohlbehalten zurückzukommen und ihren Lohn zu erhalten. Wir müssen sie also gegeneinander ausspielen.«

»Da kommt das ganze Khoikhoi-Gesindel heran«, sagte der Major. »Ich hoffe, sie haben im Sinn, sich zu unterwerfen. Es ist sehr wünschenswert, dass dies geschehe, ehe sie von der Notwendigkeit, die Wagen hier zu lassen, unterrichtet sind.«

Die Vermutung des Majors erwies sich als richtig. Die Khoikhoi hatten die Sache abermals besprochen und die Hilflosigkeit ihrer Lage eingesehen, weshalb sie in Scharen erschienen, um sich Verzeihung zu erbitten und gegenüber unseren Reisenden zu erklären, dass sie bereit wären, denselben überall hin zu folgen.

Alexander zögerte lange, ehe er eine Geneigtheit blicken ließ, sie wieder anzunehmen, und schien sich erst dann zu erweichen, nachdem sie Versprechungen gemacht hatten. Swinton legte ein Fürwort für sie ein, und endlich erklärte Alexander, er wolle ihr meuterisches Betragen übersehen, wenn sie sich künftig wohl verhielten. Nachdem die Sache in dieser befriedigenden Weise abgetan war, wurde die frühere Frage wieder aufgenommen.

»Ich fürchte, einer von Euch muss bei den Wagen bleiben«, bemerkte Alexander. »Oder habt etwa Ihr beide Lust dazu? Ich habe kein Recht, von Euch zu verlangen, dass Ihr mich auf jede Wildgansjagd begleitet und Euch für nichts und wieder nichts in Gefahr setzt.«

»Es ist allerdings sehr nötig, dass einer bei den Wagen bleibt«, versetzte Swinton, »und ich halte den Major für die passendste Person, wenn er anders nichts dagegen einzuwenden hat. Das zurückbleibende Häuflein muss sich mit seinen Gewehren selbst verköstigen, und es wird mehr militärischen Taktes bedürfen, als ich besitze, nun die geeigneten Anordnungen zu treffen und die Wagen zu verteidigen. Ich will Euch begleiten, Wilmot, da ich besser Holländisch sprechen kann und der Dolmetscher nicht gut ohne mich fortkommen wird.«

»Wollt Ihr die Güte haben, in meiner Abwesenheit für die Wagen Sorge zu tragen, Major?«

»Es wird wohl das Beste sein, obschon ich lieber mit Euch gezogen wäre«, versetzte der Major. »Ich denke, Ihr solltet dreißig Xhosa, Bremen und acht Khoikhoi mit Euch nehmen. Mir überlasst Ihr Swanevelt und die übrigen Khoikhoi.«

»Ganz recht. Wir wollen außerdem auch den Xhosa-Häuptling an Euch abtreten.«

»Nein, er muss mit dem größten Teil seines Trupps gehen und kann nicht wohl von ihm getrennt werden. Ich will einen passenden Platz für die Wagen aussuchen und denselben mit einer regelmäßigen Stockade versehen. Das gibt hübsche Arbeit für die Khoikhoi, und ich wette, man soll mir nichts anhaben können.«

»Den jungen Buschmann kann ich Euch nicht lassen, Major«, sagte Swinton, »denn da wir vier Pferde mitnehmen, so wünsche ich, dass Omrah eines derselben reite und uns bediene. Euch bleibt ja Euer Mahomed.«

»Wenn Ihr wollt, könnt Ihr meinetwegen Begum das vierte Tier reiten lassen«, versetzte der Major; »dann hat jeder von Euch seinen Reitknecht.«

»Nein, nein, es wäre schade, Euch und sie zu trennen. Wir haben übrigens keine Zeit zu verlieren, denn wenn dieser große Häuptling und Krieger Quitu vorrückt, dürfen wir uns wohl auf einen Rückzug gefasst halten. Je früher wir aufbrechen, desto früher sind wir wieder hier. Also aufgepackt!«