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Sagen- und Märchengestalten – Die Pugen

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Die Pugen

Unter den boshaften Werken, die den Hausgeistern schuldgegeben wurden, war auch der Weichselzopf, eigentlich Wichtel- oder Gütchenzopf genannt.

In stiller Nacht, wenn Tier und Menschen ruhten, schlichen die schalkhaften Kobolde durch Stall und Schlafkammer, ließen sich unhörbar nieder und flochten den Tieren Schwanz und Mähne, den Menschen das Haupthaar zu einer unentwirrbaren filzigen Masse zusammen. Und die Geistergewalt wirkte so stark auf das garstige Geschlecht, dass die Zöpfe, wenn sie auch gleich abgeschnitten wurden, sich doch immer von Neuem am Kopf erzeugten. Ja selbst die abgetrennten Haare wuchsen fort und entzogen demjenigen Saft und Kraft, dem sie einst angehört hatten.

Diese Dämonen nannte man Gutichen, Gütchen, Erdmännchen, Wichteln, Hellekäpplein. Bald sollten sie ihren Ursprung dem unterirdischen Geisterreich entlehnen, bald mit Schwert oder Dolch in Brust und Rücken Zeugnis geben der schmählichen Ermordung ihres einstigen leiblichen Daseins, die sie nicht zur Ruhe kommen ließ. Andere noch sahen in ihnen irregehende Schatten der Gestorbenen, deren Seelenzustand sich in guten und schalkhaften oder geradezu bösen Taten offenbarte, zur Warnung und zum Schrecken des lebenden Geschlechtes.

Dem Menschenauge selten sichtbar, huschte das Graumännlein um Haus und Scheune und verschwand in den mütterlichen Boden, aus dem es entsprossen war. Es kam, um die Wirtschaft zu ordnen. Den Rechtschaffenen stand es mit Rat und Tat bei, die Bösen schreckte es, Verzweifelnden reichte es nicht selten die rettende Hand. Kluge Äuglein leuchteten ihm aus dem verwitterten uralten Antlitz, das ein graues Käpplein beschatten.

Im roten, spitzen Mützchen auf dem dicken Wackelkopf, die langen dürren Arme in die graue Zwillichjacke begraben, die Beinchen mit den seinem geschlechtseigenen roten Strümpfen bekleidet, lief der lustige Niss Puck zur Nachtzeit behänd umher auf Korn- und Futterböden, in denen er sich ein weiches Grübchen zum Ruhen gebildet hatte. Aus dem dunklen Winkel glühten seine Augen feurig hervor, allein er selbst war kalt anzufühlen. In den Niederlanden war der Glaube verbreitet, Hände und Angesicht des Kobolds seien grün.

Das Klopferle, welches an die Türen und bei Nacht auch an die Bettwand, um die Schläfer zu schrecken, anpocht, ist unsichtbar oder höchstens einem Schatten gleich.

Wirkliche Poltergeister werden die Kinder, welche Steine schleudern, das Hausgerät ins Feuer werfen oder gar den Leuten das Haus über dem Kopf anzünden. Daher sagt man: »Es geht Holter de Polter!«, um das Toben der ausgelassenen Geister zu bezeichnen.

Ein solches böses Poppele begegnete einst in Gestalt eines Wanderers einem Müller, als dieser nachts auf seinem hübschen Wägelchen heimkehrte, und bat demütig, eine Strecke mitgenommen zu werden. Der Weg führte durch einen Wald, und die zwei fuhren schweigend eine Weile miteinander fort. Der Müller blickte verwundert um sich, denn es schien ihm, als wolle heute der Wald kein Ende nehmen. Plötzlich bemerkte er, dass die Geldkatze, die er um den Leib geschnallt hatte, leer und leicht geworden war. Sofort fiel sein Verdacht auf das Männlein, das neben ihm saß. Der Kleine erriet seine Gedanken und sprach: »Ich war es nicht, doch blickt einmal zurück. Vielleicht seht ihr etwas.« Der Müller stieg ab, strängte die Pferde los und sah mitten auf dem Weg einen blanken Taler liegen, weiter hin noch einen, dann einen dritten und so immer fort. Er lief die ganze Nacht hindurch, um sein Geld, welches der Kobold ihm zum Schabernack verstreut hatte, wieder zusammenzulesen.

Auch die Hausgeister nehmen allerlei Gestalt an, denn die Macht der Verwandlung erstreckte sich über das ganze Geisterreich. Vorzugsweise ist es die menschliche Form, die Niss Puck sich wählt, wie das Heinzelmännchen als blond gelockter Knabe am liebsten sich zeigte und das Hütchen in Bauerntracht durch Hildesheims Gassen und Gässchen schlüpfte.

Noch sieht man in Bauernhäusern am Rhein und in Hessen die Nische, in denen der Hausgeist zu sitzen pflegte oder wohin ihm die gütige Hausfrau den mit Speise gefüllten Napf zu stellen gewöhnt war. Auch zeigte er sich wohl in Tiergestalt. Nahe liegt die Verwandtschaft des kleinen Wichtes mit den Schatzdrachen, des Heinzelmannes Name schon deutet auf den Katermann oder die Katze, seine Federgestalt auf Vögel. Als er von einem Handwerker, um sich seiner zu entledigen, in einen Korb gelockt, über einen Kreuzweg getragen und dann ausgeschüttet worden war, fand ein anderer ihn an dieser Stelle als rot- und schwarz gefleckten Vogel, bunt wie eine Elster, der ohne Unterlass rief: »Ich bin herrenlos! Nimm mich mit.«

Der Mann willfahrte ihm und wurde reich.

Was dem einen lästig schien, deuchte dem anderen begehrenswert, und es gab der klugen Leute genug, welche für Geld und gute Worte Auskunft erteilten, wie die Pugen zu fangen seien. In Auerbachs Hof zu Leipzig konnte man sie kaufen. Sonst fanden die Leute sie in alten Häusern, in hölzernen Truhen, in Balken usw.

Eine Schüssel Grütze, mit Butter gekocht, am geeigneten Ort aufgestellt, lockte die Pugen herbei. Auch süße Milch schien ihnen zu behagen. Beim Melken der Kühe, beim Bierbrauen tanzten die Kleinen lustig umher, um, wenn einige Tropfen Milch oder Bier verschüttet wurden, sie begierig aufzusaugen. Waren die Hausfrauen zu sparsam, gönnten sie dem winzigen Völklein nichts, so stieß es hinterlistig die vollen Gefäße um und machte sich eilig davon. Wenn der Puck Arbeit hatte, war er über die Maßen fleißig, wenngleich jedem von ihnen eine bestimmte Grenze in seiner Tätigkeit gezogen sein sollte. In einem Bauerngehöft musste der Kobold die ganze Wirtschaft beschicken. Aber der Besitzer war schlau, übertrug ihm nicht zu viel auf einmal, weil Niss sonst sich einen anderen Herrn hätte suchen müssen, sondern ließ ihn hübsch nach und nach seine Arbeit verrichten. Wenn der Kleine mit einer Last erschien, rief der Bauer: »Lad ab und hole mehr«, ohne dass er ihm Rast gönnte. Das verdross den Puck und er beschloss, seinen Herrn zu überlisten. Er kam eines Tages mit einem großen Sack voll neuer holländischer Dukaten. Darüber freute sich der Bauer und in dem Wunsch, den herrlichen Kobold, der ihm solche Schätze zutrug, sich ja zu erhalten, rief er ihm diesmal zu: »Nun lade ab und ruhe aus, es ist genug für heute und morgen.«

»So ist es auch für immer genug«, versetzte der Geist mit höhnischem Gelächter. »Nun du mich hast ruhen heißen, gnade dir Gott!« Von Stund an begann es im Hause zu poltern, Tag und Nacht, und ließ nicht nach, bis der Bauer auszog.

Nicht immer schützte selbst dieses äußerste und letzte Mittel gegen die Lärmgeister, die sich manchmal in Scharen einfanden.

Mit dem letzten Stück des Hausgerätes trug man sie häufig in die andere Wohnung hinüber, wo das Unwesen von Neuem begann.

Zwei Familien hatten ihre Wohnung verlassen müssen, weil die Pugen ihnen weder Tag noch Nacht Ruhe ließen, alle Vorräte verschleppten und die Speisen benaschten. Der Umzug war schon beendet und die Mägde hatten nur noch ihre Besen aus der alten Wohnung zu holen. Sie nahmen sie auf die Schultern und schritten miteinander fort, als sie unterwegs jemand trafen, der sie fragte, wohin sie wollten.

Noch ehe sie antworten konnten, rief eine dünne Stimme aus dem Besen: »Wir ziehen um!«

Die Mägde sahen einander erstaunt an. Die Schlaueste von beiden zwinkerte bedeutsam mit den Augen, schritt einem Teich zu, welcher am Ende des Dorfes lag, und tauchte dort blitzschnell die Besen ein und ließ sie stecken. Fortab wurden sie nicht mehr beunruhigt.

Im Wasser aber starben alle Fische, und wer abends an dem Teich vorüberging, konnte die Kleinen immer rufen hören: »Wir sind gezogen, sind ausgezogen!«

Ein anderes Märchen erzählt: Es waren zwei Kobolde, die verschiedenen Herren dienten, und fleißig Korn, Heu und Stroh zusammenstahlen, um es ihren Herren zuzutragen. Nun entstand eine große Teuerung im Land und es fehlte beiden Herren an Futter für das Vieh. Da machten sich in einer Nacht beide Pugen auf, das, was da fehlte, herbeizuschaffen, gerieten aber zufällig ein jeder an die Scheune des anderen und packten hier so viel sie konnten, auf. Mitten auf dem Weg trafen sie zusammen. Jeder betrachtete den Packen des anderen, und jeder erkannte augenblicklich seine Waren. Zornentbrannt über den frechen Diebstahl warfen sie Heu und Stroh fort, stürzten aufeinander los und prügelten sich, bis der Tag anbrach.

Ein Hausgeist konnte nur dreimal verkauft werden, der dritte Mann musste ihn behalten. Wer im Besitz desselben starb, war verpflichtet, ihm ein neues Unterkommen zu verschaffen, und zwar ein Mann bei einer Frau, eine Frau bei einem Mann.

Das gemütliche Element, welches wir in der Zwergenwelt antreffen, ist auch diesen Naturen besonders eigentümlich und in dem Wesen und Charakter der Hausgeister notwendig gegeben. Gern näherten sie sich der gastlichen Flamme des Herdes, um sich zu erwärmen, zündeten auch wohl selbst in kalten Nächten ein Feuer an, und die Reiser, welche sie von dem aufgespeicherten Vorrat dann zurückließen, brannten länger, als das ganze aufgewendete Bund. Zuweilen bescherte Niss Puck den fleißigen und frommen Mägden blanke Taler, die ihnen aus der Asche hervorblinkten, oder ließ die Kohlen des Feuers sich in Gold verwandeln.

Warm schien die Maisonne auf Hof und Garten. Das Federvieh trippelte und scharrte im Hof umher. Voll Lust schnatterten Gänse und Enten an dem kleinen Weiher. Alles ergab sich den wonnig belebenden Strahlen. Um den Brunnen standen oder saßen die Knechte in ihren festlichen Samthosen, mit schneeweißen Hemden angetan, während die Jacken an den Stalltüren hingen, um, wenn die Glocke zum Kirchlein rief, sogleich übergeworfen zu werden.

Auch Niss Puck, der Fleißigste aller Hausgeister, feierte die sonntägliche Ruhe. Voll freudigen Behagens saß er in der Giebelluke, allen, die unten standen, sichtbar, grinste lachend hinab, streckte bald das eine, bald das andere Bein in die warme Luft hinaus und wackelte dabei in kindischem Ergötzen mit dem dicken Kopf hin und her.

Einer der Knechte, ein vorwitziger Mensch, schlich leise auf den Boden und versetzte Niss Puck hinterrücks einen so derben Stoß, dass er in den Hof hinabflog. Man hörte ein heiseres Kreischen, und unten auf der Erde lag ein Häuflein Scherben. Der Geist war verschwunden. Dieser Mutwille aber blieb nicht ungerügt. Nachts, als alles schlief, glitt Puck in die Kammer, in welcher der Knecht schlief, fasste ihn um den Leib und trug ihn in den Hof, wo er ihn quer über den offenen Brunnen legte, sodass die geringste Bewegung ihn in die Tiefe hinabschleudern musste.

Indessen hatte es Niss Puck so böse nicht gemeint. Als der Knecht erwachte, übersah er sogleich die gefahrvolle Lage, in der er schwebte, half sich behutsam hinweg, verfiel aber infolge des gehabten Schreckens in eine Krankheit.

Wehe der Magd, die, eben an die Stelle der Vorgängerin getreten, den Hausgeist nicht mit übernahm und mit aller Vorsicht und Sorgfalt pflegte. Solcher Säumigen drohte die Sage schwere Bedrängnis, denn der entrüstete Kobold verschleppte alles, dessen er habhaft werden konnte, und schuf ihr täglich Verdruss. Er zerbrach ihr das Geschirr unter den Händen und verdarb ihr die Speisen. Was sie noch so sorgfältig gesäubert hatte, wurde auf unerklärliche Weise beschmutzt, und geriet sie darüber in Zorn oder wurde sie von der Hausfrau gescholten, dann saß der Kobold im Schornstein und kicherte schadenfroh in sich hinein.

Unter den in Ungarn lebenden Deutschen herrscht der Glaube an einen drei Zoll hohen Hauskobold, das Büfelkele, seiner eigentlichen Natur nach dämonisch wie der kleine Teufel, der den Bojaren betrog. Besonders gern haust das Büfelkele im Pferdestall, wo es der Tiere sorgsam wartet, auch den Stall säubert, den Knechten, Fuhrleuten oder Kutschern Beistand leistet, ihnen Geld, Lebensmittel, Wein und Bier zuträgt. Allein der Begünstigte darf weder die Kirche besuchen, noch zu Hause beten. Zwei Personen können den Geist ungestraft besitzen, einen Dritten führt er mit sich fort in die Hölle.

Die überaus mannigfach gestalteten Sagen von Hausgeistern, Kobolden, Polterern, Erdmännlein, sogenannten guten Leuten, die sich in einigen Gegenden gänzlich vermischen, während sie in anderen streng auseinandergehalten werden, machen eine genaue Klassifikation dieser fantastischen Gebilde unmöglich.

Bald hat der Kleine den Charakter eines harmlosen Mitbewohners des Hauses, der neben freundlichen Beweisen seines Wohlwollens manche Tücke verübt, bald tritt er als prophetischer Geist auf, wie das Klopferle, welches, im Weinkeller spukend und pochend, ein gutes Weinjahr verheißt, oder als abwendender Genius, wie das kleine Männlein, welches, um Haus und Hof vor Feuersbrunst und Pest zu bewahren, in nächtlicher Weile das Schutzwasser umhersprengt.

Zu Tübingen im Nonnenkloster trippelte das Einfüßle umher, ein ganz kleines, schwarzes Männlein mit schwarzer Kapuze und nur einem Bein, auf dem es geschwinder laufen konnte, als andere mit zweien. Es war zwar neckischer Natur, schadete aber niemanden. Mutwillige Knaben, welche in der Nähe des Klosters bei dämmerndem Abend spielten, ließen sich einfallen, das Einfüßle herauszufordern. »Einfüßle, komm!«, riefen sie.

Da hüpfte das Männlein so geschwind herbei, dass die unnützen Buben erschrocken davonliefen, bis auf einen, der in der Eile stolperte und fiel. Das machte dem Einfüßle großes Vergnügen. Laut lachend huschte er zurück in das Klostergebäude.

Verwandt mit dem Heinzelmann auf Hudemühlen steht die Sage vom Hausgeist Langemantel in Tirol. Dort erhob sich, etwa eine Stunde von Innsbruck, Schloss Weiherburg an einem Teich, von welchem es den Namen führte. In einem Saal des alten, merkwürdigen Gebäudes erteilte einst Kaiser Maximilian I. Anfang des 16. Jahrhunderts den Venezianern Audienz, und lange noch bewahrte man den hölzernen Thron, auf dem der Herrscher gesessen hatte, als die Feindseligkeiten zwischen dem mächtigen Venedig und den Tiroler Mannen durch ihn beigelegt wurden. Schloss und Herrschaft verblieben viele Jahre hindurch in dem Besitz der Familie von Weinhart. Während dieser Zeit geschah es, dass Freund Langemantel dort sein spukhaftes Wesen trieb. Mit einem langen nachschleppenden, schwarzen Mantel angetan, eine reich gefaltete, altväterliche Krause um den Hals, das kleine gelbe Antlitz halb versteckt unter dem breiten Bart, der ihm bis auf die Brust reichte, einen hohen, spitzen Hut nach Tiroler Weise auf die Härchen gedrückt, durchwandelte der Hausgeist Schloss und Garten, Hof und Stall, bei Tag und bei Nacht.

Er machte sich dadurch nützlich, dass er das Wächteramt über Teiche und Gärten, Ställe und Vieh übernahm. Die Leute im Schloss, welche gewohnt waren, ihr Eigentum selbst zu bewachen, hatten anfangs dem Hausgeist gegenüber einen schweren Stand, weil er jeden misshandelte, der als Wachposten ausgestellt wurde. Als man später gewahr wurde, dass er die Diebe viel besser von der Besitzung abhielt, als dies je vorher geschehen war, ließ man ihm sehr gern die unbestrittene Herrschaft.

Überall aus diesen Sagen blickt die bewegliche, leichte Natur der kleinen Geister hervor, die bald im Gütchenbrunnen saßen, aus dem die Neugeborenen geschöpft wurden, bald in den Stallungen, Winkeln und Ausdachungen der Häuser, in jedem umgrenzten unscheinbaren Raum, den die kombinierende Fantasie erfand. Vieles ertrugen sie, was ihrer Natur widersprach, aber sie flohen unsaubere Orte, wie ein zu lautes, geräuschvolles Leben. Dann suchten sie wohl ein anderes Land zu ihrem Aufenthalt, weckten in finsterer Nacht den Fährmann am Rhein, um sie für reiche Belohnung an das jenseitige Ufer zu führen. Doch musste er sich der Neugier enthalten, denn es ziemt Menschenaugen nicht, des Geistervolkes Überfahrt zu schauen.