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Der bayerische Hiesel – Teil 2

Der-bayerische-HieselFriedrich Wilhelm Bruckbräu
Der bayerische Hiesel
Wildschützen- und Räuberhauptmann, landesverrufener Erzbösewicht

Hiesel dient

Die Gläubiger des verstorbenen Andreas Klostermayer meldeten sich bald mit ihren Forderungen bei Gericht, welches das ganze kleine Anwesen abschätzen und dann versteigern ließ.

Der Erlös reichte hin, die Schulden zu bezahlen. Für Hiesel blieb noch so viel übrig, dass er sich ein Feiertagskleid machen lassen konnte und einige Taler in der Tasche behielt.

Die schmerzliche Erinnerung an den Tod seiner Eltern und seiner guten Schwester wachte immer wieder von Neuem auf, so oft er an der väterlichen Hütte vorüberging, aus welcher er nun verstoßen war. Deswegen wollte er nicht länger mehr in Kissing bleiben, obgleich er bei seinem Taufpaten hätte in Dienst treten können, der zwei Töchter, aber keinen Sohn hatte, und gerne mit der Zeit Hiesels Schwiegervater geworden wäre. Die ihm eröffnete Aussicht auf ein ruhiges, sorgenloses Leben machte keinen Eindruck auf das rasche junge Blut des Hiesel, der wenige Tage nach des Vaters Beerdigung sein Bündel schnürte und Abschied nahm. Die beiden hübschen Töchter seines Taufpaten gaben ihm zum Andenken Leinwand für sechs Hemden und das Geleit bis über den letzten Acker des Dorfes, wo der Wald anfing. Dort drückten sie ihm weinend die Hände und baten ihn, im Falle es ihm in der Fremde übel ergehen sollte, gleich wieder in ihres Vaters Haus zu kommen, wo er gewiss wie ein leibliches Kind aufgenommen würde. Hiesel wurde selbst weichherzig, und Tränen traten in seine große schwarze Augen. Er versprach ihnen bei Mund und Hand, bei ihnen Zuflucht zu suchen, sollte es nottun. Mit ihren Kopftüchern winkten ihm die Mädchen noch lange zu, bis er unter den dicht belaubten Buchen verschwand. Tief gerührt bemerkte er, dass sie oft die Tränen in ihren Augen trockneten.

Wäre doch Hiesel eingedenk gewesen des guten Rates seines alten Vaters: »Bleibe im Lande, und nähre dich redlich!« Wäre er in der Heimat bei seinem Taufpaten geblieben, hätte er treu und redlich gedient, dadurch die Gunst des Dienstherrn erworben und die Liebe von einer der beiden Töchter. Vielleicht würde der neue Schwiegervater Hiesels sein väterliches Anwesen für ihn angekauft und ihn so zum wohlhabenden Nachbar und seinerzeit zum Nachfolger gemacht haben! Sein böser Geist aber trieb ihn fort, nämlich die vereinigte Kraft seiner Leidenschaften, seines raschen, wilden Temperaments, über welches das gute, aber schwache Herz nicht siegen konnte. Kaum war Hiesel im Wald, als der Gedanke an das Jagen ihn so ungestüm erfasste, dass er bei dem Anblick eines aus dem Gebüsch aufspringenden Rehbocks unwillkürlich nach seinem Stock griff und diesen zielend an die Wange legte, wie ein Schießgewehr, dann aber wehmütig seufzend sinken ließ und gedankenvoll seines Weges ging.

Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten eben noch das Wetterfähnlein auf dem Dach des Schlosses Mergenthau (damals den Jesuiten gehörig), als er in den Wirtsgarten daselbst trat, um sich mit einem Glas Bier zur Wanderung in die Nachtherberge zu stärken, die er in einem, noch eine Stunde entfernten Dörfchen nehmen wollte, wo eine Base von ihm verheiratet war.

Obenan saß der Schlossverwalter mit seiner Familie, und ihm gegenüber nahmen die Schreiber und übrigen Schlossdiener einen eigenen Tisch ein. In pflichtschuldiger Entfernung saßen die Bauern des Ortes und der Umgegend, teils an schmalen Tischen, teils auf dem grünen Rasen.

Hiesel trat mit der ihm eigenen Offenheit mitten unter die Versammelten, setzte sich jedoch aus Bescheidenheit an den untersten Platz und verlangte einen Krug Bier.

Er zog durch seine Gestalt und sein Benehmen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich.

Nach seiner Größe und Stärke zu urteilen, hätte man ihn wenigstens für einen Jüngling von 22 Jahren gehalten. Er war groß und von gediegenem Körperbau. Dichtes schwarzes Haar umlockte sein Haupt. Seine Stirn war hoch und gewölbt, und verriet einen unternehmenden Geist. Seine großen schwarzen Augen funkelten wie zwei Sterne, besonders wenn er mit aufgeregter Lebhaftigkeit sprach. Der aufmerksame Beobachter bemerkte aber stets etwas Misstrauisches in seinem Blick, was der Schönheit der Augen Eintrag tat. Die Nase war hervorspringend, von angenehmer Form, ohne eben eine griechische oder römische zu sein, der Mund ein wenig breit, aber durch weiße Zähne und frische Lippen verschönert, das Kinn breit und einen entschiedenen Charakter andeutend, die Haltung kühn und herausfordernd, der ganze Körper eine seltene Stärke beurkundend.

Wer ihn zum ersten Mal sah, musste für ihn eingenommen werden. Sein ganzes Benehmen war freundlich, gefällig, annähernd. Bisweilen schien das Lächeln des Wohlwollens ihm angeboren. Wurde er aber zum Zorn gereizt, so glich sein Antlitz einem stürmischen See. Seine Augen blitzten wilde Flammen, seine Stirn legte sich in breite Falten, und seine Lippen zuckten fieberhaft. Die jugendlichen Wangen erbleichten. Im Gefühl seiner Löwenkraft maß er dann nicht mehr den Widerstand seines Gegners, und sein Zorn kannte keine Grenzen.

Dagegen war er im ruhigen Zustand gutmütig. Mit den Armen teilte er seinen letzten Bissen. Im hohen Grad abgehärtet, achtete er nicht die Entbehrungen der Not, das Ungemach der Witterung oder drohende Gefahren. Diese stachelten vielmehr seinen Stolz auf, und er wäre zu allen Zeiten dem nahen Tod mit demselben Gleichmut entgegen gegangen wie einem Freund. Furcht war ihm durchaus fremd. Absichtlich hatte er sein Feiertagskleid angezogen, als er die Heimat verließ, um nicht über die Schulter angesehen zu werden, und sah auch darin sehr hübsch aus.

In der Gegend von Mergenthau hatte man ihn noch nie gesehen. Natürlich zog er die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich.

Der Verwalter erhob sich von seinem bequemen Stuhl und fragte ihn um Namen und Herkunft. Mit gewohnter Offenheit erzählte ihm Hiesel sein trauriges Schicksal und äußerte den Wunsch, so bald wie möglich einen Dienst zu erhalten, um sich redlich zu ernähren.

Während er mit dem Verwalter sprach, brach ein Stier von der heimkehrenden Herde von Mergenthau aus dem Zug und rannte wütend in den Wirtsgarten.

Hiesel-Holzschnitt-2Mit ängstlichem Schrei sprangen die Gäste zur Seite, das grimmige Tier fürchtend, und der Verwalter kletterte eilig an dem Geländer der Laube empor, worin er saß. Hiesel aber, schnell besonnen und mit allen Handgriffen eines Hirten vertraut, packte das Tier an den Hörnern, fuhr ihm mit den Fingern der rechten Hand in die Nasenlöcher und riss es zu Boden, ohne dass es mehr imstande war, sich unter seinen kräftigen Fäusten zu regen.

Die Bauern schauten ihn mit großen Augen an und bewunderten sehr sowohl seinen Mut als auch seine Stärke. Der Verwalter nahm ihn mit Freuden in seine Dienste, und somit hatte Hiesel unvermutet eine gute Unterkunft gefunden.

Unter den Gästen im Wirtsgarten befand sich auch ein alter, bereits 75-jähriger Jäger eines in der Nähe befindlichen herrschaftlichen Schlosses, Namens Benno, der weit und breit als der beste Schütze bekannt war, und überdies in dem Ruf eines Hexenmeisters stand. Die Sage ging, er sei im Besitz geheimer Künste, er wisse Freikugeln zu gießen, die niemals fehlen, und kein Wild könne seinem sicher treffenden Rohr entgehen.

»Es tut mir leid«, sagte Benno zu Hiesel, »dass du in des Verwalters Dienste getreten bist. Eine halbe Stunde später hätte ich dich als meinen Gehilfen angeworben, denn du scheinst mir viel Geschick zu einem guten Jäger zu haben. Das hat aber im Grunde nicht viel zu bedeuten. Ich bin mit dem Verwalter gut bekannt, und er wird dir schon erlauben, mir bisweilen auszuhelfen. Ich bin alt, und die morschen Knochen wollen nicht mehr recht voran. Hast du Lust zum edlen Jägerhandwerk, so spreche ich mit dem Verwalter, dem ich das Wildbret liefere und die Sache wird sich machen.«

Wer war erfreuter über dieses Anerbieten als Hiesel! Auf der Stelle hätte er dem Verwalter den Dienst wieder aufgekündet, um der Gehilfe eines Jägers zu werden, wäre nicht der alte Benno so klug gewesen, ihm diesen Schritt zu widerraten.

Da Hiesel gut lesen und schreiben konnte, so wurde er vom Verwalter in der Kanzlei verwendet, bisweilen auch zu Botengängen. Sehr oft aber bekam er die Erlaubnis, tagelang den alten Jäger in seinen Verrichtungen zu unterstützen.

Benno musste gestehen, nie einen so gelehrigen Schüler gehabt zu haben. Der Verwalter war ein großer Liebhaber von Wald- und Moosschnepfen, wilde Enten und dergleichen Wildgeflügel, und in wenigen Wochen fehlte Hiesel nie mehr. Von Monat zu Monat stieg sein Ruf als kunstreicher Schütze weit und breit, und trank er an Feiertagen im Wirtsgarten einen Krug Bier in bescheidener Entfernung von dem gestrengen Herrn Verwalter, so tat sich dieser nicht wenig darauf zu gut, die benachbarten einkehrenden Jäger auf Hiesels Schießkunst aufmerksam zu machen.

Manchmal musste er gleich auf dem nächsten Brachfeld Proben seiner Geschicklichkeit ablegen.

Bald durchschoss er auf 100 Schritt ein Spiel Karten oder einen hoch in die Luft geschleuderten Taler oder ein quer über den Weg in Manneshöhe geworfenes Ei. Solche Wetten trugen ihm hübsche Sümmchen ein und setzten ihn bei den Jägern und Bauern in gewaltigen Respekt, den er sich überdies durch seine gewaltige Stärke und durch seine Gewandtheit im Raufen überall zu verschaffen wusste. Kaum hatte er die Schwachheit des Verwalters hinsichtlich des Wildgeflügels bemerkt, als er sehr oft vorgab, da und dort einem guten Fang auf der Spur zu sein, um nur der ihm verhassten Federfuchserei, wie er das Kanzleigeschäft nannte, zu entgehen. Dann schwärmte er tagelang durch die Wälder, lernte den Wildstand und jeden Fußpfad kennen und kam oft erst nach Hause, wenn bereits der Mond am Himmel leuchtete und die müden Schloss- und Dorfbewohner schon im Schlaf lagen.

Der alte Benno gewann den Hiesel täglich lieber. Nach Ablauf eines Jahres nahm er ihn als Gehilfen an und teilte ihm alle seine geheimen Jagdkünste redlich mit. In kurzer Zeit wurde Hiesel ein praktischer Jäger, wie wenige. Er war in seinen Dienstverrichtungen unermüdlich und fähig, überall sein Brot zu verdienen, als gegen Ende des zweiten Jahres der alte Benno in Gott selig entschlief.

Bennos Nachfolger suchte den Hiesel sobald wie tunlich zu entfernen. Er war selbst noch ein junger, rüstiger Mann und wünschte keinen so geschickten, leidenschaftlich die Jagd liebenden Gehilfen an der Seite. Dem Hiesel fiel es gar nicht ein, gute Worte zu geben, um noch länger bleiben zu können. Er war sich seiner Brauchbarkeit bewusst und durfte darauf zählen, überall die beste Aufnahme zu finden. Eines Morgens strich er seinen Lohn über den Tisch, packte seine Siebensachen in einen Soldatentornister, hing eine herrliche Kugelbüchse, ein Vermächtnis des alten Benno, über die Schulter und wanderte wohlgemut wieder in sein heimatliches Dörfchen Kissing.

***

Der erste Schritt in die Fremde war für den Hiesel günstig, wie die Leser sehen, und es hing nur von ihm ab, auf ehrliche Weise sein Brot zu verdienen. Die Leidenschaft zur Jagd war es, die ihm den ruhigen Erwerb am Schreibtisch unangenehm machte. Es trieb ihn hinaus ins Freie, in die Wälder. Dort war sein Element. Wer weiß, ob nicht der alte Benno bei längerem Leben einen ehrlichen Jäger aus ihm gemacht hätte. Hiesel war von Natur aus für ein stürmisches Leben geboren. Und dennoch scheute er den Soldatenstand mehr als den Tod, obgleich er darin bei den damaligen kriegerischen Zeiten sein Glück hätte machen können. Er fürchtete aber das Soldatenleben nicht der Gefahren wegen, die dieser Stand mit sich bringt, sondern wegen der strengen Zucht, die seinem auffahrenden Charakter nicht zusagte, und seinem Sinn für ein freies, ungebundenes Leben. Aber gerade dies ist ein trauriges Zeichen, wenn ein Mensch sich nicht den Gesetzen der Ordnung unterwerfen will.

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