Im fernen Westen – Der junge Auswanderer 5
Der junge Auswanderer
Kapitel 5
Einige Tage später saß Alfred am Fenster in der Wohnstube an seines Oheims Pult und trug Verschiedenes in dessen Hausbücher ein, als er einen Indianer vor dem Haus anreiten sah und in demselben den Utehäuptling Cuervo erkannte. Er ging sogleich zu demselben hinaus, der ihn freundlich begrüßte und ihm einen prächtigen geschossenen Truthahn übergab, welcher, wie er sich mühsam durch fein Kauderwelsch von gebrochenem Englisch und Spanisch und durch Zeichen ausdrückte, ein Gegengeschenk des Indianers für die Zündhütchen sein sollte. Es war der erste wilde Truthahn, welchen Alfred sah, und der wunderschöne, mächtige Vogel gefiel ihm ausnehmend.
»Hat Cuervo ihn geschossen?«, fragte er.
»Cuervo ihn geschossen für Sennorito, Ute nicht essen gallo pavo«, sagte Cuervo stolz. »Weiße Männer gern essen gallo pavo. Cuervo stolz, kein Bettler. Cuervo Schulden bezahlen, Cuervo brauchen mehr cebillos«, sagte er und deutete auf den Zündkegel seiner Büchse. »Er mehr cebillos kaufen wollen.«
»Na, dann komm mit, Cuervo«, sagte Alfred in einer Anwandlung von Großmut. »Du sollst noch mehr Zündhütchen haben.« Und er führte ihn in sein Stübchen, wo der Ute mit lüsternen Augen Alfreds Jagdgewehre betrachtete. Alfred zählte ihm hundert Zündhütchen in die Hand, worüber der Ute eine mächtige Freude empfand, aber nach dem Preis fragte, denn er hatte bemerkt, dass diese Zündhütchen weit besser waren als die seinen, die er beim Krämer bekam.
»Ich schenke sie dir, Cuervo, denn ich bin kein Händler«, sagte Alfred, »aber ich möchte auch einmal einen solchen Truthahn schießen. Wenn du weißt, wo solche zu finden sind, sollst du mich einmal dahin führen.«
»Cuervo gern mit Sennorito jagen, Cuervo und seine Söhne ihm zeigen, wo Gallopavos, Hirsche, Antilopen und Büffel zu finden sind. Cuervo und seine Söhne ihm das Wild zutreiben. Cuervo und seine Söhne stolz sein, wenn Sennorito mitreiten. Sennorito ganz guter Freund, ganz sicher sein bei Ute.«
»Nun denn, ich nehme dich beim Wort, Cuervo«, sagte Alfred, als der Indianer seine Hand ergriff und sie an seine Brust und Stirn führte. »Hast du auch Pulver?«
»Poco, repoco (wenig, sehr wenig)«, versetzte Cuervo und zeigte sein Pulverhorn, worin kaum noch zehn Schüsse waren, und Alfred füllte es ihm halb, was den Indianer sehr freute. Es war ihm noch niemals vorgekommen, dass ein Weißer ihm ungebeten etwas geschenkt hatte, und er sah darin entweder einen Akt der Großmut oder eine große Torheit. Aber Alfred flößte ihm zu viel Respekt ein, als dass er ihn für einen Tollen gehalten hätte, und er versprach feierlich, dass er Alfreds großer Freund sein wolle.
Als sie wieder aus Alfreds Stübchen kamen, begegnete ihnen Herr Holz und erfuhr nun, dass der Ute aus Dankbarkeit einen Truthahn gebracht habe. Er lächelte schlau und sagte auf Deutsch zu Alfred: »Der Kerl hat gewiss noch mehr Zündhütchen von dir haben wollen? Nicht wahr? Dachte ich es mir doch, denn ein wirklich dankbarer Indianer ist seltener als ein weißer Rabe. Der Bursche hat diesmal die Wurst nach der Speckseite geworfen und ist gleichwohl noch keiner von den schlimmsten! Komm, Cuervo,« sagte er dann auf Spanisch zu ihm, »ich habe dir ein Geschäft anzubieten!«
Er setzte ihm dann auseinander, dass einige diebische Apachen in Gesellschaft eines Weißen sich in der Gegend herumtrieben, die er gern vertrieben haben möchte. Cuervo unterzog sich diesem Auftrag gern. Nach acht Tagen waren die beiden Apachen und ihr weißer Spießgeselle verschwunden, sobald sie sahen, dass die Ute ihnen überall auf den Fersen folgten.
Cuervo hielt übrigens Wort. Er holte Alfred auf die Jagd ab und brachte ihn an mehrere Ketten von Truthühnern, aus denen er sich die alten Gobbler oder Hähne herausschoss, weil er die Hennen geflissentlich schonen wollte. Auch auf Hirsche und Antilopen jagte Alfred mehrfach mit Cuervo und seinen Söhnen und belohnte sie für ihre Mitwirkung reichlich mit Pulver, Blei und Zündhütchen, sodass sie seine treuen Gefährten und Freunde wurden. Und so blieb es, bis die Ute wieder in die Berge hinaufzogen, um dort zu jagen.
***
Es waren beinahe zwei Jahre vergangen, seit Alfred auf Holz’ Ranch war. Seine treue Anhänglichkeit, sein bescheidenes Wesen, sein unermüdlicher Fleiß, seine Anstelligkeit und Umsicht hatten ihm im vollsten Maße die Liebe und das Vertrauen von Christoph Holz gewonnen. Auch wenn der einsilbige Mann dies nicht in Worten z erkennen gab, so bewies er es doch durch die Tat, indem er Alfred nicht nur die Buchführung, sondern die ganze Beaufsichtigung seiner Ranch überließ, besonders zu Zeiten, wo ihn sein Podagra ans Haus fesselte. So machte Alfred denn zuweilen weite Ritte, um die Herden zu besuchen, welche in den entfernteren Gegenden der Plains weideten, und ritt oft ganz allein, oft auch mit Texas Dick oder einem anderen Begleiter. Eines Morgens, als Alfred eben wieder zu Pferde steigen wollte, um zu einer Rinderherde zu reiten, welche etwa zwanzig englische Meilen von der Ranch am Wild Duck Creek, am Fuß der Berge, weidete, kam Texas Dick gerade dazu und erklärte, dass er Alfred nicht allein reiten lassen wollte, denn der Weg sei weit. Außerdem habe er am Vortag wieder einige Indianer in jener Richtung sich herumtreiben sehen, denen er nichts Gutes zutraue.
»Ich will mich teeren und federn lassen, wenn es nicht dieselben Apachen sind, die vor zwei Jahren hier herumgelungert sind«, sagte er zu Mister Holz, welcher dazu kam. »Auf keinen Fall lasse ich meinen jungen Boss allein den weiten Weg reiten, und ich schätze, er wird gut tun, ein Gewehr mitzunehmen wie ich.«
»Dick hat recht. Hol dein Gewehr, Fred, und nimm Dick mit!«, sagte Herr Holz: »Vorsicht kann nicht schaden.«
So ritten sie denn zusammen, versahen ihr Geschäft und ritten wieder zurück. Es war ein sommerlanger Tag und glühend heiß. Deshalb gedachten sie noch ein Stück weit in der Abendkühle zu reiten und waren etwas später aufgebrochen. Als sie an den Crowfoot Canyon kamen, den sie in seiner ganzen Länge zu durchreiten hatten, sahen sie plötzlich drei Reiter um eine Felsenecke biegen und sich entgegenkommen. Zwei davon waren nach Dicks Behauptung Apachen und der Dritte ein Weißer, der eine mexikanische Serape trug. Alfred und Dick nahmen daher ihre Gewehre vom Rücken und luden sie, um zu Schutz und Trutz gerüstet zu sein. Allein sie waren offenbar auch von den Apachen bemerkt worden, denn die drei Reiter verschwanden plötzlich hinter einer Felswand, welche in den Canyon hineinragte. Unsere beiden Freunde ritten vorsichtig heran, bis sie in die Nähe der Felswand kamen, wo sie einen Hinterhalt fürchteten. Dann aber sprengten sie hier im vollsten Galopp vorüber und dachten nicht anders, als dass ihnen einige Kugeln um die Ohren pfeifen würden. Aber sie kamen ungeschoren vorbei, denn es war schon beinahe Nacht und der Mond noch nicht aufgegangen, sodass die Apachen, wenn sie auch im Hinterhalt lagen, zwar kein genügendes Büchsenlicht mehr gehabt hätten, aber doch aufs Geratewohl hätten schießen können.
Als sie den Canyon hinter sich hatten, reichte Alfred dem Texas Dick die Hand über das Pferd hinüber und dankte ihm warm für die Begleitung.
»Ich glaube, ich danke Euch dieses Mal mein Leben, Dick«, sagte er, »denn wenn ich allein gewesen wäre, hätten diese braunen Schufte es leicht gehabt, mich vom Pferd hinunterzuschießen und auszuplündern. Ich werde Euch das nicht vergessen!«
»Macht nicht so viel Aufhebens von der Kleinigkeit, junger Boss«, erwiderte Dick. »Ich habe nur meine Schuldigkeit getan. Wir wollen übrigens den beiden Apachen das Handwerk bald legen. Soviel ich weiß, lagern die Ute eben fast wieder droben am Rabbit Tail Creek, und da will ich morgen einen Boten an Cuervo schicken und ihn her bescheiden lassen, denn ich muss vor allem wissen, wer der schuftige Weiße in der gestreiften Serape ist, der sich mit diesen niederträchtigen Apachen herumtreibt.«
Just um dieselbe Zeit lagerten die beiden Apachen mit dem weißen Mann an einem kleinen Feuer in einer engen Seitenschlucht des genannten Canyon, während ihre Pferde in der Nähe grasten. Der eine Indianer briet ein Stück gedörrten Fleisches am Feuer, der andere saß rauchend daneben, seine alte Steinschlossmuskete quer über den Knien, und schaute stumpf ins Feuer. Der Weiße rauchte ebenfalls und schien sehr ärgerlich, denn er runzelte die Stirn und biss die Zähne übereinander.
»Warum hast du denn nicht geschossen, Pedro? Sie waren ja beide keine zwanzig Schritt von dir entfernt?«, fragte der Weiße den älteren Apachen auf Spanisch.
»Waren ihrer zwei, hatten Flinten, welche zweimal schießen, und Sechsschüsser im Gürtel«, erwiderte Pedro mürrisch. »Warum du nicht geschossen, Sennor Tony? Du auch Gewehr mit zwei Schuss?«
»Wäre er allein gewesen, nämlich der Junge mit dem gelben Haar, so hätte ich ihn niedergeschossen, bei Jove. Aber der andere war bei ihm, und der durfte mich nicht sehen oder erkennen,« versetzte der Weiße unmutig. »Aber dass ihr beide nicht geschossen habt, ist unverantwortlich. Wir lagen so gut auf dem Felsen versteckt. Sie konnten uns nicht sehen. Kein Schuss konnte versagen! Nun wäre es vorüber, und kein Hahn würde danach krähen. Wir hätten sie ausgezogen und in eine Felsenspalte geworfen, wo die Geier und Kojoten sie bald gefunden hätten, und ihr beide hättet die Waffen und die Pferde.«
»Uf! Und wenn Pedros Gewehr versagt hätte, die Reiter würden haltgemacht und heraufgeschossen und Pedro und Miguel getroffen haben, – gewiss,« sagte der Apache kalt in seinem Kauderwelsch von Spanisch, Englisch und Indianisch. »Nein, nein! Pedro nicht so dumm, Pedro den Burschen mit dem gelben Haar nun kennen, Pedro ihn niederschießen, wenn er ihm wieder begegnen und wenn Sennor Tony ihm seine Flinte mit zwei Schuss leihen. Mann mit gelbes Haar wieder schießen, wenn nicht ganz tot. Pedro schlechtes Gewehr haben, oft versagen, oft nur cebo (Zündkraut) aufblitzen. Apache lieber Messer nehmen oder Pfeil und Bogen, Pfeil sicherer, spricht nicht laut.«
»Oder Sennor Tony Pedro und Pequito Miguel auch geben Flinte mit zwei Schuss«, sagte Miguel vom Feuer aufschauend und warf einen lüsternen Blick auf die schöne Hinterlader-Doppelflinte, welche neben dem Weißen lag.
»Gut«, erwiderte Tony, »es soll ein Handel sein. Wer mir den Skalp von dem Jungen mit dem gelben Haar bringt, dem gebe ich dieses Gewehr und fünfzig Dollar. Versteht ihr mich?«
Die beiden Indianer nickten grinsend, aber Pedro sagte nach einer Weile: »Warum nicht selber gelbes Haar niederschießen und Geld und Gewehr selber behalten?«
Tony zuckte die Achseln, als wollte er sagen: Das versteht ihr doch nicht!
Aber der kleine Miguel nahm den Gedanken seines Bruders auf und sagte: »Gelbhaar wohl viel tapfer, he? Sennor Tony sich fürchten vor ihm? Gelbhaar guter Schütze und schnell mit Messer, he?«
»Keines von beiden«, sagte Tony. »Gelbhaar ist noch ein grüner Junge, kein Krieger, weiß vielleicht kaum mit seinem schönen Gewehre umzugehen. Aber ich will sein Blut nicht an meinen Händen haben, wisst. Sein Blut wäre ›böse Medizin‹ für Sennor Tony.«
Inzwischen war das Stück Tasajo fertig gebraten, und Miguel zerschnitt es in drei Stücke und bot eins derselben Tony an, welcher es aber dankend ablehnte, dafür ein Stück Brot und einige Zwiebeln aus seiner Kugeltasche holte und zum Abendbrot verzehrte, während die Apachen mit ihren scharfen Zähnen wie Wölfe an dem zähen, übel riechenden Fleisch herunterbissen, bis es alle war. Dann wischte sich Pedro den breiten Mund und wandte sich an Tony. »Apache sehr müde, sehr hungrig«, sagte er: »Sennor Tony Whiskey geben. Apache brauchen aguardiente Whiskey. Pedro Durst haben, nicht ohne Whiskey leben können.«
»Miguel auch Whiskey wollen,« stimmte nun der andere Apache bei. »Sennor Tony Whiskey versprochen, – heraus mit frasco (Flasche).«
»Ich versprach euch den Branntwein nur, falls ihr schießen würdet, und ihr habt nicht geschossen, habt also auch keinen Branntwein verdient«, sagte Tony.
»Sennor Tony auch nicht geschossen«, versetzte Miguel. »Sennor geschossen, Miguel auch geschossen, Pedro auch geschossen, Apache Branntwein wollen,« setzte er mit finsterer Miene hinzu.
Die beiden Indianer bettelten nun so dringend und beinahe bedrohlich, dass der weiße Mann ihnen den Branntwein nicht versagen konnte, wenn er nicht selbst Gefahr laufen wollte, von ihnen angegriffen zu werden.
»Ihr seid ein sauberes Brüderpaar«, murmelte er, holte brummend aus einer seiner Taschen eine Flasche Branntwein hervor, nahm einen langen Schluck daraus und gab dann die Flasche seinen Gefährten, welche ebenfalls begierig und unter vielem »Bueno, mucho, bueno!« tranken, bis die Flasche leer war, worauf sie noch mehr Whiskey verlangten. Tony versicherte, dass er keinen mehr habe, aber die beiden wilden Rothäute wollten ihm nicht glauben, verlangten immer ungestümer und gieriger und zogen endlich ihre Messer, um ihn einzuschüchtern.
Aber nun ging es auch dem Weißen über den Spaß. Er sprang auf, zog den Revolver und hielt ihnen denselben mit gespanntem Hahn entgegen. »Zurück«, rief er mit funkelnden Augen. »Steckt augenblicklich eure Messer ein, oder ich schieße euch nieder wie zwei Kojoten!«
Daraufhin sahen die Apachen ein, dass sie zu weit gegangen seien. Sie stutzten einen Augenblick, dann wich der teuflisch-wilde Ausdruck aus ihren Zügen. Sie brachen beide in ein lautes Lachen aus, welches vielleicht wie beifällig klingen sollte, aber eher noch ihre Freude darüber ausdrückte, dass es ihnen gelungen war, dem weißen Mann Angst zu machen. Sie steckten ihre Messer ein und kauerten sich lachend wieder am Feuer nieder. Tony blieb nun ebenfalls nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Er zwang sich daher auch zum Lachen, nahm aber seine Wolldecke vom Boden auf, hüllte sich in dieselbe und streckte sich mit einem »Gute Nacht« in einer Felsenecke zum Schlaf nieder, den Revolver in der Hand, die Doppelflinte schussfertig neben sich.
***
Texas Dick war viel zu sehr an das wilde Leben auf der Grenze gewöhnt, als dass ihm das so glücklich abgelaufene Abenteuer nicht zu denken gegeben hätte. Wenn ihn schon das Wiedererscheinen der beiden Apachenstrolche beunruhigte, welche jedenfalls von ihrem Stamm ausgestoßen oder in Verruf erklärt und keine geachteten Krieger waren, weil sie sich so auf eigene Faust herumtrieben, so beunruhigte ihn noch mehr die Nachbarschaft des geheimnisvollen Weißen, wegen dessen Persönlichkeit er seinen eigenen Argwohn hatte. Weiße, welche mit den Indianerbanden umherziehen, sind in der Regel ebensolche Strolche wie die Rothäute, nur noch gefährlicher, weil sie mehr Erfahrung, Weltkenntnis und Mut haben. Wenn aber Dicks Verdacht wegen der Persönlichkeit jenes Weißen, welchen er mit den Apachen hatte reiten sehen, sich bestätigte, so war dieser noch ein gefährlicherer Kunde, und Dick glaubte zu erraten, was denselben hierher trieb. Er behielt übrigens seine Gedanken für sich, bis er seinen Argwohn bestätigt sah, sandte aber den befreundeten Ute doch einen Boten, m sie herbeizurufen, und durchstreifte in den nächsten Tagen heimlich und vorsichtig die ganze Gegend, um womöglich den verdächtigen Weißen zu Gesicht zu bekommen und den einen oder den anderen der beiden Apachen kaltblütig niederzuschießen, einmal, weil er sie im Verdacht hatte, ihm sein Pferd gestohlen zu haben, und anderenteils, weil er dem alten Grundsatz der ersten amerikanischen Ansiedler in Texas huldigte: Dem Schwarzen die Peitsche, dem Indianer die Kugel. Allein die beiden Apachen und ihr weißer Begleiter waren für den Augenblick verschwunden und nirgends zu finden.