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Der Freibeuter – Die beiden politischen Principe

Der Freibeuter
Erster Teil
Kapitel 18

Langsam bog das Boot um die Inseln und Halbinseln des Meerbusens und hielt sich links hinauf dem Norrmalm. Flaxmann und Friedericke saßen einander schweigend gegenüber. Die beiden Matrosen strichen die Riemenblätter aus Leibeskräften, um das winzige Schifflein zu beflügeln, und brummten ein Schifferlied dazu. Dem Fräulein kam die Weise des Gesangs bekannt vor. Sie fühlte sich wunderbar davon angeregt und bat den kleinen Juel endlich, ihr das ganze Lied vorzusingen. Der muntere Knabe ließ sich das nicht zweimal sagen. Er winkte dem alten Matrosen zu. Dieser ließ sogleich seine kräftige Bassstimme ertönen, an welche sich Juels Sopran anschmiegte. Unter dem Accompagnement des Wellengeplätschers und dem taktmäßigen Ruderschlag fingen sie zu singen an.

Es flattern die Segel im Winde,
es ladet die rollende See.
Was fehlt doch dem weinenden Kinde?
Ach, scheiden und meiden tut weh!
Ade! Ade!
Ob ich dich wiederseh?

Was weinst du noch länger am Strande?
Einen Pflüger musst du dir frein,
der weilet hübsch immer im Lande,
der ist und bleibet stets dein.
O nein! O nein!
So kann’s mit uns nicht sein!

Den Schiffer lässt es nicht rasten.
Er muss in die Meere hinaus.
Ihm winken die riesigen Masten,
ihn locket des Wassers Gebraus.
Sein Haus, sein Haus
versinkt mit Mann und Maus.

Auf dem friedlichen Felde zu hausen,
kein Schiffer verlangt und begehrt.
Wenn die Wellen sausen und brausen,
da wird ihm erst Wonne beschert.
Der Herd, der Herd
ist nichts dem Schiffer wert.

Wohlauf denn, entfaltet die Segel!
Wir sind mit dem Wasser vertraut.
Was flattern so ängstlich die Vögel?
Heißt Sturm ihr kreischender Laut?
Nicht graut, nicht graut,
wer stets auf Gott vertraut.

Die Windsbraut donnert. Es splittert
vom Blitz getroffen der Mast.
Wo wär ein Schiffer, der zittert?
Wo einer vor Furcht erblasst?
Gefasst – gefasst
sind wir auf ew’ge Rast.

Und sinkt auch das Schiff in die Tiefe.
Ich wüsste nicht, wo sich’s so gut
nach Arbeit und Kümmernis schliefe,
als in der kristallenen Flut.
Drum Mut! Drum Mut!
Dort wird ja ausgeruht!

»Es ist seltsam«, sagte Flaxmann, als die Schiffer schwiegen. »Ich habe dieses Lied auf meinen Seereisen schon oft gehört. Engländer, Holländer, Dänen und Schweden singen es, jedes Volk in seiner Sprache, aber alle nach derselben halb fröhlichen, halb melancholischen Weise. Aber so oft ich es auch hörte, so wurden jedes Mal alle Kinderträume in mir wach, und meine Jugend ging in bunten Gaukelbildern an mir vorüber. Die kindliche Melodie muss es mit sich bringen. Und es scheint mir fast, als hätte das Lied ähnliche Gefühle in Ihnen erregt, mein Fräulein.«

»Warum sollte ich es leugnen? Dieses Lied wäre vor wenigen Tagen spurlos an mir vorübergegangen, während es jetzt Empfindungen in mir erregt, wie ich sie noch gehabt habe. Mir ist so seltsam zumute geworden, wie seit meiner Kindheit nicht. Ich bin, seitdem ich das Festland nicht mehr betreten habe, so umgewandelt, dass ich mich selbst nicht mehr kenne.«

»Wie glücklich könnte der Mann sein, der diese Verwandlung bewirkt hat! Doch lassen Sie uns das vergessen! Der Sturm der Leidenschaft ist durch ein paar Ihrer Zauberworte besiegt und der erst in gewaltiger Liebesglut und wilder Rache gegen Sie entbrannt war, wünscht jetzt Ihr Freund zu sein. O, möchten Sie mir eine Schwester werden, Friederike!«

Sie reichte ihm die Hand und sagte: »Gern. Sie haben ja aber schon Schwestern?«

»Zwei. Doch sind sie tot für mich. Die Ältere ist die Gattin eines Whigs, der sich für den Kurfürsten von Hannover erklärt hat. Sie hat die Grundsätze ihres Stammhauses abgeschworen. Wir sehen uns nie wieder. Die Jüngere ist von Reichtum und der großen Welt verdorben. Sie hat alle Heiratsanträge ausgeschlagen, um frei und unabhängig ihren unkeuschen Neigungen leben zu können. Wir sind uns fremd geworden.«

»Die Unglückliche!«, rief Friederike mit Gefühl.

»Der gegenwärtige Augenblick erinnert mich umso lebhafter an sie, mit der ich auf dem Stammsitz unseres Hauses am nördlichen Ufer des Sees Windandermeer erzogen wurde. Auf diesem großen See fuhren wir oft in einem Kahn. Ich saß ihr gegenüber, wie Sie. Unser Haushofmeister und ein ehemaliger Matrose ruderte und sangen wie diese wackeren Burschen hier. Jetzt gehört mir niemand mehr. Ich durchirre die Welt wie ein Geächteter.«

»Sie sind ein beklagenswertes Opfer der politischen Stürme Ihres Vaterlandes. Hätten Sie sich der siegreichen Partei in England angeschlossen, würden Sie massenhaft Freunde, Verwandte, Verehrer haben und eine bedeutende Stellung einnehmen.«

»Die gerechte Sache des vertriebenen Königgeschlechts wird stets die meine sein, mag mein Schicksal auch noch härter werden.«

»Die Idee der Sache ist des Sieges wert; ihre Repräsentanten nicht.«

»Ich weiß es. Die letzten Stuarts waren nicht Könige, wie sie Großbritannien bedarf. Sie verstanden die Regierungskunst nicht, sie häuften Fehler auf Fehler. Aber schmälern diese Missgriffe das recht ihres Hauses auf den englischen Thron auch nur haarbreit?«

»Nein, sobald Sie nicht zugeben, dass der Spross durch Untüchtigkeit das Recht des Hauses verwirkt.«

»Ein Recht, das einmal als solches anerkannt Jahrhunderte lang fortbestanden hat, kann durch kein Verhältnis in der Welt aufgehoben werden. Es ist von Gott und den Menschen geheiligt, es macht einen der Grundpfeiler aus, auf welchen das Staatsgebäude und die ganze menschliche Glückseligkeit ruhen. Nehmen Sie diesen Pfeiler weg, tasten Sie das geheiligte Recht an, und über lang oder kurz stürzt das Haus zusammen und begräbt Tausende mit seinem Schutt. Und ist erst das Recht von den Menschen verleugnet, das Haus gestürzt, dann tritt ein chaotischer Zustand der Anarchie ein, und alles ist verloren. Blutströme düngen die Erde, der Bürgerkrieg wütet in den Eingeweiden des Volkes, der Sohn kämpft gegen den Vater, der Bruder mordet den Bruder, die Welt rollt aus ihrem Gleis wie der Sonnenwagen, als ihn Apollo der ungeschickten Hand seines Sohnes vertraute, und namenloses Verderben wandelt, wie in der Mythe, über die Erde, bis Apollo selbst die Zügel der Sonnenrösser wieder ergreift und der vorwitzige Phaeton gestürzt ist, bis ein weiser und starker Mann, den der Himmel selbst zum König der Menschen bestimmte, um dem Jammer ein Ende zu machen, das Ruder des lecken Staatsschiffes ergreift, und – nun dann haben wir wieder Könige, erbliche Monarchien und die alten eisernen Rechte und Gesetze, die das Ganze weise zusammenhalten wie eiserne Reifen die Tonne, in welcher der gewaltige Wein gärt und braust. Die Reifen, sag ich, werden wieder umgelegt und das tobende Gemisch beruhigt sich.«

»Sie malen mit lebendigen Farben, mein Freund. Die Welt muss meiner Meinung nach auf anderem Weg zum Ziel des Glücks und der Wohlfahrt geführt werden. Alles Schöne und Hohe auf Erden duldet keine Fesseln, lässt sich nicht erzwingen. Frei und von selbst fallen die Göttergaben uns vom Himmel. Wo der Zwang waltet und das eiserne, gegen die Vernunft strebende Gesetz, da fliehen die Grazien und Musen und der menschliche Wille gibt sich mit trüber Mutlosigkeit der tyrannischen Notwendigkeit gefangen. Die Freiheit ist der Acker, in welchem das Menschengeschlacht seiner Vollendung und Glückseligkeit entgegen reift. Aber wir verstehen diesen Acker noch nicht zu bebauen, wir wissen das Unkraut noch nicht vom Weizen zu unterscheiden und reuten entweder gar nicht, und dann wächst das Unkraut, vermöge seiner inneren gemeinen Natur, über den Weizen, raubt ihm die Nahrungssäfte, nimmt ihm das wohltätige Sonnenlicht und verderbt ihn. Oder wir reuten und reißen die besten Weizenpflänzlein mit dem Unkraut weg und sind um nichts gebessert. Also Kultur tut uns not, und die lässt sich nicht erzwingen. Langsam zieht sie über die Erde, aber ihr Siegeswagen gräbt unauslöschliche Spuren in den Boden. Sobald die Menschheit der Freiheit wert ist, wird ihr der Himmel sein schönstes Geschenk nicht ferner vorenthalten, und man wird nichts mehr wissen von den Stuarts und Hannoveranern, von den Zänkereien und Eifersüchteleien der Könige von Schweden und Dänemark.«

»Von diesen allerdings nicht, aber von anderen. Um Herrschaft wird ewig gekämpft werden.

Wir repräsentieren die beiden sich einander entgegenstehenden Principe. Unsere Freundschaft wird sich mit der Verschiedenheit unserer Meinungen vertragen. Liebe weiß von alldem nichts. Sie ist ein unschuldiges, unwissendes Kind, das allein mit Blumen spielt. Aber geben Sie mir Hoffnung! Ich bedarf Ihrer, um nicht an meinem Schicksal zu verzweifeln.«

»Hoffen Sie, mein Freund! Der Himmel lässt keinen Hoffenden sinken.«

Flaxmann schwieg und verlor sich in ein düsteres Träumen, aus dessen Zwielicht ihm endlich das Fräulein von Ove mit ihren sanften Zügen und lieben milden Augen entgegentrat. Er war endlich ganz bei ihr, indessen der unstete Geist des Fräuleins von Gabel von einem kühnen Ziel ihrer Wünsche zu einem kühneren sprang und sich in großartigen Fantasiegebilden berauschte.

Das Boot hatte sich der Stadt allmählich genähert, und die Reisenden sahen sich endlich von Inseln umgeben, die mit prangenden Palästen, ehrwürdigen Kirchen und stolzen Häusern bebaut waren und deren Bild die helle Flut widerspiegelte. Die Schiffer fuhren nordöstlich am Strand hin und legten an einem kleinen Landungsplatz an. Juel sprang heraus, legte den Steg für die anderen und gab der Dame die Hand. Sobald Flaxmann heraus war, stieß der Matrose wieder ab.

Es war ein sonderbarer Anblick, dass ihrem Stand gemäß gekleidete Fräulein in kostbarem Jagdanzug am Arm des in den dänischen Soldatenrock gehüllten Flaxmann, dem voraneilenden Juel folgen zu sehen. In diesem Aufzug gingen sie durch mehrere Straßen, bis der Schiffsjunge an einem Erkerhäuschen in einer abgelegenen Straße stand und sagte: »Hier sind wir am Haus der Frau Ankarfield.«