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Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande 9

Friedrich Gerstäcker
Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Kapitel 9

Wie Kapitän Brendall seine Passagiere zählte und was der alte Sambo dazu sagte

Der Ausbruch

Am anderen Morgen ganz früh hatten der Kapitän, der Steuermann und Cäsar der Koch eine kurze Beratung zusammen, oder der alte Brendall unterrichtete sie vielmehr von seinem Plan. Ein Ausbruch war, darin stimmten alle überein, nach dem Vorhergegangenen kaum zu vermeiden, wenn man sich nicht der Stärksten und Angesehensten aus der Gruppe erst versicherte. Das zu bewerkstelligen war an diesem Morgen bestimmt. Der Alte schickte dann die Übrigen fort, ihre Männer, wie er es ihnen gesagt hatte, zu postieren. Sie mussten dazu die besten der eigenen Leute nehmen, er selber blieb, ein paar geladene Pistolen vor sich in ein kleines nur leicht bedecktes Kästchen legend, in der Kajüte allein, wohin einige Minuten später Fritz vom Koch geschickt wurde.

Fritz klopfte allerdings das Herz, als er den Befehl erhielt, zum Alten hinunter zu gehen. Er wusste, wenn er auch recht, doch wie er gegen ihn und seine Interessen gehandelt hatte, wie aufgebracht der Alte werden würde, wenn er es erführe. An weitere Gefahr für sich selber dachte er gar nicht. Er erwartete in der Tat nichts Geringeres, als den vollen Zornesausbrach des finsteren Mannes gegen sich gewandt zu sehen, erstaunte aber nicht wenig, als ihn Kapitän Brendall auf das Freundlichste empfing und ihm sagte, sie würden wahrscheinlich hier irgendwo an der Küste einmal anlaufen müssen, um frisches Wasser aufzunehmen. Er wolle deshalb seine Passagiere einmal aufschreiben, wo sie her wären, wie sie hießen und wie alt sie seien, da er die Liste in jedem Hafen, der Ordnung wegen, vorzeigen müsse. Heute Morgen wär es nun so still und ruhig auf dem Wasser, und Fritz solle vorgehen und die Leute hinterherschicken.

»Aber nicht alle auf einmal«, setzte der Alte hinzu, als der Knabe rasch und vergnügt, so wohlfeilen Kaufs davon gekommen zu sein, die Kajüte wieder verlassen wollte; »Einen nach dem anderen, Fritz. Der Steuermann wird sie alle auf Deck schicken, Frauen und Kinder und dann kommen sie einzeln hier herunter und gehen von hier gleich wieder durch die Tür hin, die ich habe aufmachen lassen, ins Zwischendeck zurück, wo sie dann bleiben müssen, bis ich mit allen fertig bin. Es gibt sonst Konfusion – setz ihnen das ein bisschen auseinander, Fritz.«

»Jawohl Käpt’n!«, rief der Knabe dienstfertig und war in drei Sätzen die schmale Kajütstreppe wieder hinauf, die unmittelbar vor dem Steuer herauskommend an Deck führte.

Die Schwarzen hatten sich schon von der Gefahr verständigt, in der sie sich befanden. Der alte Sambo hatte ihnen geraten, im schlimmsten Fall und so es zum Äußersten kommen sollte, sich nur gleich aller Handspeichen zu bemächtigen, die an verschiedenen Stellen an Deck angebracht waren. Die Handspeiche oder Spacke ist in der Hand eines kräftigen Mannes eine furchtbare Waffe. Verstanden sie dann auch nicht selber ein Schiff zu regieren, so waren sie doch wohl imstande, sich hier, wo sie täglich Segel in Sicht bekommen, so lange flott zu halten, bis sie von irgendeinem ordentlichen Fahrzeug gefunden und gerettet werden konnten. Natürlich waren alle fest entschlossen, lieber zu sterben, als sich wieder als Sklaven verkaufen zu lassen. Schon tauchten Vorschläge auf, die Sache ohne Weiteres zur Entscheidung zu bringen, indem sie den Kapitän selber zur Rede setzten und ihm gerade heraus sagten, in welchem Verdacht sie ihn hätten, als Fritz zu ihnen kam und ihnen die Meldung einer beabsichtigten Zählung und Kontrolle brachte.

Hiergegen trat der Alte auf und warnte die Leute, nicht einzeln in die Kajüte hinunter zu gehen. Fritz aber versicherte ihnen, dass sie dabei auch nicht das Mindeste zu fürchten hätten. Der Kapitän sei allein unten, und was er auch später gegen sie im Sinn habe, hierbei sei er fest überzeugt, dass ihnen keine Gefahr drohen könne. Von dem jungen Burschen wussten sie recht gut, dass sie nichts zu fürchten brauchten, denn er hatte bewiesen, dass er es gut mit ihnen meine. So wurde denn beschlossen, dem Befehl zu gehorchen. Sambo aber, der zuletzt gehen sollte, wurde beauftragt, dem Kapitän zugleich anzuzeigen, wie sie wüssten, was sie von ihm zu erwarten hätten und bereit wären, bei dem geringsten Versuch, sie ihrer Freiheit zu berauben, das erste Schiff, das sich ihnen nähern würde, zu signalisieren und Anzeige zu machen.

»Hallo da unten!«, rief in diesem Augenblick des Steuermanns Stimme durch die Luke nieder. »Alle an Deck zur Musterung. Herauf mit euch Männer und Frauen, nachher könnt ihr wieder schlafen, so lang der Tag ist.«

Die Schwarzen, was überhaupt noch nicht an Deck war, folgten rasch dem Befehl. Ein Teil von ihnen wollte gleich zur Kajüte hinunter, als sie der Steuermann lachend aufhielt und ihnen, so gut das mit seinem gebrochenen Portugiesisch ging, begreiflich machte, dass der Kapitän nur eine Hand zum Schreiben hätte, also auch nur einen von ihnen immer auf einmal vernehmen und notieren könne.

»Du langer Strick, du«, wandte er sich dann an einen jungen Burschen. »Du magst zuerst gehen. Oder halt, wollen erst die Frauen und Kinder nehmen, dann kommen wir besser in Gang. Und nun angefangen und hübsch Ordnung gehalten!«

Eine der Frauen mit einem Kind auf dem Arm musste zuerst hinunter, und Fritz wurde ebenfalls gerufen, das Buch zu führen und die Namen wie alles Weitere niederzuschreiben, während der Kapitän examinierte. Das ging auch alles in ziemlicher Ordnung und fix vorwärts. Eine nach der anderen kletterte die etwas steile Treppe vorsichtig hinunter, wurde examiniert, verließ dann die Kajüte wieder durch eine kleine Tür, die erst in eine dunkle Vorratskammer, in der aber eine Laterne hing und durch diese durch, in das Zwischenverdeck führte, wo sie aber auch vorher erst wieder über eine Partie dort aufgeschichteter Taue klettern mussten, ehe sie den Platz erreichten, auf dem sich ihre Schlafstellen befanden, wo sie sich gewöhnlich aufhielten.

Der Steuermann stand oben an der Treppe und rief alle einzeln auf, die hinunter gehen sollten. Als die Sache erst einmal im Gang war, wartete er auch nicht erst, bis unten alles beendet war, sondern ließ eine der Frauen immer wieder nachsteigen, damit es nicht so lange aufhielte. Vom Zwischendeck aus konnten die zurückgekehrten Frauen mit den Männern an Deck sprechen. Ein Matrose hielt aber auch hier Wache, niemanden wieder heraufzulassen, ehe die Zählung vorbei war. Das alles ging so friedlich zu und die Leute selber lachten und erzählten mit den Schwarzen, dass diese schon anfingen, sich sicherer zu fühlen, wenigstens fest überzeugt waren, dass man augenblicklich nichts Böses gegen sie beabsichtige. Nur der alte Sambo wollte sich noch nicht zufriedengeben und saß an der Vorderluke, dort von einzelnen der Frauen zu erfahren, um was sie gefragt, wie sie behandelt worden wären, ob sie überhaupt noch jemanden unten in der Kajüte, außer dem Kapitän und dem Knaben gesehen hätten. Diese Fragen geschahen in der Sprache seines eigenen Landes. Die Matrosen, die ebenfalls mit oben um die Luk herumlehnten und hinab schauten, konnten nichts davon verstehen. Die Antworten mussten aber doch wohl befriedigend, wenigstens keinen weiteren Verdacht erweckend, ausgefallen sein, denn der alte Mann erwiderte nichts darauf und fiel nur schweigend in seine vorige beobachtende Stellung zurück.

Jetzt kamen die Männer. Der Steuermann schickte vier oder fünf der jungen Burschen voran. Vorn auf der Back erzählte einer der Matrosen, ein Portugiese, den um ihn herumstehenden Schwarzen eine Geschichte, bei der sich die Schar wälzen wollte vor Lachen.

»Hallo, mein Bursche!«, rief der Steuermann da einem von diesen zu. Es war der Kräftigste der Schar, eine riesenstarke Gestalt mit breiten Schultern und sehnigen Armen. »Eile dich, dass wir mit der Geschichte fertig werden. Es wird sonst Mittag und der Alte sitzt noch immer unten und kritzelt.«

Der Gerufene folgte, zog die weißleinenen Hosen, die er trug, über die Hüften herauf, strich sich das wollige Haar aus der Stirn und stieg rasch die Treppe hinunter. Noch hatte er aber die unterste Stufe nicht erreicht, als ihn ein Schlag an den Schädel traf und wie einen Sack zu Boden warf. Der Schlag war mit einem bleigefüllten Rohr geführt und der Unglückliche im selben Augenblick festgebunden und geknebelt in die Vorratsspintge geschleppt.

Fritz, der mit Schreiben emsig beschäftigt war und mit dem Rücken zur Treppe hin saß, hatte nicht die geringste Ahnung gehabt von solcher Gewalttat, bis er den Fall hörte und sich erschreckt danach umwandte. Ehe er aber auch nur einen Laut tun konnte, lag des alten Brendalls Hand schon auf seiner Schulter. Dicht vor seiner Stirn sah er die Mündung der gespannten Pistole, während der Alte, dessen Augen jetzt in wilden und boshaften Grimm Feuer zu sprühen schienen, ihm einige Worte ins Ohr zischte.

»Ein Wort, Schlange, und ich blase dir das Hirn zum Dach hinaus, als ob’s Spreu im Wind wäre. Hund verdammter, hab ich dich deshalb zu mir an Bord genommen und dich gefüttert und versorgt, dass du mir meine Wohltaten mit Verrat und Hinterlist lohnen solltest? Ruhe, Bestie, einen Laut und du bist eine Leiche. Ja, es zuckt mir schon jetzt im Zeigefinger, dir den nur zu gut verdienten Lohn zu zahlen.«

»Hier wieder einer herunter!«, rief in diesem Augenblick aufs Neue die Stimme des Steuermannes. »Du da, Dicker, mach, dass du hinunterkommst!«

Wieder wurden die Beine eines der Niedersteigenden sichtbar, im nächsten Augenblick stand er unten und sah hier mit einem Blick die Gefahr, die ihm drohte. Aber es war zu spät. Noch während er entsetzt zurückschreckte, traf ihn der Schlag, welcher ihn ebenfalls zu Boden schmetterte.

Ein dritter, Vierter und Fünfter folgten auf diese Art, und der Kapitän hätte mit diesem schlau und teuflisch ausgedachten Plan leicht die Hälfte der Schwarzen und jedenfalls die Stärksten und Gefährlichsten der Schar unschädlich machen können, hätte nicht oben der alte Sambo, der vorn am Luk seinen Platz behauptet hatte, eine Art Kontrolle über die gehalten, die hinunter gingen, und die, welche unten im Zwischendeck wieder sichtbar wurden. Cäsar war der Erste, der diese Gefahr, die ihrem Plane drohte, bemerkte. Am Steuermann vorübergehend flüsterte er diesem zu, den alten Burschen da vorn von seiner Warte fortzurufen, der merke sonst Unrat.

»Wollen ihm bald das Handwerk legen«, lachte der Steuermann leise vor sich hin, und über Deck hinüberrufend nannte er Sambos Namen.

Der Alte tat, als ob er nicht hörte.

»Hallo, Sambo da vorn – geh doch einmal einer von euch und stoße den alten tauben Schuft in die Rippen. Sambo zum Teufel, Mann, der Kapitän sehnt sich nach dir …«

»Ich aber nicht nach Kapitän«, brummte der Alte, ohne seinen Platz zu verlassen. Er rief dabei hinunter: »Congo! Wo ist Congo? Schon lange niedergestiegen, hab ihn nicht wieder hier gesehen!?«

Der Sechste war gerade niedergestiegen. Während auch dieser unschädlich gemacht und geknebelt wurde, sprang Fritz, der es nicht länger ertragen konnte, Zeuge solchen Verrats zu sein, empor, stürzte aber auch in demselben Augenblick, von des Kapitäns Faust getroffen, bewusstlos zu Boden.

»Congo! Wo ist Congo?«, rief aber der Alte nun wieder oben an Deck lauter als vorher in das Zwischendeck hinunter. »Was? Congo noch nicht wieder vorgekommen? Und Guinea? Auch nicht? Halt! Halt dahinten!«, schrie er plötzlich ein paar jungen Burschen zu, die sich ebenfalls fertigmachten, niederzusteigen. »Halt! Noch welche unten – lasst erst herauskommen.«

»Es ist niemand mehr unten, du schwarze Kanaille!«, rief aber der Steuermann, kaum noch seine Wut verbeißend, dass der Alte ihren ganzen so schön angelegten Plan zu vernichten drohte. »Macht fort Ihr Burschen, was steht ihr da und haltet Maulaffen feil?«

»Sambo sagt, nicht gehen«, erwiderte der eine von ihnen.

»Sambo soll verdammt sein!«, brummte der Seemann, »macht das ihr hinunterkommt, lasst die anderen nicht warten.«

»Halt Sip … halt da … Verrat!«, kreischte aber in diesem Augenblick des alten Schwarzens Stimme über Deck, und Sip bedurfte keiner weiteren Warnung, denn der Steuermann zog auch zu gleicher Zeit eine verborgen gehaltene Pistole, während sich die Matrosen plötzlich auf die erschrockenen und überraschten Schwarzen warfen und zu Boden schlugen, was sich ihnen in den Weg stellte.

So ganz unvorbereitet sollten sie diese aber nicht finden. Des Alten Schrei war gerade noch zur rechten Zeit gekommen. Sich, wie schon früher verabredet, der nächsten Handspacken bemächtigend, leisteten sie den Seeleuten, die gar nicht darauf gerechnet hatten, sie auf solche Art vorbereitet zu finden, hartnäckigen Widerstand. Sip besonders, einer der kräftigsten Burschen der Gruppe, der schon so nahe daran gewesen war, in die Höhle des Löwen niederzusteigen, entglitt der nach ihm ausgestreckten Faust des Steuermanns, das gebrochene Stück einer Handspeiche aufgreifend, das erst an dem Morgen dort gebraucht war. Die auf Deck liegenden Notspieren wieder zurecht zu rücken, schlug er damit den Steuermann dermaßen über den Schädel, dass er zurücktaumelte, an die Kajüttreppe trat und rückwärts hinunterstürzte.

Das aber gab seinen Kameraden Zeit sich zu sammeln, denn die unten befindlichen Matrosen, die eben im Begriff gewesen waren an Deck zu stürmen, den ihren beizustehen, wurden durch den ihnen in den Weg fallenden Körper aufgehalten. Rasch reinigten sie auch den Vorderteil des Schiffes von allen Weißen, schrien dabei nach den im Zwischendeck befindlichen, heraufzukommen. Dagegen hatte aber schon Cäsar seine Maßregeln ergriffen, denn kaum merkte dieser, dass die Schwarzen Verrat gewittert und sich nun wahrscheinlich zur Wehr setzen würden, als er mit einem der übrigen Seeleute, ohne sich weiter an den jetzt ausbrechenden Kampf der anderen zu kehren, zur Luke sprang, von der die Treppe schon am Morgen weggenommen worden war und die schwere Klappe darüber schob, auf die der Mulatte dann noch zwei schon dazu bereitgestellte schwere Maniokmehlsäcke warf.

Sein Verrat an der eigenen Rasse sollte aber diesmal schlimme Früchte tragen – Sip, der schon, seit er durch Sambo von des Kapitäns schändlichen Absichten gehört, dem Mulatten den Tod geschworen, denn nur durch dessen Überredung waren sie wirklich zu dem Schritt, ihrem dermaligen Herrn zu entfliehen, verleitet worden, sah kaum durch, welche teuflische List ihr Untergang beschlossen war und jetzt ausgeführt werden sollte, als er sich, der eigenen Gefahr nicht mehr achtend, mit dem Kriegsschrei seines Stammes auf den Lippen, gegen den Mulatten warf.

Dieser hörte den Schrei. Nur einen Blick auf den Angreifer werfend erkannte er auch rasch genug die Gefahr, die ihm drohte, und wollte fliehen. Aber es war zu spät. Als er den Feind schon dicht hinter sich sah, behielt er nur eben noch Zeit, sich gegen ihn zu wenden und das Messer zu ziehen, das er an diesem Morgen, wie alle übrigen Matrosen des Piraten, versteckt unter dem weiten Oberhemd trug. Wohl zuckte er dies gegen die anstürmende Gestalt, aber was half ihm der Stahl gegen den von Hass und Rache angefachten Grimm des Schwarzens. Nieder zum Sprung bog sich der, wie ein Tiger, der sicheren Beute gegenüber. Selbst in diesem Augenblick das keulenartige Holz, das er in der Hand trug, verschmähend, denn fassen – fassen wollte er sein Opfer, schleuderte er es von sich und schnellte sich in tollem Ansprung selbst gegen den vorgehaltenen Stahl des so furchtbar Bedrohten an.

Wohl traf ihn das Messer in die Seite, die Wunde war tödlich, aber fest, fest in grimmiger jauchzender Lust krallten sich die eisernen Finger des Wütenden um die Kehle seines Opfers. Cäsar wollte schreien, aber er vermochte es nicht mehr. Einer der Leute sprang zu und riss Sip zurück, ihn zu binden, denn ihr eigener Vorteil war es das Leben der Sklaven so viel als möglich zu schonen – aber umsonst. Wie mit eisernen Klammern lag der Rächer über dem Sterbenden. Sein Blick hing in furchtbarer Lust an den schon im Todeskampf entstellten verzerrten Zügen.

Jetzt hatte sich aber auch Tom Brendall an Deck Bahn gemacht, an dem bewusstlosen Körper seines Steuermannes vorbei. Von den übrigen Leuten gefolgt, warf er sich in wildem Mut gegen die zusammengescharten und ihn fest erwartenden Schwarzen an. Beide Parteien wussten, was sie voneinander zu erwarten hatten. Tom Brendall war sich noch ganz besonders bewusst, wie dieser Augenblick der noch ersten Bestürzung, ein Teil der Schwarzen gebunden, ein anderer Teil gerade jetzt noch im Zwischendeck abgeschlossen, nie wiederkehren würde. Siegte er jetzt nicht, so gewannen die zum Äußersten getriebenen Schwarzen das Schiff und er war mit seiner Mannschaft verloren.

Es gibt nichts Fürchterlicheres auf der Welt als der Kampf der Verzweiflung an Bord eines Schiffes. Keine Rettung mehr in Flucht bleibt dem Besiegten. Rings um ihn liegt der Tod. Zu der qualvollen Angst treten Wut und Grimm und macht zuletzt selbst den Schwächsten zum Riesen.

Nichts destoweniger half hier den unglücklichen Verratenen noch der Eigennutz ihrer Feinde. Wen sie töteten von ihnen oder nur schwer verwundeten, wurde zum reinen Verlust, für den es nicht möglich war, einen nur einigermaßen guten Preis zu bekommen. Die Piraten wollten deshalb auch am Anfang keinen Gebrauch von den Schusswaffen machen. Aber was halfen ihnen ihre Messer? Vorn auf der Back mit hochgeschwungenen Handspacken standen die Schwarzen. Und wen sie trafen, der brach unter dem furchtbaren Streich zusammen.

»Wetter und Tod!«, schrie da der Alte, als ihr Ansturm eben wieder von den für ihr Leben kämpfenden Schwarzen zurückgeschlagen worden war und von unten her der Lärm krachenden Holzes an sein Ohr traf.

»Die Kanaillen da unten brechen los. An die Kajüte zwei und haut auf die Köpfe, welcher den schwarzen Schädel oben zeigt.«

»Vorwärts denn, vorwärts!«, schrie aber auch in diesem Augenblick die grelle Stimme des alten Sambos. »Zu Hilfe, Jungs, dass wir die Kameraden freibekommen, dann ist das Schiff unser, zu Hilfe!« Von der Back niederspringend warf er sich in wildem Mut, von den Seinen aber dicht gefolgt, gegen die Piraten an. Dieser Handstreich war auch von solchem Erfolg, dass die Bedrängten in diesem ersten Anprall wirklich Mühe hatten, sich zu behaupten, während von der Kajüte her schon der wilde Schrei der anderen Schwarzen tönte, die in grimmiger Wut die unten nach der Kajüte führende und rasch verschlossene und verrammelte Tür aufgebrochen hatten und sich nun ihren Weg an Deck erzwangen.

Nun war aber auch die Zeit vorbei, wo die Piraten ihre Opfer schonen durften, die Sklaven gesund und bei ganzen Gliedern zu erhalten. Jetzt galt es, wirklich das eigene Leben zu retten. Des alten Brendall heiserer Schrei »Feuer!« schallte über Deck.

Die Wirkung war furchtbar, für die Schwarzen verderblich, denn die Weißen rissen plötzlich das Segeltuch von einer mitten auf Deck stehenden Kiste, die erst kürzlich heraufgeschafft und von den Schwarzen noch gar nicht beachtet war und die, schon fertig geladenen Gewehre herausreißend, schlugen sie den Tod in die Reihen der Feinde.

»Vorwärts!«, schrie Sambo, der wohl einsah, wie jetzt nur allein noch in jeder Todesverachtung ihre einzige Hoffnung auf Sieg beruhte. »Vorwärts!«

Es war sein letztes Wort. Tom Brendall, die Pistole fast an seine Schläfe drückend, jagte ihm eine Kugel durchs Hirn. Der nächste Schuss schmetterte einen anderen zu Boden, der sich eben auf ihn werfen wollte.

Wohl brachen in diesem Augenblick die übrigen, bis jetzt im Zwischendeck eingeschlossen gehaltenen Schwarzen herauf, aber heißes Blei empfing sie. Ehe sie sich sammeln und vereinigen konnten, hatten die Piraten, die ihre Gewehre abgeschossen und mit der gespannten Pistole in der Faust zum neuen Angriff eilten, die entsetzten Schwarzen vorn auf der Back eingeschlossen und überwältigt.

Doch fort, fort von den Schrecken dieses furchtbaren, unnatürlichen Kampfes.

Als Fritz wieder zu sich kam, war alles beendet. Er selber aber fand sich festgebunden im unteren Raum, überall neben ihm lagen die gefesselten Gestalten der Sklaven.

Vier Tage lag er in dem dumpfen, glühend heißen Raum und meinte zu sterben. Vier Tage lang hörte er die Verwünschungen und Schmerzenslaute seiner Nachbarn, die den Tod herbeisehnten, der ihnen wenigstens Linderung ihrer Qual brächte. Viele waren verwundet und lechzten nach Wasser, den Fieberdurst, der ihr Zunge dörrte, zu löschen. Aber nur zweimal des Tags kam einer der Leute, der Portugiese, der nun des getöteten Kochs Stelle vertrat, herunter und brachte ihnen etwas hartes Schiffsbrot und einen Schluck Wasser, sie wenigstens am Leben zu erhalten.

Am vierten Abend hörten sie den Anker in die Tiefe rasseln und segneten die Stunde, denn irgendeine Änderung ihrer Lage, sei sie, wie sie wolle, musste ihnen auch Linderung derselben bringen – es konnte nicht fürchterlicher werden.

Wohl hörten sie an dem Tag oft Schritte und fremde Stimmen an Deck, aber niemand kam herunter nach ihnen zu sehen, selbst der Koch blieb aus um die gewöhnliche Zeit. Es musste schon wenigstens zehn Uhr sein, ehe er ihnen das spärliche und doch so heiß ersehnte Mahl brachte. Ihm folgte diesmal der Kapitän mit zweien der Leute. Fritz wurde von dem Pfahl, an dem er lag, losgeschlossen und in die hintere Vorratskammer gebracht, wo man ihn allein liegen ließ. Die beiden Piraten aber, die ihn begleiteten, beantworteten keine der an sie gerichteten Fragen.

O wie wohl tat ihm die frische kühle Nachtluft, als sie ihn auf Deck hoben und in sein neues Gefängnis geleiteten. Wie sog er mit durstigen Zügen den reinen und feuchten Hauch ein, der von den nahen Bergen herüberwehte. Aber man ließ ihm keine Zeit auch das zu genießen, was Gott für alle Wesen gleich bestimmt hat. Nur einen flüchtigen Blick konnte er umher werfen. E sah, dass sie unweit einer großmächtigen Stadt ankerten, von der tausend und tausend Lichter zu ihnen herüber blitzten und Berge umschlossen das Ganze. Da aber zwangen ihn seine Peiniger schon wieder in sein Gefängnis hinab und Nacht umgab ihn – tiefe entsetzliche Nacht.

»Weshalb nur der Alte den jungen Schuft nicht über Bord schickt?«, fragte einer von der Mannschaft den anderen, als sie die schmale Treppe wieder an Deck stiegen. »Unten sind Haie genug, die uns aller weiteren Mühe mit ihm überhöben. Der Steuermann ist überdies fuchswild, dass wir’s nicht gleich getan haben.«

»Der Alte will nicht«, brummte der, an den die Frage gerichtet worden. »Er meint, einen Steward müssten wir doch wieder haben, liefen bei jedem anderen Jungen eben dieselbe Gefahr. Der hier ist doch nun gewissermaßen einmal eingebrochen«, setzte er hinzu, »und wird schon gut tun.«

»Hm, ich weiß nicht«, sagte der Erste wieder – »wo’s einmal nicht im Blut liegt, tut’s die Erziehung auch nicht sogleich, wie mein Vater immer zu sagen pflegte, als er einen Pastor aus mir machen wollte. Da hatte er ganz recht. Der Pastor lag mir einmal nicht im Blut und so ist es auch mit dem Jungen. Der Seeräuber liegt ihm nicht drin. Je eher wir ihn los werden, desto besser ist es, oder – es tut kein Gut – der Teufel mag solch einem Gesellen immer auf die Füße sehen.«

Die beiden Männer gingen wieder nach vorn an ihre Arbeit. Eine volle Woche hindurch sah Fritz niemanden weiter als den Koch, der ihm seine Gefangenenkost, jetzt aber auch dann und wann frische tropische Früchte, einmal sogar ein Glas Wein brachte, dass er wieder zu Kräften kommen sollte, wie er sagte. Nach Ablauf dieser Frist hörte er, dass der Anker wieder aufgewunden wurde. Das Schiff zitterte bis in seinen Kiel hinab, als sich die schwere Kette um die Ankerwinde wand. Dann war alles ruhig. Das Fahrzeug legte sich leicht auf die Seite. Eine halbe Stunde etwa noch, das Stampfen und Steigen desselben verriet wieder offene See. Der arme Knabe sank trostlos auf sein hartes Lager zurück, denn aufs Neue wurde er hinausgeschleppt in die weite See, in Gesellschaft jener Schrecklichen. Was musste nun sein Los sein, wo er ganz und rettungslos in ihre Hände gegeben war.