Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Mit den Konquistadoren ins Goldland Teil 3

Gustav Dittmar
Mit den Konquistadoren ins Goldland
Eine Erzählung aus der Zeit der Welserzüge
Teil 3

Am Abend tauchte im Westen die herrliche Pyramide des Pico del Teide auf Teneriffa auf. Zwei Tage später ankerten die drei Schiffe in Las Palmas auf der Insel Gran Canaria.

Die Reisenden waren froh, den engen Schiffsräumen für eine Weile entronnen zu sein. Sie gingen an Land und genossen die herrliche Luft der paradiesischen Insel in vollen Zügen. Auch Hans Hauser, Fabricius und Kressel schlenderten durch das Städtchen und erfreuten sich an dem bunten, fremdartigen Treiben. Staunend sahen sie die seltsamen Lasttiere der Inselbewohner. Sie kannten das Kamel nur von Bildern und Schnitzwerken her, denn der fromme Künstler stellt gern, wie man weiß, das Lasttier des Orientalen neben Ochs und Esel um die Krippe, darin das heilige Kindlein liegt. Nun sahen sie zum ersten Mal die Fabeltiere lebendig. Manchmal führten sie große, braune, ernste und schöne Männer am Halfter, die nicht unähnlich waren dem dunkelhäutigen König, der aus dem Morgenland kam, das heilige Kind anzubeten. Es waren die letzten Söhne der Guanchen, der Urbevölkerung der Kanaren, die von den spanischen Eroberern gegen Ende des 15. Jahrhunderts fast aufgerieben worden waren. Nun war Las Palmas eine spanische Stadt und ein lebhafter Hafen, denn auch die Portugiesen pflegten auf der Fahrt nach Ostindien und den Gewürzinseln dort anzulegen.

Am Abend füllten Reisende und Matrosen die Hafenschenken in hellen Haufen. Es ging in der lauen Nacht sehr ausgelassen und lustig zu, und der feurige spanische Wein tat ein Übriges, die Köpfe zu erhitzen.

Auch Hans Hauser saß mit dem Niedersachsen, dem Hessen und Hinnerk Klövekorn auf der Veranda einer Schenke, und die vier tranken behaglich plaudernd ihren Schoppen. Da merkte Hans, dass man am Nebentisch zu ihnen herübersah und sich in Spottreden über sie erging. Fahrgäste der Nuestra Señora de Guadalupe, auf der sich Nikolaus Federmann, der Generalkapitän, eingeschifft hatte, saßen da, und ein Tscheche, der Backsteinbrenner Jan Novotny, führte das große Wort. Hans blieb ruhig. Da hörte er den Namen »Hohermut« fallen, und plötzlich sprang der halb betrunkene Tscheche auf und schrie, einen Becher schwingend, in seinem harten, gebrochenen Deutsch: »Nieder mit Hohermut, nieder mit dem Krämer! Es lebe Federmann, der Eroberer Venezuelas!«

Er hatte kaum beendet, da fuhr ihm die Faust des jungen deutschen Kaufmanns ins Gesicht, dass er taumelnd zu Boden sank. Im nächsten Augenblick war eine wilde Schlägerei im Gang. Hans wurde ein schwerer Zinnbecher an die Stirn geschleudert und er fühlte, wie ihm Wein und warmes But über das Gesicht flossen. Hinnerk Klövekorn warf einen Spanier, der sich an ihn machte, in eine Ecke, dass es nur so krachte. Ein paar Stühle gingen in Trümmer. Tapfer wehrten sich die vier gegen die Angriffe der Leute von der Nuestra Señora, unterstützt von den Leuten der Trinidad, die ihnen zu Hilfe eilten. »Vivat Hohermut, vivat Federmann!«, schrien die Kämpfer. Es war ein wüster Tumult, der erst endete, als die Reisenden der Nuestra Señora endgültig in die Flucht geschlagen waren.

Hans Hauser saß ziemlich erschöpft auf einem Stuhl und ließ sich seine Stirnwunde von dem Studenten kunstgerecht verbinden. Hinnerk Klövekorn, völlig heil, war vergnügt wie selten. Die Keilerei schien ihm unbändigen Spaß gemacht zu haben. Kressel aber bestellte sich bei dem jammernden Wirt, dem vor Angst die Knie schlotterten, in aller Seelenruhe noch einen Becher Wein.

Hohermut, der Gubernator, nahm die Sache weniger leicht. Was sollte werden, wenn hier schon der Aufruhr wider ihn das Haupt erhob? Voll Empörung ließ er noch in der Nacht Federmann zu sich rufen. Er empfing ihn in der Gegenwart des Feldhauptmanns Junker Philipp von Hutten.

»Haltet Eure Leute besser in Zucht, Generalkapitän!«, herrschte er Federmann an.

»Ich kann niemanden verwehren, dass er Vergleiche zieht zwischen Euren und meinen Bediensteten um die Eroberung Venezuelas«, erwiderte der Ulmer trotzig.

»Hütet Euch, Generalkapitän! Ich dulde keine Auflehnung.«

Federmann erbleichte und ballte unwillkürlich die Fäuste. Er schien etwas erwidern zu wollen, besann sich aber und verließ den Gubernator mit einer steifen, förmlichen Verbeugung.

»Nun haben Euer Gnaden einen Todfeind«, meinte Philipp von Hutten ernst.

»Ich kann es nicht ändern«, erwiderte Hohermut.

Über Novotny sprach Hohermut ein strenges Urteil. Er ließ ihn peitschen und viele Stunden am Mastbaum festbinden, dazu noch auf der Trinidad, wo er dem Gespött der Matrosen und Reisenden ausgesetzt war. Als man ihn losband, war er so steif, dass er nicht gehen und stehen konnte.

In Las Palmas kamen noch über hundert Auswanderer an Bord, die der welserische Faktor Bartholomäus Mai auf den Kanaren geworben hatte. Auf den Schiffen herrschte nun eine unbeschreibliche Enge. In den Räumen lagen die Menschen buchstäblich übereinander, in den Hängematten die einen, auf den nackten Planken die anderen. Hans Hauser war nicht wenig froh über das enge Plätzchen, das ihm Kressel an seiner Seite bei den Pferden eingeräumt hatte. Der neue Zuzug verstärkte übrigens den spanischen Einschlag unter den Kolonisten gegenüber dem deutschen beträchtlich.

Dann, nachdem die Trinkwasservorräte ergänzt und noch einige Hunde an Bord genommen worden waren, stach nach einem Aufenthalt von fast einer Woche das Geschwader wieder in See. Eine Weile grüßte noch der Pico del Teide, dann versank die Alte Welt hinter dem Horizont.

Nirgends auf der Welt fuhren Schiffe zur damaligen Zeit so lange über See, ohne dass der Schiffer Land erblickte, wie auf der Fahrt nach Westindien. Auf der Ostindien- und Molukkenfahrt sah der Portugiese kaum einmal eine Woche lang kein Land, aber auf der Fahrt gen Westindien vergingen Wochen, ehe das Gestade der Neuen Welt vor den Augen der Ungeduldigen aus dem Meer auftauchte. Der Kapitän der Trinidad nahm den Kurs, den seit Kolumbus’ erste Reise alle Schiffe nach Westindien einzuschlagen pflegten. Er steuerte zunächst nicht westwärts, sondern geraden Wegs nach Süden, um die Zone des beständigen Passatwindes zu erreichen. Das Meer war ruhig, wie immer in diesen Breiten. Nicht umsonst nannten die spanischen Seefahrer diesen Meeresstrich golfo de las damas, den Damengolf. Die Matrosen brauchten fast keine Hand an die Segel zu legen.

Am dritten Tag nach der Abfahrt von Las Palmas wurde der Wendekreis des Krebses passiert, die nördliche Grenze der Tropen. Das war nach uraltem Seemannsbrauch Anlass zu Fröhlichkeit und tollem Schabernack. Es gab sonst immer nur ein halbes Maß Wein und ein Pfund Fleisch oder Fisch für je drei Mann am Tag, und auch das wurde so genau nicht genommen, was freilich Verdruss unter den Reisenden erregte. Denn sie hatten ja auch ihre acht Dukaten oder mit der Waffenausrüstung sogar zwölf Dukaten für die Überfahrt bezahlt, wenn sie nicht damit bei den Welsern in der Kreide standen. Heute gab Franz Lebzelter, der Spensierer oder Pfennigmeister, die doppelte Ration an Wein und Fleisch aus, dazu eine Menge Zwieback.

Das schöne Wetter hatte alle an Deck gelockt. Überall tönte lautes Lachen. Eine dichte Schar drängte sich um Jakob Schmitz, den Kölner Barbier, der schier unerschöpflich war in seinen tollen Schnurren und saftigen Späßen. Inzwischen bereiteten die Matrosen alles für die feierliche Handlung vor, die Taufe aller derer, die zum ersten Mal den Wendekreis passierten. Es waren fast alle, Hohermut und Hutten nicht ausgenommen. Gegen Mittag rief die Pfeife des Steuermannes die Fahrgäste zum Oberdeck. Hier stand auf der Treppe, die zum Hüttendeck hinaufführte, Hinnerk Klövekorn, der seebefahrene Hamburger, toll herausgeputzt mit einer spitzen bemalten Papiermütze und einem weißen Laken. Halb war er wie ein Bischof, halb wie ein Ketzerrichter anzusehen. Der Hamburger hielt eine feierliche Ansprache, deutsch, mit spanischen und englischen Brocken gemischt. Dann stützten sich auf seinen Wink die Matrosen auf die Reisenden und übergossen sie mit Seewasser aus Bütten und Eimern, dass bald das ganze Deck voll Wasser stand. Auch Hohermut und Hutten wurden nicht verschont, und die Matrosen ließen erst ab, als Hohermut dem Spensierer gebot, noch ein Fass Wein zu opfern. Mit einigen Täuflingen verfuhren die Matrosen besonders schlimm, zumal mit Gundelfinger, der als Majordomo ein strenges Regiment führte und eisern auf Ordnung sah. Sie banden ihnen ein Tau um die Brust und warfen sie schlankweg über Bord. Es gab allemal ein großes Gelächter und Gekreisch, wenn die des Schwimmens Unkundigen schnaubend und prustend baten, dass man sie um Gottes und aller Heiliger willen wieder an Bord ziehe.

Natürlich hatten die Matrosen es auch auf Hans Hauser abgesehen, der neben dem Schiffsjungen der Jüngste an Bord war. Doch er entschlüpfte schnellfüßig seinen Verfolgern und kletterte so rasch die Wanten hinauf, dass keiner ihm folgen konnte. Einen Augenblick stand er hoch aufgerichtet auf der Rahe des Großmastes, dann warf er sich mit kühnem Schwung ins Meer. An der zugeworfenen Leine wurde er wieder an Bord gehievt. Der kühne Streich erhöhte sein Ansehen bei Matrosen und Reisenden gewaltig.

»Büst ein fixen Jung!«, sagte Klövekorn anerkennend.

Sogar der schweigsame Kapitän warf ihm einen freundlichen Blick zu.

Kressel war ziemlich übler Laune. Man hatte ihn auch über Bord werfen wollen, aber er hatte mit seiner Bärenkraft die beiden kleinen spanischen Matrosen, die sich an ihn machten, fortgeschleudert, dass sie hart auf die nassen Planken fielen. Aus Rache übergossen sie ihn hinterrücks mit Strömen von Wasser. Nun saß er schimpfend am Vordersteven, nackt, wie ihn Gott erschaffen hatte, und trocknete seine Kleider. Erst als ihn Hans Hauser einen großen Zinnbecher mit Wein brachte, besserte sich seine Stimmung. Joachim Fabricius, der Niedersachse und Wittenberg Student war ziemlich glimpflich davongekommen. Die Matrosen behandelten ihn fast wie einen Offizier, obwohl er keinerlei militärischen Grad bekleidete.

Nach etwa zweiwöchiger Fahrt gelangte das Geschwader in das merkwürdige Grasmeer, das schon Kolumbus und seine Gefährten erstaunt, ja erschreckt hatte und das bei den Spanier und Portugiesen Mar de Zargasso heißt. So weit das Auge reichte, war das Meer von grünbraunem schwimmendem Tang bedeckt, dass es aussah, als glitte das Schiff über eine Wiese. Ängstliche meinten schon, die Schiffe würden im zähen Geflecht steckenbleiben, aber sicher fand die Trinidad, ein wackerer Segler, ihren Weg, gefolgt von der Nuestra Señora, die nur ein wenig zurücklag, und der kleinen Santa Marta, die tapfer den größeren Schwestern zu folgen sich bemühte.

Seit man den Wendekreis passiert hatte, war es sehr heiß. In den engen, niedrigen Schiffsräumen herrschte eine furchtbare Temperatur. Auch in dem Verschlag bei den Pferden war es kaum auszuhalten. Hans Hauser verbrachte die Nächte meistens auf Deck. Kressel, Joachim Fabricius und Klövekorn gesellten sich gewöhnlich zu ihm. Dann lagen die vier auf einem Haufen Segel und blickten in den schwarzen Nachthimmel, wo im Norden die heimatlichen Sternbilder immer tiefer sanken und im Süden neue, unbekannte Sterne auftauchten. Schon hob sich das herrliche Sternbild des Südlichen Kreuzes über den Horizont Es war den vieren ganz fromm zumute, als das heilige Zeichen eines Nachts gegen die zwölfte Stunde fast senkrecht am Himmel stand.

Manchmal erzählte Klövekorn. Er hatte viel erlebt und alle Meere befahren, die man damals kannte. Mit einem Portugiesen war er am Kap der Guten Hoffnung und in Ostindien gewesen und schon zweimal in Westindien, einmal in Santo Domingo auf der Insel Hispaniola und einmal in Santa Cruz, der mexikanischen Hafenstadt. Er sprach nicht viel von sich, aber er schilderte die fremden Länder, die farbigen Menschen, die riesigen Tiere, die seltsamen Tempel lebhaft und eindringlich.

»Aber das schönste Land ist doch meine Heimat«, schloss er einmal seine Erzählung. »Kennt ihr Blankenese?« Und als sie verneinten: »Blankenese liegt an der Elbe, und der Strom ist grau und es regnet oft. Aber es gibt feine Deerns dort und einen heißen Trank, wenn man durchnässt nach Hause kommt. Und wenn eine steife Brise weht, Jungs, da ist das ein feines Segeln.« Mit Nachdruck spuckte er über Bord. Er rauchte unablässig Tabak aus einer Rohrpfeife, die ihm ein englischer Matrose geschenkt hatte, der mit Sebastian Cabot unterwegs gewesen war. Seitdem verachtete er die Spanier, die die Tabakblätter gerollt als Cigarros rauchten.

Es gab viel Merkwürdiges zu sehen. Stundenlang konnten Hans Hauser und Fabricius den lustigen Sprüngen der Delfine zusehen, die das Schiff begleiteten, oder den fliegenden Fischen, deren silberglänzenden Leiber im flachen Bogen über die Flut schnellten, wohl ein dutzendmal auf- und niedertauchend, wie Kiesel, die man flach aufs Wasser wirft. Riesige Haie verrieten sich durch die mächtige Rückenflosse, die aus dem Wasser ragte, und Polypen, Seeblasen, groß wie Kinderköpfe, segelten mit dem Wind.

Fortsetzung folgt …