Im fernen Westen – Der junge Auswanderer 4
Der junge Auswanderer
Kapitel 4
Dieser Empfang war einfach, aber wohltuend, und Alfred fühlte sich hier bald heimisch und suchte sich nützlich zu machen. Squire Holz, wie man ihn gemeinhin nannte, war der Besitzer von etwa fünftausend Morgen Landes und zahlreichen Herden von Rindern, Schafen, Pferden und Maultieren, die seinen Hauptreichtum bildeten. Er war ein wortkarger, einfacher, aber gottesfürchtiger Mann, welcher sehr zurückgezogen lebte und sich keinerlei Aufwand gönnte. Streng gegen sich selbst, war er es auch gegen andere, und er hasste nichts so sehr wie Müßiggang und Völlerei. Seine Lebenserfahrungen hatten ihn etwas misstrauisch gegen die Menschen gemacht. Obwohl Alfred ihm auf den ersten Blick sehr wohl gefallen hatte, so wollte er es ihm doch nicht sogleich zeigen, sondern ihn erst auf die Probe stellen, ehe er ihm seine Liebe und sein volles Vertrauen schenkte. Er machte ihn zunächst mit demjenigen bekannt, was er von ihm erwartete. Fleiß, Anhänglichkeit, Rechtschaffenheit und Umsicht. Alfred sollte ihn in der Beaufsichtigung seines Gutes unterstützen. Damit er hierzu tüchtig werde, sollte Texas Dick, welcher ihn von der Eisenbahn abgeholt hatte, ihn in allem unterrichten, was auf einer solchen cattlefarm oder Viehgehöft an Geschäften vorkam. Alfred hatte ein halbes Dutzend Reitpferde und einige Hunde zu seiner Vergnügung. Er musste zuerst tüchtig reiten und die halbwilden Pferde einfangen und zureiten lernen, denn diese Kunst ist eine besonders wichtige auf den Prärien, wo das Vieh in einem halbwilden Zustand aufwächst. Sein Lehrer in diesen Künsten war Texas Dick, ein untersetzter, stämmiger Mann von ungefähr fünfundvierzig Jahren, welcher schon lange in Squire Holz’ Diensten war und dessen Frau den Haushalt auf der Ranch führte. Dick hatte an Alfred einen gelehrigen Schüler und ward ihm daher sehr ungetan, wenn dieser auch in vielen Stücken, zum Beispiel im Schießen und Distanzmesser, den Lehrer bald überholte und in anderen Dingen die ihm gezeigten Methoden verbesserte. Dabei war Alfred immer bescheiden und freundlich und gar nicht hochmütig, behandelte den Texaner niemals als einen Untergebenen, sondern immer als einen Gentleman, was Dick ihm hoch anrechnete. Als Alfred erst tüchtig reiten konnte, musste er Onkel Holz auf dessen Spazierritten über die ganze Ranch begleiten, damit er den Charakter des Bodens, die Weideplätze, die Brandmarken des eigenen Viehs und der Herden der Nachbarn kennenlerne, damit er die Grenzen und die einzelnen Weidegründe erfahre und die verschiedenen Gehilfen und Vaqueros (Rinderhirten) kennenlerne, welche in Squire Holz’ Diensten standen und meist Mexikaner oder Halbblut waren, denn außer Texas Dick waren nur zwei Weiße auf der ganzen Ranch, nämlich ein Engländer und ein Amerikaner aus den Neuengland-Staaten, welche als Oberaufseher angestellt waren. Alfred war bald mit all den Männern auf der Ranch befreundet und bei ihnen beliebt, obwohl Texas Dick sein Lieblingsgefährte war. Er fand auch zu seiner Überraschung, dass er bald auch bei den Mexikanern sehr beliebt war, und zwar nicht nur bei denen auf Onkel Holz’ Gut, sondern auch bei denen von Gosports Ranch und auf viele Meilen in der Umgebung. Anfangs hielt er dies für das gewöhnliche Betragen dieser Leute und tat sich nichts darauf zugute. Bald aber bemerkte er doch, dass sie ihm gegenüber freundlicher waren als gegen andere Weiße. Er teilte einmal schüchtern und befangen seine Bemerkungen darüber Texas Dick mit, obwohl er fürchtete, der raue Grenzer werde ihn wegen dieser Eitelkeit auslachen.
Aber Dick hörte ihn ruhig an und sagte in vollem Ernst: »Ihr habt darin recht, Sir. Ja, diese Greaser (Schmutzfinken; Dick und die meisten seiner Kameraden nannten die Mexikaner niemals anders) sind Euch zugetan. Ihr werdet bei ihnen einen großen Stein im Brett bekommen. Ihr seid der erste Weiße, der ihnen gegenüber freundlich und höflich ist und ihnen hier und da eine Handvoll Rauchtabak schenkt. Das gefällt den dummen L…n.«
»So scheint es«, versetzte Alfred, »aber dabei ist ja nichts besonders. Diese Leute sind doch auch Menschen. Warum ist nicht jedermann freundlich ihnen gegenüber? Weshalb behandelt nicht jedermann sie freundlich? Warum seid zum Beispiel Ihr nicht artig gegen sie? Ich sehe wenigstens, dass Ihr es nicht immer seid, und die armen Burschen haben Euch doch nichts zuleide getan.«
»Nun ja, Ihr mögt recht haben«, erwiderte Dick nachdenklich und ohne alle Empfindlichkeit, »aber ich schätze, es liegt nicht in der Natur der meisten Weißen, gegenüber den Greasers irgendwie freundlich zu sein, und daher kommt es.«
Eine weitere Aufklärung oder Rechtfertigung ihrer Abneigung gegen die Mexikaner konnte Alfred weder von Dick noch anderen Weißen erlangen, mit denen er über diesen Sachverhalt sprach, obwohl die Mexikaner ebenso gut wie sie Anspruch darauf machen durften, zu den Weißen gerechnet zu werden. Seinen liebsten Spazierritt – denn niemand in diesen Gegenden legte je eine Strecke von zweitausend Schritten zu Fuß zurück, wenn er es so einrichten konnte – machte Alfred hinüber zu der Ranch des nächsten Nachbarn, Squire Gosport. (Andrew Jackson City lag, beiläufig gesagt, in einer anderen Richtung, bestand nur aus einer Gruppe von einem halben Dutzend Häusern mit einem Kramladen und Postamt und war von den beiden Ranches ungefähr zwei Wegstunden entfernt.) Squire Gosport hatte eine ziemlich große Familie. Sein ältestes Kind war eine Tochter Emmy, ein hübsches Mädchen von siebzehn oder achtzehn Jahren. Anfangs war Emmy etwas schüchtern und zurückhaltend gegenüber dem jungen Deutschen. Als sie ihn aber näher kennengelernt hatte, erwies sie sich als ebenso freimütig, heiter und gutartig, wie sie hübsch war. Dabei war sie eine vortreffliche Reiterin. Wenn sie auf ihrem Lieblingspony saß, einem prächtigen Fuchs, den sie wegen seiner hellen Mähne Goldfaden nannte, so ritt sie über Stock und Stein mit einer Kühnheit, über welcher Alfred anfangs die Haare zu Berge standen und er oft Anstand nahm, ihr zu folgen, was sie sehr belustigte. Auf Gosports Ranch sah Alfred auch Texas Dick zum ersten Mal seine Geschicklichkeit als Rossbändiger zeigen. Er war eines Morgens mit Herrn Holz, Texas Dick und einem anderen Rossbändiger, einem Mexikaner namens Manuel, hinübergeritten, um dem »Zeichnen« der jungen Pferde mit dem Brenneisen beizuwohnen. Texas Dick hatte einen prächtigen, wilden, jungen Hengst mit dem Lasso aus der Herde herausgefangen, bestiegen und trotz seines Widerstrebens nicht nur geritten, sondern binnen einer Stunde auch so unterwürfig gemacht, dass das zitternde Tier sich Sattel und Zaumzeug auflegen ließ. Bei Tisch kam Alfred neben Emmy zu sitzen, und als sie auch auf Pferde zu sprechen kamen, machte er ihr ein Kompliment über die Schönheit und den Mut ihres Lieblingsponys Goldfaden.
»Ach, Herr Richter«, erwiderte sie, »da hätten Sie erst meinen Schwan, mein Schimmelpony, sehen sollen. Das war das schönste Pferd im ganzen Gebiet, und Vater hätte tausend Dollar für ihn bekommen können. Aber Herr Tony ritt ihn so nachlässig über einen felsigen Hang, dass Schwan den Fuß brach und man ihn erschießen musste.«
»Wie schade! Aber wer ist denn Herr Tony?«, fragte Alfred.
»Wer Herr Tony ist? Wie? Das sollten Sie nicht wissen?«, fragte Emmy erstaunt.
»In der Tat nein, ich weiß es nicht«, versetzte Alfred verwundert. »Ich habe seinen Namen noch niemals nennen hören. Wer ist er oder wer war er denn eigentlich?«
»Er ist ein entfernter Verwandter von Herrn Holz und lebte bei ihm bis wenige Monate vor Ihrer Ankunft«, sagte Emmy. »Er verschwand plötzlich, und niemand weiß, wo er nun ist oder was aus ihm geworden ist.«
»Warum ging er denn fort?«, fragte Alfred, der sich nun erinnerte, dass Ohm Holz ihm beiläufig einmal von einem Verwandten gesprochen, der ihn verlassen habe.
»Ich weiß es wahrlich nicht«, versetzte Emmy. »Niemand scheint es genau zu wissen und Squire Holz nicht gern davon zu sprechen. Sie scheinen beide nicht ganz im Frieden voneinander geschieden zu sein. Aber ich wollte nun, ich hätte nicht von ihm gesprochen.«
Frau Gosport rief ihre Tochter vom Tisch hinweg, um den Kaffee aufzutragen, und so nahm das Gespräch ein Ende. Nach Tisch ward eine neue Herde Pferde von der Prärie in den Korral hineingetrieben, um diejenigen, welche noch nicht gezeichnet waren, mit dem glühenden Stempel zu brennen. Alfred wollte sich die Sache auch mit ansehen und eilte zum Korral. Als er aber um eine Ecke desselben bog, prallte er unwillkürlich zurück, denn vor ihm stand ein wilder Indianer, der erste, den er je zu Gesicht bekommen hatte, denn es hatte sich seit seiner Ankunft keiner der nomadischen Stämme in der Nähe gezeigt.
»Uf! como leva! Wie geht es?«, fragte der Indianer in tiefen Kehltönen und bot Alfred lächelnd die Hand. Alfred schüttelte sie ebenfalls lächelnd und betrachtete neugierig den Wilden. Es war ein Mann über Mittelgröße, aber ungewöhnlich breit an Brust und Schultern, mit rabenschwarzem, grobem Haar, das ihm in langen Zöpfen an den Schläfen und im Nacken herabhing. Seine Kleidung bestand in einem Hemd, einer Jacke, einem Beinkleid und Mokassins aus gegerbter Hirschhaut und mit Glasperlen besetzt. Darüber trug er einen alten, blauen Soldatenrock und auf dem Kopf einen alten Seidenhut, den er mit Adlerfedern, Messingknöpfen und anderem Zierrat besteckt hatte. Auf dem Rücken hingen ihm eine lange Büchse, ein Köcher mit Pfeilen und ein Bogen in einem Futteral. An seinem Gürtel hing ein langes, gerades Messer in einer Scheide, und daneben steckte sein Handbeil oder Tomahawk. Dem Indianer schien die Neugierde zu schmeicheln, womit Alfred ihn betrachtete. Er lachte, dass er seine gesunden, weißen Zähne zeigte, und rief einmal um das andere: »Amigo, buen amigo (Freund, gut Freund)!«
»Holla, da ist ja Cuervo (der Rabe)!«, rief Herr Holz, welcher nun auch dazukam, »Guten Morgen, Cuervo! Das ist ein befreundeter Indianer, Alfred, und einer der Häuptlinge der Ute.«
Cuervo machte sich sogleich an Herrn Holz und trug ihm in gebrochenem Spanisch und Englisch und teilweise in der Zeichensprache, in welcher die Indianer so gewandt sind, etwas vor und deutete auf sein Gewehr und seine leere Kugeltasche. Holz schüttelte den Kopf, und der Indianer schaute mutlos drein.
»Er sagt, er habe keine Zündhütchen mehr und sie seien in dem Kramladen ausgegangen. So kann er nicht auf einige Antilopen pirschen, welche er drüben in dem Vorhügel gesehen hat«, sagte Onkel Holz.
»Ich kann ihm einige geben«, erwiderte Alfred, »ich habe noch aus Europa eine Schachtel voll mitgebracht, welche ich nicht zu meinen Hinterladergewehren gebrauche. Ich habe zufällig welche bei mir.«
»Na, dann gib ihm fünfzig, wenn du sie entbehren kannst, denn er ist im Grunde ein braver Kerl für eine Rothaut«, sagte Holz, wandte sich dann zu dem Ute und teilte diesem offenbar sein gutes Geschick mit, denn Cuervo war sichtlich erfreut, schüttelte Alfred kräftig die Hand und rief mindestens ein Dutzend Mal »Bueno, bueno!«, als Alfred ihm ein blechernes Büchschen voll Zündhütchen schenkte, worauf er seelenvergnügt sein Pony wieder bestieg und davonritt.
Als nach vollendetem Tagewerk Herr Holz, Alfred und Texas Dick wieder nach Hause ritten, fragte Dick plötzlich seinen Brotherrn: »Ei, hab’ ich Sie heute nicht mit Cuervo, dem Ute, sprechen sehen?«
»Allerdings, Dick. Aber warum fragt Ihr?«
»Jenun, es war allerdings nichts Auffallendes dabei, da ich gehört habe, dass die Ute da drüben in den Bergen lagern«, meinte Dick. »Ich meine nur, wir sollten die Ute etwas in der Nähe behalten, weil sich einige Apachen in der Gegend herumtreiben.«
»Das ist nicht möglich, Dick«, sagte Holz. »Die Apachen sind einige Hundert Meilen nordwestlich gezogen, um Büffel zu jagen. Ich habe vorgestern einen Mann gesprochen, welcher von den Plains zurückkam und sie dort gesehen hat.«
»Ihr Wort in Ehren, Squire Holz, aber ich habe zwei Apachen gestern über den Rabbit Tail Creek setzen sehen, als ich nach dem verlaufenen Stier suchte«, erwiderte Dick.
»O, das müssen Ute gewesen sein«, sagte Holz. »Du bist wahrscheinlich nicht nahe genug dabei gewesen, um es genau zu sehen.«
»Ute?«, fragte Dick mit einiger Entrüstung. »Da könnten Sie ebenso gut sagen, es seien burros (Esel) gewesen! Na, als ob ich die Apachen nicht kennen würde! Der eine davon war der alte Pedro, der versoffenste, niederträchtigste Schuft in der ganzen Bande, und der andere war Pequito Miguel. Und dieser Pedro hat mir vergangenen Herbst mein Pony gestohlen, darauf will ich meinen Kopf verwetten.«
»Aber ich sag’ Euch ja, Dick, sein Stamm ist drüben in den Plains«, wandte Herr Holz ein.
»Jenun, das mag ja sein, Squire Holz, aber was meine Augen gesehen haben, das lasse ich mir nicht wegstreiten«, sagte Dick hartnäckig. »Und ich kenne doch die Apachen auch, sollt’ ich meinen, und ich kenne Pedro sogleich, wenn ich ihn sehe, und auch den anderen braunen Schuft kenn’ ich. Nein, Sir, es waren Apachen, oder meine Augen sind keinen Schuss Pulver mehr wert. Und wenn ich darauf die Rede bringe, Sir, so geschieht es nur, weil mir für unsere Schafe bangt, welche diese Schufte stehlen werden. Und was mich am meisten verwunderte, Boss (Meister), dass ich auch noch einen Weißen in ihrer Nähe sah, der mir bekannt vorkam.«
»Und wer war dieser?«, fragte Holz.
»Kann es noch nicht genau sagen, denn der Kerl war zu weit von mir entfernt, um ihn genau zu erkennen«, entgegnete Dick und zog die Brauen finster zusammen. »Die Schufte gehörten aber offenbar zusammen. Leider sahen sie mich zuerst, rissen aus und ritten in die Berge hinein, dass ich sie bald aus den Augen verlor. Der Gang des Weißen, seine Gestalt, sein Kopf kamen mir mächtig bekannt vor, aber ich kann für mein Leben nicht sagen, wo ich ihn gesehen habe.«
»Hm, es ist allerdings auffallend, dass Ihr diese Männer gestern gesehen habt«, sagte Holz nach einer Weile gedankenvoll, »denn ich erinnere mich nun, dass ich gestern, als ich durch Crowsfoot Cannon ritt, einen indianischen Kriegsruf zu hören glaubte. Anfangs hielt ich ihn für den Kriegsruf der Apachen. Weil ich aber danach nichts mehr hörte, redete ich mir ein, ich könnte mich geirrt haben. Nach dem aber, was Ihr mir nun sagt, muss ich am Ende doch recht gehört haben.«
»Ganz sicher, Boss«, sagte Dick ernst. »Dass etliche Apachen in der Nachbarschaft sich herumstreichen, ist Tatsache. Und wenn noch gar Weiße bei diesen braunen Strolchen sind, dann ist’s um so schlimmer. Darum schätz’ ich, wir behalten lieber die Ute in der Nähe und lassen die Apachen von ihnen bewachen, denn den Teufel muss man mit dem Beelzebub vertreiben.«