Captain Concho – Band 76
Bill Murphy
Captain Concho – Der Rebell aus Texas
Band 76
Captain Conchos Rückkehr
Western, Heftroman, Bastei, Köln, 66 Seiten, 1,70 €, Neuauflage, Titelbild von Ertugrul Edirne / Becker-Illustrators
Kurzinhalt:
Sie hatten alles sorgfältig geplant. Wochenlang hatten Captain Concho und Pedro die Flucht aus der Bleimine vorbereitet, in der sie vierzehn Stunden am Tag schuften mussten und in der sie auch hausten. Seit Monaten hatten sie die Sonne nicht mehr gesehen und in dieser Zeit siebenundfünfzig Sklaven gezählt, die tot von den Aufsehern hinausgekarrt worden waren, hingerafft von den harten, geradezu unmenschlichen Lebensbedingungen in der Mine.
Captain Concho war sich darüber im Klaren, dass auch er eines Tages auf dem Leichenhund, wie die Sklaven die Lore nannten, ans Tageslicht gekarrt würde, wenn ihm nicht in Kürze die Flucht gelang …
Leseprobe:
Captain Concho drückte sich gegen den Fels, die Brechstange in den Fäusten. Stockdunkel war es in dem Hauptstollen der Bleimine. Pedro, der große, hagere Mexikaner, mit dem er sich im Laufe der vielen Monate angefreundet hatte, befand sich ihm gegenüber auf der anderen Seite.
Die beiden Aufseher und Antreiber kamen langsam näher. Sie trugen Karbidlampen, die gleißende Helle verbreiteten und an denen sie als Aufseher zu erkennen waren. Es gab freilich noch andere Merkmale, die sie von den in der Mine schuftenden Sklaven unterschied. Sie waren wohlgenährt und kräftig, trugen saubere Kleidung und blanke Stiefel und waren mit einer Bullpeitsche und einem Revolver bewaffnet. Durch die Bank stammten diese Kerle von der Piratenhalbinsel Yucatán. So führten sie sich auch auf. Sie waren roh und gewalttätig, und mit wahrer Inbrunst schlugen sie jeden Sklaven tot, der gegen sie aufmuckte oder gar einen Fluchtversuch unternahm.
Captain Concho und Pedro kannten also ihr Risiko.
Die Aufseher kamen näher. Sie unterhielten sich miteinander. Sie hatten im vorderen Bereich eine der Sklavinnen vergewaltigt, die in der Küche beschäftigt war, und machten sich nun lustig über das arme Ding.
Ihre obszönen Ausdrücke quälten förmlich Sam Conchos Ohren.
Sie hatten getrunken. Die Tequila-Fahne wehte vor ihnen her.
Captain Concho hatte das ausprobiert: Die hellen Lampen blendeten die beiden Männer. Was außerhalb des Lichtkegels geschah, konnten sie unmöglich wahrnehmen.
Ihre Stiefel knirschten auf dem hart getretenen Boden. Sie lachten, und Captain Concho verstand, dass sie die Absicht hatten, sich die bedauernswerte Sklavin noch einmal vorzunehmen, sobald sie abgelöst wurden und bevor sie die Mine verließen.
Für ihre Umgebung hatten sie keine Augen. Sie redeten drauflos und sahen sich dabei an. Ahnungslos gingen sie vorbei.
Captain Concho stieß sich ab und schlug zu.
Ohne einen Laut von sich zu geben, brach der Yucatánpirat zusammen. Pedro besorgte es dem anderen.
Die Karbidlampen schlugen scheppernd hin, brannten aber weiter. Sam Concho und Pedro stürzten hin und stellten die Lampen aufrecht. Die Steinbohrer, die so stumpf waren, dass sie nur noch als Brechstangen benutzt wurden, warfen sie achtlos zur Seite. Sie zogen sich rasch aus. Captain Conchos Uniform bestand nur noch aus Fetzen.
Sie zogen den bewusstlosen Männern die Stiefel, Hosen und Jacken herunter und zogen die Sachen an. Schnell ging das. Danach rollten sie die bewusstlosen Aufseher zur Seite, nahmen die Lampen in die Hand und stapften los, jeder mit einem Revolver und einer Peitsche bewaffnet.
Seite an Seite schritten sie den Stollen entlang. Sie gingen nicht schnell, aber auch nicht langsam.
Jetzt kam es darauf an, nicht aufzufallen.
Ein Licht kam ihnen entgegen.
Der Helligkeit nach war es die Karbidlampe eines Aufsehers. Damit hatten sie nicht gerechnet. Wenn der Bursche die niedergeschlagenen Compañeros entdeckte, würde er sofort Alarm auslösen.
Zehn Minuten waren sie noch unterwegs, ehe sie dem Aufseher begegneten.
»Wohin, Muchachos?«, rief er. »Wollt ihr es einer Sklavin besorgen?«
»Abrenuncio, eine Sklavin!«, erwiderte Captain Concho. »Gott bewahre!«
»Du hast ja recht!«, antwortete der Pirat. »Die Putas sind doch alle krank.«
Der Kerl hob die Lampe und verharrte. »He, ihr! Ihr seid …«
Pedro hatte mit der Peitsche zugeschlagen. Das Leder flappte ihm blitzschnell ein paar Mal um den Hals, und Pedro riss ihn mit der Peitsche von den Beinen. Sam Concho war mit einem Schritt bei ihm, packte ihn an den Haaren und schlug ihm die Stirn auf die Schiene, neben der er lag. Der Aufseher war sofort weg. Seine Lampe war in den Wassergraben gefallen und erlosch.
Sam Concho verharrte und schaute nach hinten und nach vorn.
»Komm weiter, Amigo!«, raunte der lange Mexikaner erregt.
Er stammte aus Hermosillo. In Armut und Elend hatte er dort mit seiner Familie gelebt. Die Mutter seiner Frau, eine Witwe, hätte das ändern können. Agavenfelder und ein riesiger Olivenhain hatten ihr gehört. Nur zwei Kinder hatte sie. Damit seine Frau endlich zu ihrem Erbteil kam, hatte Pedro seine Schwiegermutter erstochen. Ein Dorfpolizist hatte ihn schon eine Stunde später festgenommen. Einen Gerichtssaal hatte er nie gesehen. Sklavenjäger waren vorbeigekommen, und an sie hatte ihn der Dorfpolizist verkauft. Der Dorfpolizist hatte neun Kinder. Pedro aber auch. Sechs von seiner Frau und drei von seiner ältesten Tochter.
Alle lebten nun in Saus und Braus. Die Hälfte der Agavenfelder und des Olivenhaines hatte Pedros Frau geerbt. Der Dorfpolizist war mit den paar Goldmünzen, die er für Pedro erhalten hatte, nicht zufrieden gewesen. Er hatte seine Frau erschlagen und Pedros Frau geheiratet. Nun gehörten ihm die Agavenfelder und der Olivenhain. Mit seiner gesamten Sippschaft wohnte der Dorfpolizist nun in dem großen Haus von Pedros Schwiegermutter.
Das alles hatte Pedro von einem Mann aus seinem Dorf erfahren, den der Dorfpolizist eingesperrt hatte, weil er seinem Nachbarn ein Huhn geklaut hatte. Ein schönes fettes! Aber das hatte der Mann aus Pedros Dorf nicht mehr verzehren können. Wieder waren Sklavenhändler vorbeigekommen, und der Dorfpolizist, obwohl inzwischen ein wohlhabender Mann, hatte den Hühnerdieb an sie verscherbelt. Und dieser arme Hund war wie Pedro in dieser Bleimine gelandet.
Das allein war nun Pedros Motiv für den Ausbruch. Erwürgen wollte er den Hund, diesen Dorfpolizisten. Gericht wollte er in seinem Heimatdorf halten – wenn er freikam.
Bevor sich Captain Concho entschloss, die Flucht aus der Bleimine und aus der Sklaverei zu wagen, hatte er sich mit etlichen Leidensgefährten unterhalten. Aber da hatte keiner einen solchen wütenden Biss im Herzen gehabt wie Pedro.
Seine Rachsucht hatte ihm über die Jahre hinweggeholfen und alle Strapazen und Entbehrungen ertragen und überleben lassen.
Rasch gingen sie weiter. Noch war vom Ausgang nichts zu sehen. Erst als sie um die Biegung kamen, sahen sie das helle Loch des Stolleneingangs. Eine Sperre befand sich dort. Aufseher mit Hunden ließen nur ihresgleichen oder Sklaven mit Posten oder mit Sondergenehmigung passieren.
Fünfhundert Yards vor dem Eingang befanden sich auf der rechten Seite das Verpflegungslager und die Küche mit den Speiseräumen für die Sklaven und die Wachmannschaft. Einst hatten sich dort auch die Unterkünfte und die Latrinen für die Sklaven befunden. Doch diese Räume waren schon vor etlichen Jahren vor Ort verlegt worden. Die Sklaven aßen auch dort nicht mehr. Das Essen wurde in Kübeln auf einem Hund vor Ort gebracht. Statt wegen jeder Mahlzeit weite Strecken zurückzulegen, wurde diese Zeit für die Arbeit genutzt.
Pilar war in der Küche beschäftigt. Sam Concho hatte sie während eines Außenkommandos kennengelernt. Kurz, nachdem er in die Bleimine eingeliefert worden war. Schilf hatten sie hinter der Mine in einem See geschnitten. An Flucht war nicht zu denken gewesen. Sklaven hatten das Areal zuvor eingezäunt, und Posten mit mannscharfen Hunden hatten diesen Zaun Tag und Nacht bewacht.
Innerhalb des Zaunes war die Bewachung jedoch nur oberflächlich gewesen. Hundert Männer und zweihundert Mädchen und Frauen hatten das Schilf geschnitten. Und die vielen Frauen waren der Grund gewesen, dass die Aufseher ihre Pflichten vernachlässigt hatten.
Pilar und Sam Concho hatten sich ineinander verliebt. Diese Liebe hatte Captain Concho Kraft gegeben, sich mit seinem Schicksal erst einmal abzufinden, sich in dieses neue Leben einzugewöhnen, die Örtlichkeiten und den Rhythmus in diesem Sklavenlager kennenzulernen, um Fluchtpläne schmieden und einen davon schließlich ausführen zu können.
Er hatte mit Pilar darüber gesprochen und ihr hoch und heilig versichert, dass er sie mitnehmen würde. Wochen hatte er das hübsche Girl schon nicht mehr gesehen. Aber durch andere Sklaven, hauptsächlich durch die Essenträger, hatten sie miteinander Verbindung gehalten. So schwierig das auch oft gewesen war.
Pedro kannte Pilar nicht, wusste aber von ihr, und er war sofort einverstanden gewesen, dass sie das Girl mitnahmen.
Pilar war in der Provinz Chihuahua zu Hause. Mit ihren Brüdern hatte sie sich Benito Juarez angeschlossen. Kaiserliche hatten sie gefangen genommen und Sklavenhändlern übergeben. Zwei Jahre befand sie sich bereits in dieser Mine, als sie sich kennenlernten.
Große Kampfhandlungen zwischen Juaristas und den Truppen des neuen Kaisers hatten bis dahin nicht stattgefunden. Benito Juarez war noch dabei gewesen, erste Einheiten seiner Bauernarmee aufzustellen. Die kleinen Einheiten unterschieden sich äußerlich überhaupt nicht oder nur unwesentlich von jenen Banden, die seit Menschengedenken in Mexikos Bergen hausten. Und die Kaiserlichen hatten damals nur »Banditen« gejagt, Kriminelle, Verbrecher. Doch das hatte sich geändert. Reguläre Truppen waren zu Benito Juarez übergetreten. Nun tobte ein mörderischer Krieg zwischen den Parteien.
Fackeln brannten in den Gewölben, die früher als Speiseräume gedient hatten. Geräusche klangen hinten aus der Küche. Es roch nach, Essen. Trotz aller Spannung, die den Mexikaner und Captain Concho beherrschte, erinnerte sie der Essensgeruch an ihren Hunger. Ein ständiger Hunger war das, der in einer solchen Mine zum Sklavenleben gehörte.
Sie verharrten hinter einer Säule und schauten zum Stolleneingang.
Unter dem hölzernen Sonnendach da draußen saßen zwei Gestalten. Hundegebell war zu hören.
»Perros!«, stieß Pedro grimmig hervor. »Hunde! – Hombre, wir tragen die Klamotten von Aufsehern. Aber damit sind wir unseren erbärmlichen Sklavengestank nicht losgeworden.«
»Sie liegen an Ketten!«, erwiderte Sam Concho. »Wenn alles klappt, kommt niemand dazu, sie loszubinden. Warte hier!«
Quelle:
- BillMurphy: Captain Concho. Der Rebell aus Texas. Band 76. Bastei Verlag.Köln. 2015