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Der Teufel auf Reisen 18

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Fünftes Kapitel – Teil 2
Abenteuer auf dem Lande

»So beginnen Sie, wenn ich bitten darf.«

Herr von Schwefelkorn räusperte sich. »Also …«

»Nun?«

»Nun, jede Sache muss doch einen Namen haben.«

»Freilich. Wie heißt also der Titel?«

»Der Titel meiner Erzählung heißt ganz einfach: Angeklagt und freigesprochen.«

»Gut. Und jetzt fangen Sie an.«

»Der alten Frau Pätzold Enkelin«, so begann Schwalbes Gesellschafter, »die schlank aufgewachsene Martha, mit dem vollen dunklen Haar, den blitzenden Augen und der stolzen aufrechten Haltung, war unstreitig das schönste Mädchen im Ort. Obgleich das Besitztum ihrer Großmutter nur in einem Häuschen und in ein paar Morgen Land bestand, so würde sie sich doch schon längst vorteilhaft haben verheiraten können, wenn sie die Eigenschaften besessen hätte, aus ihrer Schönheit den richtigen Nutzen zu ziehen. Aber Martha, die sich ihrer körperlichen Vorzüge bewusst war, besaß ein eitles, von Hochmut und Falschheit erfülltes Herz, und wenn heute einer der jungen Burschen des Dorfes glaubte, mit seinen Bewerbungen bei ihr glücklich gewesen zu sein, so sah er sich schon acht Tage später enttäuscht, indem es der schwarzäugigen Martha plötzlich einfiel, ihm mit Kälte und Spott den Rücken zu kehren und sich dafür die Bewerbungen eines neuen Anbeters gefallen zu lassen. Dass sich dieselbe durch ein solches Benehmen im Dorf eben keine großen Freunde erwarb, liegt auf der Hand, denn die übrigen jungen Mädchen hassten sie als eine gefährliche Nebenbuhlerin. Den heiratslustigen Burschen gingen zuletzt auch die Augen auf, denn schließlich mussten sie sich doch bekennen, von der Martha an der Nase herumgeführt worden zu sein. Schon so mancher von ihnen hatte ihr auch im Gefühl der erlittenen Enttäuschung Rache geschworen. Eine Strafe würde ihr falsches, hinterlistiges Benehmen gewiss auch verdient haben. Aber sobald sie merkte, dass ihr Gefahr drohe, dann entwickelte sie alle Hilfsmittel, welche ihr die Natur geschenkt hatte, um ihre Reize in desto verstärkterem Maße wirken zu lassen. In den meisten Fällen gelang es ihr dann auch, den drohenden Sturm zu beschwichtigen und die Beleidigten von Neuem an ihren Siegeswagen zu fesseln. Zuletzt war der junge Andreas, des Waldhüters Sohn, von ihren koketten Künsten geblendet worden. Am verflossenen Sonntag hatte er im Krug fast ausschließlich, zum Ärger der übrigen jungen Mädchen und im Stillen beneidet von manchem seiner Kameraden, die durch die gemachten Erfahrungen darum doch nicht klüger geworden waren, mit der stolzen und hoffärtigen Martha getanzt. Der junge Andreas durfte sich aber auch sehen lassen und in vielen achtbaren Familien wäre er gewiss als Freier willkommen gewesen, denn er hatte nicht allein ein schönes Äußeres. Sein eng anliegender hechtgrauer Uniformrock mit den grünen Aufschlägen und Kragen hob dasselbe noch mehr hervor, sondern der Vater von ihm besaß auch ein Dutzend Morgen des besten Landes als Eigentum. Zudem wusste man, dass er einst im Amt dessen Nachfolger werden würde, da er bei dem regierenden Grafen in hoher Gunst stand.

Andreas war auch ein guter Mensch und jedermann liebte ihn. Wenn er in aufwallender Leidenschaft nicht manchmal zum Jähzorn hingerissen worden wäre, so würde man ihn für viele andere als Muster haben hinstellen können.

Je unverdorbener und offener aber sein Herz noch war, um so weniger wollte er, geblendet von den Reizen der Dorfkokette, an deren Falschheit glauben, obgleich er von mehr als einer Seite zur Vorsicht gemahnt worden war. Im Laufe des Tanzes hatte sich ihm hinlänglich Gelegenheit geboten, dem schönen, durch ansprechendes Benehmen alle seine Gespielinnen weit hinter sich zurücklassenden Mädchen seine Empfindungen an den Tag zu legen. Dieses hatte ihm dabei so aufmunternd zugelächelt und erwiderte seinen stillen Händedruck mit solcher Wärme, dass unser Andreas in voller Seligkeit schwamm und es arglos hinnahm, wie der Kilian, des Müllers Sohn, unter einem herausfordernden Blick die Martha von ihm zum Tanz begehrte, vertraulich den Arm um sie schlang und ihr in den Zwischenpausen unter Scherzen und Lachen allerhand zuflüsterte.

Andreas mochte dies geschehen lassen, denn der alten Frau Pätzolds Enkelin hatte ihm ja mit einem Blick, der tief in sein Herz gedrungen war, versichert, dass sie gern seine Bewerbungen annehmen werde. Als erste Gunst war ihm die Erlaubnis erteilt worden, sie später nach Hause begleiten zu dürfen.

Als er nun mit ihr beim Licht des Mondes dahinwandelte – denn ihre Wohnung lag am äußersten Ende des Dorfes – da wurde er immer wärmer und beredter, und die Augen Marthas strahlten in so süßer hingebender Verschämtheit, dass er der Einwirkung eines solchen Zaubers zuletzt nicht mehr zu widerstehen vermochte und mit einem förmlichen Heiratsantrag hervortrat.

»Ich sage nicht Nein«, lautete die ausweichende Antwort, »aber bevor ich ein festes Versprechen gebe, müssen wir uns erst näher kennenlernen. Du weißt, wie viele Feinde ich im Dorf habe, wie man mich hasst und verleumdet. Deshalb wird es gut sein, wenn du erst selbst prüfst, ob ich zu dir passe.«

»Gern will ich dies tun«, antwortete Andreas.

»Und du wirst also inzwischen meine Besuche annehmen?«

»Wenn du vorsichtig bist, denn wie gesagt, ich will nicht, dass ich abermals ins Gerede der Leute komme.«

»Und du wirst es auch nicht zurückweisen, wenn ich dich mit einem kleinen Geschenk überraschte? In diesen Tagen gehe ich in die Stadt. Ich habe mir etwas für dich ausgedacht, um dessen Besitz dich die übrigen jungen Mädchen des Ortes beneiden werden.«

Martha lächelte als Dank für diese Aufmerksamkeit so hold, dass der junge Mann sich ein Herz fasste, sie an sich zog und ihr einen Kuss auf die brennenden Wangen drückte.

»Geh«, sagte Martha halb abwehrend, »so etwas darfst du dir nicht wieder herausnehmen, wenn du mich nicht böse machen willst.«

Aber Andreas hörte nur halb hin, sein Ohr hatte sich einem anderen Gegenstand zugewendet. Das Klappern der auf dem Weg befindlichen Mühle von Kilians Vater ließ sich in diesem Augenblick vernehmen. Ohne dass er selbst wusste, weshalb, wurde hierdurch plötzlich ein Misston in seinem Inneren wachgerufen. Der lange Kilian mit seiner spöttischen herausfordernden Miene stand auf einmal im Geist vor ihm. Er erinnerte sich jetzt mit Verdruss der freien Weise, mit welcher sich derselbe beim Tanz gegenüber Martha benommen hatte.

»Höre«, sagte er zu dieser, »ich meine es brav und ehrlich mit dir. Aber ich verlange nun auch, dass du von jetzt an alles vermeidest, was irgendeinen falschen Schein auf dich werfen könnte. Ich will dir trauen, aber gib mir keine Gelegenheit, dies zu bereuen, denn ich bin ein heftiger Mensch und es würde kein gutes Ende nehmen. Besonders den Kilian da drüben, des Müllers Sohn, halte von dir fern, denn er ist ein dreister Patron. Ohnedem hat er schon allerhand prahlerische Reden geführt, sodass man denken sollte, es hinge nur von ihm ab, bei dir für seine Wünsche ein offenes Ohr zu finden.«

»Nun wahrhaftig, der wäre gerade der Letzte, den ich anhören möchte!«, entgegnete das Mädchen und lachte hell auf, »und wenn du mir kein größeres Vertrauen schenkst, so hättest du wahrlich besser getan, deine Bewerbungen bei mir ganz zu unterlassen.«

Andreas erging es jetzt, wie es bei ähnlichen Gelegenheiten schon vielen seines Gleichen ergangen ist. Er bereute seine vorschnelle Äußerung und suchte die zürnende Schöne, welche eben im Begriff stand, mit schmollendem Blick und stolz erhobenem Kopf in das Haus ihrer Großmutter zu treten, noch einen Augenblick zurückzuhalten.

»Nun«, sagte er, »es war von mir nicht so böse gemeint. Du magst darin einen Beweis meiner großen Liebe zu dir erblicken. Ich will dir trauen, und wie gesagt, in einigen Tagen gehe ich in die Stadt und kaufe dir ein Geschenk, an dem du Freude haben sollst.«

Die schwarzäugige Martha lächelte wieder versöhnt und ließ diesmal ihre Hand in einer so holden und süßen Weise in der ihres Anbeters ruhen, dass dieser vollends alle Eifersucht vergaß und sich wieder völlig beruhigt und glücklich fühlte. Mit einem »Auf Wiedersehen, wenn ich aus der Stadt zurückkehre!« nahm er Abschied, und in seinem Leben war er nicht so glücklich eingeschlafen und so heiter wieder erwacht, wie jetzt, wo er sich überzeugt hielt, das Herz des schönsten Mädchens des Dorfes sein Eigentum zu nennen.

Wenn man so recht aus ganzer Seele liebt, so kennt man keinen größeren Genuss, als dem Gegenstand seiner Neigung eine Freude zu bereiten. Und eine recht überraschende sollte es auch für Martha werden, das hatte sich Andreas vorgenommen, als er jetzt rüstig und wohlgemut der Stadt zuschritt.

»Guten Morgen, Meister«, sagte er, als er am Markt in den Laden eines ihm wohlbekannten Goldschmiedes trat.

»Willkommen, mein Junge«, antwortete dieser, indem er dem Sohn des Waldhüters die Hand reichte. »Nun, ist es endlich auch mit Euch so weit? Ihr kommt gewiss, um die Trauringe zu bestellen?«

»Das eben nicht«, antwortete unser Bekannter, leicht errötend, »aber was nicht ist, kann noch werden. Sagt mir doch, was dort das schöne Halsband von Granaten mit dem schweren goldenen Schloss kostet, welches einen schon auf fünfzig Schritte so verführerisch entgegen blinkt?«

»Nun, das muss ich sagen«, rief der schlaue Goldschmied, »Ihr versteht es aber auch gerade, das Prächtigste in meinem Laden herauszufinden.«

»Ei, es ist auch für das schönste Mädchen in unserem Dorf bestimmt«, antwortete Andreas mit einem stolzen Blick.

»Kann mir’s schon denken, habt gewiss den Vogel vor allen übrigen jungen Burschen abgeschossen und wollt jetzt auch zeigen, dass Ihr den Wert eines solchen Glückes zu würdigen versteht.«

»Nun, sagt mir also den genausten Preis«, erwiderte der junge Mann mit einem schlauen, zustimmenden Blick. Verliebte besitzen unter anderen Dingen auch in der Regel die Eigenschaft, dass es ihnen bei dem Einkauf von Geschenken, die für den Gegenstand ihrer Neigung bestimmt sind, auf ein paar Gulden mehr oder weniger nicht ankommt. Und so wurden auch hier Käufer und Verkäufer bald einig.

Es war bereits Nacht, als unser Bekannter, in selige Träume gewiegt, die Stadt verließ und der Heimat zueilte. Seine Gedanken befanden sich selbstredend bei Martha. Da er ein gutes Herz besaß, so hüpfte ihm dasselbe vor Vergnügen, wenn er daran dachte, mit welchem staunenden Entzücken diese die blitzenden Steine aus seiner Hand empfangen würde. Und solches sollte noch heute geschehen, das hatte er sich schon am Morgen vorgenommen. Damit für die Auserwählte seines Herzens die Überraschung noch größer würde, war ihr gestern Abend beim Abschied von ihm gesagt worden, dass sie ihn heute nicht zu erwarten brauche, da er bis spät in die Nacht auf dem Schloss beschäftigt sei.

Jetzt war es acht Uhr. Wie er so kräftig fortschritt, berechnete er, dass er um neun Uhr das Häuschen seiner Geliebten erreicht haben könnte. Dann war ringsumher bereits alles still. Er wollte an Marthas Fenster klopfen, und wenn diese dasselbe öffnete, sollte sie unter einem freundlichen Gruß die blinkenden Steine aus seiner Hand empfangen.

Endlich hatte er den Berg und die Brücke überschritten, welche ihn vom Ziel seiner Sehnsucht noch trennten. Schon tauchte in dunklen Umrissen in der Ferne die Wohnung der alten Frau Pätzold auf, jetzt schimmerte ihm bereits Licht entgegen – noch etwa zweihundert Schritte, und er stand unter dem Fenster und konnte unbemerkt das Stübchen übersehen. Behutsam zog er das kleine rote Kästchen, welches das Geschmeide barg, aus seiner Jagdtasche, schob das Gewehr bequem zur Seite und schlich, um nicht bemerkt zu werden, vorsichtig weiter. Unangenehm berührte es ihn freilich, als er gerade in diesem Augenblick unweit von ihm des Müller Kilians Esel sein heiseres, misstönendes Geschrei ausstoßen hörte. Das Bild seines Nebenbuhlers trat plötzlich wieder in den Vordergrund. Siedend heiß wallte sein leicht erregbares Blut auf, aber bald beruhigte er sich wieder, denn die Mühle war ja kaum tausend Schritte entfernt und der Graue konnte sich auf der Weide bis hierher verirrt haben.

Jetzt stand er unter dem Fenster Marthas und warf halb sehnsüchtig, halb neugierig einen Blick in das Gemach. Indessen das Lächeln, welches eben noch auf seinen Lippen geschwebt hatte, erstarb plötzlich bei dem Anblick, der ihm zuteilwurde. Erstarrt und wie in eine Bildsäule verwandelt, blieb er unbeweglich auf seinem Platz. In seinem Inneren begann es wieder zu kochen und er fühlte, dass blinde Wut und rasender Zorn ihm zu Kopf stiegen. Was der arme Junge sah, war nun freilich auch gerade nicht dazu angetan, seinen ohnedem aufbrausenden Charakter Beruhigung zu gewähren. Die alte Pätzold saß nämlich wie gewöhnlich, im Hintergrund der Stube und war bei ihrem Spinnrocken eingeschlummert. Weiter vorn, am großen viereckigen Tisch, hatte aber die falsche verräterische Martha Platz genommen, und dicht neben ihr konnte man den Kilian erblicken, der vertraulich seinen Arm um der Dirne Leib geschlungen und der ihr jetzt sogar einen Kuss auf die vollen frischen Lippen drückte.

Andreas war noch ein guter unverdorbener Mensch. Er meinte es treu und redlich mit dem Mädchen, von dem er sich jetzt so arg betrogen sah. Was Wunder also, wenn ihn bei seinem ohnedem zum Jähzorn geneigten Charakter die Besinnung gänzlich verließ und er nur noch allein seiner entfesselten Leidenschaft Raum gab.

Mit einem heftigen Ruck riss er sein Gewehr von der Schulter und wollte anlegen. Doch im nächsten Augenblick besann er sich eines anderen. Er ließ es wieder sinken und trat oder taumelte vielmehr vom Fenster zurück. Dann zog er das blinkende Halsband von Granaten hervor, schleuderte es zu Boden, zerstampfte es mit seinen Füßen und murmelte, indem sich seine Zähne knirschend übereinanderlegten: »So wie ich diese Steine jetzt der Vernichtung preisgebe, so reiße ich die Liebe, welche ich für dich Falsche hegte, nunmehr aus meinem Herzen und verachte dich, wie es eine so Unwürdige verdient! Ich hätte dich Schlange meiden und mich vor deinem Biss hüten sollen. Dass ich dies nicht getan habe, straft sich jetzt an mir! Aber wenn ich mich damit begnüge, dich zu verachten, so soll dein Buhle nicht so leichten Kaufes davonkommen und den alten Spruch: »Auge um Auge und Zahn um Zahn« will ich wahr machen, und sollte es mein eigenes Leben kosten!«

»Das war allerdings sehr frevelhaft gesprochen«, bemerkte hier Schwalbe, »denn der Mensch soll immer Herr seiner selbst bleiben, und, mit Ihrer gütigen Erlaubnis, Herr von Schwefelkorn, dem Teufel der Leidenschaft keinen Einfluss gestatten.«

»Tun Sie sich gar keinen Zwang an«, grinste der Baron, »Sie sehen aber, Andreas besaß diese Stärke nicht und war kein solcher Tugendheld, wie Sie wünschen. Im Gegenteil, er stürmte mit zornglühenden Augen fort und bald hatte er sich im Dunkel der Nacht verloren.