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Der Marone – Ein Waldfrühstück

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 33

Ein Waldfrühstück

Der junge Engländer blickte mit heftiger Neugierde auf den herannahenden Haufen. Es waren ihrer ungefähr ein Dutzend, alle ganz schwarz oder beinahe schwarz, ausgenommen einer oder auch zwei, die eine gemischte Farbe hatten. Kein Zwerghafter oder Missgebildeter war unter ihnen, sondern jeder von hoher, kräftiger Gestalt, von starken, muskulösen Gliedern, einer von Gesundheit glänzenden Haut und mit im mutigsten Glanz leuchtenden Augen, die ein angeborenes, ursprüngliches Gefühl für Freiheit und Unabhängigkeit verkündeten.

Ihre gerade und aufrechte Haltung sowie ihr fester, ungehemmter Schritt bestätigten Herberts Glauben, dass diese Schwarzen keine Leibeigenen seien. In ihren Blicken und Gebärden lag ihm nichts Sklavisches, und lediglich nur ihrer Hautfarbe wegen hätte er solche Männer mit irgendeinem Gedanken an Sklaverei in Verbindung zu bringen gewusst. Bewaffnet mit langen Messern und Flinten, einige auch mit starken Spießen, konnten sie in allem keine Sklaven sein. Außerdem bewies ihre Ausrüstung deutlich, dass sie Jäger und erforderlichenfalls auch Krieger waren. Alle hatten Hörner und Jagdtaschen über den Schultern hängen und jeder war mit einer umflochtenen Wasserkalabasse ausgerüstet, ganz wie die bereits beschriebene des gelben Jägers.

Einige wenige hatten eine ganz verschiedenartige Ausrüstung, die in einem nicht sehr großen, aus Weiden oder aus Palmfasern zierlich gewobenen Korb bestand.

Dieser war auf dem Rücken durch ein die Brust kreuzendes Band von demselben Palmgeflecht befestigt und durch ein anderes, über die Stirn verlaufendes, das so einen Teil des Gewichtes hielt. Dieser Korb war der Cutacoo, der Raum für die Vorräte oder andere bei ihren wilden Waldwanderungen notwendige Gegenstände.

Ihre Kleidertracht war freilich sonderbar, aber nicht unmalerisch. Nicht zwei waren gleichmäßig gekleidet, obwohl doch eine gewisse Übereinstimmung vorherrschte, die anzeigte, dass sie alle zusammengehörten. Die netzartige Bandana war der gemeinschaftliche Kopfschmuck, nur wenige hatten Hüte von Palmblättern. Einige hatten Hemden mit Ärmeln an. Einigen dagegen fehlten die Beinkleider und einer oder zwei waren vom Gürtel aufwärts und von den Schenkeln abwärts vollkommen nackend, da das weiße Lendentuch alsdann ihr einziges Kleidungsstück war. Alle hatten Füße und Knöchel bedeckt, wie es die steinigen und dornigen Fußpfade, die sie gewöhnlich beschreiten mussten, erforderten. Das Schuhwerk war bei allen gleich und eine Art von eng anschließendem Steifstiefel aus rohem, ungegerbtem Fell, ohne allen Saum und ohne irgendeinen Stich. Die rötlichen, nur einzeln auf der Oberfläche stehenden Borsten zeugten von der Art des Materials, die Haut des Wildschweins. Die Haut vom Hinterfuß eines Ebers wurde, wenn sie noch frisch und warm war, über den Fuß gezogen, trocknete dann und zog sich über dem Spann und Knöchel wie ein elastischer Strumpf zusammen. Ein geringes Zurichten mit dem Messer ist alles, was für die Anfertigung dieser Mokassins notwendig ist. Einmal angezogen werden sie niemals wieder abgelegt, bis die Abnutzung der Sohle eine Ausbesserung erforderlich macht. Das Anziehen der Stiefel ist deshalb kein Teil der täglichen Lasten eines Jamaikajägers.

Zu verwundern war es nicht, dass Herbert die neu Angekommenen mit Neugierde und mit Staunen betrachtete. Die Art und Weise, wie sie berufen worden, ihre sofort widerhallenden Antworten auf das Hornsignal und ihre schnelle, fast augenblickliche Erscheinung waren allerdings Begebenheiten, die viel eher auf der Bühne seines Theaters vorkommen, als im wirklichen Leben. In der Tat, wäre der gelbe Jäger ein weißer Mann und er und sein Gefolge in Lincolngrün gekleidet gewesen, der junge Engländer hätte sich in den Sherwood Forest versetzt glauben können, wo der kühne Robin Hood mit seinen fröhlichen Gesellen um ihn herum versammelt war.

Wer konnten diese Männer eigentlich sein? So fragte Herbert Vaughan sich selbst. Räuber mit schwarzer Haut? Waffen und Rüstung ließen allerdings die Vermutung aufkommen, dass sie eine Bande schwarzer Räuber sein könnten. Maronen hatte sie der gelbe Jäger genannt und für sich selbst dieselbe Bezeichnung in Anspruch genommen. Marone? Gewöhnlich ward darunter ein schwarzer Flüchtling verstanden, aber die Männer vor ihm entsprachen diesem Begriff durchaus nicht.

Sie hatten nicht das Aussehen von Flüchtlingen, und der gelbe Jäger hatte sich auch so geäußert, dass dies nicht anzunehmen war. Flüchtige Sklaven konnten sie auf alle Fälle nicht sein.

»Dieser weiße Herr hat noch kein Frühstück gegessen«, sagte Cubina, als sie näher kamen. »Wohlan, Quaco! Was haben die Leute in ihren Cutacoos vorrätig?«

Der so Angeredete war ein pechschwarzer, großer und starker Mann mit einer ernsten, doch geheimnisvollen Miene und schien eine Art von Lieutenant bei der Bande zu sein.

»Nun, würdiger Hauptmann«, antwortete er und grüßte den gelben Jäger mit einer etwas plumpen Bewegung, »ich glaube, es wird genug da sein, das heißt, wenn der Herr einen guten Appetit hat und nicht zu wählerisch bei seinem Essen ist.«

»Was ist denn vorhanden? Lasst mich sehen?«, unterbrach Cubina und besah sich den Inhalt der Körbe. »Ein Schinken von einem ganzen gebratenen Schwein«, fuhr er fort und packte einen Cutacoo aus. »Das ist zum Anfang schon gut. Ihr Weißen habt ja eine besondere Vorliebe für unser gebratenes Wildschwein. Was noch weiter? Ein Paar Bernhardkrebse. Nun, das ist auch gut. Aber das da ist noch besser, ein Paar wilde Tauben und ein wildes Guineahuhn. Wer trägt den Kaffee und Zucker?«

»Hier, Hauptmann«, rief ein anderer der Cutacooleute, der seinen Korb auf den Boden setzte und das zum Kaffeemachen notwendige Geschirr herausnahm.

»Mach ein Feuer und spute dich!«, befahl Cubina, augenscheinlich der Hauptmann der schwarzen Bande.

Auf den Befehl hin wurde Zunder angebrannt, trockene Blätter und Zweige wurden schnell gesammelt, und bald loderte ein Funken sprühendes, knisterndes Feuer auf dem Boden. Darüber wurde ein sich auf zwei gabelförmige Stöcke stützender Spieß gelegt, der bald eine Anzahl in den Flammen hängender eiserner Töpfe trug.

Bei so vielen Köchen war die Arbeit, das Fleisch für die Töpfe zuzubereiten, nur gering und ging schnell vonstatten. Die Tauben und das Guineahuhn wurden so schnell abgesengt, wie die Federn nur brennen wollten, wurden ausgenommen und zerteilt und dann in Stücke zerschnitten in den größten Topf geworfen. Die Bernhardkrebse teilten dasselbe Schicksal und ebenso einige Stücke von dem wilden Schweineschinken. Dann wurde eine Handvoll Salz hinzugetan, etwas Wasser, einige wenige Schnitte Pisang, etwas Kakakun und etwas roter spanischer Pfeffer, was alles aus den Cutacoos genommen wurde.

Ein lebhaftes Feuer brachte den Topf bald zum höchsten Kochen, und Lieutenant Quaco, der als Küchenvorstand wirkte, erklärte, nachdem er wiederholt den Inhalt probiert hatte, dass der Pfeffertopf fertig sei, um aufgetragen zu werden.

Schüsseln, Teller, Gläser kamen nun zum Vorschein, alle aus Kalebassenholz verfertigt. Sobald Herbert und der Hauptmann sich die besten Stücke von dem schmackhaften, gedämpften Fleisch genommen hatten, wurde das Übrige unter die Leute verteilt, die sich in Gruppen auf den Boden gesetzt hatten und das allgemein beliebte Fleischgericht mit einer Begierde verzehrten, die bewies, dass es auch ihr Frühstück sei.

Der Pfeffertopf war indes nicht das einzige Gericht des Waldfrühstücks. Schweinefleischschnitte von dem frisch erlegten Eber wurden außerdem gereicht, während Pisange und Kokosnüsse, die in der Asche geröstet wurden, kein zu verachtendes Ersatzmittel für Brot gewährten.

Der zweite über dem Feuer kochende Topf enthielt den Kaffee, der, aus den Kalebassen geschlürft, sicherlich eben so fein schmeckte, als würde er aus Tassen vom reinsten Sèvresporzellan getrunken.

Bei diesem improvisierten Waldfrühstück wurde auch der arme Gefangene keineswegs vergessen, sondern mit den Resten versorgt, indem der riesige Quaco seine Wünsche mit einer Miene stillen Lächelns befriedigte.

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