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Der Totenwirt und seine Galgengäste 7

Der-Totenwirt-und-seine-GalgengästeDer Totenwirt und seine Galgengäste
Eine abenteuerliche und höchst wundersame Ritter-, Räuber-, Mörder- und Geistergeschichte aus der grauen Vorzeit, um 1860

Der kaiserliche Leibarzt

Die Kunde von den endlosen und unerklärbaren Leiden der jungen Gräfin Bardenfels, der bei dem Kaiser in hoher Gunst stand, war auch bis in das kaiserliche Hoflager gedrungen, und hatte den Kaiser, der soeben alle Anstalten traf, zur Feier seiner zweiten Vermählung mit der in wenigen Tagen aus Flandern über den Rhein kommenden, schönen und tugendhaften Braut, einer sehr reichen Herzogstochter, und deshalb eine ganz besondere Teilnahme wegen des bedauernswürdigen Schicksals Hedwigs fühlte, bewogen, seinen eigenen hochberühmten Leibarzt nach Burg Bardenfels zu senden, mit dem ausdrücklichen Auftrag, zur Heilung der jungen Gräfin sein Möglichstes zu tun.

Das Gemach Hedwigs bot einen jammervollen Anblick. Auf ihrem Siechbett liegend glich sie einer Leiche, die man seit vierzehn Tagen zu begraben vergessen hatte, sobald sie schweigend die eingesunkenen Augen schloss. Dieses Schweigen dauerte aber immer nur einen Augenblick und wurde sogleich vom Winseln und Jammern unterbrochen. Ihre Finger, die aus zartem Elfenbein geschnitten schienen, umschlang ein Rosenkranz zum Gebet. Zu ihren Füßen stand in einer Wandnische ein Kruzifix mit der schmerzhaften Gottesmutter am Stamm des heiligen Kreuzes. Zu ihrem Haupt betete still ihr Vater mit gefalteten Händen. In einem Stuhl sitzend zur Rechten der geliebten Tochter barg die Mutter ihre tränenvollen Wangen in den Kissen. Ihr gegenüber beobachtete der ehrwürdige Leibarzt, seit acht Tagen das Krankenlager nicht verlassend, aufmerksam die Leidende. An der Tür erwartete Hildebert in angstvoller Spannung den auf diesen Tag vom Leibarzt des Kaisers festgesetzten Ausspruch, der über Leben oder Tod der armen Hedwig entscheiden sollte.

Eine volle Stunde lang hatte der Leibarzt den Puls der Leidenden ununterbrochen geprüft. Jetzt zog er leise seine Hand weg, und sprach: »Herr Graf, ich kann Euch nur den Trost geben, dass Eure Tochter an ihrer Krankheit nicht sterben, aber auch durch irgendeine ärztliche Kunst nicht genesen wird. Diese Krankheit ist keine von jenen, die ihren natürlichen Verlauf nehmen, und mit der Wiederherstellung oder dem Tod enden, und aus gleichem Grund gibt es hier auch kein natürliches ärztliches Mittel zur Linderung der Schmerzen, wovon ich mich durch meine vielen Versuche überzeugt habe. Den Beweis davon liefert der Umstand, dass der Puls fortwährend regelmäßig schlägt, wie bei einer Gesunden, was bei einer natürlichen Krankheit unter so heftigen Schmerzen unmöglich wäre.

Pflichtgemäß muss ich also die Krankheit Eurer Tochter für ein höllisches Zauberwerk erklären, und sie kann nur wieder gesund werden, wenn dieser Zauber gebrochen wird. Die Mittel dazu liegen außerhalb meiner Macht. Sie aufzufinden, muss ich Eurer Einsicht und Eurem eigenen Ermessen überlassen. Ich gedenke, mit anbrechendem Morgen, von meinen zwei Dienern begleitet, zu meinem kaiserlichen Herrn heimzukehren, um ihm von dem Zustand Eurer Tochter persönlich Bericht zu erstatten, von Euch aber, und von den Euren heute Abend mit dem größten Dank für die vortreffliche Bewirtung Abschied zu nehmen.«

Nach einer tiefen Verbeugung verließ er das Gemach, um seinen Dienern den Auftrag zu geben, zu seiner Abreise am anderen Morgen die nötigen Anstalten zu treffen.