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Der Totenwirt und seine Galgengäste 5

Der-Totenwirt-und-seine-GalgengästeDer Totenwirt und seine Galgengäste
Eine abenteuerliche und höchst wundersame Ritter-, Räuber-, Mörder- und Geistergeschichte aus der grauen Vorzeit, um 1860

Liebesantrag und Maulschelle

Unter den vielen Stallknechten des Grafen Ermin von Bardenfels befand sich auch ein Vagabund, namens Bastian, der durch ganz besondere Dienstbeflissenheit die Gunst des Grafen erschlichen hatte. Die ihm anvertraute Abteilung des Stalls war immer am reinlichsten gehalten. Kein anderer putzte und pflegte die Rosse so sorgsam, fütterte und tränkte sie so pünktlich. Die Zäume und alles Riemenzeug waren immer glänzend schwarz. Der Graf lobte ihn oft bei seinem täglichen Besuch der Stallungen und stellte ihn den übrigen Stallknechten als ein Muster zur Nachahmung auf, worüber diese natürlich ergrimmten im Bewusstsein ihrer redlich erfüllten Pflichten, ohne dass sie eine Gegenrede wagen durften.

Da Bastian den Tag über in der kleinen Kammer neben seiner Stallabteilung immer schlief, jene Stunden ausgenommen, die vom Grafen und Hildebert zum Besuch der Ställe regelmäßig benutzt wurden, nach eingebrochener Nacht aber jederzeit auf einem geheimen Weg die Burg verließ, und erst mit dem Grauen des Morgens aus seinem Kämmerlein trat, als habe er soeben sein Ruhelager verlassen, so konnten die anderen Stallknechte nicht begreifen, zu welcher Zeit er seine Dienste verrichte.

Sie beschlossen zu lauern. In jeder der vier Stallabteilungen war oben an der Decke eine viereckige Öffnung angebracht, aus welcher von dem Heuboden der tägliche Bedarf an Heu für die Rosse herabgeworfen wurde. Zu dieser Lauer hatte sie eine grobe Antwort Bastians auf ihre Frage »Zu welcher Zeit tust du denn deine Dienste, da wir dich niemals arbeiten sehen?« bewogen.

Seine Antwort lautete: »Ja, welcher Zeit? Bei Nacht, wenn ihr auf euren langen Eselsohren schnarchend liegt.«

Zwei mutige Stallknechte traten einst bei Anbruch der Nacht, eine halbe Stunde später, als Bastian sich zur Ruhe in seine Kammer begeben hatte, in dieselbe, und fanden sie leer. Die Kammer hatte keinen anderen Ausgang, als durch die in den Stall führende Tür. Dies kam ihnen verdächtig vor. Sie stiegen auf den Heuboden und legten sich auf den Bauch, sodass sie gerade in die Stallabteilung Bastians hinabsehen konnten, welche, wie jede der übrigen, bei Nacht durch eine Laterne beleuchtet war.

Ein eisiger Schauer überlief die zwei Lauernden, als sie um Mitternacht von unsichtbaren Händen alle Dienste Bastians, das Striegeln seiner vier Rosse, das Auskämmen ihrer Mähnen, das Ausmisten und das Aufschütten frischer Streu, das Putzen des Riemenzeugs hörten und die Besen von selbst geschäftig sich tummeln sahen. Bald darauf war alles still, und alle Arbeit getan. Die Lauernden sahen recht wohl ein, dass hier Zauberspuk getrieben wurde, aber aus Furcht, dass ihnen der Teufel den Hals umdrehen würde, wenn sie das Erlebte in dieser Nacht ausschwätzten, schwiegen sie weislich und trösteten sich mit der Zuversicht, dass alles nur eine Weile dauere, und dass der Satan den Bastian schon zur rechten Zeit holen werde.

Nun ereignete sich, dass einst der Graf von einem Besuch am kaiserlichen Hoflager mit einem prächtigen weißen arabischen, zu Spazierritten für Hedwig bestimmten Zelter heimkehrte, den er von einem türkischen Rosshändler gekauft hatte. Dieser Zelter war lammfromm zugeritten und gewährte der jungen Gräfin das größte Vergnügen, wenn sie zwischen ihrem Vater und Hildebert in den Lichtungen der großen Buchen- und Tannenwälder unter dem fröhlichen Schall der Jagdhörner dahinsprengte.

Die Pflege dieses kostbaren Tieres vertraute der Graf dem Bastian, dem lobsamen Stallwächter, an, welcher sich diesen Dienst so angelegen sein ließ, dass er oft wie ein wachbarer Hund vor dem Stand des Zelters lag. In dieser Stellung traf ihn gar häufig Hedwig, wenn sie mittags, da die übrigen Stallknechte in ihrer gemeinsamen Speisekammer saßen, in den Stall kam, um dem lieben Zelter, der ihr immer schon freudig entgegenwieherte, ein Stückchen Kuchen zu bringen. Bastians Sorgfalt für ihren vierbeinigen Liebling gefiel ihr so wohl, dass sie ihm bisweilen ihre Zufriedenheit bezeigte, indem sie ihm mit den Worten lächelnd aus die Schulter klopfte.

»Bastian, fahre nur so fort. Du hast mein ganzes Vertrauen!«

Durch ein Missverständnis dieser Worte, die er auf seine Person bezog, während sie nur der Pflege des Zelters galten, wähnte der verwegene Bursche, dass die junge Gräfin heimlich in ihn verliebt sei, und erfrechte sich, bei der nächsten ähnlichen Gelegenheit nach wenigen Tagen, ihr zu Füßen zu stürzen und seine heiße Liebe zu gestehen, die sie ohnehin schon auch für ihn fühle.

Hedwig war wie erstarrt wegen dieser Zumutung, die sie für einen Ausbruch des Wahnsinns hielt. Ihr Schweigen schien dem Frevler nur eine jungfräuliche Schüchternheit, er sprang also empor, und wollte eben die Arme nach ihr ausstrecken, als sie ihm einen so gewaltigen Schlag in das Gesicht versetzte, dass ihm das Blut aus der Nase schoss.

»Elender!«, rief sie zornglühend, »ich werde deine Frechheit sogleich meinem Vater sagen, der sie nach Gebühr zu bestrafen wissen wird.«

Und wieder stürzte Bastian auf seine Knie, faltete seine Hände, und flehte voll Angst: »Erbarmt Euch meiner, gnädigstes Fräulein! Schweigt, um mich nicht unglücklich zu machen!«

Die mitleidige Hedwig schaute mit zürnender Miene auf ihn zurück, nickte aber bejahend zum Zeichen der Bewilligung seiner Bitte und eilte aus dem Stall.

Kaum hatte sie die Schwelle überschritten, als Bastian wie rasend emporsprang, und die Worte murmelte, die geballten Fäuste drohend gegen die Stalltür ausstreckend:

»Da, hochmütige Dirne, diesen Schlag ins Gesicht sollst du teuer büßen! Teufel, hilf mir zur Rache!«

Ein höllisches Gelächter, nur ihm hörbar, gellte ihm in die Ohren.