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Sagen- und Märchengestalten – Feen und Elfen – Teil 2

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Feen und Elfen Teil 2

Im irischen Elfenmärchen steigt der alte Held und König O’Donoghue auf einem silberweißen Tier aus der Flut des Klllarney-Sees empor und hält mit seinen Elfen im rosigen Morgenstrahl des ersten Maitages den herrlichsten Umzug, den Geister je getan haben. Glückselig der Wanderer, den sein günstiges Geschick um jene Zeit absichtslos an des Sees Gestade führt! Der seltene Anblick bringt dem Schauenden Segen, dem Land reiche Frucht. Wo Elfen und Feen tanzen, bildet sich im Gras ein Kreis, auf dem die Halme dichter, höher und grüner stehen, als rings umher, und wenn ein Haus an solcher Stelle errichtet wird, spenden die Elfen den Bewohnern desselben ihre reichsten Gaben. Jung Tamlan zog auf seinem Ross über die schottischen Hügel dahin. Zu seinem Onkel wollte er reiten. Doch Sonne und Luft hatten ihn ermüdet, er stieg ab, ließ sein Tier in einem Baumschatten und warf sich achtlos auf den üppigen Rasen nieder. Weil der Knabe sich aber mitten in den heiligen Kreis gebettet hatte, versank er sogleich in den tiefsten Zauberschlaf. Da nun die Dämmerung ihre weichen Flügel über die Erde zu breiten begann, Nebel emportauchten und der Mond endlich mit dem goldenen Horn über die finsteren Wälder hinausschiffte, öffnete sich leise der Hügel, und eine Schar glänzender Elfen schwebte durch die milde Abendluft. Ihren verwunderten Blicken zeigte sich schlummernd Jung Tamlan im holden Schmuck der reinsten Jugend. Die Elfenkönigin rief ihre Dienerinnen mit geheimnisvollem Wort herbei, hieß sie den Knaben sanft emporheben und in ihr unterirdisches Reich tragen. Dort barg sie ihn Jahre lang, bis die Sehnsucht nach dem Licht des Himmels, nach dem Duft der Blumen und Wälder ihn zur Oberwelt emportrieb. Am Hügel weilte eine Jungfrau, die einst, ein Kind noch, ihm hold und freundlich war, die jetzt ihn liebt und aus der Geistermacht erretten will. Da flüstert er ihr zu, leise, dass kein Verräter ihn belauscht: »Morgen ist aller Heiligen Tag, an dem die Elfen heimkehren in des Hügels Tiefe. Mich zu befreien, harre an dem Weg, wo das Kreuz errichtet steht. Unbeachtet lass den ersten Zug vorüberwallen, auch den zweiten, im dritten erst erblickst du mich. Nicht von dem braunen, nicht vom schwarzen Ross, von dem weißen zieh den Mann herunter und halte ihn fest mit starkem Arm, wie die Geister ihn auch wandeln mögen!«

Und so geschah es. Mutig hielt die Jungfrau stand, ob der Jüngling auch zur ringelnden Schlange, zum glühenden Eisen oder zum Vogel wurde. Endlich umfängt sie ihn als nackten Mann und deckt den Entzauberten mit grünem Mantel zu. Nun gehört er ihr, und sie entflieht mit ihm, nicht achtend der zürnenden Elfen Drohungen.

»Hätten wir das gewusst! Deine Augen würden wir dir entrissen, dein treuloses Menschenherz aus der Brust genommen, Augen vom Baum in die leeren Höhlen und einen Stein in den Busen gesetzt haben!«

In Bäumen und Pflanzen hausen die Elfen, wie in Flüssen und Brunnen. Sie tragen grünes Gewand. Einen Knaben, den sie mitgenommen hatten, sah man eine Zeit lang auf einem Bergabhang in einem grünen Rock umherstreifen. Dann verschwand er auf immer.

Schon aus dem Vorhergehenden erhellt, wie das Elfenleben sich den Eigentümlichkeiten des Ortes und der Zeit anschließt, dort ist es ein klarer Himmel über dürrer Heide, hier ein seenreiches Land im kalten Norden, dort eine heiße mitternächtige Gegend, wo das Alfendrama spielt. Und so werden alle diese Verhältnisse ebenso viele Bedingungen ihrer eigentümlichen Lebensgestaltung. Nur ein sicherer Blick in die ursprüngliche Zeit der Sagenbildungen vermag die Zusätze, falschen Züge, Trübungen und Entstellungen aus späteren Zeiten mit richtigem Takt herauszufühlen, zu ermitteln und abzusondern. An einem heißen, sonnigen Tage schritt über die Ebene im südlichen Frankreich ein junger Wanderer im Mönchsgewand, die Kapuze zurückgeschlagen, aus der ein feines, geistvolles Antlitz hervorleuchtete. Doch schien ein bedrückender Kummer das Auge zu verdüstern, wenn es in tiefes Nachdenken versunken den Boden suchte. Die Hände, welche den Rosenkranz hielten, schlangen sich dann fester ineinander, als strebten sie dadurch der inneren Erregtheit Herr zu werden. So verschwand die Ebene vor des Mönchs Blicken, und eine lange Reihe mit Büschen umringter Hügel nahm ihn auf, den Achtlosen gegen die versengende Mittagsglut beschirmend. Schon perlten reichliche Tropfen von der breiten Stirn des Wanderers, seine Zunge klebte schmachtend am Gaumen, und er warf einen zerstreuten Blick umher nach dem Ruheplätzchen, das ihm Schutz gegen die Strahlen der Sonne und einen frischen Trunk aus sprudelndem Quell verheißen möchte. Gerade vor ihm drängten die vollbelaubten Bäume sich dichter aneinander. Grünes, schwellendes Moos winkte unter den Stämmen zum Niedersitzen, der Mönch tat einige rasche Schritte, die ihn mitten in das schattigste Rund leiteten, das jemals von einem breiten Kreis schimmernden Grases umfasst wurde. Da lag dicht vor den Füßen des Staunenden auf einem kostbaren, seidenen Teppich, halb im Gezweig einer Haselstaude verborgen, ein wunderbar schönes Weib, von zarten, grünen Gewändern umflossen, in ihrem Schoß ein Haufen altertümlich geprägter Gold- und Silbermünzen, mit denen ihre weißen Hände nachlässig spielten.

»Wer bist du?«, entglitt es nach langem, entzücktem Schauen von den Mönchslippen, »welches Wunder führte dich hierher?«

Da lächelte die Erscheinung ihn mit ihren süßen, leuchtenden Augen seltsam an, und dieses Lächeln sank wie ein berückender Liebestrank in seine Seele. Und nun öffnete sie den Mund zu holder Rede: »Ich bin dein Schutzgeist«, sprach die Schöne, »lange hegte ich dich, o Gerbert, unsichtbar dich umschwebend. Manches konnte ich dir verleihen, doch immer nur armselige Gabe, denn weil du mich nicht kanntest und kein Verlangen nach mir trugst, stand ich dir zu fern. Du erwähltest dir die Geliebte, die dich nicht erhört. Brennender Ehrgeiz, maßloser Wissensdrang füllen deine Seele. Aller Dinge Anfang strebst du zu ergründen und stehst verzaubert schon am kleinsten Wunder still. Ergib dich mir, von nun an sei mein eigen, und wie ein tönender Wohllaut sollen die tiefsten Geheimnisse der strengen Göttin Philosophie in dein Ohr sich schmiegen, aller Reichtum, alle Ehre, alle Macht soll dein sein. Drei gewaltigen Kaisern wirst du Rat und Stütze werden, dreimal selbst erhöht auf stolzem Sitz prangen. Denn ich schaue, was den Menschen unsichtbar und verborgen ist. Dreifach strahlend sehe ich ob deinem Haupt das Glück verheißende R, das heilige Zeichen in heiliger Zahl, am höchsten, wenn dreimal die heilige Neun geschrieben wird.«

Da ergab der Mönch sich der Waldfrau, deren Reiz ihm zu Anfang nur die Sinne berückte, deren kluger Rat ihn aber fort und fort leitete, bis er einst in der höchsten priesterlichen Würde der Welt entgegentrat. Aus dem armen Wanderer, auf Frankreichs Boden in niederer Dürftigkeit erwachsen, wurde ein weiser und mächtiger Kirchenfürst, ein Freund der drei Ottonen, der deutschen Kaiser aus sächsischem Geschlecht. Ihn führte sein Geschick zuerst auf den Erzbischofssitz zu Reims, dann nach Ravenna, endlich nach Rom, und dort nannte er als Papst sich Sylvester II.

Indessen drückte die dreifache Krone zu schwer das alternde Haupt und er trug sie nur wenige Jahre. Als er den Stuhl Petri bestieg, schrieb man 999.

1003 erschien dem weisesten Beherrscher der Kirche die Waldelfe mit trübem Blick. »Schwer lastet der Feinde Tücke auf dir«, sprach sie, »allein du wirst überwinden, und deine Taten werden für dich zeugen. Dir winkt Befreiung von allem Leid, denke mein, wenn du in Jerusalem Messe liesest.«

Im Mai desselben Jahres wurde zu Rom eine Kirche vom heiligen Grab in Jerusalem geweiht und der Heilige Vater gebeten, dort die erste Messe zu zelebrieren. Als er nun vor dem Altar stand und emporblickte, zeigte sich droben, ihm allein sichtbar, die Lichtelfe im schimmernden Gewölk. Da wusste er, dass sein Tod nahe sei. Er starb einige Tage darauf, am 12. Mai des Jahres 1003, vermutlich an Gift. Sein Grabstein soll noch heute des jedesmaligen Papstes Ableben verkünden. Der Stein soll alsdann so stark schwitzen, dass große Tropfen daran herniederrinnen und eine breite, nasse Stelle entsteht.

Verwünschte Jungfrauen, die weißen, in Schleier gehüllten Frauen der mannigfachen Schlosssagen, Brunnenseen und Waldelfen, die wilden Frauen und faligen Fräulein gehören dem Geschlecht der Lichtalfen zu. Deshalb mögen sie oft schon durch den Kuss eines reinen, unschuldigen Menschenkindes erlöst werden. Sie verbinden sich eng mit den Wunderblumen, die im alten Gemäuer wachsen und sich dem, der sie pflückt, nicht selten zu einem Schlüssel verwandeln, der verborgene Pforten öffnet. Der Blume Berührung sprengt die Felsen und legt reiche, unterirdische Schätze bloß. Wer klug und vorsichtig wäre, könnte sein Lebtag genug daran haben.

Die gütigen Elfen streuten unter Baum und Busch zu Zeiten gelbe Blätter aus, die sich in Gold verwandelten. Sie begabten fröhlich, mit vollen Händen, doch in der stillen Hoffnung, durch den Beglückten frei zu werden. Einem kranken Mägdlein in der englischen Grafschaft Cornwall zeigten sich die lieblichen, hilfsbereiten Geister und brachten ihm wunderbare Speise, gaben ihm auch klugen Rat gegen allerlei Übel und lehrten sie die verborgenen Heilkräfte vieler Pflanzen kennen.

Das in Lied und Sage gefeierte »Glück von Edenhall« war ein herrlicher Becher von seltsam künstlerischer Arbeit. Elfen, die zur Mittagszeit am kühlen Schlossbrunnen im Schatten ruhten, tranken daraus. Sie wurden aber von dem Hausmeister des Grafen belauscht, der plötzlich hervortrat, den Becher an sich riss und entfloh. Da riefen die Geister ihm warnend nach: »Hüte dich vor des zerbrechlichen Glases Fall, es ist das Glück von Edenhall!« Der Becher wurde sorgsam bewahrt und brachte den späten Nachkommen Segen und fröhliches Gedeihen, manches Jahrhundert lang.

Bei einem rauschenden Fest, als der Wein den Sinn der Männer umnebelt, das Herz der Frauen erregt hatte, rief der jugendliche Herr des Schlosses, der letzte Spross des alten Hauses, mit hallender Stimme einen Diener herbei und forderte das Glück von Edenhall, den Rundtrunk daraus zu tun. Erschrocken stand der Mann ob dieses Gebotes, entsetzt der alte Hausmeister, dem das kostbare Gut vertraut war. Doch lauter drängten die zechenden Gäste den trunkenen Wirt, ihnen die Elfengabe mit perlendem Wein zu kredenzen. Purpurn ergießt sich der Wein in das herrliche Glas. Die Halle strahlt in rosigem Licht, indes der Graf mit den anderen auf eine mächtige Zukunft anklingt. Tief und mild ertönt des Bechers Rund wie der Elfenreigen im silbernen Mondlicht, dann stark und voll wie Donnergrollen, als der Graf zum dritten Mal in frevelndem Übermut das Glück von Edenhall versucht, zerspringt das Glas mit erschütterndem Laut. Da brechen die Pforten. Der Feind hat während des Festes die Mauern überstiegen, den Brand in die Räume des Schlosses geworfen. Was die stürzende Wand nicht begräbt, das Schwert nicht tötet, verschlingt des Feuers lodernde Glut, und als die Sonne über die Gräuel der Nacht emporsteigt, beleuchtet sie nur noch die Trümmer von Edenhall, unter denen der letzte Graf verschüttet ruht.

Die Elfen der serbischen Sage schweben in weißen, feinen, luftigen Gewändern aus den Wolken herab und tanzen bei Mondlicht im Wald und auf Felsengipfeln. Über den Rosengärten Asiens erblickt der Eingeweihte herrliche Jungfrauen, die so schön sind, als wären sie aus Blumenduft geboren. Das sind die Peris. Sie harren zwischen Himmel und Erde der endlichen Erlösung, aber selten gelingt es einer von ihnen, die Seligkeit zu erringen.

Liebliche Märchen erzählen, wie hier und da eine Peri zu dem so sehnsuchtsvoll erstrebten Ziel gelangt, entweder durch des Geliebten zarte Neigung und unwandelbare Treue oder durch das Beste und Edelste, was sie unter der Sonne findet.

Einst trug die Peri die Zeugen der reinsten Liebe nacheinander vor Gottes Thron, wurde aber dennoch verworfen. Mutlos sank sie zur Erde nieder und lag weinend an der Hecke, welche ein kleines Gärtchen von der Heerstraße trennte. Auf dem grünen Rasen spielte ein Kind, und auf dem Weg zog ein finsterer Mann daher, dessen Antlitz, die Sünde zerrissen, dessen Auge das Verbrechen scheu und wild gemacht hatte. An der Hecke stand er still und betrachtete den Knaben. Die Sonne war fast untergegangen, ihr letzter Strahl fiel warm und rot auf des Kindes Angesicht, auf seine runden, bräunlichen Wangen. Es streckte die unschuldigen Händchen nach der Sonne aus und lächelte sie an. Da legten sich die rosigen Lichter wie ein Heiligenschein um das krause Haar. Durch das grüne Gezweig schaute die Peri dem Wegelagerer zu, doch er sah sie nicht und starrte lange wie selbstvergessen in die holden Kinderaugen, die der Sonne zugewendet waren. Jetzt zuckte es um seine dünnen Lippen wie verhaltener Schmerz. »So war ich auch einst«, murmelte er und legte beide Hände über der veräderten Brust zusammen. »So war ich auch einst«, sprach er noch einmal. Da flutete ein heller Schimmer über sein grimmes Angesicht, und langsam rollten zwei klare Tropfen aus den Augen über die verwitterten Wangen hinab. Weiter rannen sie nicht. Die Peri fing ungesehen die Tränen in eine goldene Schale auf, dann entfaltete sie ihre Schwingen und schwebte mit dem seltenen Raub empor. Wehend erschlossen sich des Himmels goldene Tore, Engelchöre jauchzten ihr entgegen. »Denn das Köstlichste und Edelste auf weitem Erdenrund«, rief eine göttliche Stimme der Nahenden zu, »ist des Sünders Träne, die Vergebung fleht.«

Auf Elfen und Feen übertrug die Sage jene wunderbare Verwandlung, welche den nordischen Schlachtjungfrauen eigen war. Sie vermochten, wie diese, Schwanengestalt anzunehmen. Zeugnis dafür geben die Namen, welche edlen Königinnen beigelegt wurden: Schwana, Schwanhilt, Schwanweiß. Ja, so eng verband diese Vorstellung sich mit jener der weissagenden Zukunft verkündenden Namen, dass bis auf unsere Tage sich das Wort »schwanen« erhalten hat. »Es schwant mir«, sagt man gleichbedeutend mit »es ahnt mir.« Elbenhafte Frauen und Jünglinge durchzogen als Schwäne die Luft und tauchten dann mit dem zarten Leib in des Wassers kristallene Flut, die Bezauberung vermittelte ein übergeworfenes Schwanhemd, ein Ring oder eine Kette. Wem es gelang, den Elfen eines dieser Dinge zu entziehen, dem wurden sie zu eigen. Ein Jüngling sah über einem Weiher tief im Wald drei silberweiße Schwäne herniedersinken, am Ufer warfen sie das Fluggewand von sich ab und stiegen, zu den schönsten Jungfrauen umgewandelt, in den See. Nachdem sie gebadet hatten, legten sie die Hülle wieder an und flogen davon. Als er sie zum zweiten Mal traf, entwendete er der einen das Schwanhemd und gab es nicht zurück, wie sehr sie auch bat und flehte. Die Schwanfrau musste nun bei ihm bleiben. Er nahm sie zur Ehe und lebte sieben Jahre lang glücklich und zufrieden mit ihr. Da trieb ihn der Vorwitz, dass er ihr einst das Schwanhemd zeigte. Kaum berührte es ihre Hand, als sie auch schon verwandelt in die Luft sich erhob und durch das geöffnete Fenster auf immer entfloh.

Bei Larden an der Mosel steht ein Gotteshaus, Schwanenkirch genannt. Davon erzählt die Sage: Ein Ritter, dessen Burg an dem Fluss emporragte, war mit dem Kreuzheer gen Palästina zur Befreiung des Heiligen Grabes gezogen. In der Schlacht wurde er verwundet, von den Feinden gefangen und schmachtete Jahre lang als Sklave unter den Sarazenen. Von heißer Sehnsucht nach dem Vaterland gequält, lag er oft die Nacht hindurch wachend und in Tränen gebadet auf seinem Lager. Einst träumte ihm, er werde von einem weißen, mächtigen Schwan emporgehoben und fliege durch die Luft. Tief unter ihm schwanden Städte und Länder, Wald und Meer. Plötzlich fühlte er eine heftige Bewegung und erwachte, rieb sich aber verwundert die Augen, denn nicht mehr rauschten Palmen des Orients ob seinem Haupt, sondern deutsche Eichen breiteten ihr grünes Laubdach über ihn aus, Tannen und Fichten ragten in des Himmels lichte Bläue. Und als er sich erhob, sah er vom Hügel herab zu seinen Füßen den Moselstrom, drüben die Zinnen seiner Burg im Morgenstrahl erglänzen. Da gelobte er mit dankerfülltem Herzen, Gott eine Kirche an der Stelle zu erbauen, an welcher der Schwan ihn niedergelassen hatte. Dann schritt er fröhlich der Heimat zu, wo Weib und Kind den Totgeglaubten froh begrüßten. Mit der Zeit vergaß der Ritter sein Gelübde. Als er aber einst zur Jagd auszog, erschien ein Schwan in den Lüften, umkreiste ihn und rief: »Schwanenkirch! Schwanenkirch!« Das fiel ihm schwer auf die Seele, und er beeilte sich, es zu erfüllen.

Viele Sagen berichten von Schwanfrauen. Eine solche war König Oriants Gemahlin. Sie brachte auf einmal sieben Kinder zur Welt, die alle silberne Kettlein um den Hals trugen. Als die böse Mutter des Königs ihnen diese nahm, verwandelten sie sich in Schwäne und flogen davon. Oft wiederholt sich dieser Zug mit den Schwanketten. Drei Ritter von Schwanring kamen einst aus unbekannter Ferne in die Gegend von Plesse an der Leine. Sie trugen einen Schwanenflügel auf ihren Schilden und bauten zum Schutz gegen die von Beverstein, mit denen sie in arger Fehde lebten, ein festes »Plätzken« im Plessenwald, hart am Ufer der Leine. Allmählich verwandelte die Aussprache jene Bezeichnung in »Plessen« und die Schwanritter nahmen endlich selbst den Namen derer von Plesse an.

Keine der mannigfaltigen Schwansagen ist an Gehalt und Bedeutung der Dichtung gleich, welche Lohengrins Zug nach Brabant verherrlicht hat. In dem Land der Franken steht auf dem Monsalvatsch eine wunderbar leuchtende Burg, die noch niemand fand, der sie suchte, deren Tore sich aber ganz von selbst den Helden öffneten, welche an Sitte rein wie der klarste Spiegel, an Tapferkeit und Mut dem Löwen gleich, und fromm im Glauben wie Engel waren. Ihrer Obhut wurde das weissagende Heiligtum vertraut, das die Burg umschloss, der Heilige Gral genannt, nämlich jene Schüssel, in die Christus des Verräters Bissen tauchte, ehe derselbe hinging, ihn seinen Feinden zu überliefern. Von dem Gral wurde einst der junge Lohengrin ausgesendet, ohne dass er wusste, wohin der Weg ihn führen werde, und das hatte folgenden Zusammenhang. Nach dem Tod des Herzogs von Brabant war sein einziges Töchterlein, die schöne Else, unbeschützt zurückgeblieben.

Zwar hatte der sterbende Vater sie einem seiner tapfersten Mannen, Friedrich von Telramund, zu Lieb und Treu empfohlen. Doch dieser hegte allzu kühne Wünsche und trat endlich vor Kaiser und Reich mit der Behauptung auf, dass ihm Else ihre Hand und damit den Herzogsstuhl gelobt habe, was diese bestritt. Ein Gottesgericht sollte in der Angelegenheit entscheiden. Der Fürstin wurde aufgegeben, zu bestimmter Frist einen ritterlichen Kämpfer zu stellen, der für ihre Ehre und ihre Freiheit in die Schranken treten sollte. Auf dem fernen Monsalvatsch erscholl über dem Heiligen Gral die Glocke als ein Zeichen, dass eines Ritters Schwert dringend von Nöten sei, und das Los, dem Bedrängten beizustehen, fiel auf Lohengrin, den Sohn des Parzival. Trefflich gerüstet, bestieg er eben sein Ross, als er auf den Wellen des Stroms einen reich geschmückten Nachen erblickte, den ein silberglänzender Schwan mit leichtern Flügelschlag der Stelle zusteuerte, an welcher er sich mit seinem Ross befand. Er vertraute sich dem Nachen an und schwamm hinaus aufs weite Meer.

Zu Antwerpen im Schloss hielt Else Zwiesprache mit ihren Getreuen. Ihr Herz war von banger Furcht erfüllt, denn kein Ritter wagte, sich mit dem Drachentöter Telramund im Kampf zu messen. Hilfeflehend schaute sie umher, da erhob sich am Strand ein Getümmel. Ein Schwan zeigte sich, der kraftvoll einen Nachen die Schelde aufwärts zog, in welchem, ausgestreckt, das Haupt auf dem Schild, die rechte Hand am Schwert, ein edler Jüngling schlummerte. Der laute Zuruf des Volkes weckte ihn. Der Schwan hielt, und der Fremde stieg an Land. Kaum hatte er vernommen, wessen die klagende Jungfrau bedurfte, so erbot er sich zum Gotteskampf. Else berief ihre ganze Sippe, Geistliche und andere. Selbst König Gotthart kam aus England. Sie zogen zusammen gegen Saarbrücken von da nach Mainz, wo ihnen Kaiser Heinrich entgegenfuhr. Dort stritt Lohengrin mit Friedrich von Telramund und besiegte ihn nach hartem Kampf. Friedrich bekannte die Unwahrheit seiner Angabe und wurde darauf mit dem Beil gerichtet. Der Sieger aber vermählte sich mit der Herzogin, doch musste Else heimlich ihm geloben, »keine Frage zu tun nach Heimat und Geschlecht des Retters.«

Mächtig und weise regierte nun der Fremde zu Brabant, und seine Ehe mit der schönen Herzogin wurde durch zwei Kinder gesegnet, einen Knaben und ein Mädchen. Einst bei einem Turnier stach er den Clever Herrn vom Ross, dass er im Fallen den Arm brach. Hierüber erzürnt rief die Herzogin von Cleve so laut, dass es die anderen hörten: »Ein kühner Held mag Lohengrin sein und auch ein guter Christ. Nur schade«, fügte sie spöttisch hinzu, »dass sein Ruhm gering ist unter den Fürsten, weil niemand weiß, woher er ans Land geschwommen kam.« Else errötete tief, sie war ja selber völlig unbekannt mit ihres Gatten Vaterland und Abstammung. Sie konnte die Kränkung nicht verwinden und entschloss sich, die verbotene Frage zu tun, was immer daraus entstehen möge. Zweimal verhinderte ihr Gemahl sie an dem törichten Wort, aber sie ließ sich nicht beruhigen, weinte und sprach: »Wie hat die Clever Herzogin mich mit ihrer Rede verletzt! Und was soll ich meinen Kindern antworten, wenn sie mich einst fragen?« Lohengrin verwies sie endlich auf den folgenden Morgen. Als es Tag geworden war, versammelte er alle Ritter und Mannen um sich, bekannte öffentlich, woher er stamme und wer ihn gesendet habe, segnete seine Kinder und begabte sie mit Horn und Schwert, indem er sie ermahnte, dieselben sorglich zu bewahren, wenn es ihnen wohlergehen solle. Dann nahm er Abschied von Else, die vor Schmerz von Sinnen zu kommen schien, steckte ihr einen Goldreif, den er einst von seiner Mutter empfangen hatte, an den Finger, und schied, wie er gekommen war, auf dem Nachen, den der Schwan von dannen leitete.