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Slatermans Westernkurier 09/2015

Old-Deerfiels-StronghouseDeerfield, die Stadt des Todes

Auf ein Wort, Stranger, kennen sie Deerfield?

Wer in den Annalen des amerikanischen Westens stöbert, wird immer wieder auf die Namen von Siedlungen oder Orten stoßen, die untrennbar mit der Pioniergeschichte des Landes verbunden sind.

Dodge City, die Königin der Cattletowns, die Stadt des Sechsschüssers mit ihren Protagonisten Wyatt Earp, Bat Masterson und Luke Short zählt dazu ebenso wie Abilene, die erste Rinderstadt des Westens, das offizielle Gomorrha der Steppe.

Jene Sin City, deren einzigartiger Rotlichtbezirk, an den Ufern des Mud Creeks gelegen, weder Wild Bill Hickok noch John Wesley Hardin widerstehen konnten.

Der O.K. Corral in Tombstone, Adobe Wells, Bull Run und Gettysburg dürfen in dieser Aufzählung natürlich genauso wenig fehlen wie das Städtchen Deadwood in Montana oder Little Bighorn River, jener Ort, an dem der amerikanische Vorzeigegeneral George Armstrong Custer sein Leben unter den Tomahawks der Indianer aushauchte.

Aber weshalb Deerfield?

Was ist dran an diesem kleinen Kaff inmitten der Kornfelder von Massachusetts, das es ständig auf der Liste der geschichtsträchtigsten Orte des Westens erscheint?

Die Antwort ist ebenso einfach wie blutig.

Es gibt kaum einen Ort in Amerika, an dem zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert mehr Menschen durch die Hand der indianischen Ureinwohner ums Leben gekommen sind als in Deerfield.

Dieses dunkle Kapitel der kleinen Ortschaft, dessen Häuser auch heute noch im Franklin County inmitten des lieblichen Connecticut River Valley eingebettet sind, begann um 1671 mit dem Ausbruch des sogenannten König Philips Kriegs (ein Geschehen, auf das der Westernkurier in einer seiner nächsten Ausgaben näher eingehen wird).

Um in etwa zu erahnen, wie einschneidend und bedeutend diese Ereignisse für die Siedlung waren, muss man sich vor Augen führen, dass es heute noch zwei Museen in Deerfield gibt, die Zeugnis über die damaligen Ereignisse ablegen.

Es handelt sich dabei zum einen um ein Gebäude unter der Leitung der Pocumtuck Valley Memorial Association, während das andere unter dem Vorsitz der Historic Deerfield Inc. steht.

Zwei Museen in einem Ort, dessen Einwohnerzahl selbst im Jahr 2010 gerade einmal an der 5.000er Marke kratzt.

Inzwischen ahnt der Leser dieser Kolumne vielleicht, wie geschichtsträchtig dieser Ort eigentlich ist.

 

***

 

Deerfields blutige Geschichte nahm ihren Anfang am 29. Januar 1675. An diesem Tag wurde die Leiche eines Indianers namens John Sassamon unter der Eisdecke eines Sees in Plymouth gefunden.

Sassamon war alles andere als ein gewöhnlicher Indianer.

Er hatte sich zum Christentum bekehren lassen, sprach fließend Englisch und hatte sogar in Harvard studiert. Allerdings war er ein Spion, der für die Weißen arbeitete. Als Philip, dessen eigentlicher Name Metacomet war, davon erfuhr, ließ er ihn umbringen.

Das war natürlich nicht der Grund, warum er und seine Krieger – Philip war inzwischen Herr über fast 4000 Narragansett – schließlich in den Krieg gegen die Weißaugen zogen. Die Tatsache, dass die weiße Kolonialregierung nach diesem Zwischenfall drei Wampanoag-Indianer aufgrund fadenscheiniger Beweise hängen ließ, brachte das Fass lediglich zum Überlaufen.

Die wirklichen Gründe waren vielschichtiger. Da war zum einen der Umstand, dass die Indianerstämme im Süden Neu-Englands von den Engländern aus dem Norden, den Holländern aus dem Süden und den feindlichen Irokesen von Westen her immer mehr zusammengedrängt wurden. Dazu kamen Verträge, die von den Kolonisten gebrochen wurden, kaum dass die Tinte auf dem Papier trocken war, und die ständigen Aufrufe und Befehle, alle Waffen abzugeben und sich den Weißen zu unterwerfen.

Als die Indianer losschlugen, brannten etliche Siedlungen und Dörfer der Siedler.

Dabei wurde Deerfield, wie um seinen späteren Ruf als Stadt der Toten zu untermauern, als einzige Siedlung zweimal angegriffen. Nach der ersten blutigen Attacke erfolgte der nächste Angriff an einem Sonntag, wo viele Gläubige auf dem Weg zur Kirche umgebracht wurden.

Bedingt durch die Verluste an Männern konnte natürlich auch die Ernte auf den nahen Feldern nicht eingebracht werden. Als aus den Nachbargemeinden 80 Helfer das Korn für Deerfield einbrachten und mit 18 Wagen zurück zur Siedlung fuhren, erreichte das Töten seinen ersten Höhepunkt.

Beinahe 700 Indianer lauerten dem Wagentreck auf. Als das Massaker am Bloody Brook zu Ende war, weilte keiner der Männer mehr am Leben.

Obwohl der Indianerkrieg 1676 mit dem Tod von Philip sein Ende fand, bekam Deerfield nur bis zum 28. Februar 1704 Zeit, sich von den schrecklichen Ereignissen zu erholen.

Die Siedlung, die erst 1670 gegründet wurde, war bis zu diesem Zeitpunkt bereits zweimal das Ziel indianischer Angriffe und genauso oft abgebrannt.

Der immer noch schwelende Konflikt zwischen Weißen und Indianern brach erneut aus und gipfelte diesmal im sogenannten Queen Anne Krieg, in dem Deerfield erneut der Leidtragende war.

Als die Siedlung an diesem Februartag erneut angegriffen wurde, lebten dort 270 Menschen in 41 Häusern. Nach der Attacke waren 56 Bewohner tot, darunter 9 Frauen und 25 Kinder.112 weitere wurden von den Indianern als Geisel genommen und bis nach Quebec verschleppt.

Es erübrigt sich zu erwähnen das Deerfield dabei erneut abgebrannt wurde.

Auch wenn danach Ruhe im Land einkehrte, der Name Deerfield war zum Synonym für den Schrecken der Indianerkriege geworden.

Ein Makel, der erst in jüngster Zeit so langsam verblasst.

 

***

 

Damit beenden wir die Chronologie der schrecklichen Ereignisse der kleinen Siedlung Deerfield.

Das nächste Mal wird sich der Westernkurier wieder freundlicheren Dingen zuwenden. Ich sage nur: Cowboys und Kochen.

Euer Slaterman

Quellennachweis:

  • Das große Buch der Indianer, Joachim Hack, 2002 Edition Lempertz, Bonn
  • George Sheldon A History of Deerfield, Massachusetts, 1896 by E. A. Hall und Co.
  • Deerfield from Wikipedia

2 Antworten auf Slatermans Westernkurier 09/2015