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Sagen- und Märchengestalten – Feen und Elfen – Teil 1

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Feen und Elfen Teil 1

Zu mächtigen Göttinnen verkörpert, dachte man sich das Schicksal und die Zeit. Das Gewordene, das Werdende und das Werdensollende ruhten in den Händen der drei Nornen, welche, ganz ähnlich den griechischen Moiren, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einem einheitlichen, festen, unabänderlichen Schluss verbanden. Sie allein wussten die verborgenen Zeichen zu deuten. Was dem Menschen bestimmt war in Leid und Freud, von seinem Ursprung an, ruhte in ihrer Hand. Unter den geheimnisvoll rauschenden Zweigen der Weltesche dachte die altnordische Sage sich den Urdarbrunnen, an dessen Rand die Schicksalsgöttinnen hausten. Dem Neugeborenen nahten die gewaltigen Drei, mit ernstem Blick vorwärts schauend. Sie lenkten sein Geschick, bestimmten die Lebenslänge und steckten das Ziel, über das kein Geschöpf des Staubes hinauszureichen vermochte. Dem jungen Helden webten sie der Taten goldenes Band und breiteten es aus gegen Ost und West, damit ihm alles Land zu Teil werde, gegen Norden aber, dass der Ruhm Dürstende in Schranken gehalten werden möge. Einst traten die hohen Göttergestalten in die weite Halle eines Kriegsmannes ein, dessen Erstgeborener in der Wiege lag, nach altem Brauch zwei brennende Kerzen ihm zur Seite. Urdr wandte zuerst sich zu dem Knaben, Glück verheißend. Ihr folgte Verdandi mit begabendem Spruch: »Sei glückseliger, denn alle deines Geschlechtes.« Im Gedränge der Gäste war aber Sould, die Jüngste der Nornen, von ihrem Sitz gestoßen worden, und zornglühenden Auges schritt sie jetzt hervor: »Ich schaffe, dass jenes Kind nicht länger leben möge, als diese Kerze brennt.« Da ergriff Urdr schnell das Licht, löschte es aus und gab es der Mutter in sichere Hut, mit der Weisung, es nicht eher wieder anzuzünden, als bis der letzte, vom Geschick bestimmte Lebenstag des Sohnes angebrochen sei.

Von Geschlecht zu Geschlecht erbten diese Überlieferungen sich fort, und wenn die drei im Lauf der Zeit auch zu sieben oder dreizehn verwandelt wurden, wie die göttlichen Nornen in Elben und Zwerge, blieb doch der Kern der Sage unverändert. Was die eine an Glück und Schönheit dem Neugeborenen spendete, entkräftete die andere mit verwünschendem Spruch. So erblühte Dornröschen in holdem Reiz, klug und lieblich durch der zwölf weisen Frauen unsterbliche Gabe, bis der Spindelstich ihr scheinbar den Tod brachte, zu welchem die von dem Fest ausgeschlossene Dreizehnte sie Jahre vorher verurteilt hatte. Aber die Paten des Königskindes verstanden es, dem bösen Wunsch die Spitze abzubrechen, indem sie traumlosen Schlaf auf die Verletzte herabsinken ließen, aus dem nach hundert Jahren ein junger und schöner Prinz sie liebend weckte.

Schicksale heißen Fata, und daraus bildete sich leicht für die Schicksalsgöttinnen Fada oder Fee, wie die Elben in Elfen übergingen und die Sagen sich in Märchen verwandelten. Es gab gute und böse Feen, junge und schöne, alte und garstige, nur wohnte diesen die Kraft inne, sich nach ihrem Willen in reizende Formen zu verhüllen. Gewöhnlich aber schildern die Märchen uns diese geisterhaften Frauen wie Lichtfunken, von verkörperter Luft umgeben, sodass ihr innerstes Wesen sich dem unbefangenen Auge schnell genug offenbart. Dennoch entäußern sie sich in keinem Fall ihrer ursprünglichen, göttlichen Art, und der Mensch vermag sie nicht durch List zu täuschen, wie die losen Dirnen Holda oder Perachta mit den angeblich vollgesponnenen Spulen betrogen. Die Feen neigten sich freundlich den Kindern zu, zeigten sich als weiß gekleidete Frauen nachts an den Betten der Kleinen und beschenkten mit wunderbaren Gaben nicht nur diejenigen, bei denen sie Patenstelle vertraten, sondern auch alle, die sich ihnen näherten.

Ein deutsches Märchen aus dem 13. Jahrhundert erzählt, dass einst drei Feen durch das Land zogen, um gut zu machen, was die Natur mit scheinbarer Ungerechtigkeit vernachlässigt oder versäumt hatte. Zwei wollen hier und da mit rascher Hand die Unzufriedenen begaben, allein die Dritte wehrt ihrer zärtlichen Nachsicht, indem sie ihnen beweist, dass die Klage unbegründet ist. Eine Jungfrau, der Reichtum, Jugend und Schönheit zu Gebote standen, zog durch den Wald und grollte mit dem Schicksal, weil es ihr die Erfüllung aller törichten Wünsche versagte.

Ihre Tränen rührten die weich empfindenden, deren Pfad sie durchkreuzt. Nicht so ist es mit der weisen Dritten, welche, der Schwestern milde mit ernsten Worten tadelnd, sich zu der Klagenden wendet und ihr streng entgegen ruft: »Du empfingst alles, was Menschen beglückt! Danke dem Himmel, der dich so reich begabte, und lerne dein eigenes Herz besser zügeln, damit es nicht mit nutzlosen Wünschen die Zeitspanne vergisst, welche dir verliehen ist.«

Darauf ziehen die Feen weiter und kehren in ein Haus ein, dessen Bewohnerin ihr Lager nicht verlassen kann, weil schwere Füße und Hüften sie am Gehen hindern. Auch hier dürfen die weisen Frauen nicht helfen, denn die Geplagte ist jung, schön, reich und verständig.

»Es ist billig«, sagt die Fee, »dass der Mensch irgendein Übel geduldig ertragen lerne.« Als die Sonne sinkt, nähern sich die Wandernden einer Stadt. Vor dem Tor treffen sie eine arme, hässliche Bauernmagd, deren rohes Gebaren sie mit Ekel erfüllt, sodass ihrer zwei sich erzürnt abwenden. Da ruft die Dritte sie zurück und fordert der Gabenfülle auf das Haupt dieses Mädchens herab: »Denn sie ist arm, sie ist garstig, ungefüge an Geist und Körper. An ihr handelte die Natur mit stiefmütterlicher Ungerechtigkeit und deshalb bedarf sie unserer Huld.«

Von der Fee Morgana wissen viele Seefahrer zu erzählen, wie sie ihren herrlichen Palast in den Wolken aufrichtet, der vor dem Nahenden plötzlich in Duft zerfließt. Ungeheure Palmen erheben der Stämme schlanke Säulen in die Lüfte. Gewaltige Türme trotzen auf den breiten Mauern und spiegeln ihre gigantischen Umrisse in eines Sees bläulich klarer Flut. Paradiesische Eilande tauchen über die Wogen empor und locken den Schiffer auf ihr trügerisches Rund. Wer dem Zauber vertraut und mit keckem Fuß den Rand des Wunderkreises beschreitet, verfällt dem Geisterreich. Wanderer der Wüste ziehen mit brennender Sohle und verdürstenden Lippen über die endlose Sandfläche dahin, gierig nach einem Tropfen kühlenden Wassers, mit dem sie ihr Leben fristen mögen. Da winkt es ihnen vom Rand des Horizontes in lachender Fülle. Sie erblicken grüne Wiesen, prangende Felder, zwischen denen ein Strom seine breiten Wogen rollt, eine mächtige Stadt mit Gold schimmernden Türmen, die sich weithin dehnt. Sie raffen ihre letzte Kraft zusammen und streben dem Lustgebilde nach, das sich vor ihren sehnenden Augen verflüchtigt und an anderer Stelle neu und glänzender wieder aufbaut.

Zur Zeit Pipins, in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts, sah man im Frankenland, wie alte Gedichte und Sagen melden, hoch oben in den Lüften schön vergoldete Schiffe ziehen, auf denen wunderbare Gestalten saßen. Einzelne dieser Geister oder Sylphen stiegen herab und mischten sich unter die Erdbewohner. Vom höchsten Reiz veredelt, in Sprache und Sitten wohlgebildet und klug, entführten sie die Menschen in ihr Wolkenreich. Es währte nicht lange, so verschrien die Priester diese lustigen Gebilde als Teufelskinder und böse Zauberer. Als einmal wirklich mehrere Fremde auf dem Feld bei Lyon gesehen wurden, bildete man sich ein, sie seien solche Sylphen, und wenig fehlte, dass jene harmlosen Wanderer zerrissen worden wären. Ziehende Wolken, von zufälliger, vielleicht seltsam scheinender Beleuchtung angestrahlt, nannte das Volk Nebelschiffe und vermeinte, dass die Zauberer sie durch ihre Sprüche herbeilockten. Wenn dann der Sturm sich erhob und rauschender Hagel die Frucht der Felder zu Boden schlug, war durch der bösen Beschwörung das Korn dem Luftschiffer verhandelt, der das seine in Empfang nehmen kam.

Feenschlösser erblickte nur der Eingeweihte, der vom Schicksal Bestimmte.

Den Riesenjungfrauen gleich schritten die holden Zauberinnen einst über Berg und Tal, Kraft und Milde in sich vereinend, denn während sie mit zierlichen Fingern die Spindel drehten, trug die freie Hand einen ungefügen Felsblock zum Bau herbei. Auf dem schön gelockten Haupt ruhte gleiche Last. Sie waren so stark, dass sie vier der mächtigsten Steine auf einmal herbeizubringen vermochten und ihr Zuruf die Schwestern auf Meilenweite traf. Voll Huld und Güte, wie die umziehenden Göttinnen Holda und Berchta, kehren sie zur Nacht in die Häuser ein, deren Bewohner ihnen den Tisch mit allerlei guten Speisen decken. Doch darf kein menschliches Auge sie belauschen, und sie ahnden streng den Ungehorsam gegen ihr Gebot. In einem Haus trafen sich einst die drei mächtigsten Feen: Morgana, Arsile und Maglore. Es waren aber zwei Wanderer über Nacht dort eingekehrt, die sahen alles mit an, obgleich sie sich schlafend stellten. Wie nun die Speisenden sich um den gedeckten Tisch setzen, entbehrt Maglore des Messers, das in der Eile vergessen worden war. Da erhebt sie sich zürnend und will keinen Anteil an der Speise. Vergebens suchen die anderen beiden sie zu beschwichtigen. Je mehr sie die Mahlzeit und deren Spender rühmen, desto heftiger entbrennt der Dritten Ingrimm. Ehe sie scheiden, begaben Morgana und Arsile die beiden Schläfer, den einen mit Reichtum, den anderen mit der Fähigkeit, alles, was er empfinde, in dichterisch schöne Form zu kleiden. Die gekränkte Fee verweigert ihr Gastgeschenk so schnöden Wirten, und als nun die anderen lebhaft in sie dringen, ruft sie aus: »So mögen sie nehmen, was ihrer Frechheit gebührt! Ich spende diesem ein kahles Haupt, jenem unheilvolle Reise.« So mussten die armen Burschen das fehlende Messer teuer genug bezahlen.

Feen spannen und webten herrlich schimmernde Gewänder. Sie waren die Leuchtenden, ihre Paläste schwammen in einem Meer von Glanz. Sie leiteten ihre Schützlinge glücklich durch alle Gefahren hindurch, mit denen böse Zauberinnen sie bedrohten. So ergoss der Baum über das arme Aschenputtel golden und silbernes Gewand, Schmuck und holdesten Liebreiz, bis es den Königssohn gewann. Die Tauben der gütigen Feen verrichteten alle mühselige Arbeit, die von schlimmen Königinnen irgendeiner Verfolgten aufgegeben wurden. Nicht selten entstand ein Wettstreit zwischen guten und bösen Feen, der nicht immer mit dem Sieg der gerechten Sache endete. In ein zartes Vögelchen verwandelt, unterlag die mächtige Fee ihren mächtigeren Gegnerinnen, und das Märchen berichtet sogar von menschlicher Hilfe, welche in solcher Not die Bedrängte rettete. Durch alle jene fantastischen Überlieferungen geht der Zug von der Menschen Überlegenheit. Ihr mussten nacheinander die rohe Kraft des Riesen, wie des Zwerges Schlauheit weichen. Über der Geister List und Tücke, über der Elfen und Feen verlockenden Reiz siegte das sterbliche Geschlecht mit der unsterblichen Seele.

Elbenhaft dämonisch erscheint die Sage von dem Feenmarkt zu Braquemont in Nordfrankreich. Auf der weiten Heide, längs der Seeküste, sammelten sich dort von alters her alle Feen am Vorabend des Johannistages und hielten Markt. Wehe dem, den sein Unstern des Weges führte oder den verwegene Neugier in den Zauberkreis trieb! Wer von ihnen kaufte, wurde wie sinnlos, erkannte weder Weg noch Steg und stürzte sich, anstatt nach Hause zu gehen, von den steilen Uferfelsen in die schäumende Brandung hinab. Wo der Feenreigen sich auf dem Hügel im Mondlicht schlingt, trifft den Begegnenden Unheil, denn es ist nicht gut, den Überirdischen zuzuschauen. Schnell erwacht ihre Sehnsucht nach der Menschen Geschlecht, und folgt der Erwählte nicht willig, so brauchen sie Gewalt.

So eng verbunden mit der Feen Art und Wesen erscheinen die Elfen, dass man sie nicht zu sondern vermag. Die magischen Fäden, welche der Elben Reich umschlossen, sind im Lauf der Jahrhunderte zu einem weiten Zaubernetz ausgedehnt worden, innerhalb dessen die erfindende Dichtung sich frei bewegt. Jede Sage ist aus dem Vollen geschöpft. Deshalb finden sich in jeder verwandte Züge, und der ewige Jäger klingt an das Märchen vom wilden Altona, die zierliche Elfe teilt den Hügel, auf dem ihr Reigen schwebt, mit dickköpfigen Zwergen. Undine, die liebliche Wasserfee, schlummert auf denselben Wogen, in deren Tiefe der garstige Nix mit grünen Zähnen seine eigenen Kinder zerfleischt. Einst stand am Südende des Himmels ein strahlender Palast, glänzender als die Sonne, von Lichtalfen bewohnt. Das waren Geister, deren duftiger Leib in herrlicher Schönheit gebildet erschien, den Menschen ähnlich, doch geformt aus unirdischen Stoffen und darum mit weit anderer Lebensfähigkeit begabt, als sie den Staubentsprossenen zu Teil geworden. Die Sterne waren Augen dieser Lichtalfen, die mild und strahlend zur Erde niederblickten. Die Kunde von jenem himmlischen Geisterreich erlosch allmählich, und der neue, christliche Glaube stürzte der Elfen Heimat auf die Erde herab, wo die holden Gestalten in heiligen Gewässern, dunklen, schattigen Hainen und auf freier Bergeshöhe ihre unsichtbare, schimmernde Wohnung erbauten. Von den Lichtalfen sonderten sich die Dunkelalfen, von diesen wieder die Schwarzalfen ab, denn ursprünglich dachte man sich der Lichtelben glänzende Welt in ungetrübter Reinheit für sich bestehend. Keiner der Geister war befleckt von sündiger Liebe zu den Menschen, denen sie sich nur mit himmlischem Erbarmen näherten. In der Luft thronten die lichten Elben, in den Höhlen der Berge die dunklen, in ihrer Weise den Irdischen hilfreich, doch nicht durchaus gut, vielmehr schon versetzt mit bösen Elementen. Vollendet in Tücke und Schadenfreude erschienen nur die Schwarzelben, und wenn die Lichten sich füglich den Engeln vergleichen ließen, ahmten die schwarzen den Bewohnern der Hölle nach. Elf, Alf oder Alb bedeutet Schutzgeist, Genius, und solche Schutzgeister wurden sichtbar als schöne Jünglinge oder herrliche Jungfrauen, während die Feen, ihrer Abstammung von den Nornen getreu, sich nur als weibliche Wesen offenbarten. Die Lichtelfen bildeten ein großes, weites Reich, als dessen Gebieter der Elfenkönig erscheint, Alberon oder Oberon. Schottische Balladen nennen eine Elfenkönigin, deren eigentliches Gebiet in den Bergen ist, wie Frau Holda im Hörselberg wohnt. Den Beherrschern dieser erdichteten und so zauberisch schönen, reizvollen Welt sind berühmte Wundergaben eigen. Ihnen steht alles zu Gebote, der ewigen Jugend Glück, des Frühlings zarte Blüte, des Sommers reiche Glut. Gold und schimmerndes Gestein ruft ihr winkender Zauberstab aus farblosem Nichts hervor. Wo Oberons Wunderhorn erschallt, schweigen die empörten Wogen, und der Klang lockt selbst die steifsten Füße zum wirbelnden Tanz. Dem Elfenkönig dient als Zepter ein Lilienreisig, seiner holden Gemahlin, der Fee Titania, ein blühender Rosenzweig.

Elben und Elbinnen werden von Liebessehnsucht nach den Menschen ergriffen, sobald der Lichtalfen Reich zur Erde niedersinkt. Dieses Sehnen scheidet sich aber streng ab von der Leidenschaft, welche in den Sagen der späteren, christlichen Zeit zu einem der widerwärtigsten sinnlichen Momente umgebildet wurde.

Der Elbenleib ist harmonisch aus Erde, Feuer, Wasser und Luft zusammengesetzt, und dass kein Teil dieser verschiedenartigen Elemente überwiegt, erhält dem Körper ein zehnfach höheres Leben, als es den Menschen gegeben ist. Der Elben Seele vergleicht sich einem leuchtenden Strahl, der seine Hülle niemals zerbricht und endlich spurlos erlischt, während der Himmelsfunke, der in dem unsterblichen Menschengeist lodert, zur Glut wird, die ihre irdische Behausung nach und nach verbrennt, bis er aus dem zerstörten Leib sich zu seiner wahren und eigentlichen Heimat aufschwingt. Dem vergänglichen Stoff, der den lebendigen Gottesodem in sich schließt, gleich zu werden, strebten der Sage nach die Lichtalfen, und das hohe Ziel mochten sie nur durch die innigste Verbindung mit einem keuschen Jüngling oder einer reinen Jungfrau erreichen. Alle Sagen, welche diesen Grundgedanken entstellt wiedergeben, sind durch spätere Zusätze getrübt. Art und Wesen der Geister ist es, sich dem Menschenauge nicht ohne Hülle vorzustellen. Deshalb entschwinden die Elbenfrauen, sobald unzeitige Neugier sie belauscht. Die schöne Melusine straft an dem Gatten, den sie verlässt, der Schwiegermutter hässliches Forschen. Wie sie werden fast alle Elbinnen im Bad belauscht, und die seltsame Bildung ihrer Füße verrät den geisterhaften Ursprung.

Völlig erloschen sind uns die ersten und reinsten Sagen dieser Art. Was davon blieb, ist so mit Hexen- und Teufelsglauben vermischt, dass die ursprüngliche Schönheit nur schwer zur Geltung kommt. Klar zeigt dies eine Überlieferung, die uns von der in hoher Schöne strahlenden Fastrada, der Geliebten Kaiser Karls des Großen, berichtet. Die zwei Teile, in welche diese Kunde zerfällt, stellen ein deutliches Bild von der Entwicklung aller gleichen Sagen dar.

Fastrada umgab unsichtbar den greisen Helden mit ihrer Liebe, nur dann zu einem wirklichen, herrlichen Weib sich gestaltend, wenn Karl sie rief und kein Unbefugter nahe war. Einst erblickte er zwischen ihren geöffneten Lippen ein Mal an der Zunge, wie ein goldenes Korn gebildet, das er ihr ausschneiden ließ. Dadurch war sie sterblich geworden und erlag der Menschen allgemeinem Los. Dies bildet der Dichtung ersten und reinsten Teil. Das göttliche Wahrzeichen sicherte die Elbin gegen den Tod, der die Geister nicht willkürlich trifft. Ihre Vernichtung wurde als eine völlige betrachtet, da sie sich in ihre Bestandteile auflösten und kein Stäubchen von ihnen zurückblieb. Nach dem Verlust des goldenen Korns musste die Fee einen irdischen Leib annehmen und verweste einem solchen gleich. Diese natürliche Folge hält der zweite Teil der Sage durch einen Zauberring auf, den Fastrada im Leben trug, vermittelst dessen sie die Zuneigung des Kaisers fesselte und den sie sterbend unter ihrer Zunge barg. Durch des Ringes Kraft blieb Karl der Toten treu, behielt die geliebte Leiche in seiner Nähe und verbot, sie zu bestatten. Solch bedenklichem Tun trat Erzbischof Turpin entgegen, forschte eifrig nach einem Merkmal des Zaubers und fand endlich den Ring, den er ungesehen zu sich steckte. Wie ein Schleier fiel es nun von des Helden Augen. Er befahl, sogleich dem toten Körper seine Ruhe zu geben, und übertrug alle Hinneigung, die er der Verstorbenen geweiht hatte, auf Turpin, den er nicht mehr von sich ließ. Da warf der Erzbischof den Zauberring in eine Quelle, die bei Aachen strömt und nun den alten Kaiser so mächtig an sich zog, dass er dort eine Pfalz bauen ließ und in der warmen Flut täglich badete.

Die Elfen ziehen um, wie die hehren Göttinnen einst auch pflegten. Elftausend geleiten Frau Holda, wenn der Sommer geschieden ist und des Herbstes kalte Stürme brausen, nämlich am Tage Allerheiligen, dem ersten November. In heiteren Sommernächten tanzen sie auf dem Hügel; dann ertönt eine liebliche Musik, und der Lauscher erblickt reizende Gestalten, die sich im Mondlicht schwingen. Wird der Fremde von ihnen ertappt, so ist es um seine Ruhe für immer geschehen. Denn er vergisst nie den süßen Klang, dem selbst die Tiere in stummer Verzückung horchen, wenn er auch der Elfen verführerischer Schönheit widersteht. Durch die Mainacht reitet ein Graf zu seinem Hochzeitsfest. Mitten im tiefen Wald hält die Elbenjungfrau den Eilenden auf und fleht mit holdem Liebeswort. Ergibt er sich ihr, so harrt die Braut umsonst des ritterlichen Gemahls, er kehrt nicht wieder zu des Tages Licht. Weigert er sich aber, dann schallt ihm der Elfen Verwünschung nach, oder es trifft ihn ein Stoß aufs Herz, dass er binnen weniger Tagen sterben muss. Auch die Elfen rauben Kinder. Auf tauiger Wiese, am Erlenbach, schweben sie nebelgleich. Dort haust der Erlkönig, den es nach Menschen gelüstet, die in seinem Reich aufwachsen und nach Erlösung dürstende Geister befreien sollen. Durch des Schicksals Spruch, der ihm allein bekannt, ist ihm dieser oder jener dazu bestimmt, wie dem Nix sein jährliches Opfer. Bitten und sanfte Überredung verhelfen dem Elfen manchmal zu der unsterblichen Seele, deren er bedarf. Bleibt sein Flehen unerhört, so ergreift er den Widerstrebenden mit Gewalt und tötet den Körper.

In Kurland liegt ein Schloss, Dondangen geheißen. An der Westseite desselben hing vor Jahrhunderten über der kleinen Eingangspforte ein uraltes Muttergottesbild an einem Stein, der ein wenig aus der Mauerwölbung hervorragte. Der Ritter von Sacken, dem die Burg gehörte, geriet einst um geringer Ursache willen in Streit mit seinem Nachbarn, einem rohen Gesellen, der überall Händel stiftete. Gerade unter dem Bild trafen die beiden hart aneinander, sie zogen das Schwert, und der Raufbold erstach den edlen Mann. Da tat es über ihm einen Schlag, und das Muttergottesbild stürzte auf des Übeltäters Haupt herab, dass er augenblicklich die schwarze Seele aushauchte. An der Stelle aber, wo das Bildnis gefestigt war, spross, allen sichtbar, ein Birkenbäumchen hervor. Der Ritter von Sacken hinterließ einen Knaben, der bald heranwuchs, sich vermählte und sein väterliches Erbe übernahm. Zu ihm trat einst in später Abendstunde eine herrliche Lichtgestalt, wie ein überirdisch schöner Jüngling anzuschauen, und sprach: »Ich bin der Erlkönig, dir und deinem ganzen Geschlecht hold und zugetan. Auf dem Grund, den dieses Schloss bedeckt, ruht tief verborgen der reichste Schatz an Gold und Silber, den Menschenaugen je erblickten. Den will ich dir geben, sofern du mir gestattest, in deinem Rittersaal in der letzten Nacht des Jahres meine Hochzeit feierlich zu begehen. Hüte dich aber, irgendwem, selbst dein Weib und deine Töchter nicht ausgenommen, davon Kunde zu geben, denn kein menschliches Auge darf unser Fest erspähen. Es würde dir und mir großes Unheil bringen.« Das sagte ihm der Edelmann zu auf Ritterwort und Ritterehre.

Doch schon war das Geheimnis erlauscht worden. Eine von des Burgherrn Töchtern, ihrer Tracht wegen die grüne Jungfer genannt, hatte spät in der Nacht in ihres Vaters Schlafgemach den Lichtschein erblickt und des Elfen Stimme vernommen, die ihr wie süßer Gesang zu Ohr und Herzen tönte. Da beschloss sie, dem wunderbaren Fest zuzuschauen, es koste, was es wolle.

Vergebens warnte die innere Stimme sie vor dem bedenklichen Unterfangen. Brennende Neugier ließ ihr keine Ruhe. Der besseren Überzeugung tragend, verbarg sie sich hinter einer der Türen und schaute durch das Schlüsselloch dem Treiben der Elfen zu.

Ihr Auge ist wie gebannt von der unerhörten Pracht und Herrlichkeit des Brautzuges. Ihr Ohr schwelgt in den süßen Tönen, denen sich nichts auf Erden vergleichen lässt. Außer sich vor Entzücken drängt sie selbstvergessen ihr Antlitz so fest an den Spalt, dass die Tür leise knarrt. Da schaut der Erlkönig hin zu ihr und sein Geisterblick dringt durch Wand und Holz. Ein furchtbarer Knall erschüttert das Haus. Dichte Finsternis umhüllt den Saal, vor dessen Tür die todesbleiche Evastochter sterbend liegt.

Kaum vermochte sie noch mit stammelnder Lippe den herbeieilenden, erschrockenen Hausgenossen zu berichten, was geschehen war. Dann verfiel sie in Irrsinn, und des Morgens erster Strahl fand sie als kalte, starre Leiche. Dem gebeugten Vater erschien in der nächsten Mitternacht der Erlkönig finster und drohend: »Die verrufene Neugier eines Weibes«, sprach der Geist mit strengem Ton, »hat an mir und all den meinen eine lange Zeit ruheloser Irrfahrt verschuldet, die es selber in harter Buße mit uns tragen muss. Dir aber verkünde ich, dass die Burg und alles Land, die zu deinem Besitz gehören, nimmer von dem Vater auf den Sohn übergehen mögen, ja, es soll in dem ganzen Geschlecht kein Erbe geboren werden, bis der Birkenbusch über der westlichen Pforte so viel Holz getrieben hat, dass eine Wiege daraus gezimmert werden kann.« Also verschwand der Geist und ließ sich nicht mehr blicken. Langsam wuchs das Bäumlein, erstarkte aber nicht. Es war, als füge ihm jedes neue Jahrhundert nur ein schwachen Reisig hinzu. Indessen ging der Fluch in Erfüllung, kein Erbe wurde denen geboren, welche über Dondangeres weite Herrschaft geboten. Durch Halle und Gemächer wandelte in finsterer Mitternachtsstunde die grüne Jungfer, mit herzerschütternder Klage die Schlummernden weckend. Vorwitzigen Jungfrauen berichtet sie unter Tränen, welch herbes Leid sie selbst verschuldet hatte, und warnte sie vor dem Erbfehler, der sie nun schon viele, viele Jahre ohne Hoffnung auf einen Erlöser aus ihrem Grab treibe. So erhielt sich die Sage bis in die Neuzeit, und das Bäumchen schien endlich Stamm genug zu einer winzig kleinen Wiege angesetzt zu haben. Sein Wachstum zu fördern, ließ der jetzige Besitzer eine Öffnung in die Mauer brechen und diese mit fruchtbarer Erde füllen. Da verging die Birke plötzlich, starb völlig ab. Doch scheint es, als sei der Fluch gelöst, denn seit das Bäumchen verdorrte, hat sich die grüne Jungfer nicht mehr blicken lassen.