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Der Totenwirt und seine Galgengäste 2

Der-Totenwirt-und-seine-GalgengästeDer Totenwirt und seine Galgengäste
Eine abenteuerliche und höchst wundersame Ritter-, Räuber-, Mörder- und Geistergeschichte aus der grauen Vorzeit, um 1860

Prüfung

Ein halbes Jahr war unter gleichen Umständen vorübergegangen. Nun hielt es der Graf für zeitgemäß, seinen Plan auszuführen.

An einem Sonntagsmorgen nach der Messe in der Burgkapelle saßen der Graf, die Gräfin, Hedwig und Hildebert beim Frühstück. Es war in der Mitte des Monats und der Junker sehr heiter gestimmt.

»Du bist heute recht vergnügt, Hildebert«, sagte der Graf, »vermutlich wegen des guten Handels, den wir gestern mit unserer Jagdbeute gemacht haben?«

»Aufrichtig zu gestehen … ja, Herr Graf!«

»Du musst jetzt schon eine hübsche Summe beisammen haben, so viel, wie ich, da wir den Erlös immer redlich teilen. Sieh, da ist mein Erspartes vom Handel!«

Der Graf trat an einen großen Schrank aus Eichenholz mit künstlerischer Schnitzarbeit, hob ein Kästchen heraus, und schüttete den Inhalt auf den Tisch.

»Mach es auch so, Hildebert«, sagte die Gräfin lächelnd, »zeige meiner lieben Hedwig, dass auch du sparen kannst, was ihr eine große Freude machen wird. Nicht wahr, Hedwig?«

»Gewiss, liebe Mutter! Aber der Junker braucht das Geld nicht aus seinem Gemach zu holen. Ich glaube ihm schon auf sein Wort, dass er nichts davon ausgegeben hat.«

»Da irrt ihr Euch, Fräulein. Ich habe kein Geld mehr!«

»Kein Geld mehr?«, fragte Hedwig erstaunt.

»Nein!«

»Was hast du denn damit getan?«, fügte die Gräfin an.

Der Graf warf einen finsteren Blick auf Hildebert.

»Ei, Frau Gräfin«, erwiderte der Junker, »ich tat damit nach dem Willen und Rat des Herrn Grafen. Ich habe es zu guten Zinsen sicher angelegt.«

»Wo?«

»Erlaubt, dass ich dies verschweige! Wenn die reichen Zinsen kommen, werdet Ihr erkennen, dass ich das Geld einem mächtigen Herrn anvertraut habe.«

»Etwa dem Ritter Erhard von Kralleneck?«, fragte der Graf mit verhaltenem Grimm, der seine Stirn furchte und Blitze aus seinen Augen trieb.

Gelassen antwortete der Junker: »Ich hoffe, dass Ihr scherzt, Herr Graf! Kralleneck ist ein Räubernest, das ich von außen gesehen habe, und nur zum Zweck seiner Zerstörung betreten könnte. Wenn der Herr jener Burg Geld braucht, dann borgt er es nicht, sondern raubt es. Das ist der Unterschied, Herr Graf, zwischen einem Raubritter und dem ehrbaren Sohn eines ehrbaren Vaters.«

Hedwig warf dem Vater einen flehenden Blick um Schonung des Junkers zu, und die Gräfin fühlte bei diesen Worten des gekränkten Jünglings Mitleiden und Hochachtung.