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Frederick Marryat – Die Sendung – Kapitel 5

Kapitän Frederick Marryat
Die Sendung
Umschlagzeichnung nach Originalentwürfen von Professor Honegger
Neue deutsche Ausgabe. Magdeburger Verlagsanstalt. 1915
Kapitel 5

Unsere Reisenden wollten nun geraden Wegs durch das Xhosaland bis an das Ufer des Umtata zurücklegen, in dessen Nähe sich die Abkömmlinge der Weißen aufhalten sollten. Sobald Alexander seine Sendung vollendet hatte, wollten sie über die Bergkette setzen, um auf dem Rückweg das Land der Buschmänner und Korannas aufzusuchen. Sie hatten deshalb diesen Reiseplan gewählt, weil mit Ausnahme von Löwen und Elefanten in den Wäldern fast gar kein Wild zu finden war, weil die Xhosa ganz damit aufgeräumt hatten.

Major Henderson hatte diese Route vorgeschlagen und dafür sowohl Alexander als auch Mr. Swintons Billigung gewonnen, denn Alexander sehnte sich ebenso wie der Major nach einem guten Jagdtummelplatz, während Mr. Swinton seine Sammlungen und zoologischen Kenntnisse bereichern wollte. Bei ihrer Wanderung durch das Xhosaland war nur wenig zu befürchten, da die Missionare dort bereits zwei Missionsstationen hatten, eine zu Butterworth, die andere zu Chumie. Alexander wollte die erste Station besuchen und dort einige Pakete abgeben, die ihm in Kapstadt mitgegeben worden waren.

Am 7. Mai 1829 brach die Karawane von Algoa Bay nach Grahamstadt auf. Das Wetter war herrlich, die Regengüsse hatten aufgehört und die Wiesen prangten in üppiger Fülle. Die Wagen fuhren lautlos über das Gras dahin, da die schläfrigen Khoikhoi unnötigerweise nicht angestrengt sein wollten. Alexander, Swinton und Henderson ritten in kurzer Entfernung vor dem ersten Wagen her.

»Ich weiß nicht, wie es Euch geht«, sagte der Major, der nun einen vertraulicheren Ton anschlug, »mir ist es wie einem Gefangenen, der eben erst seine Fesseln abgeworfen hat. Ich atme jetzt die Luft der Freiheit und empfinde sie nach dem Gewühl, Gedränge und Lärmen der Stadt in dieser Einsamkeit besonders.«

»Auch mir geht es so«, sagte Alexander, »diese herrliche Ebene, die funkelnden Sterne, die aufgehende Sonne, kein anderer Ton als das Knarren der Wagenräder in langsamer, abgemessener Bewegung – wundervoll. Man sagt zwar, der Mensch sei für die Gesellschaft geschaffen, es ist auch wohl so, aber wie herrlich ist es, wenn man hin und wieder allein ist.«

»Ja, allein, wie wir«, versetzte Swinton lächelnd, »das heißt mit einem Haufen von dreißig wohlbewaffneten Leuten, die auf Abenteuer ausziehen. Ich gebe gern zu, dass es angenehm ist, den Lärm der Stadt im Rücken zu haben, doch dürfte es auch nicht sehr lieblich sein, in dieser afrikanischen Wildnis ganz allein zu reiten.«

»Da habt Ihr auch vielleicht recht.«

»Und ebenso wenig gemächlich würdet Ihr Euch fühlen, wenn Ihr wüsstet, dass das morgige Mittagessen von Eurer Büchse abhängt. Es liegt eine Beruhigung in dem Bewusstsein, vier vollgepackte Wagen hinter sich zu haben.«

»Auch das gebe ich zu«, versetzte der Major, »aber ungeachtet unserer Gesellschaft herrscht hier die grandiose Einsamkeit, und ich fühle sie.«

»Nun, ja, eine einsame Karawane, aber Sie müssen mir einräumen, dass bis Grahamstadt noch viele Ansiedlungen von Buren zu finden sind.«

»An Eurer Stelle, Wilmot«, bemerkte Henderson, »würde ich nur langsam vorrücken, weil unsere Leute Manneszucht nötig haben. Hierdurch gewinnen wir Gelegenheit, ausfindig zu machen, ob Leute darunter sind, die uns nicht zusagen. Die Untauglichen danken wir in Grahamstadt ab und ersetzen zu gleicher Zeit, während wir Dolmetscher und Führer anwerben, ihre Plätze mit anderen.«

»Euer Vorschlag ist gut«, entgegnete Alexander, »außerdem werden wir unsere Wagen nicht eher gut geladen haben, bis wir drei oder vier Tage gewandert sind.«

»Vor allem ist nötig, jede Nacht eine Wache aufzustellen«, sagte Mr. Swinton.

»Ich vermute, dass wir unter unseren Leuten nicht sehr zuverlässige Burschen haben«, versetzte Henderson, »besonders den langen Kerl, den sie den großen Adam nennen. Aber der Morgen dämmert und die Sonne schaut über jene Berge.«

»Wenn wir haltmachen, müssen die Wagen geschmiert werden«, bemerkte Alexander.

»Das wird nicht viel nützen«, sagte der Major. »In Indien ist das Knarren dreißigmal so schlimm als hier und die Eingeborenen schmieren die Räder nie, weil sie sagen, die Ochsen zögen nicht mehr, wenn sie die Musik nicht hinter sich hörten. Außerdem kann uns das Knarren auch gelegentlich zustattenkommen, denn an Orten, wo uns das Gras über die Köpfe wächst, dürfen wir keine Minute zurückbleiben, wenn uns nicht der Ton die Richtung angibt, welcher wir folgen müssen.«

»Gut, ich sehe ein, dass wir unsere Schmiere sparen dürfen«, entgegnete Alexander.

»In wenigen Tagen seid Ihr so daran gewöhnt, dass Ihr vermissen würdet, wenn sie zu knarren aufhörten«, bemerkte der Major.

»Mag sein, denn Gewohnheit ist die zweite Natur, aber vorderhand würde ich gern auf diese Musik verzichten. Ah, dort geht die Sonne über dem Hügel auf. Steht dort nicht ganz am Horizont ein Haus?«

»Ja, ich glaube so«, sagte Swinton, »es ist die Farm eines holländischen Buren namens Milius. Ich hätte nicht gedacht, dass unser Zug so schnell vorwärtskommt. Sie ist nur noch eine Stunde entfernt und kommt uns für unser Frühstück sehr gelegen. Wir können dort die Ochsen ausspannen – wie viel ziehen im Joch?«

»Zehn an jedem Wagen. Die übrigen sechzehn folgen den Schafen und Pferden als Relais«, sagte der Major.

»Einverstanden«, erwiderten die anderen und gaben ihren Pferden die Sporen, sodass sie bald an dem Farmhaus des holländischen Pflanzers ankamen. Das laute Gebell der zwanzig Hunde hieß sie willkommen und führte einen jüngeren Buren heraus, der die Hunde vertrieb. Dann ersuchte er die Reisenden abzusteigen. Bald darauf erschien auch der alte Bure und hieß sie herzlich willkommen. Er langte von dem Sims eine große Flasche und empfahl ihnen, damit sich selbst bedienend, einen guten Branntwein, den er aus eigenen Pfirsichen gebraut hatte. Später erschien die Frau des Pflanzers, begrüßte die Fremden und brachte Tee und Frühstück. Nachdem sie sich alle gelabt hatten, sagte der alte Bure, dass er sie erwartet habe, weil er Kunde erhalten habe, dass sie an diesem Tag aufzubrechen gedachten.

Es dürfte hier der geeignetste Ort sein, das Haus eines holländischen Pflanzers auf den Kap-Niederlassungen zu schildern. Es war ein großes viereckiges Gebäude, mit Lehmwänden und einer Verkleidung, deren Material die Buren selbst anfertigen. Letzteres wird mit der Zeit hart, und sobald dies geschehen ist, wird das Haus weiß getüncht. Das Dach bestand aus einer Art harter Binsen, die dauerhafter sind und weniger leicht Feuer fangen als Stroh. Unter dem Dach befand sich keine Decke, sondern nur das rohe Gebälk, an welchem die Jagdbeute aufgehängt war, zum Beispiel große Peitschen aus der Haut des Nashorns, Felle von Leoparden und Löwen, Federn von Straußen, Stränge und Zwiebeln, Tabakrollen usw.

Das Haus enthielt nur ein großes Speisezimmer, ein kleines Privatzimmer und zwei Schlafkammern. Die Fenster waren nicht mit Glas versehen, sondern wurden jeden Abend mit Häuten verschlossen. Im ganzen Haus befand sich kein Ofen, und die Küche wurde in einem kleinen Nebengebäude besorgt.

Ein kleiner Tisch, einige Stühle und Schemel, eiserne Töpfe und Kessel, eine Anzahl holländischer Teetassen, ein Teetopf und ein Messingkessel bildeten das Mobiliar. Die große, mit Messing beschlagene Familienbibel lag auf einem kleinen Tisch, an dem die Hausfrau saß. Hinter ihrem Stuhl waren an einem Balken zwei geschlachtete Schafe aufgehängt.

Das Frühstück bestand aus geschmortem Hammelfleisch, Butter, Milch, Früchten und frischem Brot. Nach dem Frühstück verweilte Alexander mit seinen Freunden ein paar Stunden im Garten und besuchte die Baumgüter, wo sie Gelegenheit hatten, die Viehherden zu mustern. Dann wurden die Gespanne wieder eingejocht, man sagte dem gastfreundlichen Buren Lebewohl und nahm die Reise wieder auf.

»Ist es hier Sitte, die Reisenden in solcher freundlichen Weise zu bewirten?«, bemerkte Alexander, als sie weiterritten.

»Ja«, versetzte Swinton. »Es gibt am Wege keine Gasthäuser und jeder Reisende ist herzlich willkommen.«

»Nehmen sie nie Bezahlung an?«

»Nein! Man darf sie auch nicht anbieten, nur den Wert des Kornes, das die Pferde gefressen haben, lassen sie sich bezahlen. Im Laufe unserer Reise wird Euch eine Eigentümlichkeit auffallen, nämlich, dass die Frau des holländischen Buren den ganzen Tag an den Teetisch angewachsen zu sein scheint. Sie verlässt ihn nie und der Tee ist stets für jeden Reisenden bereit, der die Gastfreundschaft in Anspruch nimmt. Eine seltsame Sitte.«

»Deshalb war unsere gute Wirtin in der Farm auch so dick!«

»Zweifellos. Die Bewegung des ganzen Tages besteht aus einem Gang von der Schlafkammer zum Teetopf und von da wieder zurück«, entgegnete Swinton lachend.

»Man sollte kaum glauben, dass so gutmütige und gastfreundliche Leute so grausam gegen die Eingeborenen sein können.«

»Die Grausamkeit gegen die Khoikhoi und Eingeborenen entspringt aus den Vorurteilen der Erziehung. Sie haben von Kindheit an gesehen, wie man sie als Sklaven behandelte, und betrachteten sie daher nicht als Nebenmenschen. Wie Mr. Fairburn ganz richtig bemerkte, entsittlicht nichts so sehr als die Sklaverei, die außerdem noch durch das Gesetz erlaubt wird. Ferner erzeugt das eifrige Ringen nach Reichtum Liebe zu Geld und es ist nichts natürlicher, dass der Mensch, sobald der Gelderwerb infrage kommt, vor nichts zurückbebt. Die Grausamkeit der Buren ist bekannt, aber es fragt sich, ob die Engländer sich nicht der gleichen Verbrechen schuldig gemacht haben würden, wenn sie denselben vorangegangen wären. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Nation, welche die Entdeckungen zuerst ausbeutete, in größerer Versuchung stand, weil sich anfangs mehr Schätze und Reichtümer erringen ließen.«

Um Mittag wurde wieder ausgespannt und das Vieh durfte weiden. Dann zogen sie weiter bis zum Sonnenuntergang, worauf die Leute gemustert wurden und ihnen mehrere Aufträge und Anweisungen erteilt wurden. Dieses Amt übernahm auf Alexanders Bitte der Major, der an die Khoikhoi eine lange Rede hielt und ihnen versprach, dass jeder, der seine Schuldigkeit tue, eine besondere Belohnung erhalte, während die Säumigen schwer bestraft werden sollten. Man sammelte dann Holz für das Feuer und bereitete das Nachtessen. Mohamed, Major Hendersons persischer Diener besorgte die Küche, und nachdem man die Ochsen an die Wagen gebunden hatte, wurde die Wache ausgestellt, um die Feuer brennend zu erhalten. Dann begab man sich zur Ruhe, die Gentlemen schliefen in den Wagen und die Khoikhoi unter denselben neben dem Feuer. Es ist unnötig, über die Reise nach Grahamstadt weiter zu berichten, die ohne Schwierigkeiten vonstattenging. Sie langten erst nach vierzehn Tagen daselbst an, wo sie von den wenigen Offizieren, welche sich dort befanden, freundlich empfangen wurden. Sie ließen hier drei Leute, die während ihres Aufenthaltes betrunken sie den Branntweinschenken liegen geblieben waren, und warben nun neun andere an, die gute Empfehlungen hatten. Zwei davon beherrschten die Khoikhoisprache, sodass sie nicht nur als Führer, sondern auch als Dolmetscher dienen konnten. Einen Tag nach ihrer Ankunft bemerkte Mr. Swinton, dass sich etwas in den Büschen regte. Er trat vorsichtig näher und entdeckte einen kleinen Buschmannknaben von ungefähr zwölf Jahren, den die Leute nackt, ausgehungert und fieberkrank zurückgelassen hatten. Arznei und gute Kost brachten den kleinen Knirps bald wieder so weit, dass er gehen konnte. Er zeigte keine Lust, die Karawane zu verlassen, sondern bewachte ängstlich die Schritte seines Beschützers und folgte ihm, so weit er nur konnte. Der Knabe fühlte augenscheinlich große Zuneigung zu der Gesellschaft. Als diese aufbrechen wollte, meinte der Major, er werde einen guten Begleiter für Begum abgeben.

»Welchen Namen sollen wir ihm geben?«, fragte Swinton.

»Je nun, da meine Äffin Prinzessin heißt, so soll er Prinz genannt werden. Wir wollen ihn Omrah nennen.«

»Gut, soll er Omrah heißen«, erwiderte Swinton, »bis wir ihm bei ernsterer Gelegenheit einen besseren Namen geben können.«

Omrah wurde in den Wagen gesetzt und erhielt Begum als Gesellschafterin, worauf unsere Reisenden von Grahamstadt aufbrachen. Der Zug setzte sich erst nachmittags in Bewegung, da die Khoikhoi sich von ihren Frauen und den Branntweinschenken nicht verabschieden konnten. Erst am Abend erreichten sie Hermanns-Kraal, ein kleines Fort, wo sie übernachteten, um den Khoikhoi Gelegenheit zu geben, sich von den Nachwirkungen des Branntweins zu erholen. Am nächsten Morgen ging der Zug weiter und die Landschaft veränderte ihren Charakter völlig, denn die Gegend war jetzt mit dichtem Gebüsch bedeckt, in welchem man sich vor wilden Tieren in acht nehmen musste. Bald breitete sich ein ödes, unfruchtbares Land vor ihnen aus. Die Sonne brannte drückend und nirgends war Wasser zu entdecken. Endlich erreichten sie einen schlammigen Teich, in welchem sich Elefanten vorher belustigt haben mussten. Die Pferde und Ochsen waren froh, ein Gleiches tun zu können. Nachts machten sie wieder wie früher halt, um wilde Tiere und Elefanten abzuhalten. Am nächsten Morgen nahmen sie mit Tagesanbruch die Reise wieder auf und die Landschaft veränderte sich abermals. Sie gelangten in dichte Wälder neben dem großen Fischfluss und setzten wohlbehalten über. Die Gegend umher war wundervoll. Der Fluss lief spiegelglatt zwischen massigen Bergen und Felsen dahin, die zu beiden Seiten mit grünen Tälern abwechselten. Nachmittags erreichten sie das Fort Wiltshire, den äußersten Verteidigungsposten der Kolonie. Hier lagen englische Truppen, um zu verhindern, dass Plündererhaufen über den Fluss setzten, oder um sie aufzufangen, wenn sie mit ihrer Beute zurückkehrten.

Man beschloss, hier zwei Tage zu bleiben, um nur das Gepäck zu ordnen. Anstatt nun den Weg sofort nach Chumie, der ersten Missionsstation, die noch etwa zehn Stunden entfernt war, einzuschlagen, beschlossen sie nach Butterworth zu gehen, das noch sechzehn Stunden weiter entfernt im Xhosaland lag.

Bis jetzt hatten sie mit den gemieteten Khoikhoi nur wenig Ungelegenheiten gehabt, sobald sie aber die Grenze des Kapgebietes überschritten hatten, zeigten einige Spuren von Ungehorsam. Einer wurde sofort entlassen. Die Drohung, ihn zu erschießen, wenn er sich je wieder in der Karawane blicken ließe, übte die gewünschte Wirkung aus, die Ordnung wiederherzustellen. Das Land bestand jetzt aus einer Reihe von Hügeln und Tälern, hin und wieder durch tiefe Schluchten durchschnitten. Unterwegs trafen sie häufig auf Elefantenpfade. Ein Khoikhoi, namens Bremen, der als bester Jäger bekannt war, ersuchte Alexander und seine Begleiter, sie möchten doch recht vorsichtig sein, wenn sie der Karawane vorreiten wollten, denn die Elefanten kehrten abends meist auf demselben Pfad zurück, und es sei gefährlich, ihnen in den Weg zu kommen.

Zwei Tage setzten sie ihren Weg in fast gerader Linie zum Missionsposten fort und kreuzten am zweiten Abend vermittelst eines Elefantenpfades einen waldigen Hügel, als sie plötzlich von einem kreischenden Lärm begrüßt wurden. Die Pferde stutzten, aber sie konnten nichts sehen, obgleich der Ton sekundenlang durch die Berge widerhallte.

»Was war das?«, rief Alexander.

»Schreit so laut Ihr könnt«, rief der Major, »und lasst uns zum Weg zurückkehren.« Alexander und Swinton halfen dem Major mit Schreien und die ganze Khoikhoimenge stimmte mit ein.

»Still jetzt«, sagte der Major.

Alle verstummten und lauschten.

»Es war nur ein Einziger, und er ist jetzt fort«, sagte Bremen, »wir können jetzt weiterziehen.«

»Ein Einziger – was?«, fragte Alexander.

»Ein Elefant«, antwortete der Khoikhoi. »Es ist nur gut, dass er uns nicht angriff, sonst wären wir alle in den Abgrund hinuntergestürzt. Es muss eine Herde in der Nähe sein. Wir tun daher gut, sofort zu halten, sobald wir über den Weg sind.«

Sie hatten nun die andere Seite des Berges erreicht und wählten beim Licht der Sterne einen Lagerplatz. Nachdem sie ihr Vieh gesammelt hatten, fuhren sie ihre Wagen im Viereck auf und zogen Stricke von einem zum anderen. Die Schafe wurden in das Viereck getrieben, die Ochsen an die Seite der Wagen gebunden. In dieser Nacht wurden große Nachtfeuer angezündet, um die Elefanten und andere Raubtiere abzuhalten. Jetzt wurde ein Schaf geschlachtet und Mohamed musste das Nachtessen bereiten. Die Äffin Begum kam herbei, um an der Mahlzeit teilzunehmen. Sie kroch meist an ihren Gebieter dicht heran und steckte ihre Finger zuerst in jede Schüssel und stahl zum großen Verdruss der Reisenden alles, was sie nur konnte.

Der kleine Buschmann, welcher seine Heiterkeit wiedergewonnen hatte, war einer der possierlichsten Jungen, welche man nur treffen konnte. Er half dem Koch nach Kräften und betrachtete sich als dessen Diener, da er mit den Khoikhoi keinen Verkehr unterhielt.

Sobald die Feuer brannten, wurde auch die Wache ausgestellt und dicht neben der Stelle, wo auch Alexander und die anderen saßen, hatte der große Adam, der Khoikhoi, dessen Mut dem Major sehr zweifelhaft vorkam, mit dem Gewehr in der Hand seinen Posten bezogen. Omrah kam jetzt herbei, unsere Abenteurer nickten ihm zu und fragten ihn in englischer Sprache, wie es ihm gehe. Der Knabe, welcher bereits einige Sätze aufgefasst hatte, erhob seinen Arm wie einen Elefantenrüssel und ging mit abgemessenen Schritten umher, als wolle er einen Elefanten nachmachen. Jetzt ging er von hinten auf den großen Adam zu und schrie, wie vor einiger Zeit der Elefant, worauf der Khoikhoi zusammenfuhr, seine Muskete fallen ließ und sich auf den Boden niederwarf, damit das Tier an ihm vorüberziehe, ohne ihn zu bemerken. Die anderen Khoikhoi hatten gleichfalls erschrocken zu ihren Gewehren gegriffen und sich nach den Tieren umgesehen. Das Gelächter der Gentlemen belehrte sie aber, dass der kleine Omrah sich nur einen Spaß erlaubt hatte. Jetzt stand der große Adam mit einem Schafsgesicht auf, denn er hatte eben seinen Kameraden erzählt, wie viel Elefanten er schon erlegt habe und wie er sich auf die Aussicht freue, bald wieder eine Jagd auf die Tiere machen zu können.

»Jedenfalls sehen wir«, bemerkte Swinton, »dass Adam ein brillanter Elefantenjäger ist und recht wohl weiß, was er in der Zeit der Gefahr zu tun hat.«

»Ja«, erwiderte der Major, »wir wissen aber auch, dass er die Klugheit für die bessere Seite des Mutes hält.«

»Kennt Ihr die merkwürdige Elefantenjagd des Leutnants Moodie?«, fragte Swinton.

»Ich habe davon gehört, doch sind mir die Einzelheiten unbekannt. Wir sind alle auf Eure Erzählung gespannt«, sagte Alexander.

»Gut, so will ich sie erzählen!

Leutnant Moodie war mit anderen Offizieren und einem Trupp Soldaten auf die Elefantenjagd ausgezogen, als er eines Tages die Nachricht erhielt, dass eine Elefantenherde in der Nähe sei. Er griff sofort nach seinem Gewehr, brach sich Bahn durch das Dickicht und hatte gerade eine Lichtung erreicht, als er einige seiner Leute auf Englisch rufen hörte: ›Sehen Sie sich vor, sehen Sie sich vor.‹

Während sie noch riefen, brachen vier Elefanten keine zweihundert Schritte, wo er stand, aus dem Dickicht. Er hörte die Zweige prasseln, die von den Elefanten niedergetreten wurden. Allein auf offenem Platz wusste er wohl, dass er nicht zu entkommen hoffen durfte, wenn er feuer gab und nicht auf der Stelle damit tötete. Er zog sich daher in der Hoffnung zurück, die Tiere möchten ihn nicht gesehen haben. Als er rückwärts blickte, sah er, dass sie alle auf ihn Jagd machten. Wie ein Wahnsinniger rannte er auf einen steilen Felsen zu, den er noch zu erreichen hoffte, ehe ihn die Elefanten einholten. Er wandte sich kurz um und richtete sein Gewehr auf den größten Elefanten. Unglücklicherweise war sein Pulver feucht und das Gewehr wollte nicht losgehen. Erst beim Absetzen krachte es los. Die Kugel streifte den Kopf des Elefanten. Jetzt warf sich Moodie auf den Boden und der Elefant stieß mit seinem Stoßzahn nach ihm. Glücklicherweise hatte er nur einen, und zum großen Glück verfehlte er ihn so, dass er etwa einen Zoll von Mr. Moodie nur den Boden durchwühlte. Das Tier ergriff ihn jetzt mit seinem Rüffel und schleuderte ihn zwischen seine Vorderfüße, um ihn zu zertreten. In diesem schrecklichen Augenblick kamen ein anderer Offizier und ein Khoikhoijäger zu Hilfe, die mehrere Kugeln auf den Elefanten abfeuerten und ihn schwer verwundeten. Die drei anderen ergriffen die Flucht. Endlich wandte sich auch derjenige, welcher sich Moodies bemächtigt hatte, von diesem ab, versetzte ihm noch einen Stoß und folgte den übrigen. Mr. Moodie erhob sich, nahm sein Gewehr und wankte, so schnell er nur konnte und es seine schmerzenden Knochen gestatteten, davon. Kaum hatte er sich in Sicherheit gebracht, als er den Tod des Khoikhoijägers mit ansehen musste, der von dem verwundeten Elefanten gepackt und zu Tode gestampft wurde. Nachdem er ihn mit seinen Vorderfüßen totgeknetet hatte, packte er ihn mit dem Rüssel, trug ihn in ein Dickicht und schleuderte ihn in das Gebüsch«

»Grausam! Ich hätte nie gedacht, dass eine Elefantenjagd mit so großen Gefahren verbunden wäre«, fuhr Alexander fort, »und bin desto begieriger, mich an diesem Weidwerk zu versuchen.«

»Wenn wir weiter vorrücken, wird es uns an Gelegenheit dazu nicht fehlen. Übrigens rate ich, die Xhosa teilnehmen zu lassen. Sie verstehen die Elefantenjagd, nähern sich dem Tier von hinten und stoßen ihm ihre Speere in den Leib, bis es vom Blutverlust erschöpft ist. Da sie glauben, ein Elefant stehe im Rang ebenso hoch wie ein König, so ist es lächerlich mit anzusehen, wie sie bei Verwundung der Tiere um Verzeihung bitten und ausrufen: ›Großer Mann, sei nicht zornig, großer Häuptling, töte uns nicht.‹«

»Aber wie können sie einem so schrecklichen Tier nahe kommen, ohne von ihm getötet zu werden?«

»Dies wird nur dadurch möglich, dass sie ihm ganz nahe auf den Leib rücken. Ein Elefant sieht nur schlecht und ist im Umwenden sehr unbeholfen. Wenn ihn die Xhosa angreifen, so stehen sie drei Fuß von seinem Schwanz oder von seiner Seite entfernt. Auch benutzen sie dazu die Elefantenpfade, welche so schmal sind, dass die Tiere nicht gut umkehren können. Doch da kommt das Nachtessen. Es tut mir nicht leid, etwas in den Magen zu bekommen.«

»Auch mir nicht«, entgegnete Alexander. »Wenn die Führer recht haben, werden wir morgen noch die Missionsstation erreichen und den Häuptling des Amakosa-Stammes antreffen. Hinza heißt er.«

»Ja«, versetzte Swinton, »und wir müssen ein Geschenk für ihn bereithalten, um einige Leute von ihm zu erhalten, wenn wir den Missionsplatz verlassen.«

»Und dann wollen wir es mit der Elefantenjagd versuchen«, erwiderte der Major. »Bremen sagt mir, dass es in der Nähe der Mission viele Flusspferde gebe.«

»Auch ich freue mich darauf«, versetzte Wilmot.

»Jetzt lasst uns zu Bett gehen. Gute Nacht, meine Herren.«

Am nächsten Mittag erreichte die Expedition die Missionsstation Butterworth, die ungefähr sechzig Stunden von der Grenze der Kolonie entfernt war. Die Station bestand erst drei Jahre, hatte jedoch in dieser kurzen Zeit ein Gepräge von Zivilisation geschaffen, das einen schroffen Gegensatz zu dem benachbarten Land der Wilden bildete. Das Missionsgebäude war ein großes Bauernhaus und die Kirche eine Art Scheune, aber ringsherum lagen reinliche Xhosahütten und fruchtbare Gärten.

Als die Karawane anlangte, kam ihnen der Missionar Mr. S. entgegen, um sie zu begrüßen, denn er hatte bereits Nachricht erhalten, dass die Expedition eintreffen und einige Gegenstände mitbringen würde, die er verlangt hatte. An einem entlegenen Platz und in einem solchen Land bringt eine Begegnung schnell ein vertrauliches Verhältnis zustande. Mn S. bot sofort den Reisenden Betten in seinem Haus sowie Kost an, doch machten unsere Abenteurer von dieser Gastfreundschaft keinen Gebrauch, da sie mit ihren eigenen Bequemlichkeiten zufrieden waren. Man spannte nur die Ochsen aus und trieb sie auf die Weideplätze. Die Gentlemen machten von der Einladung des Missionars zum Mittagsmahl jedoch gern Gebrauch. Alexander sprach von dem Zweck seiner Reise und erbat sich den Rat des Missionars, indem er fragte, ob es vorteilhaft sein dürfte, den Xhosakönig zu besuchen und ihm ein Geschenk zu machen. Mr. S. billigte den Plan und schlug vor, dass sie sich ein Geleit von Xhosa von ihm erbitten sollten, da sie in diesem Fall nicht nur sicherer reisen würden, sondern auch von ihrem Gefolge Nutzen ziehen könnten. Sie brauchten nichts weiter zu tun, als die Xhosa zu beköstigen und ihnen bei guter Führung ein Geschenk zu versprechen.

»Sie wissen wohl, meine Herren, dass das Gebiet Hinzas sich nur bis an den St. Johannesfluss erstreckt, während Ihr Weg weiter führt. Dies hat, wenn einige Xhosa zu Ihrem Gefolge gehören, keine Schwierigkeit, da die ferner gelegenen Stämme nicht nur Ihre Streitmacht, sondern auch den Zorn Hinzas fürchten. Augenblicklich allerdings sind die Verhältnisse nicht sehr friedlich. Hinza rüstet sich gegen einen mächtigen Nachbarhäuptling, namens Bufani, welcher über die Tambunkie-Stämme herrscht. Ob übrigens der Krieg ausbrechen wird, ist zweifelhaft, da die feindlichen Parteien durch einen noch mächtigeren Gegner bedroht und deshalb wahrscheinlich genötigt sind, sich zum Zweck der Selbstverteidigung zu einigen.«

»Und wer ist dieser Gegner?«

»Quitu, der Häuptling der Amaquabi, steht mit einer großen Streitmacht an der Grenze und bedroht die nordwärts von uns gelegenen Stämme. Überwindet er sie, so wird er wahrscheinlich zu uns herunterkommen. Er war früher einer von Chakas Generälen und ist wegen seiner Blutdürstigkeit verrufen. Vorderhand steht er noch zu weit nördlich, um uns zu belästigen. Immerhin möchte ich aber raten, bei der Erfüllung Ihrer Sendung keine Zeit zu verlieren, denn wenn er vorrückt, werden Sie sich zurückziehen müssen. Es wird am besten sein, wenn ich Hinza morgen benachrichtige, es seien Fremde hier, die ihn sehen und ihm ein Geschenk machen möchten.«

»Nach dem, was Sie uns mitgeteilt haben, wird es allerdings so am besten sein«, bemerkte Swinton. »Sie sind nun schon lange hier, Mr. S., welche Ansicht haben Sie sich in dieser Zeit von den Xhosa gebildet?«

»Für Heiden sind sie ein wackeres Volk – kühn, freimütig, gewissenhaft und ehrlich. Das Viehstehlen halten sie allerdings nicht für ein Verbrechen, obschon es als ein solches bestraft wird. Wenn ich aber als Diener der Kirche sprechen sollte, so muss ich sagen, dass mir noch mit keiner Nation der Verkehr so schwer wurde, wie mit dieser. Sie haben keine Religion, keine Götzen und nicht die geringste Vorstellung von dem Dasein Gottes. Wenn ich mit ihnen von Gott rede, antworten sie: »Wo ist er? Zeige ihn mir.« Sie glauben an Schwarze Kunst und haben ihre Zauberer, die unsere Hauptgegner sind, weil wir mit ihrem Einfluss auch ihren Gewinn schwächen. Kommt Vieh abhanden, so wendet man sich an sie. Ist ein Häuptling krank, so will man von ihm wissen, wer ihn behext hat. Ist das Land vor Regenmangel dürr ausgetrocknet, so sollen die Zauberer den Regen machen. Wenn nach ihrem Hokuspokus der Regen ihren Ruf nicht rettet, so geben sie irgendeinen Grund an, der mit dem Opfer eines unschuldigen Menschen endet. So treiben sie es, bis der Regen fällt. Ich brauche kaum zu sagen, dass diese Leute unsere größten Feinde sind.«

»Sind Sie mit Ihrem bisherigen Erfolg zufrieden?«

»Ja, sofern ich die Schwierigkeiten ins Auge fasse, die dabei zu überwinden sind. Nichts als der göttliche Beistand konnte Wirkungen hervorrufen, wie wir sie bereits erlebt haben. Die Häuptlinge sind nämlich unsere Widersacher, weil das Christentum ihre Sinnlichkeit an der Wurzel fasst. Der Reichtum eines Xhosa besteht nicht nur aus Vieh, sondern auch in der Anzahl seiner Frauen, die seine Sklavinnen sind. Sagt man ihnen deshalb, die Vielweiberei sei Sünde, so ist das ebenso viel, als wenn man sie überzeugen wollte, dass eine große Herde Vieh zu halten ein Unrecht sei. Ich fragte die Häuptlinge, warum sie nicht zur Kirche kämen und erhielt zur Antwort: Das große Wort will unsere Freuden schmälern und die Zahl unserer Frauen vermindern, wir können hierzu niemals ja sagen.«

»Sie verzweifeln also nicht an dem Erfolg.«

»Gott behüte! Ich wäre ein höchst unwürdiger Diener Gottes, wenn ich so wenig Vertrauen in seine Macht setzte. Nein, es ist bereits viel Gutes geschehen, wie Sie sich überzeugen können, wenn Sie morgen dem Gottesdienst beiwohnen. Ich muss Ihnen nun eine gute Nacht wünschen, da ich noch Obliegenheiten zu verrichten habe, die mich abrufen. Unsere Mission hat jedenfalls eine gute Wirkung gehabt. Sie sind vollkommen sicher gegen die Gewalt und Raubsucht der Xhosa.«

»Ich bin begierig zu sehen, wie sich die Xhosa uns gegenüber benehmen«, sagte Alexander.

Der nächste Tag war ein Sonntag. Unter Mohameds Beistand, welcher nicht nur der Koch, sondern auch der Kammerdiener des Abenteurerkleeblatts war, ließen sie sich ihre Bärte abnehmen und kleideten sich in sonntägliche Tracht, eine Achtung, die dem Sonntag selbst von denen gezollt wird, die völlig weltlich und in religiösen Punkten gleichgültig sind. Als die Missionsglocke läutete, kamen die Einwohner aus allen Richtungen herbei. Unsere Reisenden begaben sich gleichfalls zum Gotteshaus. Die Anzahl der Eingeborenen mochte in der Kirche ungefähr vierzig betragen. Sie waren meist auf europäische Weise gekleidet, die übrigen hatten ihre Karossen dicht um sich geschlungen. Zuerst wurde ein Choral in der Khoikhoisprache gesungen, dann kamen das Gebet und die Litanei. Hierauf wurden die Zehn Gebote in der gleichen Sprache verlesen. Dann las Mr. S. ein Kapitel aus der Bibel vor und erklärte es. In der Kirche herrschten tiefe Stille und Aufmerksamkeit. Mr. S. sprach den Segen, und der Gottesdienst war beendet. Der Missionar entfernte sich.

Alexander bemerkte: »Ich weiß nicht, wie es Euch erging. Ich kann nur versichern, dass es mir eine Freude war, in dieser bescheidenen Kirche und in diesem wilden Land dem schlichten Gottesdienst beiwohnen zu können.«

Swinton und Major Henderson äußerten sich in derselben Weise.

»Ich fürchte, nicht verlacht zu werden«, fuhr Alexander fort, »wenn ich erkläre, dass es mir von großer Wichtigkeit erscheint, den Sonntag durch Ruhe und Gebet zu heiligen, wo wir uns auch während unserer Reise befinden mögen.«

»Ihr sprecht mir aus vollem Herzen und ich danke Ihnen für den Vorschlag«, entgegnete Swinton.

»Auch ich bin über diesen Antrag erfreut, Wilmot«, entgegnete Major Henderson, »denn auch wir können der guten Sache nützlich werden, wenn die Eingeborenen bemerken, dass wir auf unserem Zug durch das Land den Feiertag heiligen, wie es der Missionar verlangt. Unser Beispiel kann nur eine gute Wirkung üben.«

Den Abend verbrachten sie sehr angenehm bei Mr. S., der viel von den Xhosa zu erzählen wusste.

Er teilte seinen Gästen ferner mit, dass Hinza am nächsten Morgen zu erscheinen gedenke, um die Geschenke in Empfang zu nehmen.

Alexander dankte dem Missionar herzlich und fügte hinzu: »Haben einige Ihrer Kollegen Frauen bei sich? Ich vermute, dass die Missionsfrau mehr durchzumachen hat, als ihr Gatte.«

»Sie haben recht«, entgegnete Mr. S., »denn keine Lage ist so mühsam und so gefährlich. Ich kann wohl sagen, körper- und geistaufreibend als die einer Missionarin. Sie hat dieselben Gefahren durchzumachen wie ihr Gatte und muss oft allein in dem Missionshaus bleiben, während ihr Gatte seinem Amt nachgeht und auf seinem Berufsweg jeden Augenblick erschlagen werden kann. Sie ist allein zu Hause und muss alle Gerüchte und Lügen, die in Umlauf gesetzt werden, mit anhören. Das eine Mal heißt es, ihr Gatte sei ermordet worden, das andere Mal, er sei noch am Leben. Sie verweilt so oft viele Wochen in einem schrecklichen Zustand von Ungewissheit und Angst. Ich habe in meinem Schreibpult den Brief eines Mitarbeiters, in welchem dieser Zustand treulich geschildert ist, und will den betreffenden Teil daraus vorlesen.«

Mr. S. begab sich zum anderen Ende des Zimmers und kam mit einem Brief zurück, aus welchem er folgernde Stelle vorlas.

»Da ich unter diesen Stämmen fast zwei Monate aufgehalten wurde, so verbreitete sich das Gerücht, ich sei mit meinem Dolmetscher ermordet worden. Als ich wieder auf zehn Stunden in die Nähe der Station kam, erfuhr ich, dass das Gerücht durch einige Eingeborene, die an der Station vorbeikamen und mit den Einzelheiten des Gesprächs bekannt sein wollten, ausgestreut worden. Wir waren den ganzen Tag über gereist und die Nacht hatte uns überrascht. Dennoch hätte ich gern meine Wanderung fortgesetzt, nur meiner armen Gattin ihre Angst zu nehmen. Wir wären aber alle einem sicheren Tod entgegengegangen, wenn wir in der Nacht die Ebene durchquert hätten, da die Raubtiere um diese Jahreszeit gierig umherstreiften. Kaum hatte der Morgen zu dämmern begonnen, als ich aufbrach, ohne Wegweiser als meinen Taschenkompass und es meinen Reisegefährten überlassend, später, wenn sie ausgeschlafen hatten, nachzukommen. Diese Ungeduld hätte mich aber beinahe das Leben gekostet, denn ich musste bei glühendem Sonnenbrand stundenlang durch tiefen Sand waten, sodass meine Kräfte zu schwinden begannen, ehe ich den halben Weg zurückgelegt hatte. Dabei quälte mich ein unbeschreiblicher Durst. Dennoch schleppte ich mich mit tief gefühltem Dank gegen den Erhalter der Menschen bis zum Wohnhaus. Einige Minuten vor meiner Ankunft war die Frau eines Mitarbeiters in unsere Wohnung gekommen, um meiner Gattin die traurige Nachricht von meiner Ermordung schonend mitzuteilen und sie in ihrer entsetzlichen Lage zu trösten. Ich traf beide völlig erschöpft und in Schweiß gebadet im Zimmer.

›Allmächtiger Gott‹, schrie unsere Freundin, ›sein Geist, sein Geist!‹

Ich muss es dir überlassen, die Szene auszumalen, welche nun folgt.«

»Ja, meine Herren!«, fügte Mr. S. bei, als er den Brief schloss, »eine Missionarsfrau hängt in Wahrheit ihrem Mann an.«

»Gewiss«, entgegnete Swinton, »aber wir wollen Ihre Güte nicht länger in Anspruch nehmen, mein teurer Sir, also gute Nacht!«