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Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande 5

Friedrich Gerstäcker
Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Kapitel 5

Wie der alte Tom Brendall seinen Handel anfing und Cäsar, der Koch, seinen ganzen Hass auf Eingeborene verloren hatte

Näher und näher rückten sie dem Land – es war fast so, als ob die waldige Küste mehr und mehr aus der See emporstieg. Wie nun jener dünne durchsichtige Duft, der bis jetzt, einem Schleier gleich, auf dem Land gelegen hatte, zerfloss und in die schattige Waldung hinein verschwand, trat alles klar und deutlich hervor. Während Fritz gar keine Bewegung des Schiffes spürte und auf dem Wasser selbst kaum einen Gegenstand fand, an dem er ihr Fortbewegen wahrnehmen konnte, schien es fast, als ob die Küste um sie her weiter und weiter mit den grünen waldigen Armen ausgreifen würde, die sich langsam aber sicher um sie schlossen und sie plötzlich, wie mit einem Zauberschlag, hineingesogen hatte, selbst bis in das Herz der Waldung.

Fritz war nach unten gegangen und hatte erst noch einen Blick um sich her über den klaren Meeresspiegel und die Masse von Fischerbooten geworfen, die sie umgab. Als er kaum nach einer Viertelstunde zurückkam, rollte schon der Anker zu Grund. Die Turteltaube, in den kleinen Fluss so eingebracht, dass ihr durch ein niedriges Vorgebirge die Aussicht zur See zu abgeschnitten wurde, lag mit dem Außenklüver im wahrsten Sinne des Wortes in einem Guavendickicht, welches den Auslauf eines steilen Hügelrückens bedeckte und von hohen wehenden Kokospalmen überragt wurde.

Man hätte aber von dem Außenklüver aus, während das Schiff selbst an der steilen Landspitze vollkommen sicher in tiefem Wasser vor Anker lag, recht leicht gerade durch diese Guaven hinein an Land oder auch auf demselben Wege von dort an Bord kommen können.

Fritz wunderte sich, weshalb der Alte – wie die Kapitäne gewöhnlich stets auf ihren Schiffen genannt werden – einen so sonderbaren Platz zum Ankern ausgesucht haben mochte. Der alte Brendall wusste aber recht gut, was er tat – sein Lieblingssprichwort war dabei: Er sei ein tüchtiger Kerl und von jungauf in der Welt gewesen und … Dann schob er gewöhnlich die Hände in die Hosentaschen, soweit er sie hineinbringen konnte, und ging ganz vergnügt pfeifend an Deck auf und ab.

Der Anker war übrigens kaum hinunter, als eine Menge Eingeborener mit ihren kleinen Booten und Kanus an Bord gefahren kamen und allerlei herrliche Früchte, Bananen, Apfelsinen, Papayas, Wassermelonen, Kokosnüsse, Guaven und Gott weiß was alles feilboten. Der alte Tom Brendall wies aber die Händler sämtlich an den Koch, der auch gut portugiesisch sprach, soviel von dem Gebrachten einzuhandeln, wie er glauben würde, dass sie für Offiziere und Mannschaft gebrauchten. Es verstand sich von selbst, dass die Schwarzen dafür seine eigenen Produkte, wie besonders Gemüse und Kartoffeln an Zahlungsstatt annehmen mussten, denn der alte Tom war nicht der Mann, Bargeld auszugeben, wo er mit Zwiebeln bezahlen konnte.

Sonderbarerweise schien aber Cäsar hierbei seinen ganzen Hass auf die Schwarzen verloren zu haben. Er schüttelte jedem seiner halben Landsleute die Hand, als ob er ihm einen Arm ausrenken wollte, und schwatzte und lachte dabei mit ihnen und erzählte ihnen Geschichten und ließ sich erzählen, dass bald das ganze Deck widertönte von dem förmlichen Toben der munteren Schar und der Steuermann endlich, der den Lärm schon lange und für Fritz unbegreiflicherweise, geduldig mit angehört, aufsprang und mit ein paar hineingedonnerten Flüchen wenigstens teilweise die Ruhe wieder herstellte.

Zur gleichen Zeit, fast mit den Fruchtbooten, war aber auch ein etwas größeres Kanu mit zwei europäisch gekleideten Männern ans Schiff gekommen. Diese beiden Herren trugen eine Art von Uniform und gehörten wahrscheinlich zu dem kleinen Kastell oder Fort, das auf der oberen Landzunge stand und dazu dienen sollte, die Ein- und Ausfahrt des Hafens zu überwachen. Oben wehte auch die brasilianische Flagge. An den beiden Beamten oder Offizieren war es aber auch wirklich nur die Uniform, die sie für von europäischer Herkunft gelten ließ, denn sonst sah ihre Haut kaum um einen Schatten lichter aus, wie die der Eingeborenen, welche sie an Bord gerudert hatten. Es waren auch Abkömmlinge von Weißen und Indianern, allein die heiße Sonne, welche über ihrer Heimat brannte, hatte ihrer Haut die Farbe des Bodens aufgedrückt, auf dem sie wandelten.

Die Herren waren übrigens alles, was sich hier von Regierungsbeamten vorfand und bald damit beschäftigt, die Papiere des Schoners zu revidieren und nachzusehen, was für Frucht die Turteltaube geladen habe. Die Leute an Bord durften es sich nicht etwa einfallen lassen, zu schmuggeln, ohne ihnen die üblichen Prozente dafür zu zahlen, denn bestechen ließen sich diese Art von Beamten alle miteinander.

Die Turteltaube lag nun etwa acht Tage in dieser kleinen freundlichen Bucht, und Fritz hatte mehrfach Urlaub bekommen, um an Land zu gehen und mit den dortigen Einwohnern zu verkehren. Am liebsten durchstreifte er aber die reizende Umgebung des kleinen Flusses und fand bald, dass zu beiden Seiten desselben sehr große, zwei Kreolen gehörige Kaffe- und Zuckerplantagen waren, die von einer bedeutenden Anzahl von Sklaven bearbeitet wurden.

Am meisten interessierten ihn besonders die Plantagen von Kaffee, der in Brasilien in vortrefflicher Qualität gezogen wird und dessen Wuchs er sich ganz anders gedacht hatte. In jungen Anpflanzungen waren es nur Büsche, auf denen die Kaffeekirsche wuchs, in den älteren aber standen wirkliche kleine Bäume, zwanzig bis dreißig Fuß hoch und mit dunkelgrünem, sehr hübschem Laub bedeckt. Dazwischen waren höhere Laubbäume hineingepflanzt, dem Kaffee Schatten zu geben. Solche Anpflanzungen glichen förmlichen Wäldern, hätte nicht eben die Regelmäßigkeit der ausgepflanzten Reihen die Plantage verraten.

Das Laub des Kaffees hat fast Ähnlichkeit mit dem unserer Kirsche, die Blätter sind nur etwas größer und mehr gekraust. Die Früchte gleichen außerordentlich den Kirschen, noch mehr aber in der Form. Wenn sie recht reif sind, auch in der Farbe, den Korneliuskirschen, sitzen jedoch dicht am Stiel der Zweige und haben einen Doppelkern, die uns wohlbekannten Kaffeebohnen, immer zwei einander gegenübersitzend in gemeinschaftlicher Hilfe, enthaltend.

Fritz konnte sich nicht sattsehen an diesen reizenden Anpflanzungen, in deren kühlen Schatten er so gerne umherwanderte. Aber auch die Zuckerplantagen, die gepflanztem Schilf glichen, zogen ihn an und er sah Zimt- und Muskatnussbäume, Kakaobüsche und die kostbare Schlingpflanze, welche die duftende Vanille trägt. Ihm war dabei, als ging er im Traum in einer Märchenwelt umher. Sachen, die er wohl früher nennen hörte, aber bei denen er sich gar nicht die Möglichkeit gedacht, dass sie auf gewöhnlichen Bäumen im freien Wald draußen wachsen könnten, standen hier umher, wie bei ihm zu Hause die Eichen und Ahornbäume. Palmen, die er bis dahin nur eigentlich von Heiligenbildern kannte, schienen hier so gut zur Szenerie zu gehören, wie die Pappeln oder Kastanien in den nordischen Ländern.

Und dazu die wunderlichen schwarzen Menschen mit den breitgedrückten Nasen und wulstigen Lippen – aber es waren Sklaven – sie konnten von ihren Herren wie das Vieh, wie Pferde und Rinder verkauft und geschlagen werden – und wurden verkauft und ausgepeitscht. Sein Herz schlug ihm ängstlicher, wenn er daran dachte, dass das auch Menschen waren und wie ihm wohl zu Mut sein würde, wenn jemand seine Mutter, oder sein Helenchen hätte verkaufen wollen.

Helenchen – ach du lieber Gott, wie kam es gerade, dass ihm das kleine Mädchen wieder einfiel – wer weiß, wo sie jetzt war. In der großen Stadt hatte sie ihn doch lange vergessen.

Das viele Neue, was ihn umgab, ließ ihn aber nicht lange an vergangene Zeiten denken. Und wirklich waren es die Schwarzen, mit denen er sich jetzt am lebendigsten beschäftigte. Die Ursache hierzu bot aber auch vor allem anderen sein eigener Kapitän Tom Brendall, der weit menschlicher in dieser Art zu denken schien, als viele andere Amerikaner. Zwei Abende hatte er sich nun schon mit Fritz, obgleich er sonst nur sehr wenig mit ihm sprach, über die Leiden der armen Sklaven unterhalten und immer davon gesprochen, was für ein unendliches Glück es für die armen unglücklichen Schwarzen sein würde, wenn sie nach den freien nördlichen Staaten der Union (wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika auch genannt werden) entkommen könnten. Aber das war gar nicht möglich, denn viele Hundert Meilen eines heißen dicht bevölkerten Landes, wo lauter Sklavenbesitzer wohnten, lagen dazwischen und die armen Teufel hätten nicht zwei Tagesreisen weit kommen können, ohne dass man sie wieder eingeholt und dann gewiss noch weit strenger behandelt haben würde.

»Aber wenn sie sich nun auf ein Schiff flüchten könnten«, sagte Fritz, in dessen Augen schon bei dem Gedanken Tränen traten, »und wenn das Schiff gleich in See ginge, weit hinaus in See, wohin ihm die bösen Menschen nicht folgen könnten.«

»Ja, wenn man glücklich damit wegkäme«, sagte der Kapitän kopfschüttelnd, »aber würde man dabei erwischt, dann Gnade Gott. Ich glaube, die rothäutigen Schufte hier, die selber nicht viel heller als Neger sind, hingen einen an den nächsten Baum auf und wenn es ein Zimtbaum wäre. Und käme man wirklich davon, wie viel Geld würde es nicht kosten, sie unterwegs die ganze lange Zeit zu beköstigen. Ein armer Teufel wie ich, der seine Reisen nur macht, um davon zu leben, müsste total dabei zugrunde gehen.«

»Wenn Sie wieder hinauf in den Hudson liefen!«, rief Fritz von dieser menschenfreundlichen Idee begeistert lebhaft aus, »so sollten Sie einmal sehen, wie viel allein die Farmer oben in unserer Ansiedlung in kurzer Zeit zusammenbrächten, Sie für alle gehabten Auslagen reichlich zu entschädigen. Oft genug habe ich in den Betversammlungen gehört, wie sie den lieben Gott mit Bitten förmlich bestürmt haben, die schwarzen Brüder hier in den heißen Ländern zu befreien. Unsere Prediger haben oft in wenigen Tagen große Summen zusammengebracht, um die Leiden der armen schwarzen Menschen in etwas zu lindern. Was würden sie nicht geben, wenn es sich darum handelte, für wirklich befreite und ihrem Elend Entrissene, lediglich die Passage zu bezahlen!«

Der alte Tom Brendall schien nachdenklich zu werden, ging ein paar Mal in der Kajüte mit auf den Rücken gelegten Händen auf und ab und sagte dann endlich kopfschüttelnd: »Ich will mir’s überlegen – aber – ich traue der Sache nicht. Schicke mir einmal den Steuermann herunter, Fritz. Aber sprich mit keinem Menschen weiter darüber. Das Erste, was sie hier am Ufer täten, sobald sie nur den geringsten Wind von etwas Derartigem kriegten, wäre, dass sie mir den Schoner wegnähmen, mit allem, was drin und drauf ist, und hängen könnten sie uns nachher noch obendrein.«

»Ach du lieber Gott«, beteuerte Fritz, »ich sage ja gewiss nichts, wenn ich nur damit hoffen könnte, einem Teil der armen Menschen zur Freiheit zu verhelfen.«

Er sprang rasch an Deck, schickte den Steuermann hinunter und bereitete nachher das Abendbrot für Kajüte und Mannschaft mit noch einmal so viel Lust und Liebe als sonst. In Gedanken überlegte er sich schon, wie sie, eine ganze Menge geretteter Sklaven an Bord, mit schwellenden Segeln wieder hinaus in See stachen und wie er dann zu Hause erzählen könne, dass er gleich auf seiner ersten Reise, bei einer so guten Tat mitgeholfen hatte. So eifrig dachte er sich dabei in das Ganze einer solchen Flucht hinein, dass er gar nicht wünschte, sie kämen so leicht und ungehindert davon, sondern wirklich gern sein Leben in einer ernsten Gefahr gewagt hätte, um recht wacker bei solcher Rettung mitgewirkt zu haben.

Der nächste Tag verging übrigens, ohne dass der Kapitän auch nur eine Silbe weiter von der Sache erwähnt hätte. Sie luden nur aus, was sie an Frucht im unteren Raum führten, legten dabei das Schiff so dicht an das hier etwas steil aufgehende Ufer an, dass sie ihre Güter gleich über Planken hinaus an Land rollen oder tragen konnten, und fingen dann an, das dafür Eingehandelte, besonders Kaffee und Zucker, etwas Vanille, Maniokmehl, das der Kapitän behauptete, in Neuengland gut verkaufen zu können, und einzelne andere Landesprodukte an Bord zu nehmen.

Das Maniokmehl wurde nicht mit weggestaut, sondern blieb oben liegen.

Diesen letzten Tag hatte sich der Koch gar nicht an Bord sehen lassen und, wie der Steuermann sagte, Urlaub vom Kapitän bekommen, um einen Verwandten zu besuchen, den er zufällig und zwar als Sklaven, hier auf der einen Plantage gefunden hatte. Er musste dazu einen Erlaubnisschein vom Kapitän haben und dieser, der sich an dem Morgen in die rechte Hand geschnitten hatte und ein Tuch darum trug, ließ Fritz, dessen gute Handschrift er kannte, den Erlaubnisschein in englischer Sprache schreiben.

Erst spät, sehr spät in der Nacht, ja fast gegen Morgen schon, kam der Koch zurück. Fritz hatte gerade die Wache mit an Deck und sah, wie er gleich ohne Weiteres in die Kajüte hinunterging und den Kapitän weckte, dem er einen langen Bericht abzustatten schien.

Der nächste Tag war dazu bestimmt, Fracht einzunehmen. Es sah fast aus, als ob der Kapitän noch beabsichtigte, länger hier vor Anker zu bleiben, denn er ließ beide große Schonersegel vollkommen abnehmen und fest zusammenrollen und bestellte bei ein paar schwarzen Zimmerleuten an Land sogar noch mehrere Sachen für seinen eigenen Bedarf an Bord, die unter drei bis vier Tagen gar nicht fertig werden konnten.

Er selber war an dem Abend bei Don Pedro Alvaro, dem Befehlshaber des kleinen Platzes, den er mit seinen Offizieren schon einige Male an Bord gehabt und gespeist hatte, eingeladen. Die beiden Herren kamen an Bord, um ihn abzuholen, freuten sich, als sie hörten, dass er noch wenigstens acht Tage hier zu liegen beabsichtige, lobten ihn, dass er seine Segel der hiesigen Gewitterregen wegen abgenommen habe und schone, und verließen dann mit ihm das Schiff.

Es war eine ungemein dunkle Nacht und das Schiff hatte, nachdem es der Kapitän von Bord gegangen war, wieder auf seinen ersten Ankerplatz, und zwar so genau auf dieselbe Stelle hinausgelegt, dass der Außenklüver des Bugspriets wieder bis in die Guavenbüsche hineinreichte, die Mannschaft aber heute Abend keine Erlaubnis bekommen hatte, an Land zu gehen. Nur der Koch und Zimmermann mit dem einen Neger waren draußen und Fritz vom Steuermann beauftragt worden, auf der Back vorne seine Wache zu halten und ihn zu rufen, sobald er in den Guavenbüschen das geringste Geräusch hören sollte.

Fritz wusste nicht recht, was das eigentlich zu bedeuten hätte und sein Erstaunen wuchs, als er sah, wie die Leute gleich nach Dunkelwerden und als man vom Lande aus nicht mehr beobachten konnte, was an Bord vorging, die beiden großen Segel wieder an ihre Bäume oder Gaffeln befestigten und in der Tat alles an Deck herrichteten, als ob sie ohne Weiteres in See gehen wollten. Das Ganze wurde dabei so still und geheimnisvoll betrieben, dass er sich nicht verhehlen konnte, es gehe hier etwas ganz Außergewöhnliches vor. Das Herz schlug ihm wie ein Hammer in der Brust, wenn er daran dachte, wie sich Kapitän Brendall doch am Ende dazu entschlossen haben könnte, eine Partie Schwarze aus ihrer entsetzlichen Sklaverei zu befreien. Jetzt wusste er auch, weshalb er nach dem Gebüsch vorn aushorchen sollte. Aber weshalb hatte ihm der Steuermann nicht die Ursache gesagt, er hätte doch wahrlich nichts davon verraten?!