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Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande 4

Friedrich Gerstäcker
Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Kapitel 4

Wie Fritz in seine neue Heimat kam und was er da für Gesellschaft und Beschäftigung fand

»Hallo Kapitän, was bringt Ihr uns da für Kalbfleisch?«, war der erste Gruß, der über das Deck tönte, als der neue Kamerad seinen Fuß noch kaum auf die erste Planke gesetzt hatte. Fritz sah erschrocken auf und das Gesicht, das zu dieser Anrede gehörte, diente keineswegs dazu, das Scharfe und fast Höhnische, das in den rauen Worten lag, zu mäßigen. Die Stimme gehörte einem vierschrötigen, von der Sonne dunkel gebrannten Mann, dem das schwarze, lockige, fast wollige Haar beinahe das Aussehen eines Mulatten gab. Die Augen lagen tief und drohend in ihren Höhlen, die schmalen Lippen waren in eine Art Lachen, welches das Gesicht aber keineswegs freundlicher machte, getrennt, und zeigten ein paar Reihen blendend weißer Zähne und die bloßen muskulösen Arme, mit ein paar Fäusten daran, die aussahen, als ob sie einen Ochsen hätten mit einem Schlag zu Boden schmettern können, waren mit Haaren bewachsen, fast wie ein paar Bärenpranken.

Leicht gekleidet wie die übrigen Matrosen, die sich an Deck umhertrieben, trug er nur Hemd und Hose von dünnem baumwollenen Stoff mit einem rot wollenen Unterhemd, auf dem Kopf einen niederen Wachstuch überzogenen Strohhut und weder Schuhe noch Strümpfe an den Füßen. Aber er schien den, welchen er Kapitän nannte, mit einer gewissen Ungebundenheit anzureden und mehr zu sein als die Übrigen, wie auch schon sein Behaupten des Quarter- oder Hinterdecks bewies. Er lehnte mit beiden Armen, die Beine auseinander gespreizt, auf dem Gangspill und schob dabei ein gewaltiges Priemchen Kautabak keineswegs zur Verschönerung seiner schon überdies fatalen Züge von einer Wange in die andere.

»Ein junger Rekrut, der uns hoffentlich Ehre machen wird, Blighton«, rief aber Tom Brendall oder der Kapitän, wie wir ihn künftig der Kürze wegen nennen wollen – »er hat das Landleben satt und will hinausziehen in die weite See, um fremde Völker und Meere zu sehen.«

»Und da sollen wir die Erziehung übernehmen, heh?«, sagte Mr. Blighton und ein breites Grinsen zog seinen Mund quer über sein Gesicht hinüber.

»Wir wollen unser Bestes tun, Blighton«, rief der Kapitän und lachte dabei, »sodass beide Teile hoffentlich Freude aneinander erleben. Aber jetzt ans Werk! Haben die Leute gegessen?«

»Schon vor einer Stunde«, sagte der Steuermann, denn diesen Posten bekleidete Mister Blighton an Bord der Turteltaube, wie der kleine Schoner hieß.

»Gut, dann lasst sie nur den Anker lichten und das bisschen Brise noch benutzen, dass wir stromabwärts kommen. Wir wollen hinuntergehen in die Kajüte und essen. Und du, Fritz, kommst heute mit mir. Ich will dir bei Tisch unten auseinandersetzen, was du künftig zu tun hast, denn du sollst unser Steward oder Kajütenwärter werden. Nachher kannst du gleich, was der vorherige Lump an Tellern und Gläsern nicht zerbrochen hat, übernehmen und dein Amt beginnen, sobald du Lust hast. Was übrigens dein Gehalt betrifft, so wollen wir über das noch nichts Bestimmtes festsetzen. Passen wir zusammen, dann geb’ ich dir mein Wort, du wirst damit zufrieden sein. Und passen wir nicht, nun, dann soll dich die Zeit ebenfalls nicht bereuen, die du an Bord der Turteltaube zugebracht hast. Wir scheiden dann hoffentlich als ebenso gute Freunde, wie wir zusammengekommen sind.«

Bald darauf hatte sich Fritz eingerichtet. Sein kleines Bündel nahm er mit in den unteren Raum, wo ihm vom Kapitän selber gleich eine Koje angewiesen wurde. Nachdem sie ein gutes Mahl, aus allen möglichen und trefflichen Sachen bestehend, eingenommen hatten, wurde der schwarze Koch, der Cäsar hieß und in der letzten Zeit ebenfalls Stewarddienste verrichtet hatte, beauftragt, ihn in die Geheimnisse seiner Kunst einzuweihen, dass heißt zu zeigen, wo all die verschiedenen Provisionen und Getränke in die unglaublichsten kleinen Winkel und Ecken und Schränke, deren Türen oft am Boden oft in der Decke, manchmal auch an der Seite saßen, weggepackt oder gestaut waren – denn wir müssen uns jetzt nun schon an die Schiffsausdrücke gewöhnen. Sein Dienst ließ sich dabei keineswegs schwer an. Er hatte nur für die Kajüte zu sorgen, das Geschirr derselben mit aufzuwaschen und alles sauber und reinlich, wie auch Kontrolle über das Verbrauchte zu halten, zu welchem Zweck ihm aller Wein und Branntwein in Ansehen, wie die Büchsen mit eingesetzten Gemüsen oder Pickles-Fleisch zugezählt wurden. Aber der warme Teergeruch war ihm im Anfang noch ein wenig fatal, auch das Schlafen in der engen Koje wollte ihm, an die lustigen Häuser des Festlandes gewöhnt, nicht behagen. Er nahm sich schon den ersten Abend sein Bett, eine schmale, mit Moos gestopfte Matratze, an Deck. Freilich musste er um Mitternacht wieder, weit rascher als er hinaufgekommen war, damit hinunter, denn es fing plötzlich an zu regnen, als ob da oben eine Wolke geborsten wäre und das Verdeck schwamm.

Die ersten Tage vergingen ihm auch ganz vortrefflich und das Bewusstsein, ein neues Leben begonnen zu haben und nun gewissermaßen selbstständig in der Welt dazustehen. Sich seinen Lebensunterhalt selber zu verdienen, half ihm über die wenigen Unannehmlichkeiten seiner Lage, wie die Beschränkung des Raums, der Teergeruch und teilweise auch die Gesellschaft hinweg, die ihm doch nicht so ganz gefiel, wie er sich es am Anfang wohl gedacht hatte. Er mochte so viel auf das ungewohnte seiner Lage schieben, wie er nur wollte.

Der Kapitän, wenn auch ein bisschen rau und derb, schien noch der Beste von der ganzen Gesellschaft – es war ein echter Yankee, nur nicht so lang und dünn, wie diese gewöhnlich aufschießen, sondern, wie schon gesagt, von stattlicher, mehr untersetzter Gestalt, ein Seemann wohl seinem Gewerbe nach, aber auch nicht einen Augenblick den Kaufmann verleugnend, der aus jedem, was sich ihm bietet, den größtmöglichsten und schnellsten Nutzen zu ziehen sucht und dem strebsamen, aber oft auch überstrebsamen und rücksichtslosen Charakter seiner Landsleute in keiner Art Schande machte.

Du darfst dich übrigens nicht wundern, lieber Leser, dass Fritz nach so kurzem Aufenthalt an Bord schon ein so weitgreifendes Urteil über den Charakter seines Kapitäns fällte. Dieser gehörte zu der Klasse von Menschen, mit denen er schon oben am Hudson auch als ihr nächster Nachbar in die häufigste Berührung gekommen war und die sich, ziemlich über alle Staaten zerstreut, doch auch fast überall gleich blieb, ob sie nun ein Schiff von einem Hafen zum anderen führte oder Wanduhren auf einem kleinen Wägelchen in die fernsten Territorien des Westens kutschierte; ob sie mit Pillen und Salben oder mit silbernen Löffeln hausieren ging. Diese Art von Yankees verleugnet sich nie. Ihr Charakter ist wie in einer Form gegossen und von so elastischer Art, dass er, wenn gleich zehnmal unterdrückt, immer wieder frisch wie immer emporspringt und eine gestörte Existenz, die ein anderer ruhigerer Mensch für immer vernichtet halten würde, mit so regem ungetrübten Mut wieder und immer wieder aufs Neue beginnt, als ob er erst eben, ein junger Mann, der schönsten Hoffnungen voll ins Leben träte. Es ist dies eine Spannkraft des Geistes, die, zum Guten gelenkt, von den segensreichsten, herrlichsten Folgen sein kann, in die falsche Bahn aber gestoßen, den Mann selber auch, besonders noch durch falschen Ehrgeiz angestachelt, imstande ist, zu den verworfensten Taten zu treiben, für die er dann in sich selber stets eine genügende Entschuldigung findet. Fest und unverdrossen, aber auch mit voller Gemütsruhe und keineswegs von Gewissensbissen geplagt, geht er damit durchs Leben, bis er sein irdisches Ziel erreicht hat – ein Vermögen zu sammeln und als Gentleman, vielleicht auch als Beschützer und Unterstützer irgendeiner religiösen Seite seine Tage zu beschließen.

Nicht so rasch war Fritz mit seinem Urteil über den Steuermann fertig, der mit der derben Seemannsnatur so viel Verschmitztheit und selbst Bosheit – Fritz konnte sich nicht helfen, der Mann missfiel ihm vom ersten Moment an – in sich vereinigte und dabei ihn selber manchmal so freundlich und gleich darauf so höhnisch behandeln, dass er gar nicht aus ihm klug wurde und von Stunde auf Stunde seine Meinung änderte, die ihn bald geneigt, bald feindlich erscheinen ließ. Jedenfalls fühlte der junge Bursche, dass nicht viel dazugehören würde, zwischen ihnen beiden eine grimmige Feindschaft anzufachen. Er beschloss deshalb sehr klugerweise, alles auf das Sorgfältigste zu vermeiden, was nur irgend dahin führen konnte, denn der Steuermann ist die zweite Person an Bord eines Schiffes. Falls er ihm nicht viel nützen mochte, konnte er ihm doch entsetzlich viel schaden.

Die übrigen Leute waren alle rohes Gesindel, Menschen aus der niedrigsten Hefe des Volkes, und das will in Amerika etwas Heißen, wo neben den Tausenden braver und rechtlicher Arbeiter oder wohlhabender Grundeigentümer, die jährlich dorthin auswandern, jedes Land der Welt fast einen Teil seines Gesindels mit hinüber befördert, das dann drüben so lange für gut und ehrlich gilt, bis der alte Schaden wieder ausbricht und neue Vergehen dann meist strenge Strafe über die Verbrecher bringen.

Hier auf der Turteltaube schien aber wirklich der Extrakt aller solcher Elemente versammelt zu sein, denn eine größere Anzahl von Galgenphysiognomien hatte Fritz noch nie auf einem so kleinen Raum versammelt gesehen. Es waren übrigens nicht einmal lauter Amerikaner, sondern ein Paar Iren, ein Schotte und drei Spanier dazwischen. Die Leute waren jedoch freundlich mit ihm, sie hatten sich augenblicklich seinen Namen gemerkt. Wie sehr sie auch zusammen aufeinander zu fluchen pflegten, gegen Fritz sprach niemand ein barsches Wort. Der ehrliche Junge schob das auch im Anfang einzig und allein auf ihre Gutmütigkeit. Die rohesten Menschen haben oft das beste Herz und es wäre falsch, ein Gemüt nach der Sprache zu beurteilen, in die er seine Worte kleidet. Hier aber schien doch Eigennutz weit eher die Triebfeder des guten Betragens gewesen zu sein, als irgendetwas anderes, denn er hatte die Branntweinrationen auszuteilen. Die damit betraute Person spielt immer an Bord eines Schiffes eine gewichtige Rolle zwischen der Mannschaft. Außerdem hat es der Steward, besonders auf langen Seereisen, außerordentlich in seiner Gewalt, den Leuten hier und da kleine Erleichterungen zu verschaffen. Weshalb sollten sie da nicht wenigstens freundlich zu ihm sein?!

Fritz wusste aber von alledem noch wenig oder gar nichts. Ihm genügte es, wenn ihm der Steuermann oft eine halbe Stunde in einem Stück Gesichter geschnitten, vorn im Vorkastell oder Logis ein paar zutrauliche Worte zu hören und glatte Stirnen zu sehen. Er fragte nicht erst, woher sie kamen.

Die Turteltaube schien aber ziemlich große Eile zu haben, denn sie hielt sich in New York selber nur eben lange genug auf, ihre Papiere in Ordnung zu bringen und ging dann augenblicklich in See, dem Ort ihrer Bestimmung entgegen.

Von den ersten acht Tagen ihrer Reise wusste Fritz gar nichts. Er erinnerte sich, dass sie gleich vor der Einfahrt sehr raues Wetter bekamen und die See gewaltig aufpeitschte, das war aber auch alles. Später kamen ihm wohl noch dunkle Bilder, wie er an Deck von dem Steuermann herumgestoßen worden war, elendig in allen Ecken und Winkeln des Schoners gelegen und sein Ende herbeigewünscht habe. Es war ihm, als sei er eines Tages mit einem Korb voll Teller die Kajütentreppe hinabgefallen und unten gleich dabei liegen geblieben wäre. Als sei er ein anderes Mal nach vorne gegangen und von einer Welle zurückgewaschen worden. Aber das alles schwamm ihm nur in dunklen undeutlichen Formen vor der Seele und das Elend der Woche, in der ihn die Seekrankheit so recht aus Leibeskräften gepackt und geschüttelt hatte, ließ sich nicht beschreiben.

Während dieser Zeit musste der Koch seine Stelle versehen, denn wenn ihn auch der Steuermann am Anfang zwingen wollte, sich auf den Füßen zu halten, ging das doch zuletzt nicht an, besonders wo der arme Teufel mit Lebensmitteln in Berührung kam.

Der Koch war ein lichter Mulatte, mit krausem wolligem Haar und einer vollkommenen Negerphysiognomie. Stolz auf seine Herkunft verachtete er in der Tat nichts mehr, als einen wirklichen Neger, die er alle mehr als Tiere, wie als wirkliche Menschen betrachtete und dadurch besonders mit dem einen Matrosen, einem Vollblutkongolesen, nicht selten gar drohenden Streit bekam. Die beiden standen sich einander auch fortwährend feindlich gesinnt gegenüber.

Nun findet der Leser das vielleicht sonderbar, dass gerade ein Mulatte, dessen Mutter doch auch eine Schwarze gewesen war, der Rasse seiner Voreltern solchen Hass nachtragen sollte. Merkwürdigerweise ist dies aber fast stets der Fall in der Natur und besonders in dieser Rasse haben in den Negerkriegen, die auf den verschiedenen Inseln (z. B. Haiti) zu verschiedenen Zeiten wüteten, Mulatten und Neger einander auf das Erbittertste gegenübergestanden und die furchtbarsten Grausamkeiten untereinander ausgeübt. Der Mulatte hasst besonders die Erinnerung an seine Abkunft in der verachteten, unterdrückten Rasse und der Neger den Abtrünnigen in dem sich weiß dünkenden Stammesgenossen. Es ist das gerade so, wie bei dem Wolf, z. B., der keinen gefährlicheren und grimmigeren Feind im Wald hat, als seinen Abkömmling, den Wolfshund.

Als Fritz wieder ordentlich zu sich kam, waren sie weit draußen, auf offener See. Nirgends ließ sich mehr Land erkennen und nur hier und da unterbrach ein einzelnes Segel am Horizont die Eintönigkeit der stillen Fahrt. Hier aber sollte Fritz zuerst einen seiner Irrtümer, was das Leben der Matrosen an Bord eines Schiffes betraf, berichtigt finden. Denn wenn er geglaubt hatte, dass diese, sobald das Schiff nur erst unterwegs sei, nichts mehr zu tun hätten, als sich hinzusetzen und zu segeln, so fand er nun, dass es an keinem Ort der Welt wohl mehr und verschiedenartigere Arbeiten geben könne, als gerade an Bord eines Schiffes. Solange dieses nämlich im Hafen liegt, haben die Leute vollkommen Arbeit, ihre Fracht zu verstauen, Wasser und Proviant aufzunehmen und überhaupt die nötigen Vorräte zu einer längeren Reise herbeizuschaffen. Kaum ist das Schiff aber erst einmal in offener See, so beginnen die gewöhnlichen Arbeiten der Seeleute, die, auf einen so engen Raum beschränkt und nur auf sich selbst angewiesen, auch fast alles umfassen, für was man sonst auf dem Festland glaubt, von eben so vielen verschiedenen Handwerkern abhängig zu sein.

Zuerst werden vor allen Dingen die nur aufgezogenen und am Bug (Vorderteil) des Schiffes hängenden Anker auf Deck genommen und stark befestigt, dass sie beim Umherwerfen des Schiffes sich nicht von der Stelle bewegen und dieses beschädigen können. Dann werden die Ankerketten in den unteren Raum gelassen, denn zu viel Gewicht auf Deck gibt dem Schiff einen unsicheren Gang. Danach wird das Schiff gereinigt und nicht selten auch bei schönem Wetter inwendig, d. h. auf Deck und in der inneren Schanzkleidung neu angestrichen. Ebenfalls beginnen die Arbeiten an Segeln und Tauen, die wie beim Bauern das Pflügen und Düngen das ganze Jahr nie aufhören. Die Leute mögen damit beschäftigt sein, soviel sie wollen. Alte Segel müssen ausgebessert, neue gemacht werden und die wirklichen Matrosen verstehen meistens auch etwas vom Segelmachen. Taue müssen nachgesehen und geteert werden, das stehende Takelwerk wird besonders genau durchgenommen und die Stage und Pardunen werden, wo es nötig ist, frisch angezogen und dadurch die Masken wieder gefestigt. Ist das alles geschehen, dann zupfen die Leute Werg und drehen Schiemannsgarn auf einer kleinen runden Winde, um dünne Seile zu erhalten, womit einzelne Teile des stehenden Tauwerks umwickelt und dadurch gegen das Reihen und Gegenschlagen der Segel besonders, oder auch gegen das gegenseitige Abnützen geschützt werden.

Die regelmäßigen Wachen gehen dabei immer fort. Während ein Teil die Wacht zur Koje hat, d. h. schläft, ist der andere auf und munter, denn das Segeln eines Schiffes muss Tag und Nacht gehen und man kann draußen in offener See, wo das Wasser manchmal so tief ist, dass man mit der längsten Lotleine keinen Grund findet, das Schiff natürlich nicht nachts an einen Pfahl binden und schlafen gehen. Am Steuer besonders muss fortwährend jemand stehen und nach dem Kompass den richtigen Kurs halten.

Fritz bekam mit all diesen Sachen aber wenig zu tun. Er hatte seine Beschäftigung einzig und allein in der Kajüte, jenes ausgenommen, dass er nach den verschiedenen Mahlzeiten dem Koch mithelfen musste, das Geschirr auszuwaschen. Nur bei drohendem Wetter kam es später einige Male vor, dass er mit nach oben musste, um Segel zu reffen oder festzumachen.

Das Schiff gehörte zu einer jener großen Zahl von Yankee-Schonern, die, von dem Norden Amerikas auslaufend, mit Kartoffeln und Zwiebeln und allen möglichen anderen nordischen Produkten beladen, die Tropenländer aufsuchen und dort ihre Ladung, sei es gegen, was es wolle, bares Geld oder andere Produkte, vorteilhaft zu verwerten wissen und fast jedes Mal, wenn sie nicht eben irgendein besonderes Unglück haben, vorzügliche Geschäfte machen. Dass sie sich dabei nicht immer auf rein gesetzlichem Wege halten, lässt sich denken, denn gerade solche Artikel, die in einem Land verboten sind, bringen auch gewöhnlich die besten Preise. Und was die besten Preise bringt, ist dann auch natürlich das, an das sich die Handelsleute heimlich, wenn sie es nicht öffentlich tun dürfen, am liebsten halten.

Die Reise selber wurde rasch und glücklich zurückgelegt. Schon am 30. Tag kreuzten sie am Äquator und Fritz musste sich hier allerdings der alten, aber schon so oft beschriebenen Tauffeierlichkeit Neptuns unterziehen. Dann hielten sie, mit allerdings nur leichter, oft von Windstillen unterbrochenen Brise dem Festland von Brasilien entgegen, das sie am 50. Tag nach ihrer Ausfahrt aus dem Hudson in Sicht bekamen.

Am nächsten Morgen herrschte reges und fröhliches Leben an Bord. Der Mensch ist nun einmal ein Landtier und sehnt sich, besonders nach langer Seefahrt, so viel inniger nach festem Grund und Boden, hätte er auch wirklich die ganze Reise hindurch alle nur möglichen Bequemlichkeiten und Genüsse seines früheren Lebens gehabt.

Wie viel mehr musste das also hier der Fall sein, wo die Leute schon anfingen, herzlich satt zu bekommen, Salzfleisch zu essen, Kartoffeln und Zwiebeln und sich nach den schönen Südfrüchten sehnten und frischem Fleisch.

Die Leute hatten aber auch Grund, fröhlich zu sein, denn vor ihnen ausgebreitet lag in all ihrer Herrlichkeit die schönste Küste des ganzen ungeheuren amerikanischen Kontinents. Wie die schroffen, kühn geschnittenen Gebirgsmassen des Landesinnern scharf und klar gegen den azurblauen darüber gespannten Himmel abstachen, so zogen sich in dunklen gewaltigen Massen dichte Wälder bis fast zum gelben Strand, über dem die Brandung schäumte, nieder und wehende Kronen der schönen Kokospalmen schauten darüber hinaus und gaben der ganzen Landschaft einen eigentümlichen, dem Auge des Nordländers ungemein wohltuenden Charakter.

Fritz war ganz besonders entzückt über das alles, was ihn umgab, das herrliche wundervolle Grün am Ufer, die stille spiegelglatte See mit Mengen von spielenden Fischen, die sich oft mit dem ganzen gewaltigen Körper bis über die Oberfläche des Wassers schnellten, die vielen weißen Segel, die an der Küste auf oder nieder liefen, oder teils den Hafen suchten, teils hinausstrebten in offene See, die wunderlichen Fischerbootjollen, denen sie hier zuerst begegneten, einfache Flöße nur mit einem Mattensegel darauf und von der See oft ganz überspült- das alles entzückte, bezauberte ihn und er wäre nicht von der Back vorne, wo er sich auf einen der Anker gesetzt hatte, wieder fortgegangen, hätte ihn nicht seine Pflicht, in Gestalt des Steuermannes zurück an seine Arbeit in die Kajüte gerufen.

Dieser empfing ihn mit einem Donnerwetter, dass er Maulaffen da vorne feilhalte, anstatt hinten an seine Arbeit zu kommen. Zum Augenaufreißen habe man ihn nicht an Bord genommen und die Berge da drüben werde er wohl auch noch zeitig genug und zur Genüge zu sehen bekommen.

Das Letztere beruhigte Fritz am meisten. Also beabsichtigte der Kapitän, doch länger hierzubleiben und ihn an Land zu lassen. Er ging nun mit so viel mehr Lust an seine Arbeit, um sich nur ja nicht, noch so dicht vor Toresschluss, das Missfallen eines seiner beiden Vorgesetzten zuzuziehen und dann am Ende zur Strafe an Bord behalten zu werden.

Gegen Mittag hatte sich die Turteltaube so weit dem Land genähert, dass man deutlich einzelne Dächer aus dem dunkelgrünen Laub heraus erkennen und sogar die Gestalten der Eingeborenen, die am Rand der Waldung sich bewegten, unterscheiden konnte. Ein kleines Flüsschen kam hier der tief eingeschnittenen und düsteren Schlucht nach, aus den Bergen herunter. Die Leute fanden bald, dass ihr Kapitän beabsichtigen müsse, in die Mündung desselben einzulaufen. Er hielt wenigstens gerade darauf zu und die einzige Vorsicht, die er gebrauchte, war, einen Mann mit dem kurzen Handlot vorne hinzustellen, der das Senkblei von Zeit zu Zeit auswarf, den hier allerdings von Meile zu Meile seichter werdenden Grund zu untersuchen.

Der kleine Schoner war aber schon auf solche Orte eingerichtet, er lag etwas breit im Rumpf und ging nicht ungewöhnlich tief im Wasser, obgleich Fahrzeuge, die zur See fahren, stets eine gewisse Tiefe haben müssen, wenn sie nicht der Gefahr ausgesetzt sein sollen, bei heftigem Wind umzuschlagen. Er war auch keineswegs so schwer geladen, wie es Schiffe sonst sind, die nur Frucht zu einem bestimmten Platz führen und natürlich dann einpacken, was ihr Raum zu halten vermag, da sie ja für jeden Zentner, den sie mehr nehmen, auch soviel mehr bezahlt bekommen. Tom Brendall hatte nur eben an leichter Fracht genommen, was er für zum Tauschhandel günstige Artikel hielt. Er wusste auch wohl schon, welche Art von Waren er dafür am liebsten nahm. Tom Brendall war nicht zum ersten Mal an dieser Küste gewesen.