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Wolfgang Schorlau – Die letzte Flucht

Wolfgang Schorlau – Die letzte Flucht

Georg Dengler, ehemals BKA-Ermittler und nun Privatermittler, der in Stuttgart lebt, wird von Dr. Hartmut Lehmann, einem Anwalt aus Berlin, gebeten, Nachforschungen zum Fall seines Freundes, Professor Bernhard Voss, anzustellen und dessen Unschuld zu beweisen. Lehmann ist sich sicher, dass Voss unschuldig ist. Voss ist Arzt an der Berliner Charité und vor allem Forscher auf medizinischem Gebiet, der irgendwann vielleicht sogar den Nobelpreis bekommen könnte.

Dengler zögert, weil er eigentlich gerade keinen neuen Auftrag haben will, sondern lieber Zeit mit seiner Freundin Olga verbringen möchte. Schließlich erkundigt er sich aber doch, welches Verbrechen dem Professor zur Last gelegt wird, der deshalb als Untersuchungsgefangener in Moabit einsitzt. Freunde teilen Dengler mit, dass Voss vorgeworfen wird, ein neunjähriges Mädchen namens Jasmin Berner auf dem Schulweg entführt, mehrere Tage gefangen gehalten, vergewaltigt und dann mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen zu haben.

Der Detektiv ist sich zunächst sicher, dass Voss schuldig ist, da es laut polizeilicher Untersuchung zahlreiche Hinweise auf den Professor als Täter gibt. Insbesondere fanden sich an der Leiche des Mädchens Spermien, die mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit von ihm stammen, wie ein DNA-Test belegt.

Dennoch lässt Georg Dengler sich von Dr. Lehmann breitschlagen, sich mit dem Fall des Professors zu beschäftigen. Er muss aber den Freund des Anwalts sehen, um sich ein Bild zu machen, denn er hat gerade beim FBI in New York gelernt, die Mimik und Gestik fremder Personen zu entschlüsseln und auf diese Weise herauszufinden, ob jemand lügt.

Der Anwalt lässt den Detektiv einen Arbeitsvertrag unterschreiben, der ihn zum Anwaltsgehilfen macht und so dazu berechtigt, zusammen mit ihm den Professor in Moabit aufzusuchen.

Parallel zur Geschichte über Denglers Nachforschungen zum Fall Voss erzählt der Autor von einer Entführung. Entführt wird Dirk Assmuss, der Europachef von Peterson & Peterson, einem Pharmakonzern mit Sitz in Atlanta.

Der Entführer ist ein maskierter Mann, der sich von Assmuss im weiteren Verlauf Henry nennen lässt. Er hält den Verantwortlichen des Pharmakonzerns in einem Keller fest und befragt ihn dort hinsichtlich der Geschäftsgepflogenheiten seiner Firma.

Assmuss begreift schnell, dass es dem Entführer nicht um Lösegeld, sondern um die Kenntnis der Geschäftspraktiken von Peterson & Peterson geht. Henry teilt ihm mit, dass er nur Fakten darüber von ihm wissen will, und ihn am Ende freilassen wird, wenn er ehrlich ist. Bei jeder Lüge oder Aussageverweigerung jedoch wird er das Gespräch mit dem Europachef unterbrechen und erst einen Tag später fortsetzen. So kann Assmuss selbst bestimmen, wie lange seine Gefangenschaft in besagtem Keller dauert.

Im Verlauf der Gespräche zwischen dem Konzernmanager und Henry erläutert das Vorstandsmitglied von Peterson & Peterson seinem Gegenüber die Techniken, mit denen die Firma, die wie alle anderen Unternehmen der Branche etwa 40 Prozent Umsatzrendite macht, die Krankenkassen ausplündert und die Ärzte korrumpiert.

Der Autor gibt dem Leser in diesem Krimi tiefe Einblicke in die Geschäftspraktiken der Pharmakonzerne. Seiner Meinung nach lassen sich etwa 50 Prozent der Ärzte von diesen Konzernen dafür bezahlen, dass sie deren Medikamente verschreiben.

Die Unternehmen hingegen setzen die Preise willkürlich fest und plündern die Krankenkassen aus, die einen Großteil der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel für diese Medikamente ausgeben müssen, Mittel, die an anderen Stellen im Gesundheitswesen, etwa in Krankenhäusern oder der Patientenbetreuung, dringend benötigt würden.

Zudem sind die Pharmakonzerne so gierig, dass sie nicht mehr sinnvoll forschen, denn dies ist ihnen zu teuer. Stattdessen kaufen sie von den forschenden Kliniken für wenige Millionen Forschungsergebnisse ein. Diese Gelder nennen sich Drittmittel und stellen für die Forschungsabteilungen viel Geld dar, während sie für die Pharmakonzerne Peanuts sind. Sie verdienen durch solche vergleichsweise geringen Investitionen in der Regel Milliarden.

Zunächst möchte man als Leser gar nicht glauben, welche kriminellen Machenschaften auf dem Gebiet der Medizin betrieben werden, doch schaut man sich die Recherchen des Verfassers genauer an, so kommt man zu der Meinung, dass er in seinem Buch überwiegend die Wahrheit darstellt.

Ferner erzählt Schorlau in seinem Buch auch noch eine Geschichte um Denglers Sohn Jakob, der im Widerstand gegen den unterirdischen Stuttgarter Bahnhof, das Projekt Stuttgart 21, aktiv ist. Er erläutert gekonnt, wie Verantwortliche von Bahn und Politik versuchten, Demonstranten zu kriminalisieren und als gewaltbereit darzustellen, während in Wahrheit die Polizei vor Ort mit gewaltsamen Aktionen versuchte, Gegengewalt der Demonstranten zu provozieren.

Der Fall um Professor Bernhard Voss, den Schorlau außerdem schildert, rückt bei diesen brisanten politischen Themen, in welche er natürlich verstrickt ist, ein wenig in den Hintergrund.

Fazit:
Der Autor, der offensichtlich sehr gut zu seinen Themen recherchiert hat, zeigt dem Leser unglaubliche Praktiken im Gesundheitswesen auf und prangert eine eventuell gängige Praxis vieler Ärzte, Politiker und Pharmakonzerne an, die jeder Beschreibung spottet. Der Kriminalfall, der hier doch ein wenig nebenbei erzählt wird, ist bei der politischen Stellungnahme Schorlaus nur ein Zubrot, das die Dinge ein wenig konkretisiert.

Ich möchte diesen Roman deshalb allen Lesern empfehlen, die sich auf irgendeine Weise für das Gesundheitssystem unseres Landes interessieren. Vielleicht kann dieses Buch dazu beitragen, die möglicherweise doch recht üblen Verhältnisse dort ein wenig zum Positiven hin zu verändern. Zeit dazu wäre es allemal.

Der Autor

Wolfgang Schorlau wurde 1951 in Idar-Oberstein geboren. 1966 begann er eine Lehre als Großhandelskaufmann und wurde durch die Studentenbewegung der 1960er Jahre zunehmend politisiert. Später wurde er Manager in der Computerindustrie.

Er lebt und arbeitet heute als freier Autor in Stuttgart. 2006 bekam er den Deutschen Krimipreis und 2012 und 2014 den Stuttgarter Krimipreis. Zudem war er 2008 Stadtschreiber der türkischen Stadt Trabzon und erhielt 2009 ein Arbeitsstipendium vom Förderkreis Deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg.

Neben den politischen Kriminalromanen um den Stuttgarter Privatermittler Georg Dengler sind auch zwei biografische Texte erschienen. Der Roman Die letzte Flucht wurde verfilmt und Anfang 2015 im ZDF gezeigt.

Quellen:

Bilder:

  • Cover des Romans. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
  • Foto des Autors. © Bettina Fürst-Fastré. Das Foto ist nur in Verbindung mit dem aktuellen Buch Die letzte Flucht honorarfrei. (Rezension, Lesung, Interview zum Buch.) Jegliche andere Nutzung bitte beim Fotografen erfragen.

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