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Der Teufel auf Reisen 12

Carl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Erster Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Drittes Kapitel – Teil 10
Faust und Gretchen

Zwei Stunden später führte beide der Eilzug in die Heimat zurück. Die Komödie »Faust und Gretchen« war zu Ende, die Zuschauer verließen das Haus. Es war bereits Mitternacht, als Papa Pilz, seine Tochter am Arm, durch die öden Straßen schritt.

Vorsichtig öffnete er das Haus und vorsichtig stiegen beide die mit weichen Teppichen belegte Treppe hinauf.

Einige Minuten darauf lag Klothilde in den Armen ihrer Mutter, welche in einen hysterischen Weinkrampf verfiel. Die arme Frau hatte viel gelitten, sie war sich der Vernachlässigungen bewusst, welche sie sich gegen ihr Kind schuldig gemacht hatte, und nun, wo dieses gesund und frisch wieder an ihrer Brust ruhte, erlag sie ihren Gefühlen. Eine Last wälzte sich ihr vom Herzen und schwach, wie sie immer gewesen war, vergab sie der Tochter gern den begangenen leichtsinnigen Streich, weil sie sich selbst gleichzeitig hierdurch beruhigt fühlte.

Die Krickel tauschte mit Klothilde heimlich einen Blick des Einverständnisses aus, dessen Bedeutung natürlich nur diese beiden Damen kannten.

Aber Fräulein Therese lächelte sehr zufrieden, denn ihre Gönnerin hatte ihr bei der Umarmung zugeflüstert: »Auch du sollst nicht zu kurz kommen und einen Mann erhältst du auf jeden Fall.«

Vierzehn Tage blieb die Tochter des Nabob sorgfältig auf ihrem Zimmer verborgen. Auf die vielen Nachfragen nach ihrem Befinden hieß es immer: »Man danke bestens, sie erhole sich langsam, es gehe etwas besser und man hoffe, dass sie die Krisis überstehen werde.«

Auch bei Papa Pilz waren die Ereignisse der letzten Tage nicht ohne Folgen vorübergegangen. Er erklärte sich ebenfalls für krank, obgleich der Wahrheit gemäß, sein Unwohlsein bloß darin bestand, dass er sich in einer im höchsten Grad üblen Stimmung befand, denn der Verlust der zehntausend Gulden wollte ihm nicht aus dem Kopf, obgleich eine solche Summe bei seinem Reichtum leicht verschmerzt werden konnte. Der Hausarzt, ein alter Herr, dem es an Humor nicht fehlte, erklärte ihm mit komisch ernstem Gesicht, dass er sich an irgendetwas sehr stark den Magen verdorben haben müsse und verschrieb ihm gewisse Mittel, die nach zwei Seiten hin eine so durchschlagende Wirkung erzeugten, dass der eitle schwachköpfige Mann, um diesem neuen in seinen Eingeweiden Bresche legenden Feinde zu entfliehen, sich plötzlich wieder gesund erklärte, obgleich er noch mehrere Tage, auf einen Stab gestützt und sommerliche Gesichter schneidend, in seinem Palast umherschlich.

Eines Tages endlich machte auch Klothilde, an der Seite ihrer Freundin Therese im offenen Wagen ihre erste Ausfahrt. Sie war auf das Sorgfältigste in Tücher gehüllt und sah, infolge von starken Abreibungen von poudre de riz äußerst blass und angegriffen aus. Als der Wagen im kurzen Trab bei dem Haus Krauthubers vorbeifuhr, stand dieser am Fenster und warf seiner vermeinten Braut, um derselben seine Freude über ihre Wiedergenesung an den Tag zu legen, in seiner unverschämten Weise einige verliebte Kusshände zu. Dies empörte Klothilde so, dass sie alle Rücksichten beiseitesetzte und in ihrem Übermut, als Antwort für eine solche Dreistigkeit, ihrem alten widerlichen Courmacher die Zunge entgegenstreckte, wobei Krämlein Krickel nicht minder rücksichtslos ihre ausgespreizten fünf Finger an ihre ohnedem schon sehr schnippisch aussehende Nase legte. Krauthuber spie Feuer und Flammen und zog seine dicke klumpige Nase so ingrimmig zusammen, dass dieselbe unter den emporschwellenden Falten fast verschwand und er sehr lebhaft an einen in Zorn geratenen Truthahn erinnerte, der ebenfalls im Ingrimm sein struppiges Gefieder aufbläht. Noch von Gift und Gaste voll, schrieb er an seinen Freund Pilz einige Zeilen, in welchen er erklärte, dass er jetzt lange genug gewartet und sich in unzweideutiger Weise überzeugt habe, dass »seine Braut« wieder in den vollen Besitz ihres unvergleichlichen Humors gelangt sei, so bitte er für die nächsten acht Tage einen Termin für die offizielle Verlobung festzusetzen, widrigenfalls er – dies unterstrich er doppelt – wegen Kontraktbruches zurücktreten und sich die stipulierten sechstausend Gulden Reugeld ausbitten würde.

Diese letzte Drohung, so glaubte er, würde seinen Freund Pilz eine Gänsehaut über den Rücken jagen. Boshaft grinsend schlich er im Zimmer umher und rieb sich vergnügt die Hände. Wie erstaunte er aber, als er schon nach einer Stunde von dem Krösus die Antwort erhielt, er denke gar nicht daran, seine Tochter einem so hässlichen Kobold, wie er sei, in die Arme zu führen. Er habe sich einer schweren Sünde gegen sein Kind schuldig gemacht, indem er dasselbe an so einen alten Basilisken habe verschachern wollen. Er möge die sechstausend Gulden in Gesundheit verzehren, am liebsten sei es ihm aber schon, wenn er daran ersticke.

Krauthuber lachte zwar ingrimmig, als er diese Epistel in Empfang nahm, aber er hatte eine viel zu dicke Haut, als dass er sich von den ihm gespendeten Schmeicheleien irgendwie berührt fühlte.

»Geschäft ist Geschäft«, brummte er, »und ein kleiner Profit ist immer noch besser als gar nichts.«

Hiermit wäre diese Angelegenheit am Ende wohl schließlich zur Zufriedenheit aller erledigt gewesen, wenn es Fräulein Krickel nicht gefallen hätte, dazu hinterher noch ein kleines Nachspiel aufzuführen. Seitdem sie nämlich die Überzeugung gewonnen hatte, dass sie als Mitwisserin der törichten Entführungsgeschichte die Macht erlangt habe, dem Nabob erforderlichen Falls ebenfalls ein Ultimatum zu stellen und ihm gleichfalls einige Tausend Gulden abzupressen, war ihr Herz immer mehr von Liebe zu dem langbeinigen kranichartigen Baron von Schmalhals angeschwollen und sie versuchte alle möglichen Mittel, um ihn ins Netz zu locken.

Ihre beiden Augen wurden zu Kugelspritzen, mit denen sie unaufhörlich den Gegenstand ihrer Neigung beschoss, doch prallten diese Pfeile alle machtlos an der Treue, die der magere langbeinige Fridolin seiner Gebieterin im Stillen gelobt hatte, ab, obgleich der moderne Achilles, wie wir gleich sehen werden, ebenfalls seine verwundbare Ferse hatte. Fräulein Krickel ging in ihrer Leidenschaft sogar so weit, dass sie mit einer sentimentalen Augenverdrehung erklärte, sie liebe den Mondschein unter allen Umständen und nach den Erfahrungen, die sie gemacht hatte, verrieten sich alle geistreichen genialen Männer schon durch ihr Äußeres, wofür ja Herr von Schmalhans (hier verbeugte sie sich halb als schüchterne errötende Jungfrau, halb als Sirene) in unbestreitbarer Weise Zeugnis ablege. Der lange storchbeinige Fridolin fühlte sich hierdurch zwar sehr geschmeichelt und verbeugte sich tief gegen die Sprecherin. Aber ein Blick, welchen der Baron mit seiner Gebieterin heimlich austauschte und den Fräulein Krickel auffing, überzeugte sie doch, dass derselbe der Dame von Savern die geschworene Treue zu halten willens sei. Diese Entdeckung trieb ihr den Pfeil nur noch tiefer in Herz.

»Ich muss ihr nur etwas beistehen«, sagte Berthold, welcher bei den Ereignissen, die wir hier dem Leser mitgeteilt haben, stets im Stillen die Hände im Spiel gehabt und seinem Freund Schwalbe forttaufenden Bericht erstattet hatte, »so eine alte liebessüchtige Jungfrau erregt immer meine tiefste Teilnahme und … hilft es nichts, so schadet es auch nichts, ich will ihr also einen Wink geben.«

Eines Nachmittags saß Fräulein Krickel in der Ecke ihres Sofas und stützte melancholisch den Kopf in die Hand. Da schlüpfte plötzlich der frühere Baron von Schwefelkorn unbemerkt durchs Schlüsselloch und stellte sich, den Mund zu einem satirischen Lächeln verziehend, neben Therese, die eben tief aufseufzte. Natürlich hatte diese keine Ahnung davon, in was für einer gefährlichen Nähe sie sich befand. Jetzt trat der schelmische Gesell ganz dicht zu ihr heran und flüsterte ihr leise etwas ins Ohr, worauf er, geräuschlos wie er gekommen war, wieder durchs Schlüsselloch verschwand.

Wunderbar! Die eben noch so tiefsinnige von Liebe erfüllte Dame fuhr plötzlich wie elektrisiert in die Höhe und rief freudestrahlend: »Glücklicher Gedanke, warum bist du mir nicht eher gekommen! … Hat denn nicht schon mancher General durch eine List die Schlacht gewonnen, weshalb sollte ich denn nicht ebenfalls den Widerstrebenden durch ein solches Mittel für immer an mich fesseln! …« Sie setzte sich an ihr Schreibpult, zog ein Blatt duftendes Rosenpapier hervor und begann mit verstellter Handschrift zu schreiben:

»Eine Dame, deren Herz von Liebe überfließt – sie setzt sich über alle Bedenken hinweg und trotzt allen Konsequenzen – lädt den Baron für heute Abend zu einem Rendezvous ein. Sie rechnet bei seiner Großmut darauf, dass er mit ihrer Schwäche keinen Missbrauch treiben wird. Sie überliefert sich gewissermaßen gebunden seinen Händen. Kommen Sie, Idol meines Herzens, und feiern Sie, angebetener Mann, den Triumph, welchen mein schwaches Herz Ihnen nicht zu verweigern vermag. Hangend und bangend in liebender Pein erwartet Sie heute Abend neun Uhr, im ersten Stock, erste Tür rechts, diejenige, die Ihnen so nahe steht und welche doch vorläufig für Sie eine Unbekannte bleiben muss!

T …… K …..
Gertraudenstraße 46

Leider hatte unser Bekannter, der Teufel (wir bitten alle frommen Seelen in unserem Interesse ein Kreuz zu schlagen), sich auch jetzt wieder in seiner boshaften Weise in die Herzensangelegenheiten unserer Bekannten gemischt und ihr heimlich einen Streich gespielt. Auch diesmal bewährte sich die Wahrheit des Spruchwortes, dass bei der Liebe der Verstand meist mit dem Herzen davonläuft. Sie hatte nicht bedacht, dass der Baron ganz gut wusste, wo sie wohnte und dass sie sich also durch Angabe der Hausnummer sofort verraten würde.

Herr von Schmalhals hielt inzwischen eine behagliche Siesta, als das resedaduftende Briefchen per Stadtpost bei ihm abgegeben wurde. So duckmäuserig er sich sonst auch stellte, so war er im Grunde genommen doch ein eitler Patron, der sich, den Damen gegenüber, trotz seiner wadenlosen Storchbeine und seines bemondscheinten Hauptes, im Stillen wirklich für einen Don Juan hielt. Derartige Begriffsverirrungen kommen sehr häufig vor und sie werden daher den Leser auch in diesem Fall nicht befremden. Herr von Schmalhals sog begierig das süße Gift ein, mit welchem seine Fridolinsnatur eingeschläfert werden sollte. Bei jeder neuen Zeile, die er las, wurde sein Blick unternehmender, zuletzt machte er ein paar Augen, die vor Liebesheißhunger ordentlich oggerartig glühten. Natürlich war er augenblicklich entschlossen, von der ihm in Aussicht gestellten Schäferstunde Gebrauch zu machen. Da plötzlich … sein Blick erstarrte und gleichzeitig brach er in ein höhnisches Gelächter aus … plötzlich … aber hatte er sich denn auch nicht geirrt? Nein, da stand es ja groß und breit: Gertraudenstraße Nummer 46 … Oh die Schlange, oh die Heuchlerin, einen Hinterhalt hatte sie ihm also gelegt, hinterlistig wollte sie ihn ins Garn locken, um ihn schließlich wahrscheinlich ein Eheversprechen abzupressen!

Mir großen Schritten maß der Baron das Zimmer, ingrimmig zupfte er sich an den paar Haaren, mit denen seine Oberlippe besetzt war, schon hob sich seine Hand, um das hinterlistige Billett an der auf dem Tisch stehenden Wachskerze anzustecken und es in Asche zu verwandeln, als er plötzlich den Arm wieder sinken ließ und ein wahrhaft diabolisches Gesicht schnitt.

Leider müssen wir bekennen, dass Schwalbes teuflischer Freund auch diesmal wieder durchs Schlüsselloch gekrochen war und dem sonst eben nicht sehr erfinderischen Herrn von Schmalhals jetzt gerade noch zur rechten Zeit einen sehr genialen Gedanken eingab.

»Ich werde ihr einen Stellvertreter schicken«, murmelte er, »und wenn sie denn durchaus unter die Haube will, so mag sie es mit dem versuchen.«

Der Baron tat aber noch mehr. Er ließ Kaviar und Austern kommen und stellte zwei Flaschen Rüdesheimer auf den Tisch. Siegesbewusst lehnte er sich dann ruhig in die Ecke seines Sofas und rauchte sehr philosophisch eine Manilla. Um acht Uhr klopfte es an seiner Tür und auf sein »Herein!« zeigte sich die hagere Gestalt Windbläsers, welcher sich sofort sehr behaglich mit der Hand über den Mund fuhr, als er die Herrlichkeiten auf dem Tisch erblickte.

Der Baron drückte seinem Besuch wahrhaft pharisäisch die Hand. »Schön, dass Sie kommen, Professor, habe ich es erraten – darf ich hoffen, Ihren Geschmack getroffen zu haben?«

Dieser machte ein sehr lüsternes Gesicht, sein Plattbret schien in freudige Aufregung zu geraten.

»Wie immer, unvergleichlich liebenswürdig«, murmelte er, wobei er gleichzeitig mit den beiden Flaschen Rüdesheimer liebäugelte.

»So lassen Sie uns anstoßen. Auf Ihr Wohl, Professor!«

»Auf das Ihrige, Herr Baron!«

Windbläser schien es gar nicht zu bemerken, dass Herr von Schmalhals sehr zurückhaltend im Trinken war. Mit desto mehr Behaglichkeit leerte er selbst ein Glas nach dem anderen.

Jetzt ist es Zeit, dachte der Baron, als er bemerkte, dass sich die Wangen seines Gastes bereits stark zu röten begannen und dass seine sonst ziemlich nichtssagenden Augen zu glühen anfingen.

»Apropos, Professor«, rief er hinterlistig, »sind Sie vielleicht zu einer kühnen Tat aufgelegt?«

»Par bleu, la grande nation …«

»Ist stets zu Taten aufgelegt? Nun gut, wollen Sie ein galantes Abenteuer bestehen?« »Wo? Gerade jetzt befinde ich mich in der richtigen Stimmung dazu!«

»Nun, ich weiß, Sie sind ein Ehrenmann.«

»Ma foi!«, beteuerte der Professor, die Hand aufs Herz legend.

»So hören Sie. Eine Dame hat mich zu einem Rendezvous eingeladen. Vertreten Sie mich bei derselben, ich selbst bin dazu nicht aufgelegt.«

»Aber?«, warf Windbläser doch bedenklich ein.

»Kein aber, Sie werden willkommen sein.«

»Eh bien«, sagte dieser nach kurzem Besinnen entschlossen, »ich gehe!«

»Gut, so beeilen Sie sich, denn es ist höchste Zeit. Gertraudenstraße Nummer 46, eine Treppe. Treten Sie nur ohne anzuklopfen in die erste Tür rechts ein.«

Er schob Windbläser zur Tür hinaus und dieser eilte, von dem Rüdesheimer angefeuert, die Straße entlang. Lange suchte er, ehe er das ihm bezeichnete Haus fand. Zaghaft blieb er einen Augenblick in dem Hausflur stehen. Da sich aber niemand blicken ließ, so schlich er behutsam die Treppe hinauf, horchte eine Minute an der Tür rechts und legte dann entschlossen die Hand auf die Klinke derselben.

Es herrschte fast eine vollständige Finsternis in dem Zimmer, denn die Lampe war beinahe ganz niedergeschraubt und die Fenster verhüllten dichte Gardinen. Tief im Hintergrund zeigten sich die dunklen Umrisse einer weiblichen Gestalt, deren Gesicht durch einen Schleier verhüllt schien. Herrn Windbläser klopfte doch etwas das Herz, aber »Courage!« murmelte er und schritt entschlossen auf das Sofa zu und ließ sich so galant wie möglich neben der Unbekannten nieder.

Ein leiser sehnsüchtiger Seufzer schlug an sein Ohr und der Professor, als ein Glied der stets zu kühnen Taten aufgelegten grande nation, ergriff die Hand der Verschleierten und führte sie sehr zärtlich an seine Lippen.

»Schonen Sie mich!«, lispelte fast hinsterbend die Verschleierte, »Sie grausamer Mann! … Oh, mein Gott, welche Torheit habe ich begangen!«

»En avant!«, murmelte der Professor, sich selbst aufmunternd, und legte zugleich seinen Arm um die Taille der Schönen. Aber in diesem Augenblick änderte sich plötzlich die Szene. Während Windbläsers Hand wie in einem Schraubstock festgehalten wurde und die Lampe plötzlich wie durch Zauberei Licht verbreitete, ließ sich gleichzeitig dicht neben ihm eine kreischende wohlbekannte Stimme vernehmen. In demselben Augenblick öffnete sich auch eine Nebentür, aus welcher, den Leuchter hoch emporhaltend, eine ältere Dame unter allen Zeichen der Überraschung hervorstürzte, obgleich ein aufmerksamer Beobachter vielleicht herausgefunden haben würde, dass diese Überraschung mehr eine verstellte als eine natürliche war.

»Meine teure Frau Bremer«, rief Fräulein Krickel, ihren Schleier zurückschlagend, »ich nehme Sie als Zeugin …«

Sie stockte plötzlich und mit weit geöffneten Augen blickte sie überrascht Windbläser ins Gesicht, welcher sie nicht minder verwundern anschaute.

»Ja, Fräulein, ich bin Zeugin«, rief inzwischen die Wirtin, ihrer Rolle getreu, »ich kann es bezeugen … es ist ja offenbar, der Herr hat ja jetzt noch seinen Arm um Ihre Taille geschlungen.«

Inzwischen hatte die Krickel Zeit gehabt, sich im Stillen zu sammeln und verschmitzt, wie sie war, benutzte sie nun schnell die Situation, um für jeden Preis zu einem Mann zu gelangen.

»Dieser Herr hier«, rief sie, »verfolgt mich schon lange mit seinen Anträgen.«

»Aber, Mademoiselle …«, wollte Windbläser einwerfen.

»Heute drang er sogar unangemeldet in mein Zimmer …«

»Erlauben Sie gütigst«, demonstrierte der unglückliche Professor.

»Er gab mir ein Eheversprechen«, schrie die Krickel noch stärker, »Sie müssen es ja gehört haben, Frau Bremer, dass er mir ein Eheversprechen gab?«

»Ich kann es vor Gericht beschwören«, beteuerte diese, »der Herr scheint in der Liebe sehr ungestüm zu sein.«

»Je suis perdu!«, stöhnte Windbläser und fuhr sich mit den Fingern verzweiflungsvoll durch die Haare.

»Jetzt gehen Sie«, fuhr Fräulein Therese fort und drängte den armen Professor ungestüm zur Tür, »ich werde es mir überlegen, ob ich Ihren Antrag annehme.«

»Aber Mademoiselle …«

»Schon gut! Was wollen Sie denn noch weiter sagen? Jeder weiß ja, dass Sie mich schon seit Jahren verfolgen!«

Mit diesen Worten schlug die heiratslustige Dame dem armen Windbläser die Tür vor der Nase zu und dieser stolperte sehr bestürzt die Treppe hinunter, sein böses Geschick und den hinterlistigen Baron verwünschend.

Entschlossen verfolgte dagegen die Krickel ihren Zweck. Sie steckte sich hinter Klothilde und diese wieder hinter ihren Vater. Der Nabob mochte wollen oder nicht, er musste Therese ebenfalls einige Tausend Gulden zusichern. Dadurch wurde Windbläser plötzlich viel versöhnlicher gestimmt. Als er nun noch vollends durch die Bemühungen des einflussreichen Rentiers eine feste Stelle als Lehrer der französischen Sprache an einer der höheren städtischen Schulen erhielt, hatte Fräulein Therese die Genugtuung, sich nach Verlauf von sechs Monaten Frau Professor Windbläser nennen zu können.

Um Klothilde bewarb sich bald danach ein reicher, junger, liebenswürdiger Mann. Sie war ehrlich genug, ihn mit ihrer allerdings sehr leichtsinnigen Reise nach Bremen bekannt zu machen. Ihr Bewerber erklärte ihr dagegen großmütig, dass sie zwar nicht von ihm erwarten dürfe, wegen eines so unüberlegten Streiches gelobt zu werden, dass er aber gern verzeihe, da er an den Motiven, die sie dazu veranlasst hätten, nicht zweifele. So löste sich der geschürzte Knoten noch zur Zufriedenheit aller, und nur der alte, boshafte Krauthuber hatte das Nachsehen.

Eines Morgens saß der nunmehr wieder zum Baron von Schwefelkorn umgewandelte Berthold mit unserem Freund Schwalbe im Feurigen Drachen gemütlich beim zweiten Frühstück, als der Erstere, nachdem er unter allen Zeichen menschlichen Behagens eine mit Kaviar belegte Semmel hatte verschwinden lassen, sehr gemütlich zu grinsen anfing und zum Doktor gewandt sagte: »Ich werde mich später einige Stunden von Ihnen trennen müssen, teurer Freund (so weit war Schwalbe schon gekommen, dass ihn der Teufel seinen »teuren Freund« nannte!), denn ich habe heute noch einer Exekution beizuwohnen.«

»Was«, rief unser Bekannter, »einer Exekution? Davon habe ich ja nichts in den Zeitungen gelesen.«

Herr von Schwefelkorn lachte. »Dass ihr Menschenkinder euch darunter doch immer gleich ein Schauspiel denken müsst, bei welchem so einem armen Sünder plötzlich der Kopf heruntergehauen oder die Kehle zugeschnürt wird! … Es gibt ja auch moralische Exekutionen, wie ihr es nennt. Und die sind ja mitunter ebenso peinlich, als ob mein guter Gevatter, der Henker, die Schlinge um den Hals legt. Nun, heue handelt es sich um einen eitlen, leichtfertigen Burschen, der bereits vollständig der meine ist und den ich also nicht zu arg zerzausen lassen darf, denn eine Liebe ist der anderen wert.«

»Aber davon verstehe ich immer noch nichts«, bemerkte unser Philosoph. »Wollen Sie mir nicht eine nähere Erklärung geben?«

»Nun«, entgegnete Schwefelkorn lachend, »heute Abend wohne ich einer interessanten Versammlung bei, wovon aber die Anwesenden nichts merken werden, denn ich mache mich unsichtbar, da es sich lediglich darum handelt, im richtigen Augenblick meinem Schützling helfend zur Seite zu stehen, damit demselben nicht vollständig der Garaus gemacht wird. Auch an Sie habe ich gedacht und dafür Sorge getragen, damit Ihnen der Abend nicht zu lang wird. Hier, nehmen Sie diesen Spiegel und benutzen Sie ihn später. Sobald Sie in denselben hineinsehen, werden Sie auch aus der Ferne den interessanten Vorgang als ein stiller Zuschauer beobachten können.«

»Sehr verbunden«, sagte Schwalbe, indem er denselben an sich nahm. »Wann fängt denn die Komödie an?«

»So gegen neun Uhr. Aber blicken Sie nur einmal in das Glas.«

Der Doktor stellte den Spiegel vor sich hin, fuhr aber gleich darauf überrascht zurück.

»Nun, was sehen Sie?«, fragte sein Gesellschafter.

»Das, was sich mir zeigt, ist offenbar das Zimmer eines Hotels. Alles liegt in liebenswürdiger Unordnung umher und vor dem vergoldeten Trumeaux steht ein Herr, welcher soeben seine Toilette beendet hat und der jetzt im Begriff ist, sich den Orden der Ehrenlegion ins Knopfloch zu knüpfen.«

»Ja, ja«, sprach Schwefelkorn lachend, »das ist der Hauptheld des heutigen Stücks! Den Orden hat er sich natürlich aus eigener Machtvollkommenheit zugelegt und auch den hochtrabenden Titel. Doch genug jetzt.« Der Teufel klappte den Spiegel wieder zu. »Später können Sie sich mit dem Ding hier die Zeit vertreiben. Jetzt wollen wir noch einen kleinen Spaziergang machen, denn ich bin an Tätigkeit gewöhnt und unter euch Menschenkindern findet man immer Beschäftigung.«

Da wir wohl voraussetzen dürfen, dass sich auch die Leser für die von Herrn von Schwefelkorn angekündigte Vorstellung interessieren werden, so geben wir den Vorfall wieder, wie wir ihn später in dem Tagebuch des Doktors Schwalbe aufgezeichnet gefunden haben. Diese kleine Erzählung führt den Titel Eine Antwort auf eine Verleumdung.