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Der Marone – Eine Feuertaufe

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 26

Eine Feuertaufe

Gegen zwölf Uhr desselben Tages kamen Jessuron und seine Tochter auf die Veranda und nahmen ihren Platz nahe an der Balustrade ein, sodass sie in den Hof hinabzusehen vermochten. Beider Aussehen verriet einige Unruhe, als ob sie ein Schauspiel von mehr als gewöhnlichem Interesse mit ansehen sollten.

Auch die Hausmädchen und andere hinter ihnen mit neugierigen Augen stehende Diener zeigten, dass etwas Besonderes vor sich gehen solle.

Ein kleiner eiserner, mit brennenden Kohlen angefüllter Kessel war auf dem Hofplatz unterhalb der Treppe aufgestellt worden. Drei oder vier mürrisch aussehende Männer, Schwarze und Mulatten standen müßig um denselben herum. Einer von ihnen beugte sich über den Kessel und drehte in dem Feuer eine Art Löteisen oder irgendein anderes Instrument eines Kupferschmiedes. Doch das war es keineswegs, wie die Zuschauer wohl wussten, denn alle, die es sahen, erkannten darin das gefürchtete Brenneisen, und alle, die Weißen und erst neu angekommenen Afrikaner ausgenommen, hatten früher seine versengende Glut an ihrem eigenen Fleisch gefühlt.

Indes hatten auch die Neuankömmlinge bereits erfahren, was für sie vorbereitet werde und betrachteten diese Vorkehrungen zumeist schweigend, mit furchtsamen Blicken.

Einige Koromantis unter ihnen sahen auch mit sorgloser Gleichgültigkeit zu, plauderten munter und lachten zuweilen ganz laut, als erwarteten sie den Anfang eines lustigen Spieles. Diese mutigen Söhne Äthiopiens, deren schwarze Haut die Narben manches früher in der Heimat bestandenen Gefechtes zeigten, machten sich wenig aus dem Brand eines solchen glühendroten Eisens.

Lange sollte es auch nicht dauern, bis das unmenschliche Schauspiel begann. Der Eintritt Jessurons und seiner Tochter war das Zeichen zum Anfang, denn der bärtige Aufseher hatte als Zeremonienmeister nur auf ihre Ankunft gewartet. Dieser Mann wusste aus Erfahrung ganz wohl, dass sein Herr selbst die Oberaufsicht bei einem solchen Vorgang übernahm, und er wusste auch, dass seines Herrn Tochter es ebenfalls liebte, bei diesen interessanten Auftritten zugegen zu sein.

»Fangen Sie an, Herr Ravener!«, schrie Jessuron von der Veranda herab. »Diese zuerst«, fügte er hinzu und zeigte auf eine Gruppe von Ebos, die in einem Winkel des Hofes zitternd vor Furcht standen.

Auf ein Zeichen des etwas schweigsamen Aufsehers legte eine Anzahl der offenbar schon früher zu solchem Geschäfte verwandten Schwarze Hand an die Ebos und brachte sie zu dem Feuerkessel hin.

Als die Unglücklichen nahe an das Feuer gebracht waren und nun das rote Eisen zwischen den Kohlen glühen sahen, malte sich auf ihren Gesichtern die lebhafteste Furcht ab und ihr ganzer Körper zitterte krampfhaft vor Furcht. Die Jüngeren unter ihnen schrien laut auf und würden sicher die Flucht ergriffen haben, wären sie nicht festgehalten worden. Ihre durch die erbarmungswürdigsten Blicke und Gebärden gemachten Anrufungen wurden lediglich mit gefühllosen Sticheleien und rohem Gelächter beantwortet, woran der alte Jessuron selbst teilnahm und sogar auch – fast ist es unglaublich, zu erzählen –- seine schöne Tochter! Dabei zeigte sich keineswegs bloßes Lächeln auf dem Gesicht der schönen Judith, nein, sie lachte hell auf und zeigte dabei ihre regelmäßigen weißen Zähne, ganz als ob ein Unhold die Gestalt eines Engels angenommen hätte.

Die Ebos wurden vorwärts geführt und dabei von den Weißen festgehalten, während sie ihre bloße Brust dem Brand darbieten mussten. Das glühende Eisen blitzte einen Augenblick vor eines jeden Auge und traf dann die trockene, zähe Haut, mit dumpfem Klatschen. Zischend stieg ein Dampf auf, dem der Geruch verbrannten Fleisches folgte. Ein Kampf dann, wilder Schmerzensschrei und das Verfahren war beendet. Der Sklave war nun mit den unvertilgbaren Anfangsbuchstaben bezeichnet, die er bis an sein Grab tragen musste.

Einer nach dem andern erlitten die Ebos diese fürchterliche Feuertaufe und wurden alsdann hinweggeführt.

Ein Haufen Pawpaws aus dem Wedday-Land kam zunächst daran. Sie wurden wie die Ebos einer nach dem anderen herangeführt, doch ihre Haltung war gänzlich verschieden, denn sie fürchteten sich weder besonders, noch zeigten sie einen gewöhnlichen Mut. Sie schienen sich mit einer Art gelehriger Ergebung zu unterwerfen, als betrachteten sie die ihnen widerfahrene Misshandlung wie ein vorher bestimmtes Geschick oder wie eine unumgängliche Pflicht. Das Verfahren, sie zu brennen, war deshalb von kurzer Dauer und gewährte den Zuschauern kein besonderes Vergnügen, da über keinen spaßhaften Schrecken dabei gelacht werden konnte. Dieser nachgiebige und lenksame Charakter macht das Wedday-Volk zu den geschätztesten und wertvollsten Sklaven.

Ein Haufen Koromantis sollte sich nun der Feuerprobe unterziehen. Diese kühnen und kriegerischen Eingeborenen Afrikas entwickelten in ihrer Haltung und in ihren Gebärden wieder ganz andere, von denen der Pawpaws oder Ebos höchst verschiedene moralische Eigenschaften. Anstatt zu warten, bis sie hingeführt würden, trat jeder kühn und mutig vor und entblößte seine Brust, um das Brandmal zu erhalten, auf das er mit einer Miene großartiger Verachtung blickte.

Ein junger Bursche entriss das Eisen sogar dem diese Verrichtung Ausführenden, wandte es in seiner Hand um und setzte den glühenden Stempel auf seine eigene Brust, wo er ihn so lange festhielt, bis das versenkte dampfende Fleisch verriet, dass ein tiefes Zeichen eingebrannt war. Dann schleuderte er das Brandwerkzeug in den Kessel zurück und schritt mit der Miene eines triumphierenden Gladiators hinweg!

Jetzt erfolgte eine Unterbrechung. Das Schauspiel war freilich noch nicht zu Ende, sondern nur ein Akt.

Es sollte noch ein anderer folgen.

Ravener erstieg die dem Platz gegenüberliegende Veranda, wo Jessuron und seine Tochter standen, mit welchen beiden er alsdann in kaum hörbarer Weise sprach, nicht weil er beabsichtigte, das Gesagte geheim zu halten, sondern weil er zu keiner Zeit sehr laut zu reden pflegte.

Die beiden Menschenjäger wären übrigens wohl die Einzigen gewesen, wegen deren er etwa hätte vorsichtig sein müssen, aber diese waren gerade mit den Hunden beschäftigt und beachteten nichts, was um sie herum vorging. Das Brennen eines Haufens Schwarzer war für sie durchaus kein neuer Anblick und sie sahen nur zu, weil sie in diesem Augenblick gerade nichts Besseres zu tun hatten.

»Welche sollen nun kommen?«, fragte Ravener seinen Herrn. »Die Mandingos?«

»Entweder die oder der Fürst«, erwiderte Jessuron. »Es kommt nicht darauf an, welcher zuerst gezeichnet wird.«

»O, der Fürst zuerst, auf jeden Fall!«, schlug die liebenswürdige Judith mit einem selbstzufriedenen Lächeln vor. »Bringen Sie ihn zuerst her, Herr Ravener. Ich bin doch wirklich neugierig, wie seine Königliche Hoheit das Feuer verträgt.«

Der Aufseher antwortete gar nicht, sondern nahm den Wunsch der jungen Dame für Befehl und schickte sich an, demselben sofort zu gehorchen.

Er schritt unverweilt quer über den Hof und öffnete in der einen Ecke eine Tür, die in ein Gemach führte, das von den größeren abgetrennt war, worin sich die Sklaven sämtlich befanden. Nach wenigen Mittuten kam er wieder heraus und brachte einen Menschen mit sich, den man seiner Kleidung nach schwerlich für den jungen Fellah wiedererkannt haben würde, der sich am Bord des Sklavenschiffes befand. Dessen edle Haltung aber machte es dennoch möglich, ihn sofort als diesen wieder zu erkennen, denn er war es in der Tat.

Seine Kleidung war wirklich ganz verändert. Der Turban war fort, die reiche seidene Tunica, die Sandalen und der Säbel, all sein glänzender Staat war ihm entrissen worden. Stattdessen erschien er in einem gemeinen Hemd aus Osnabrücker Leinwand, der gewöhnlichen Kleidung eines Schwarzen auf den Pflanzungen. Er sah blass und elend, aber nicht entmutigt oder gedemütigt aus.

Zweifelsohne hatte er bereits das ihn erwartende Geschick erfahren oder geahnt, aber dennoch zeigten seine Züge das stolze Aussehen eines Fürsten, und die kühnen, unverzagten Blicke, die er auf den Aufseher an seiner Seite, doch noch öfter auf Jessuron warf, von dem er wusste, dass der andere nur sein Werkzeug sei, verrieten sowohl den tiefsten Zorn als auch den lebhaftesten kühnsten Trotz. Nicht ein Wort, weder des Widerspruchs noch des Vorwurfs, entwich jetzt seinen Lippen. Das hatte bereits zuvor stattgefunden, als der erste rohe Angriff auf ihn gemacht wurde, um ihn seiner prächtigen Gewänder und seines Schmuckes zu berauben. Die Zeit des Widerspruches, der Verwahrungen und Einreden war vorüber. Er sah, er hatte vor der Hand keinen anderen Ausweg, als sich der Gewalt zu unterwerfen, und er tat dies, obwohl zornig und schweigend.

Er wusste gar nicht, was jetzt mit ihm vorgenommen werden sollte. In einem fensterlosen Gemach eingesperrt, hatte er nichts von den letzten Vorgängen gesehen. Allerdings vermutete er irgendeine neue Gewalttätigkeit, aber er vermochte nicht zu ahnen, welcher Art sie sein könne.

Lange freilich sollte er hierüber nicht in Ungewissheit bleiben. Ravener fasste ihn barsch an der Hand und führte ihn zum Feuerkessel.

Das Eisen war hier bereit und lag rot glühend zwischen den Kohlen. Der Handhaber desselben wartete nur auf das Zeichen, um es anzuwenden. Dann, als dies gegeben war, ergriff er das Instrument und hob es in die Höhe.

Der Fürst gewahrte die Absicht jetzt ganz wohl, bebte aber nicht kleinmütig zurück. Seine Augen waren nicht auf das Eisen gerichtet, sie starrten blitzend und funkelnd, wie das Feuer im Kessel, bald auf das Gesicht des alten Jessuron, bald auf das des engelgleichen Dämons an seiner Seite.

Jessuron allein zuckte vor seinen Blicken zusammen, seine Tochter gab sie mit höhnischen, unerschütterlicher Ruhe zurück.

Einen Augenblick später zischte das rote Eisen, das sich tief in das Fleisch der Brust des Fellah einbrannte. Fürst Cingües war der Sklave des Jacob Jessuron!

Als ob ihm die schreckliche Wahrheit jetzt plötzlich klar geworden wäre und seinen Geist mit aller Gewalt ergriffen hätte, sprang der junge Mann mit einem lauten Schrei des Entsetzens vorwärts, stürzte, bevor irgendjemand ihn aufzuhalten vermochte, die Treppenstufen hinauf und rannte auf die Veranda. Hier durchflog er die Galerie bis zu der Stelle, wo Jessuron und seine Tochter saßen und schoss, wie ein Tiger in die Höhe springend, auf den Mann. Als er diesen nun bei der Gurgel gepackt hatte, fielen beide auf den Boden nieder und rollten sich hier in den Anstrengungen eines wilden, verzweifelten Kampfes.

Glücklich genug für den Sklavenhändler, war sein Opfer nicht bewaffnet, sonst wäre dieser Augenblick sicher sein Letzter gewesen. Schon so war er nahe daran, erdrosselt zu werden, und wären Ravener und die beiden Spanier ihm nicht zu Hilfe geeilt, der Verrat des Fellahfürsten wäre sicher die letzte Untat in seinem Leben gewesen.

Überwältigt durch die Übermacht der Anzahl und durch die gewaltige Kraft des Aufsehers wurde Cingües zuletzt ergriffen und die Gurgel des Sklavenhändlers wurde von seinem mörderischen Griff befreit.

»Tötet ihn!«, rief Jessuron, sobald er Atem zum Sprechen gewonnen hatte. »Nein, tötet ihn noch nicht«, fügte er sich verbessernd hinzu, »noch nicht, bis ich ihn erst bestraft habe!«

»Peitscht den wilden Hund aus«, kreischte die schöne Judith, »macht ein Beispiel aus ihm, sonst werden all die anderen in derselben Weise gegen uns aufstehen.«

»Jo, jo, peitscht ihn! Das wird fürs Erste genug sein! Peitscht ihn gleich, guter Ravener! Gebt ihm hundert Hiebe, jetzt sogleich!«

»Gewiss, gewiss!«, antwortete der Aufseher und schleifte das unglückliche Opfer die Treppenstufen hinab. »Ich will ihm schon sein richtiges Teil geben – habt keine Angst!«

Ravener war ein Mann von Wort. Das nun folgende Schauspiel war jedenfalls noch schrecklicher anzusehen, als das zuvor bereits beschriebene, denn die Peitschenstrafe ist gewiss eine der grässlichsten, die es geben kann.

Der junge Fellah wurde nun an einen Pfosten gebunden, der eigens zu diesem Zweck dastand. Ein ausgesuchter kräftiger Mann schwang die grausame Geißel, und wie der letzte Hieb, der die schrecklichen Hundert vollmachte, gefallen war, sank das erbarmenswerte unglückliche Opfer ohnmächtig und blutend an dem Pfeiler nieder!

Die Inhaber der Veranda zeigten nicht die geringsten Anzeichen, dass durch dieses fürchterliche Schauspiel ihr Mitleid irgendwie erregt worden wäre. Im Gegenteil, sowohl der Vater als auch die Tochter schienen sich daran zu vergnügen, und anstatt sich zurückzuziehen, als die grausame Strafvollstreckung vorüber war, verblieben beide, augenscheinlich mit vollkommener Gleichgültigkeit, um das Ende des Tagesgeschäftes mit anzusehen, das Brandmarken der Mandingos!