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Rübezahl – Wie Rübezahl die Redlichkeit belohnt

Rübezahl
Der Berggeist des Riesengebirges
Sagen und Schwänke neu erzählt nach R. Münchgesang
Wie Rübezahl die Redlichkeit belohnt

In Schmiedeberg brach vor Zeiten die Rinderpest aus. Da fiel dem Bauern Veit sein ganzer Viehbestand, und der sonst so fleißige und tüchtige Mann wurde auf einmal bettelarm. Zu allem Unglück musste er noch mit seinem unverträglichen Nachbarn einen Prozess führen, den er verlor, und die Gerichtskosten verzehrten, was ihm von seinem Besitz noch geblieben war.

Da saß der arme Mann nun mit seiner Frau und dem Häuflein Kinder, ohne einen Fußbreit Ackerland oder Wiese, ohne Arbeit und Verdienst. Das waren trübe Aussichten. Der Mann grübelte hin und her, wie er sich aus dieser üblen Lage befreien möchte, und endlich schlug er mit der Faust auf den Tisch und sagte: »Frau, gib mir den Sonntagsrock, ich will über das Gebirge nach Rochlitz zu deinen Verwandten gehen. Die sind reich und werden mir aus der Not helfen. Die Vettern sind ja nicht übel. Sie brauchen mir beileibe nichts zu schenken, mir genügt es, wenn sie mir ein Stück Geld borgen, damit ich wieder zu Kräften komme.«

Die Frau hatte nun zwar nicht allzu viel Hoffnung, dass der Mann etwas anderes als einen Metzgergang machen werde, aber sie holte ihm den Rock und half ihm hinein. Und so ging Veit am frühen Morgen rüstig über das Gebirge.

Zur Mittagszeit langte er bei dem reichsten Vetter, dem Bauern Heinz, an. Der saß gerade hinter dem üppig gedeckten Tisch und ließ sich Gesottenes und Gebratenes wohl schmecken. Dem armen Veit, der solche Leckerbissen nur dem Namen nach kannte, lief das Wasser im Munde zusammen, und der leere Magen knurrte ihm stärker als gewöhnlich. Er ließ den Vetter mit seinem misstrauisch blickenden Weib aber ruhig fertig essen. Als dann die Überreste des Mahles eilig hinausgebracht worden waren und Heinz sich den Mund gewischt hatten fing Veit an, von seinem Unglück zu erzählen und den Vetter um verwandtschaftlichen Beistand zu bitten. »Mit hundert Talern wäre mir ja geholfen«, schloss er, »und ich wäre gern bereit, dir die Summe nach drei Jahren mit den üblichen Zinsen wieder zu geben.«

Da tat sich die Tür ein wenig auf und die Frau, die in der Küche gewesen war, steckte ihren Kopf herein und rief mit krähender Stimme: »Dass du dich nicht breitschlagen lässt, Heinz! Wir haben kein Geld zu verborgen.« Klapp! Und die Tür ging wieder zu.

Jetzt war Heinz an der Reihe. »Nee, zum Geldborgen ist unsereiner nicht da, behüte! Wo käme ich da hin, wenn ich jedem, der sein Geld verjubelt hat – verjubelt, sage ich – unter die Arme greifen wollte, damit das lustige Leben wieder von vorn angehen kann! Nein, mein Lieber! Hast du dir die Suppe eingebrockt, so iss sie nur auch selber aus! Wie man’s treibt, so geht’s. Ich muss mich jahraus, jahrein schinden und plagen und keiner schenkt mir etwas. Sieh zu, wo du einen Dummen findest. Ich lasse mich nicht übertölpeln, ich nicht!«

Der arme Veit sah ein, dass es das Beste für ihn wäre, wenn er einen anständigen Rückzug anträte, denn der Vetter, der sich immer mehr in die Wut hineinredete, sah aus, als wollte er ihm als Ersatz für ein kräftiges Mittagessen eine Prügelsuppe verabreichen. Er bat also um Vergebung und ging aus dem Haus. Aber der Vetter war noch nicht fertig und schimpfte noch eine Zeit lang hinter ihm her, wie ein Haushund einem fremden, versehentlich hereingelaufenen Köter nachkläfft, den er siegreich vom Hof vertrieben hat.

»So ein Schelm! Statt dass er mir etwas zum Geschenk mitgebracht hätte, und wenn es nur ein Schock Koppenkäse gewesen wäre, den ich so gern esse, kommt der Bruder Lustig hierher, um mich um mein sauer erworbenes Geld zu prellen! Da will ich doch lieber hundert Taler ins Wasser werfen, ehe ich so einem Lumpen nur einen Pfennig gebe. Das will ein Verwandter sein? Du kommst mir nicht wieder, du Galgenvogel!«

»So eine Bettelgesellschaft!«, krähte die Frau noch hinterher, und es dauerte wohl eine Stunde, bis sich der Vorrat an Schimpfreden, Lästerungen und Verwünschungen der beiden reichen Eheleute erschöpft hatte. Aber Veit hörte von alledem nichts mehr, denn er war so schnell wie möglich davongelaufen und bei dem Vetter Kunz angelangt, der nicht minder reich war als jener.

Der Vetter Kunz musste wohl geahnt haben, dass die Verwandtschaft aus Schmiedeberg oder sonst ein Bittsteller im Anrücken sei, denn er stand breitspurig vor seiner Tür, als wolle er den Eingang seines Hauses verteidigen. Dabei zeigte sein Gesicht nichts als reine Güte. Als Veit atemlos und verdrießlich ankam, hieß er ihn freundlich willkommen, schüttelte ihm die Hand und sagte: »Das ist schön, dass du auch einmal kommst! Haben uns lange nicht gesehen. Wie geht’s daheim?«

Dabei verließ er aber seinen Posten nicht und lud den müden Mann nicht ein, in das Haus einzutreten.

Veit erzählte ihm nun sein Ungemach und trug sein Anliegen vor. Der Vetter schüttelte mehrmals bedauernd den Kopf und seufzte: »Nein, wie das manchmal kommt im Leben! Mancher hat auch nichts als Unglück. Du armer Kerl! Und was muss die Grete, deine Frau, aushalten! Und die armen Kinder! Aber nur Geduld, lieber Vetter, es wird auch schon einmal anders werden!«

»Wie wär’s denn«, meinte Veit, »mit den hundert Talern? Für so drei Jahre, dachte ich.«

»Ach so, ganz recht. Ja, weißt du, Geld habe ich nicht, keinen Pfennig. Ja, wenn ich hundert Taler hätte! Glaub nicht, lieber Veit, dass es mir um ein Haar besser geht als dir. Man weiß heutzutage nicht, wovon man leben und wie man sich von heute auf morgen durchbringen soll. Glaubst du, ich hätte einen Bissen Brot im Hause? Ich weiß nicht, wie Brot aussieht, geschweige wie es schmeckt. Aber ich will dir etwas sagen. Geh doch zum Vetter Heinz, der hat’s, der kann’s. Der sitzt im Fett bis über die Ohren und kann die anderen auslachen. Wie, du bist schon bei ihm gewesen, und er hat dir nicht geholfen? Das wäre ja noch schöner. Da gehe nur noch einmal hin und berufe dich auf mich! Dann will ich doch sehen, ob er nicht den Beutel ziehen wird.«

Mit diesen Worten gab er Veit einen kleinen Stoß und ermunterte ihn zu gehen. Und als Veit wirklich ging, machte er seine Tür zu und sagte lachend zu seinem Weib, die alles gehört hatte: »So fertigt man die Dummen ab.«

Und die beiden lachten sich nun gemeinsam ins Fäustchen.

Betrübt und mutlos ging Veit davon und trat wieder den Rückweg über das Gebirge an. Der Tag war für ihn verloren, und dachte er an das Elend daheim, so schnürte sich ihm das Herz zu. Woher nun Brot schaffen? Wie sollte der bevorstehende Winter ohne Vorräte überstanden werden? Und wie wollte er, der fleißige, an Tätigkeit gewöhnte Mann, den Müßiggang überstehen, der ihn jetzt angähnte? Unter solchen Empfindungen warf er sich betrübt ins Moos und wünschte sich den Tod oder das Ende seiner Leiden.

Da kam ihm auf einmal ein Gedanke. War er nicht in Rübezahls Reich und seinem Garten nahe? Wie wär’s, wenn er den Berggeist, von dessen launiger Freigebigkeit er schon manches vernommen, um Hilfe anrief? Zwar wusste er nicht, wie er den mächtigen Geist anreden sollte, denn er hatte gehört, dass der es nicht vertragen konnte, wenn man ihm den Spottnamen Rübezahl gab. Indes, was konnte ihm passieren, wenn er es wagte?Er würde ihn vielleicht durchprügeln, aber das wäre dann auch das Schlimmste. Also sprang er entschlossen auf und rief laut in die Einöde hinein: »Herr Rübezahl! Herr Rübezahl!«

Sogleich nahte sich ihm ein Riese, schwarz wie ein Köhler, mit einem fuchsroten Bart und flammenden Augen.

»Was hast du hier in meinem Revier zu schreien?«, fuhr er mit dröhnender Stimme den armen Bauern an, »ich werde dich auf den Mund klopfen, dass du zeitlebens daran denken sollst.«

Dabei holte er aus, und es hatte den Anschein, als ob er den Störenfried mit seiner langen Schürstange zerschmettern wolle.

Aber es kam nicht so weit, denn Veit, dem die Verzweiflung Mut gab, redete ihn an.

»Gnädigster Herr«, sagte er, »ich habe Euch nicht aus Übermut oder aus Langeweile gerufen. Wenn Ihr mich durchprügeln wollt, so tut es, aber helft mir und meinen Kindern aus der Bedrängnis.« Und nun klagte er Rübezahl seine Not mit beredten Worten.

»Wie, Geld willst du von mir leihen? Bin ich etwa ein Wucherer und Halsabschneider? Schere dich zu den Menschen, wenn du Geschäfte machen willst!«

»Die Menschen haben mir nicht geholfen, gnädigster Herr. Eben komme ich unverrichteter Sache von Rochlitz, wo die Vatersbrüder meines Weibes wohnen. Lasst Euch erzählen, gnädigster Herr, wie ich mit ihnen gefahren bin.«

Nun erzählte Veit von der Bosheit der Verwandten.

Rübezahl hörte geduldig zu, dann sagte er. »Gut, so will ich eine Ausnahme machen und dir hundert Taler auf drei Jahre leihen, aber dann fordere ich mein Geld mit Zinsen zurück und lasse mich auf nichts mehr ein.«

Er drehte sich um und winkte Veit, ihm zu folgen. Es ging durch Gestrüpp und Dornen, sodass Veit Mühe hatte, ihm zu folgen. An einer Felswand hielt Rübezahl an und schlug mit der Faust eine Tür auf. Ein langer, dunkler Gang öffnete sich, der kein Ende nehmen wollte. Dem braven Veit wurde es himmelangst in dieser unheimlichen Finsternis, und er fürchtete allerhand Tücken des Berggeistes. War es nicht einmal irgendwo vorgekommen, dass einer in einen solchen Berg hineingelocht wurde und dann nach vielen Jahren schlohweiß wieder herauskam, sodass ihn niemand draußen mehr kannte? War nicht dieser und jener in einem verzauberten Berg für immer festgehalten worden?

Solche Befürchtungen zerstreuten sich aber, als Veit merkte, dass sich die Höhle erweiterte und zu einem schön erleuchteten Saal wurde. Da standen, hingen und lagen Kostbarkeiten in großer Menge, dass es dem armen Veit von all der Pracht vor den Augen flimmerte. In der Mitte sah er eine mächtige Braupfanne, die bis an den Rand mit schönen neuen Talern angefüllt war.

»Kannst du schreiben?«, fragte ihn der Geist, und als der Bauer dies bejahte, sagte er: »Dann zähle dir ab, soviel du brauchst. Ich will indes Schreibzeug holen, dass du den Schuldschein ausstellen kannst.«

Veit ließ sich das nicht zweimal sagen. Er griff fröhlich in die Pfanne und zählte gewissenhaft seine hundert Taler ab, keinen mehr und keinen weniger, während ihn der Geist allein ließ. Als Rübezahl mit dem Papier zurückkam, säckelte er das Geld vor seinen Augen ein und kritzelte danach seinen Schuldschein. Ehrlich und einfach, ohne Umschweife, bekannte er, von dem gnädigen Bergherrn die Summe von hundert Talern empfangen zu haben, die er, mit fünf vom Hundert als Zinsen, pünktlich in drei Jahren dem gnädigen Gläubiger zurückzahlen wolle. So geschehen und vereinbart in der Schatzkammer im Berg, den und den.

Rübezahl nahm den Schein sehr ernsthaft in Empfang, las ihn durch und verschloss ihn in einem Schrank. Dann brachte er den Schuldner auf einem kürzeren Wege wieder ins Freie, schärfte ihm noch einmal ein, sich den Eingang wohl zu merken und des Vertrages eingedenk zu sein, und schloss die Tür hinter sich zu.

Veit sah nun zunächst, dass er nicht um Jahrzehnte gealtert war und dass ihn der Geist nicht betrogen hatte. Er merkte sich genau den Eingang in die Schatzkammer und zählte vorsichtig die Entfernung desselben zum nächsten Baum und den Weg nach Schritten ab. Dann band er sich den Sack am Leibgurt fest, freute sich, dass die Taler darin klapperten, und sprang, alle Müdigkeit vergessend, fröhlich heimwärts.

Unterwegs nahm er sich vor, seine Frau in dem Glauben zu lassen, dass ihm die vermögenden Vettern in Rochlitz geholfen hätten. Später sollte sie die Wahrheit erfahren. Wie er bei den hungernden Seinen eintrat, merkten sie schon an seinem Gesicht, was die Glocke geschlagen hatte. Und als er ihnen dann das schöne Geld vorzeigte und einen anderen Sack ausschüttete, in dem sich unterwegs gekaufte Lebensmittel befanden, da war die Freude groß.

»Deine Vettern«, sagte er zu seinem Weib, »sind nette Leute, aber auch strenge Schuldherren. In drei Jahren müssen sie den Segen wieder haben und Zinsen dazu. Da heißt es für uns, tüchtig zu werken von früh bis spät, damit wir’s herauswirtschaften.«

Das war der Frau schon recht. Sie lobte ihre reiche Verwandtschaft und tat sich etwas darauf zugute.

Schon am nächsten Tage fand Veit Gelegenheit, ein schönes Stück Pachtland zu erwerben, bald darauf konnte er auch billiges und gutes Zugvieh bekommen und, da er viel Geld in den Händen hatte, auch schönes Saatgut. Als es dann zur Ernte kam, hatte er den höchsten Kornertrag, das beste Heu, den fettesten Klee, die größten Rüben, und löste daraus so viel, dass er neues Land pachten und Vieh kaufen konnte. Da wuchs die Arbeit dem fleißigen und tüchtigen Mann schließlich über den Kopf. Er musste einen Knecht mieten, mit dem er in Feld und Wiese schaffte, während daheim die Frau emsig butterte und Koppenkäse bereitete und auch durch den Verkauf von Milch und Eiern das Vermögen mehrte.

Wieder fiel die Ernte sehr reichlich aus, und auch das Vieh gedieh vortrefflich. Rübezahls Geld trug die besten Früchte, es lag ein sichtbarer Segen darauf, denn Veit konnte damit anfangen, was er wollte, es geriet immer alles zum Besten. Er säte und erntete stets zur rechten Zeit, seine Kühe gaben reichlich Milch und wurden nie krank, seine Hühner legten unermüdlich Eier, und sein Knecht war ein anspruchsloser Bursche, der sich für seine Herrschaft ehrlich aufopferte.

Bald galt Veit als ein wohlhabender Mann, und niemand wunderte sich, wenn er mehr und mehr Land kaufte.

Das dritte Jahr ließ sich noch besser an als die vorangegangenen. Veits Felder und Wiesen gaben den höchsten Ertrag, und sein Wohlstand wuchs zusehends. Nun kam aber auch die Zeit immer näher, da er sein Versprechen einlösen und seine Schuld bezahlen musste.

So sagte er denn eines Tages zu seinem Weib: »Zieh dich und die Kinder morgen aufs Beste an, ich will dem Hans sagen, dass er in der Frühe anspannt, denn ich muss nach Rochlitz, um deinen Vettern das Kapital wiederzugeben, das sie mir vor drei Jahren geliehen haben, da will ich euch mitnehmen.«

Das war ein Festtag, der Frau und Kindern große Freude bereitete nach so viel Mühe und Arbeit. Die Frau tat am anderen Morgen ihr Bestes, sich und die Kinder recht schön herauszuputzen, und Veit zählte hundert Taler ab samt fünfzehn Talern Zinsen, die er in einen derben Sack steckte und vorsichtig im Wagen unterbrachte. Dann ging die fröhliche Fahrt los, der Knecht knallte lustig mit der Peitsche, und die Kinder jauchzten.

Bald kamen sie in die Nähe von Rübezahls Garten.

Da ließ Veit halten und sagte dem Knecht: »Hans, wir wollen hier aussteigen und ein wenig spazieren gehen, fahr du einstweilen voraus, bei der Spindelsmühle treffen wir uns dann wieder.«

Als der Knecht nicht mehr zu sehen war, hielt der Mann sein Weib am Kleid fest und sagte zu ihr: »Was ich dir sagen wollte. Du hast die Jahre hindurch gemeint, dass wir unseren Wohlstand deinen reichen Vettern zu danken hätten. Ich habe dich in diesem Glauben gelassen, will dir aber jetzt die Wahrheit sagen. Mit deinen Rochlitzer Verwandten steht es so, dass mich der eine mit Grobheit, der andere mit Tücke vom Haus weggejagt hat. Nicht einen Schluck Wasser oder einen Bissen Brot haben sie mir gereicht, geschweige einen Pfennig. Hier wohnt der Wohltäter, dem wir unser Glück verdanken. Es ist kein anderer als der mächtige Herr der Berge, den sie, was sich freilich nicht schickt, den Rübezahl nennen.«

Er erzählte nun seine Begegnung mit dem Berggeist und wie er nur dessen Schuldner sei.

»Und jetzt gehe ich zu ihm und gebe ihm sein Geld wieder. Er soll auch sehen, was er aus uns allen gemacht hat, denn hätte er uns damals nicht geholfen, so wären wir allesamt verhungert.«

Als die Frau sah, dass es ihrem Manne mit dieser Eröffnung Ernst war, befiel sie eine große Angst. Sie hatte schon viel von Rübezahl gehört, aber wenig Gutes, und dachte sich ihn als einen boshaften Geist, der eher geneigt ist, Schaden und Unheil zu stiften, als etwa einer verarmten Familie aus der Not zu helfen. Sie beschwor ihren Mann, sich um Himmels willen nicht mit dem alten Schadenstifter einzulassen, sondern so schnell wie möglich sein Gebiet zu verlassen und heimzufahren. Als nun vollends die Kinder erfuhren, um was es sich handele, fingen sie an zu wehklagen und hängten sich dem Vater an den Rock, um ihn nicht fortzulassen.

»Ich weiß nicht, was ihr alle wollt«, antwortete Veit ärgerlich, »der Bergherr hat uns allen nur Gutes getan und meint es nicht böse, wenn er auch nicht aussieht wie die Junker oder andere feine Leute. Er ist schwarz, natürlich, wie einer eben ist, der immerzu im Berg herumwirtschaftet. Aber darum könnt ihr ihm doch eine Patschhand geben und sagen: Ich dank auch schön, Herr Berggeist!«

Da fing aber erst ein Jammern an. Die Kinder duckten sich und sahen den Vater an, als ob er ihnen Unmögliches zugemutet hätte.

Schließlich sagte der Bauer: »Gut. Wenn ihr keinen Mut habt, dann bleibt hier, dann muss ich schon allein gehen, denn mir soll keiner nachsagen, dass ich mein Wort gebrochen hätte.«

Er riss sich los, nahm den Geldsack und ging stracks auf die Höhle zu, aus der ihn der Geist damals entlassen hatte. Als er an den Felsen kam, erblickte er aber keinen Eingang. Sein nächster Gedanke war, dass er sich wohl geirrt haben müsse. Er maß die Entfernungen nach – sie stimmten. Er sah sich nach allen Seiten um – es war hier alles wie vor drei Jahren. Es unterlag keinem Zweifel, dass er am richtigen Ort war, aber von einem Eingang fand sich keine Spur.

Da machte er sich auf andere Art bemerkbar. Er klimperte mit den Talern, er schlug mit dem Sack vor den Felsen, er rief einmal um das andere: »Herr Berggeist! Herr Berggeist!« Niemand antwortete ihm. Schließlich dachte er: Ich muss ihn wohl, so ärgerlich mir das ist, bei seinem Lästernamen anrufen, auf die Gefahr hin, dass er mir böse wird und mich verbleut. Und so schrie er wieder wie damals in die Einöde hinein: »Herr Rübezahl! Herr Rübezahl!«

Allein, nur das Echo antwortete ihm. Der Geist ließ sich nicht sehen. Da ging Veit verdrießlich und unverrichteter Dinge wieder zu den seinen zurück, um sie zu beruhigen.

Frau und Kinder waren froh, dass sie den Vater wiedersahen, um den sie Angst ausgestanden hatten, und die Familie verließ den Ort, um Knecht und Wagen wieder einzuholen.

Da rief der kleinste Bub auf einmal. »Hu, dort steht ein schwarzer Mann!«

Alle sahen dorthin. Veit hob den Geldsack in jene Richtung, aber es war nichts zu sehen.

Veit wartete ungeduldig noch eine Weile, dann sagte er: »Es hilft nichts, der gnädige Herr Berggeist will nichts mit uns zu tun haben.«

Bald danach erhob sich ein Lüftchen, das die welken Blätter aufwirbelte, zur Freude der Kinder, die danach haschten und damit spielten, worüber sie den schwarzen Mann ganz vergaßen. Da traf sich’s, dass der kleinste Bub unter dem Laub ein Stück Papier erwischte, eine große Seltenheit in jener Zeit. Er lief munter damit zum Vater, dem er das Blatt reichte. Der nahm es ihm ab und sah zu seinem freudigen Staunen, dass er jenen Schuldschein in der Hand hielt, den er vor drei Jahren Rübezahl ausgestellt hatte, und darunter stand, von der Hand des Berggeistes geschrieben:

Betrag dankend erhalten.

Da rief Veit froh aus: »Seht hier, Frau und Kinder, den gütigen Berggeist! Er hat wie ein Vater an uns gehandelt und schenkt uns das schöne Geld. Und der Bub, dem er sich gezeigt hat, der muss mir den Schein bringen. Nun ist alles gut, und ich bin froh, dass er uns gesehen hat, und weiß, dass wir ihm unser Leben lang dankbar sind.«

Fröhlich ging die Familie davon und holte auch bald den Wagen ein. Da schlug die Frau vor, nun doch nach Rochlitz zu fahren, um zu sehen, wie die reichen Verwandten sie jetzt aufnehmen würden, wo sie nicht als Bittende, sondern als wohlhabende Leute kämen. Und so kamen sie denn auch nach Rochlitz, um zuerst den Vetter Heinz zu begrüßen. Aber als sie vor dessen Haus anlangten, trat ihnen dort ein ganz fremder Mann entgegen, von dem sie erfuhren, dass er der Nachfolger von Vetter Heinz sei.

»Und unser Vetter Heinz?«

»Der? Der ist lange tot und begraben«, erklärte jener. »Sein Unglück fing vor drei Jahren an. Da ging sein schöner Viehbestand ein, er erlebte eine völlige Missernte, denn Mäuse kamen scharenweise in seinen Weizen und fraßen ihm das letzte Korn weg. Sein Knecht bestahl ihn und verschwand mit vielem Geld. Und dann hatte er einen Prozess, der ihn so viel kostete und ihn so ärgerte, dass er darüber gestorben ist. Sein Weib ist mit dem wenigen, was ihr noch blieb, tief nach Böhmen hineingewandert, aber kein Mensch kann sagen, wo sie ist und ob sie überhaupt noch lebt.«

»Und Vetter Kunz?«

»Der schlechte Mensch? – Fragt nicht nach dem. Der hat mit Wissen seines Weibes bei dem Müller Feuer angelegt, um ihm einen bösen Streich zu spielen. Da hatte er nun seine Rache, denn das ganze Anwesen ist in Rauch aufgegangen, aber der Richter wollte auch seine Rache haben und hat den alten Sünder samt seiner bösen Sieben gefangen gesetzt. Da haben sie geleugnet und falsch geschworen. Hat ihnen aber alles nichts geholfen, und sie werden nun wohl zeitlebens im Stockhaus sitzen und spinnen müssen. Kommen sie jemals wieder heraus, so werden sie von vorn anfangen müssen, denn von ihrer Habe ist der abgebrannte Müller entschädigt worden. Es tut mir weh, dass ich euch von eurer Sippe nichts Tröstlicheres sagen kann, aber kommt herein in die Stube und esst ein Süpplein, das euch mein Weib bereiten wird, und nehmt fürlieb mit einem Bissen Brot, so gut wir es eben haben. Die Kinder werden hungrig sein.«

So sprach der Mann, und sie nahmen seine freundliche Einladung mit Dank an. Dann fuhren sie leichten Herzens wieder heim und schafften rüstig weiter. Sie wurden nicht übermäßig reich, aber es fehlte ihnen auch nicht am Nötigen, und Rübezahls Geld nützte ihnen, solange sie lebten.