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Hessische Sagen 26

Langwasser und Garen

Als das Schloss Ulrichstein erbaut wurde, mussten die Arbeiter das Wasser aus dem Brunnen und dem Bach in dem südlich vom Berg gelegenen Tal holen. Weil aber das Wassertragen lang dauerte, so nannten sie den Ort, wo sie es schöpften, Langwasser, wie noch einige einsame Höfe im Tal heißen. Unweit davon ist eine alte Schanze und nahe bei derselben ein Platz, der Garen heißt. Wenn nämlich die Soldaten in der Verschanzung Hunger hatten, riefen sie ihren weiter abwärts liegenden Kameraden zu: »Gar?«, was »Ist es bald gar?« soll.


Watzenborn

Das Dorf dieses Namens war gebaut, aber es hatte noch keinen Namen. Da versammelte der Schulze die Gemeinde, hielt eine schöne Rede an sie und sprach, die Bauern sollten jeder einen Namen vorschlagen, die drei schönsten von allen sollten alsdann herausgesucht und von diesen drei wiederum der schönste gewählt werden, und zwar durch Stimmenmehrheit. Das ging alles gut, aber als die Bauern unter den drei Namen einen wählen sollten, da standen sie und sperrten die Mäuler auf. Der Schulze ermahnte sie vergeblich mehrere Male. Endlich sprach er: »Und jetzt frage ich zum letzten Mal, wie soll das Dorf heißen?«

»Watz im Born!«, schrie der Schweinehüter, der mit vor Schrecken bleichem Gesicht herbeistürzte.

Und »Watz im Born!« schrie die ganze Gemeinde und lief weg, um den Gemeindewatz aus dem Brunnen zu ziehen, in welchen er unglücklicherweise hineingefallen war. So wurde der Watz noch zeitig gerettet und sie waren zugleich aus aller Verlegenheit wegen des Namens ihres Dorfes.


Die Frau von Einshausen

In der Gegend von Lollar hat vor alters das Dorf Einshausen gestanden. Es ist aber nichts mehr davon da. In dem Dorf war einmal morgens eine Frau zu einer Nachbarin gegangen und hatte sich ein Töpfchen mitgenommen, um sich darin Feuer zu holen. Die Kohlen waren in das Töpfchen getan, aber die Frau blieb stehen und schwätzte und schwätzte und konnte gar nicht fertig werden. Es wurde Mittag und noch war sie nicht fort. Endlich ging sie mit ihren Kohlen nach Hause, aber als sie ihr Töpfchen aufdeckte, so waren sie alle schon lange ausgegangen und kein Funken mehr zu sehen und sie konnte kein Feuer anmachen. Davon sagt man noch in selber Gegend, wann eins durch Schwätzen die rechte Zeit verpasst: »Das macht’s wie die Frau von Einshausen«, oder auch »bei dem geht’s wie bei der Frau von Einshausen.«


Der Advokat und der Teufel

In Darmstadt lebte einmal ein Advokat, das war ein rechter Leuteschinder, der den armen Bauern das Fell über die Ohren zog, einen Prozess über den anderen auf den Hals jagte, sie von Haus und Hof trieb und Rechnungen machte, dass selbst den reichen Leuten in der Stadt die Augen darüber überliefen. Der ging eines Tages mit einem ganzen Sack voll Papiere zum Ried zu. Da gesellte sich unterwegs ein Mann zu ihm, der war fast gekleidet wie ein Odenwälder Kaffer. Er trug einen breitrandigen Hut, langen blauen Rock und kurze Hosen, hatte aber Beine wie Storchbeine so mager und dürr. Der ließ sich in ein Gespräch mit dem Advokaten ein und lachte dabei zu allem, was der Advokat sagte. Das Lachen klang so höhnisch und grell, dass es denselben kalt überlief. Er schaute sich den Kaffer genauer an, aber der hatte ein Gesicht wie andere Leute auch. Erst als er ihm zuletzt nach den Füßen guckte, da ging ihm ein Licht auf und er sah, dass er den leibhaftigen Teufel zur Seite hatte. Da wurde es ihm noch schwüler. Er überlegte bei sich, was zu machen sei. Er dachte, es sei am Ende das Beste, seinen Begleiter merken zu lassen, dass er ihn kenne, und sprach darum keck heraus: »Was habt Ihr denn im Ried zu schaffen, gibt’s in der Hölle keine Arbeit mehr?«

Der Böse lachte und sprach: »Aha, wir kennen uns, ich muss eine Seele da holen, die schon lange für mich reif ist und die die Leute oft zu mir wünschen.«

Im Ried, dachte der Advokat und bekam neuen Mut. Da bin ich also nicht gemeint. Er unterhielt sich getrosten Herzens mit dem Teufel über seine Schelmereien und Plackereien, rühmte sich ihrer auch und lachte darüber, wobei denn der Teufel jedes Mal herzlich mitlachte.

Als sie so ihres Weges dahingingen, kam ein armer Metzger ihnen entgegen, der trieb ein Schwein nach Hause und das Tier schnüffelte und grunzte bald hier, bald dort im Kot herum.

Der Metzger war dessen müde und rief: »Der Teufel soll dich holen, wenn du nicht vorangehst! «

Sogleich war der Advokat bei der Hand und sagte: »Da greif zu, das Vieh ist dein.«

Aber da kam es heraus, dass der Advokat noch schlechter war, als selbst der Teufel, denn der Böse sagte: »Das ist nicht so schlimm gemeint, lass dem armen Mann seine Sau, er muss die ganze Woche davon leben.«

Der Advokat lachte ihn darüber aus und meinte, der Teufel habe doch ein gar zu weiches Herz und fuhr dann fort, noch viel ärgere Schandtaten von sich zu erzählen.

Als sie in den nächsten Ort kamen, hörten sie ein Kind weinen und die Mutter des Kindes schaute aus ihrem Fenster, ballte eine Faust und schrie: »Willst du dein Maul halten oder der Teufel soll dich holen!«

Aber das Kind flennte fort.

Da stieß der Advokat wiederum seinen Kameraden an und sprach: »Du, nimm’s doch, wenn du kein Esel bist, es gehört ja dein.«

Aber der Teufel lachte, ging seines Weges weiter und sprach: »Du hättest es nicht stehen lassen, aber ich nehm’s nicht, denn es ist der Mutter einziges Kind und sie würde sich totgrämen, wollte ich zugreifen. Das war so schlimm nicht gemeint.«

Jetzt lachte ihn der Advokat noch mehr aus und sprach: »Du bist mir ein schöner Teufel, wenn ich so dächte, dann wäre ich längst am Bettelstab.«

So gingen sie weiter und der Schinder erzählte immer lustiger von seinen Taten, bis sie an den Ort kamen, wo er gerade einem armen Bauern das Bett unter dem Leib weg verkaufen wollte. Der Bauer stand mit seinen Nachbarn zusammen auf der Gasse vor dem Hause. Als er den Advokaten sah, fielen er und sein Weib demselben zu Füßen und sie baten ihn unter Tränen, sie doch nicht ganz unglücklich zu machen.

Aber der Advokat lachte und sprach zum Teufel: »Jetzt sollst du einmal sehen, wie ich das mache.« Er gab dem Bauern einen Fußtritt und sagte: »Fort ihr Kanaillen, alles wird verkauft.«

Da erhob sich der Mann in hellem Zorn und schrie: »O, du Henkersknecht, dich muss noch der Teufel holen oder Gottes Wort ist gelogen! «

Da lachte der Teufel laut und sprach: »Siehst du, Kamerad, das ist von Herzen so gemeint.« Er erfasste den Advokaten und riss ihn durch die Luft mit sich fort. Man hat nie wieder eine Spur von ihm gesehen. Die Darmstädter Advokaten haben sich alle mögliche Mühe gegeben, diese Geschichte zu vertuschen und geheim zu halten, es hat jedoch nichts geholfen.


Der Kessel mit dem Schatz

An einem Winterabend saß vor vielen Jahren der Wagnermeister Wolf zu Großbieberau im Odenwald mit Kindern und Gesinde beim Ofen und sprach von diesem und jenem. Da wurde auf einmal ein verwunderliches Geräusch vernommen und siehe, es drückte sich unter dem Stubenofen plötzlich ein großer Kessel voll Geldes hervor. Hätte nun gleich einer stillschweigend ein wenig Brot oder eine Erdscholle darauf geworfen, dann wäre es gut gewesen. Aber nein, der Böse war dabei und da musste es wohl verkehrt gehen.

Des Wagners Töchterlein hatte nie so viel Geld beisammen gesehen und rief laut: »Blitz, Vater, was Geld, was Geld!«

Der Vater kehrte sich nicht ans Schreien, weil er besser wusste, was hier zu tun wäre. Schnell nahm er das Heft vom großen Nabenbohrer und steckt es rasch durch den Kesselring. Doch es war vorbei, der Kessel versank und nur der Ring blieb zurück.


Die böse Fee Schwalba

In uralter Zeit wetteiferte das Tal der weltberühmten Badestadt Schwalbach an landschaftlicher Schönheit mit dem benachbarten Rheingau. Doch all die Herrlichkeit schwand plötzlich dahin, als die böse Fee Schwalba dort ihren Wohnsitz nahm, um Ruhe vor solchen höllischen Geistern zu finden, über die ihre Zauberkünste keine Macht hatten. Als diese Geister ihr aber auch dahin folgten und sie quälten, riss sie in ihrem Zorn die Blumen und Reben aus, entwurzelte die Fruchtbäume und vergiftete mit ihrem kalten Hauch den Erdboden, sodass ihm heute noch keinen Blumen entsprießen und keine edlen Früchte reifen, die einst die Zierde und der Reichtum des Tales waren. Anstatt der lauen Winde und des lieblichen Sonnenscheins nahmen raue Stürme, schaurige und heftige Fröste überhand. Wohl wehklagten die Bewohner des Tales. Aber sie konnten das Herz Schwalbas nicht rühren und holten einen frommen Einsiedler vom Rhein her, die die Zauberin durch sein kräftiges Gebet zwang, vor ihm zu erscheinen, und der sie für zwei Jahrzehnte in die Einsamkeit verbannte, um Buße zu tun. Nach zwanzig Jahren war Schwalba ein altes, gebrochenes, gramgebeugtes Weib geworden und sagte: »Das Böse ist leichter zu vollbringen, als wieder gut zu machen. Das Unheil, das ich angestiftet habe, wird in seinen Folgen leider noch lange nachwirken. Aber ich will weinen über das, was meine Bosheit angerichtet hat. Meine nie versiegenden Tränen sollen sich in Wasser verwandeln, hier auf ewig aus der Erde quellen und den Menschen Gesundheit verleihen.« Darauf sank sie mit dem Klausner betend auf die Knie nieder. Während des Gebetes nahm Gott ihre Seelen zu sich. Noch heute quellen Schwalbas Tränen aus der Erde hervor, und viele Leidende suchen und finden hier Jahr für Jahr ihre Gesundheit. Der eine dieser Brunnen heißt Stahlbrunnen, um die Herzenshärte Schwalbas vor ihrer Bekehrung anzudeuten, der andere heißt Weinbrunnen, weil Schwalba sich wie trüber Most in edlen Wein veredelte. Nach dem Namen der Zauberin heißt der Ort noch heute Schwalbach.


Herborn

Herborn hat seinen Namen von einem Born, der am Weg nach Uckersdorf rechts vom Johannisberg liegt. Eine Frau aus Uckersdorf, die schon lange krank war, hatte ihn entdeckt, als sie einst auf dem Weg nach Hause war und vor Müdigkeit und Durst kaum weiter konnte. Das Wasser löschte ihr nicht nur den Durst, ihre Schmerzen ließen nach, es gab ihr frische Kraft. Und lange war ihr der Weg nach Hause nicht so leicht gefallen. Seitdem trank sie jedes Mal aus dem Born, wenn sie des Weges kam, und wurde zuletzt wieder ganz gesund. Das erzählte sie ihren Nachbarn und bald wallfahrteten viele Kranke zu dem Quell und man hieß ihn den Guten Born. Und seit auch die Herren von Dillenburg dahin kamen, nannte man ihn auch den Herrenborn. Und danach bekam die Stadt, die dort entstand, den Namen Herborn.


Das Lichtlein

Zwei Bauern gingen aus dem Dorf Langenstein (nah bei Kirchhain in Oberhessen) nach Emsdorf zu, mit ihren Heugabeln auf den Schultern. Unterwegs erblickte der eine unversehens ein Lichtlein auf dem Spieß seines Gefährten. Der nahm ihn herunter und strich lachend den Glanz mit den Fingern ab, dass es verschwand. Wie sie hundert Schritte weitergingen, saß das Lichtlein wieder an der vorigen Stelle und wurde nochmals abgestrichen. Aber bald darauf stellte es sich zum dritten Mal ein, da stieß der andere Bauer einige harte Worte aus, strich es jenem nochmals ab und darauf kam es nicht wieder. Acht Tage danach an derselben Stelle, wo der eine dem anderen das Licht zum dritten Mal abgestrichen hatte, trafen sich diese beiden Bauern, die sonst alte gute Freunde gewesen, verunwilligten sich und von den Worten zu Schlägen kommend erstach der eine den anderen.


Der Bechtelsberg

Im Süden des Kreises Ziegenhain hebt sich bei Ottrau, einem uralten Dekanatssitz des fränkischen Hessengaus, der Bechtelsberg bis zu einer beträchtlichen Höhe empor. Sein Gipfel gewährt eine außerordentlich weite und schöne Aussicht und an seinem Abhang wachsen mancherlei Heilkräuter, die zu Himmelfahrt, selbst von Leuten aus der Ferne, gesammelt werden. Der Gipfel des Bechtelsbergs heißt die Rumpelskuppe, ein Name, welcher dem ungeheuren, donnerähnlichen Getöse seine Entstehung zu verdanken haben mag, das, zum Schrecken und Entsetzen der Menschen und des Viehs, mitunter oben auf dem Berg gehört worden sein soll. Dieses Gepolter wird von Ohrenzeugen mit dem Toben und Brausen eines schrecklichen Sturmes verglichen. Kurz vor dem Ausbruch will man in der Nähe des Berges bisweilen eine schwarze Gestalt, auch wohl eine fein gekleidete Jungfrau gesehen haben.

Nahe an der Rumpelskuppe befindet sich eine kesselförmige Vertiefung, die Hexenkaute, auch Silberkaute genannt. Hier werden am 1. Mai in der Mitternacht großes Gastgebot und Hexentanz gehalten. Der Meister führt strenge Aufsicht über Musik und Tanz. Wer zum Beispiel um eine Viertelstunde zu spät erscheint, beim Tanz einen Fehltritt tut etc., bekommt zur großen Belustigung aller Gäste eine gewisse Anzahl Besenhiebe. Die Tracht der Teilnehmer besteht in einem langen schwarzen Kleid mit einem Strohgürtel und einer Haube, unter welcher ein langer Haarzopf herabfällt. Es wird getanzt, gesungen, gelärmt und allerhand Unfug getrieben, zuletzt der Rest der Mahlzeit für die Rückreise eingepackt und, nach gegenseitigem Anwünschen eines fröhlichen Wiedersehens für das nächste Jahr, auf stumpfen Besen und Hähnen pfeilschnell wieder weggeritten.


Das Hexenlindchen

Von Rotenburg steigt hoch auf ein kahler Berg, der Höberück genannt, auf welchem eine einsame Linde, weithin sichtbar, steht. Der Baum heißt »das Hexenlindchen« und der Sage nach kommen in der Walpurgisnacht die Hexen hier zum Tanze zusammen.