Die sechs schlafenden Jungfrauen 10
Die sechs schlafenden Jungfrauen oder: Der schreckliche Zweikampf
Eine furchtbare Ritter- und Geistergeschichte von Wilhelm Bauberger erzählt
Kapitel 10
Ritter Alfred in Gefangenschaft
Auf Antrieb des Geistes hatte sich Ritter Alfred den Scharen der christlichen Streiter beigesellt, welche eben am Engpass Tylljo standen, um das Vorrücken des Sultans von Konia zu verhindern. Dort entbrannte nach Alfreds Ankunft ein furchtbarer, blutiger Kampf, in welchem Leichen auf Leichen sich häuften. Die christlichen Ritter, unter ihnen Alfred, fochten wie wütende Löwen und der türkische Sultan geriet in Gefahr, gefangen zu werden. Aber die Sarazenen waren an Zahl den Christen weit überlegen, und überdies ermatteten diese nach und nach vom langen Kampf. Die Fahne mit dem goldenen Kreuz verschwand von der Höhe. Siegend drangen die Feinde vor und nun entstand ein allgemeines Blutbad. Im ärgsten Gemetzel drang ein schöner sarazenischer Jüngling mit jugendlicher Verwegenheit auf Alfred ein. Hieb auf Hieb zischten die blitzenden Schwerter durch die Luft. Beide Kämpfer fochten, bereits verwundet, mit unbeugsamer Wut bis zur gänzlichen Ermattung. Da warf der Sarazene das Schwert von sich, Alfred auch. Nun begannen sie miteinander einen Faustkampf und ein Ringen, wo Alfreds Stärke der Gewandtheit des Sarazenen eine Zeit lang die Wage hielt, bis endlich dieser, den Rest seiner Kräfte sammelnd, Alfred bei der Brust umschlang und zu Boden warf. Ismael, der Sohn des Pascha – denn das war sein Gegner – ließ dem Ritter sofort die Hände binden und zu seinem Zelt führen. Der Engpass aber war vom Feind erobert und fast sämtliche Christen fanden dort den Tod.
Da Ismael mit dem Sultan nach Jerusalem vorrückte, so wurde Alfred nach Konia gebracht. Schloss und Harem des Paschas lag auf einem hohen Felsen. Seitwärts davon das Bagno oder Sklavengefängnis, welches einen höchst traurigen Anblick gewährte. Alfred sah es und schauderte. Eine kleine starke eiserne Tür wurde geöffnet, wodurch ein verpestender Geruch ihm entgegen qualmte. Der Sklavenaufseher nahm ihm die Fesseln von den Händen und belegte seine Füße damit. Dann stieß er ihn mit einem verfluchter Christenhund! in das Zwielicht des Kerkers, wo über hundert Sklaven aus allen Nationen schmachteten. Am Morgen wurden diese Unglücklichen gleich dem Vieh aus ihrem Kerker getrieben, denn sie mussten zur Ausbesserung einer Mauer des Harems mit unsäglicher Anstrengung unter den Peitschenhieben des Aufsehers Steine zuführen. Alfred wurde mit fünf anderen an einen Karren zwischen zwei Stangen geschmiedet, sodass an Flucht nicht zu denken war. Alfreds stolze Empfindung sträubte sich gegen das Joch, doch musste er es dulden. Aber der Sklavenaufseher bemerkte die Regung und misshandelte ihn mit so unbarmherzigen Geißelhieben, dass seine Kleidung zerriss und das Blut ihm von Gesicht und Schulter floss. Schlechtes Brot und faules Wasser wurde mittags den Sklaven zur Nahrung gereicht. Alfred konnte nichts genießen. In seiner Seele stiegen düstere Gedanken auf, er dachte an Selbstmord. Und wieder fühlte er die Peitschenhiebe des mit satanischen Lächeln hinter ihm stehenden Aufsehers. Da brach er in Tränen aus und schwor Rache dem Unmenschen.
Unter solch herben verzehrenden Leiden hatte Alfred mehre Tage zugebracht. Da stürzte er einmal von der Arbeit entkräftet zur Erde. Vergebens schwang der Aufseher seine Peitsche, Alfred blieb ruhig liegen.
Diese Misshandlung sah Adelma, die weichherzige Tochter des Pascha, und ließ den Aufseher vor sich kommen.
»Allzu lange schon«, begann sie, »muss ich Zeugin der Härte sein, womit du die Christensklaven gleich dem Vieh behandelst, und bin fürwahr nicht mehr gesonnen, deine Tyrannei länger zu dulden. Was hat der große Mann verbrochen, auf den du eben so grausam losschlugst?«
»Er hat keine Lust zur Arbeit, hohe Gebieterin«, entschuldigte sich tief verbeugend der Aufseher.
»Augenblicklich reiche dem Mann gute und neue Kleider, gib ihm stärkende Speisen und führe ihn zu mir!«, versetzte die schöne Adelma.
Nachdem Alfred, der nicht wusste, wie ihm geschah, seiner Fesseln entledigt und mit stärkender Kost gelabt worden war, verfiel er in einen kurzen süßen Schlummer.
Als er erwachte, erhielt er ein erquickendes Bad und reinliche Kleider. Darauf brachte ihn der Sklavenaufseher, der nun ganz freundlich Alfred gegenüber geworden war, zur einzigen Tochter des Paschas. An der Tür des Zimmers, in das sie eintreten sollten, empfingen sie zwei reich gekleidete verschleierte Mädchen, welche sogleich ihrer Gebieterin die Ankunft der beiden meldeten.
Im schimmernden Gemach, das alle Pracht und Üppigkeit des Orients in wuchernder Verschwendung zeigte, saß auf schwellender Ottomane in halb liegender Stellung mit verschleiertem Gesicht die reizende Adelma. Alfred legte nach der Sitte des Morgenlandes die Arme kreuzweise übereinander und schaute entzückt auf die vollendeten Formen der herrlichen Jungfrau. Trotz seines Sträubens musste sich der Aufseher entfernen, und Adelma forschte nun genau nach der Behandlung, welche die Gefangenen erfuhren. Alfred schilderte ihr die Qualen derselben mit lebhaften Farben.
»Nun wohl,« sprach die Gebieterin, »deine und deiner Gefährten Leiden sollen aufhören und der barbarische Aufseher soll den Kopf verlieren.«
Alfred erbebte etwas über diesen Spruch und bat um Gnade für den Elenden.
»Aber er hat dich doch schrecklich behandelt und du bittest für ihn?«, rief die Erstaunte aus.
»Gern will ich ihm dies vergeben, wenn er sich bessert«, beteuerte Alfred.
»Edler Mensch«, seufzte Adelma und versank in Nachdenken, während dessen sich ihr Schleier ein wenig lüftete.
Alfred hatte in ein Antlitz von unbeschreiblicher Schönheit gesehen.
»Du sollst nicht wieder in das Bagno zurückkehren«, fuhr sie wohlwollend fort, »ich ernenne dich zum Wächter des Haremsgartens. Hier hast du weiter nichts zu tun, als zu sorgen, dass sich niemand ohne Erlaubnis dem Harem nähere. Sag dem Aufseher, dass er nur deiner Fürbitte sein Leben verdankt.«
Alfred warf sich auf die Knie und bedeckte dankbewegt ihre Hand mit Küssen. Sie duldete es, und winkte ihm dann mit einem tiefen Seufzer, sich zu entfernen.