John Tanner – Das Leben eines Jägers 16
John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree
Sechszehntes Kapitel
Im Laufe dieses Winters kam zu unserem Lagerplatz der Sohn des berühmten Chippewahäuptlings, Wesch-ko-bug, der am Leech Lake wohnte. Dieser Mensch gehörte zu denen, welche sich ganz so betragen, wie Weiber, und von den Indianern auch Weiber genannt werden. Es gibt dergleichen unter den meisten, und vielleicht unter allen indianischen Völkern, und insgemein nennt man sie A-go-kwas. Dieses Geschöpf, genannt Ozaw-wen-dib (der Gelbkopf), war damals wohl bald fünfzig Jahre alt und hatte mehrere Männer gehabt. Ich weiß nicht, ob sie mich gesehen oder nur von mir gehört hatte. Sie sagte mir alsbald, dass sie weither gekommen sei, um mich zu sehen, und darauf rechnete, mit mir leben zu können. Diese Anträge wurden oft von ihr wiederholt, sie ließ sich durch keine abschlägigen Antworten irre machen oder zurückweisen und wiederholte ihre ekelhaften Zumutungen so häufig, dass sie mich gewissermaßen aus der Hütte vertrieb.
Die alte Net-no-kwa, mit welcher sie recht gut bekannt war, lachte über meine Verlegenheit und schamhafte Zurückhaltung, wenn die Gelbköpfin mich mit ihren Zumutungen belästigte. Es hatte sogar den Anschein, als würde diese von ihr aufgemuntert, noch länger in unserer Hütte zu verweilen. Der A-go-kwa zeigte große Geschicklichkeit in allen Weiberarbeiten, womit er sich auch sein ganzes Leben lang beschäftigt hatte. Endlich aber, als er wohl sah, dass alle seine Bemühungen, mich anzulocken, vergebens waren, und vielleicht auch, um nicht länger Hunger zu leiden, denn wir hatten nur wenig zu essen, verließ uns Ozaw-wen-dib, und ich hoffte schon, von nun an seinen Nachstellungen entgangen zu sein. Nach drei oder vier Tagen aber kam er wieder, brachte uns geräuchertes Fleisch, und erzählte, er habe die Horde von Wa-ge-to-tah-gun getroffen und sei von diesem Häuptling beauftragt, anzufragen, ob wir uns nicht mit demselben vereinigen wollten. Der nämlich hatte vernommen, wie karg sich Waw-zhe-kwaw-maisch-koon gegen uns zeigte.
Der A-go-kwa sagte mir in seinem eigenen Namen: »Mein Neffe, ich begreife nicht, dass du hier bleibst, um mit anzusehen, dass ein anderer Jäger Wild tötet und dabei doch so geizig ist, dass er nicht mit dir teilt. Komm zu mir. Es soll weder dir noch meiner Schwester an etwas fehlen, wenn ich irgend im Stande bin, es euch zu beschaffen.« Diese Einladung kam zur rechten Zeit, und wir brachen unverzüglich auf.
Als ich auf unserem Lagerplatze eben beim Feuer beschäftigt war, hörte ich den A-go-kwa pfeifen, wodurch er mir andeuten wollte, ihm in den Wald zu folgen. Als ich hinkam, sah ich, dass er seinen Blick starr auf ein Stück Wild geheftet hatte. Es war ein Moosetier. Ich schoss zweimal. Beide Male stürzte es nieder, stand aber wieder auf. Wahrscheinlich hatte ich zu hoch angelegt, denn endlich entrann es mir. Die Alte machte mir die heftigsten Vorwürfe und sagte, ich würde wohl niemals ein tüchtiger Jäger werden. Doch am anderen Tag kamen wir noch vor Einbruch der Nacht am Lagerplatz Wa-ge-to-tes an und konnten unseren Hunger stillen. Dort wurde ich auch endlich von den lästigen Zumutungen des A-go-kwa erlöst. Sie waren mir aber auch unerträglich geworden. Wa-ge-to-te nämlich, der schon zwei Weiber hatte, nahm ihn zur dritten Frau. Dass eine neue Person zur Familie hinzukam, gab Veranlassung zu manchen Scherzen, Späßen und ergötzlichen Vorfällen. Es entstand aus dieser Heirat aber weit weniger Unruhe und Zank, als wenn er eine dritte Frau weiblichen Geschlechtes genommen hätte.
Die Gruppe, welche uns aufnahm, bestand aus einer zahlreichen Menge von Indianern, und die Jagd war bereits nicht mehr ergiebig. Die besten Schützen kamen oft ohne Beute heim, wobei es sich denn einmal traf, dass ich nebst einem anderen Mann, der gleichfalls für keinen sonderlich guten Jäger galt, mehr erlegte als alle übrigen. Danach traten die Indianer zusammen, um den Meta oder Mediationstanz aufzuführen, der für eine große Feierlichkeit gilt und wobei Net-no-kwa stets eine wichtige Rolle spielte.
Ich wurde es endlich überdrüssig, länger in Gesellschaft dieser großer Menschenmenge zu leben; denn wenn eine solche sich lange an ein und demselben Ort aufgehalten hatte, machte sich stets der Hunger sehr fühlbar. Ich suchte mir daher einen besonderen Pfad und ging fort, um meine Biberfallen zu legen. Als ich Wa-ge-to-te meine Absicht, ihn zu verlassen, mitteilte, zeigte er sich sehr teilnahmevoll mir gegenüber und sagte, ich würde Hungers sterben, wenn ich mich so weit entfernen würde.
Ich aber hörte weder auf seine Vorstellungen noch auf seine Bitten. Dann erbot er sich, mich bis zu der Stelle zu begleiten, wo meine Fallen lagen, um sich zu überzeugen, ob ich auch eine passende Gegend gewählt hätte, die imstande wäre, mich mit meiner Familie zu ernähren. In einer der Fallen hatte sich ein prächtiger Biber gefangen. Wa-ge-to-te gab mir noch gute Ratschläge, ermahnte mich, frohen Mutes zu sen, und sagte mir, wo er sein Lager aufschlagen würde. Dorthin sollte ich kommen, falls es mir hier traurig gehen würde. Meine Familie war durch Hinzukommen einer alten Chippewafrau und zweier Kinder verstärkt worden. Net-no-kwa hatte sie aufgenommen, weil kein Mann da war, welcher für sie gesorgt hätte. Das war nun freilich ein Zuwachs an Last und Bürde. Dennoch aber hielt ich es immer noch für vorteilhafter, getrennt von der Gruppe zu leben. Auch war meine Jagd ausnehmend glücklich, und wir blieben bis zur Zeit der Zuckerernte in jener Gegend. Net-no-kwa wollte nun zum Me-nau-ko-nos-keeg , während ich im Kontor am Red River mehrere notwendige Bedürfnisse einkaufen sollte. Ich packte einen Ballen Biberfelle zusammen und schiffte mich allein in einem Kanu aus Bisonfellen ein, welches so klein war, dass es kaum mein Gepäck zu tragen vermochte. So fuhr ich den kleinen Sas-kaw-jawun hinab.
Am Ufer dieses Flusses liegt eine Stelle, wie die Indianer sie sich nur immer zu einem Lagerplatz wünschen können. An dem einen Ufer ist eine bequeme Anfahrt. Weiter hinauf liegt eine kleine Ebene, ein dichtes Gehölz und ein kleiner Hügel, der plötzlich aus der Ebene aufsteigt. Aber hier wurde ein Brudermord begangen, ein Verbrechen, so unerhört unter den Indianern, dass der Ort, wo derselbe vorfiel, für verflucht und Unheil bringend gehalten wird. Jedermann betrachtet ihn mit dem größten Abscheu. Kein Indianer wird sein Kanu auf den Strand der beiden toten Männer ziehen und nur höchst ungern dort die Nacht über verweilen.
Die Sage erzählt: Vor vielen Jahren, als Indianer hier lagerten, sei ein Zank zwischen zwei Brüdern entstanden, welche beide den Falken zum Totem hatten. Der eine stach den anderen mit seinem Messer tot. Die, welche bei dem so traurigen Vorfall gegenwärtig waren, entsetzten sich dermaßen über das abscheuliche Verbrechen, dass sie ohne Weiteres den Brudermörder tot schlugen und darauf beide Leichen zusammen begruben.
Als ich mich dieser Stelle näherte, dachte ich an nichts weiter als an die Geschichte von den beiden Brüdern, die denselben Totem gehabt hatten, welchen auch ich führte. Vielleicht, dachte ich, sind sie wohl gar Verwandte deiner indianischen Mutter. Man hatte mir erzählt, dass die beiden Brüder, wenn jemand auf ihrem Begräbnisplatz schliefe, aus der Erde herauskämen, sich zankten, den Mord erneuerten, oder doch wenigstens den Lebenden dermaßen peinigten, dass er gar nicht einschlafen könnte. Das hatte schon mehr als einer erfahren. Nun stachelte mich die Neugier, und ich wollte gern zu den Indianern sagen können: »Seht, ich habe an dem Platz, den ihr so sehr fürchtet, angehalten, ja auf demselben sogar geschlafen.«
Als ich dort ankam, ging eben die Sonne unter. Ich zog mein Kanu aufs Trockene, machte ein Feuer an, aß mich satt und schlief ein.
Bald danach sah ich, wie zwei Tote emporstiegen und sich mir gerade gegenüber ans Feuer setzten. Sie blickten mich starr und fest mit ihren großen Augen an, lächelten nicht und sagten kein Wort. Da stand ich auf und setzte mich neben sie. In dieser Lage oder Stellung erwachte ich, die Nacht war stürmisch und düster. Ich sah keinen Menschen und hörte auf weiter nichts als das Geräusch des Windes, welcher die Bäume bewegte. Wahrscheinlich schlief ich gleich danach wieder ein, denn bald erblickte ich die beiden Toten abermals. Sie standen ohne Zweifel unten am inneren, niedrigen Rand des Ufers, denn ihre Köpfe befanden sich in derselben Fläche mit dem Boden, auf dem ich mein Feuer angemacht hatte. Ihre Augen waren auch jetzt starr auf mich geheftet. Da erhob sich erst der eine, darauf der andere, und beide setzten sich mir gegenüber. Diesmal aber lachten sie, schlugen mit Gerten nach mir und quälten mich auf alle nur mögliche Art. Ich wollte mit ihnen reden, aber die Stimme versagte mir. Ich wollte fliehen, konnte aber meine Beine nicht von der Stelle bewegen. Die ganze Nacht hindurch befand ich mich in einem Zustand der stärksten Aufregung und Besorgnis. Sie sprachen manches zu mir. Unter anderem sagte mir der eine, ich möchte doch einmal zu dem nahen Hügel hingucken. Ich sah dort ein Pferd, dem die Beine gebunden waren, und das mich anblickte.
»Dort, Bruder«, sprach der Jebi, »ist ein Pferd, das ich dir für deine Reise auf morgen gebe. Wenn du auf dem Rückweg zu deiner Hütte hier wieder vorbeigehst, kannst du es abermals nehmen, und es uns in einer anderen Nacht wiederbringen.«
Endlich brach der Tag an, und ich war nicht wenig froh, als ich bemerkte, dass diese furchtbaren Gestalten verschwanden, so wie es hell wurde. Mein langer Aufenthalt unter den Indianern jedoch, und der Umstand, dass häufig eingetroffen war, was man im Traum gesehen hatte, bewogen mich unwillkürlich an das Pferd zu denken, welches mir der Jebi gegeben hatte. Ich stieg also den Hügel hinauf, sah hier und da Spuren von Hufen und fand wirklich ein Pferd, das ich noch dazu kannte, denn es gehörte demselben Handelsmann, welchen ich besuchen wollte. Da ich mir mehrere Meilen an Weg sparte, wenn ich von hier aus zu Lande zu dem Assiniboine ging, so ließ ich mein Kanu zurück, nahm das Pferd, lud ihm meinen Ballen auf, und eilte geraden Weges dem Kontor zu, das ich Tag darauf erreichte. Auf allen meinen späteren Reisen vermied ich sorgfältig die Nähe des Totenufers, und die Erzählungen, welche ich über das, was ich gesehen und ausgestanden hatte, zum Besten gab, erhöhte noch den abergläubischen Schrecken der Indianer.
Als ich vom Kontor am Red River zurück war, schlug ich meine Hütte am Naowawgunwudju, d. h. dem Hügel der Bisonjagd, unweit vom Sas-kaw-jawun auf. Das ist ein hoher Felsenhügel, der wahrscheinlich sehr metallreich sein muss, denn man findet im Gesteine Massen, die höchst sonderbar und auffallend aussehen. Dort fanden wir Zuckerbäume im Überfluss, und der Platz war überhaupt zu einer Lagerstätte für die Frühlingszeit geeignet. Wild so häufig und alles so gut, dass ich dort zu bleiben beschloss, und die Indianer nicht begleiten mochte, die sich am Clear Lake versammelten und wie gewöhnlich berauschten. Ich hatte Wa-me-gon-a-biew Nachricht von mir gegeben, und er kam mit einem Pferd zu uns. Damals schoss ich das herrlichste Moosetier, das ich je gesehen habe. Es war so fett, dass wir, um das Fleisch fortzuschaffen, drei Pferde, unsere ganze Familie und alle Hunde damit beladen mussten.
Vier Tage nach seiner Ankunft machte sich Wa-me-gon-a-biew auf den Weg, um Wa-ge-to-te zu besuchen, sagte mir aber nicht, in welcher Absicht. Er kam bald wieder zurück, und teilte mir mit, er habe das Mädchen sehen wollen, welches mir so oft zur Frau angetragen worden sei. Er müsse mich jetzt fragen, ob ich etwa im Sinn hätte, es zu heiraten. Ich sagte nein, und fügte hinzu, dass ich sehr geneigt sei, alles mögliche beizutragen, damit ihm sein Wille geschähe. Da bat er mich, mit ihm zu gehen, auf dass die Eltern endlich einsahen, wie ich fest entschlossen sei, ihre Tochter niemals zu heiraten, und darauf seine junge Frau heimzugeleiten.
Ich sagte ihm das ohne weiteres Bedenken zu, sah aber, als wir Anstalten zum Weggehen trafen, aus dem ganzen Wesen und Benehmen der Net-no-kwa, dass diese Handlungsweise ihr missfiel, obwohl sie kein Wort sagte. Da fiel es mir ein, dass es gegen alle hergebrachte Sitte ist, dass die junge Frau von ihrem Mann in die Familie eingeführt wird, und ich stellte dem Wa-me-gon-a-biew vor, wie jedermann uns verspotten würde, wenn wir bei unserer Absicht verharrten.
»Da ist«, sprach ich, »unsere Mutter. Ihr obliegt es, Frauen für uns auszuwählen, wenn wir deren nötig haben. Sie muss dieselben uns zuführen und ihnen ihren Platz in der Hütte anweisen. Es ist am besten, dass alles so abgemacht wird.«
Die Alte war offenbar sehr erfreut über diese Worte, und erklärte sich bereit, auf der Stelle hinzugehen und Wa-ge-to-tes Tochter zu holen.
Als sie diese brachte, waren Wa-me-gon-a-biew und ich in der Hütte. Mein Bruder hatte ihr noch nichts von seinen Absichten gesagt. Auch die Alte hatte unterwegs geschwiegen. Als nun das Mädchen eintrat, schien es zu zaudern, denn es wusste nicht, welcher von den beiden jungen Menschen, die vor ihm saßen, es ausgewählt hatte.
Net-no-kwa sah, wie verlegen es wurde, und sagte, es möchte nur neben Wa-me-gon-a-biew Platz nehmen und diesen als seinen Mann betrachten. Wenige Tage darauf führte er diese neue Frau zu seiner ersten, und beide lebten im besten Einverständnis miteinander.
Als die Blätter abfielen, ging ich mit meinem Bruder und mehreren Indianerfamilien an die Arbeit und ernteten den wilden Reis. Damals war ich etwas über 21 Jahre alt. Während wir den Reis sammelten und zubereiteten, wurden mehrere von uns sehr krank. Diese Krankheit fing mit Husten und Heiserkeit an, manchmal auch mit Mund- und Nasenbluten. Binnen wenigen Tagen starben mehrere, und nicht einer war noch imstande auf die Jagd zu gehen. Ich blieb zwar auch nicht frei von Beschwerden, aber das Übel war doch anfangs bei mir durchaus nicht so schlimm, wie bei den anderen.
Schon seit einigen Tagen hatten wir im Lager nichts mehr zu leben. Einige Kinder waren von der Seuche verschont geblieben, und mehrere Kranke, die sich wieder erholten und auf dem Weg der Besserung waren, wollten zu essen haben. Außer mir befand sich noch ein Mann so ziemlich im Zustand der Wiedergenesung. Wir vermochten uns aber trotz dem nicht zu bewegen, und konnten kaum auf die Pferde steigen, welche die Kinder uns vorführten. Wenn wir aber auch hätten gehen können, so würde doch das Wild vor uns geflohen sein, weil wir jeden Augenblick husten mussten. In dieser Not streiften wir auf gut Glück in den Ebenen umher und erlegten einen Bären. Wir selbst konnten aber von dem Fleisch keinen Bissen genießen und brachten es zum Lager, wo es gleichmäßig verteilt wurde.
Es ging mit mir immer besser, und ich glaubte unter allen als Erster wieder gesund zu werden, konnte auch schon wieder auf die Elentierjagd gehen, schoss zwei Stück binnen drei Stunden und brachte wie gewöhnlich eine volle Ladung Fleisch heim. Dabei hatte ich mich ein wenig erhitzt, und war auch stark abgemattet. Indessen aß ich mit großem Vergnügen ein Stück Fleisch, das für mich zubereitet worden war, und schlief dann ein. Mitten in der Nacht aber wachte ich in Folge eines heftigen Schmerzes auf. Es war mir, als wühlte etwas in meinen Ohren herum. Ich rief Wa-me-gon-a-biew, der aber nichts finden konnte. Der Schmerz wurde in den beiden nächsten Tagen immer unerträglicher, und ich verlor endlich das Bewusstsein.
Als ich wieder zu mir selbst kam – es war, wie ich später erfuhr, nach zwei Tagen – saß ich vor der Hütte und sah, wie die Indianer dem Trunk frönten, denn es war ein Handelsmann an unserem Lagerplatz vorbeigekommen. Mehrere Männer zankten sich miteinander, und ich sah, wie Wa-me-gon-a-biew, der sich mitten in einer sehr aufgeregten Gruppe befand, ein Pferd mit seinem Messer tot stach. Gleich danach aber verlor ich abermals die Besinnung gänzlich und verblieb in diesem Zustand mehrere Tage lang. Ich erinnere mich nichts an alles, was vorging, bis zu dem Augenblicke wo unsere Gruppe Anstalten traf, weiterzuziehen.
Meine Kräfte waren indessen doch noch nicht völlig geschwunden, und ich war, als ich wieder zu Sinnen kam, zu gehen imstande. Damals dachte ich viel an all das, was sich seit meinem Aufenthalt unter den Indianern ereignet hatte. Ich durfte im Allgemeinen, seitdem mich Net-no-kwa in ihre Familie aufgenommen hatte, mit meinem Schicksal zufrieden sein. Aber diese Krankheit betrachtete ich als den Anbeginn eines Unglücks, das mich mein ganzes Leben hindurch verfolgen würde. Ich hatte nämlich mein Gehör durchaus verloren, meine Ohren waren voller Geschwüre und eiterten. Wenn ich in der Hütte saß, sah ich, wie alle den Mund bewegten. Ich konnte aber kein Wort hören. Ich nahm meine Flinte und ging auf die Jagd. Allein die Tiere witterten mich schon, ehe ich sie nur gesehen hatte, und wenn ich ja einmal eines Moose- oder Elentieres ansichtig wurde, und ihm nahe kommen wollte, dann erfuhr ich zu meinem großen Leidwesen, dass Glück und Geschicklichkeit von mir gewichen waren. Ich war überzeugt, dass die Tiere selbst wüssten, ich wäre nun wie ein unnützer Greis.
Diese traurige Gemütsstimmung hatte sich meiner in einem so hohen Grade bemächtigt, dass ich den Entschluss fasste, mich zu töten, denn ich sah kein anderes Mittel, dem drohenden Elend zu entrinnen. Als die Zeit zum Aufbruch gekommen war, führte mir Net-no-kwa mein Pferd vor unsere Hütte und fragte, ob ich imstande sei, es zu besteigen und das Reiten bis zum neuen Lagerplatz auszuhalten. Ich antwortetet ja, das wäre ich, bat sie, mir mein Gewehr zu lassen und sagte, ich würde den Übrigen in geringer Entfernung folgen. Dann nahm ich das Pferd beim Zaum und ließ alle Familien unseres Stammes fort und an mir vorüberziehen. Als das letzte alte Weib mit seiner schweren Tracht hinten auf der Prärie verschwand, war es mir, als würde ich eine drückende Last los. Ich ließ den Zaum los und das Tier frei umhergehen, zog den Hahn auf, stemmte das Gewehr an die Erde und hielt den Lauf an meinen Mund. Vermöge des Ladestockes wollte ich losdrücken. Ich wusste, dass das Schloss in gutem Zustande und das Gewehr seit vorgestern geladen war. Aber der Schuss wollte nicht losgehen. Das Gewehr war nicht geladen, mein Pulverhorn und mein Kugelbeutel waren beide ausgeleert worden. Das Messer, welches gewöhnlich am Riemen meines Pulverhorns hing, war auch nicht da. Da ich mich solchergestalt verhindert sah, mir das Leben zu nehmen, packte ich die Flinte mit beiden Fäusten und schleuderte sie weit weg von mir, stieg auf mein Pferd, das ganz gegen seine sonstige Gewohnheit in meiner Nähe geblieben war, und folgte meiner Familie. Net-no-kwa und Wa-me-gon-a-biew, die wahrscheinlich von meinen Absichten unterrichtet waren, hatten sich nur so weit entfernt, dass ich sie nicht sehen konnte, und hatten sich hingesetzt, um auf mich zu warten. Vermutlich mochte ich wohl, während ich irre redete, von Selbstmord gesprochen haben. Sie waren vorsichtig genug gewesen, mir alles zu nehmen, womit ich leicht meinen Vorsatz hätte ausführen können. Der Selbstmord gehört unter den Indianern keineswegs zu den Seltenheiten, und sie bringen sich auf mehrerlei Weise ums Leben. Sie erschießen, erhängen, ersaufen und vergiften sich. Die Ursachen, weshalb sie sich umbringen, sind gleichfalls sehr verschieden. Einige Jahre vor dem Zeitpunkt, von welchem ich jetzt rede, kannte ich in Mackinack, wo ich mich mit Net-no-kwa aufhielt, einen jungen Ottawa, der ein hoffnungsvoller Mensch war und schon sehr in Ansehen stand. Dieser erschoss sich auf dem Indianerkirchhof. Er hatte sich betrunken, in der durch die starken Getränke bewirkten Geistesabwesenheit seine Kleider zerrissen und sich überhaupt so heftig und wild gezeigt, dass seine Schwestern, damit er nicht sich selbst oder anderen Leides antun möchte, in seiner Hütte ihn an Händen und Füßen gebunden hatten. Am anderen Morgen wachte er auf und war wieder bei Sinnen. Als man ihn losgebunden hatte, ging er in die Hütte seiner Schwestern, die nahe beim Begräbnisplatz lag, nahm ein Gewehr, unter dem Vorwand, er wolle Tauben schießen, und schoss sich mitten unter den Gräbern tot. Wahrscheinlich glaubte er in der Trunkenheit irgendeine entehrende Handlung begangen zu haben, die seiner Ansicht zufolge nur durch einen Selbstmord gesühnt werden konnte. Unglücksfälle und Verluste mannigfacher Art, zuweilen auch der Tod geliebter Personen, manchmal auch Unglück in der Liebe, kann man als Ursachen des Selbstmordes unter den Indianern betrachten.
Ich tadelte es, dass Wa-me-gon-a-biew in dieser Angelegenheit sich so gegen mich benommen, mein Gewehr abgeschossen und mir Pulver und Blei genommen hatte. Wahrscheinlich hatte aber nicht er es getan, sondern die Alte. Als ich nach und nach wieder gesünder wurde und mich erholte, schämte ich mich meines Beginnens. Doch waren meine Freunde feinfühlend genug, nie ein Wort darüber gegen mich fallen zu lassen. Aber mein Gehör hatte ich immer noch nicht wieder, und es vergingen mehrere Monate, ehe ich eben so gut jagen konnte, wie vor meiner Krankheit. Und doch hatte ich bei Weitem nicht soviel davon gelitten wie manche andere. Denn unter denen, welche mit dem Leben davonkamen, blieben viele ihr ganzes Leben lang taub. Andere verloren zum Teil den Verstand und wurden blödsinnig. Noch andere hatten im wütenden Schmerz sich gegen Felsen oder Bäume geschmettert, dabei Arme und Beine gebrochen oder noch auf andere Art verkrüppelt. Fast allen aber floss noch lange danach eine Menge Eiter aus den Ohren, oder sie hatten, besonders im Anfang, häufiges Nasenbluten. Diese Krankheit war ganz neu unter den Indianern. Sie wandten auch nur wenig oder gar keine Mittel dagegen an.