Marshal Crown – Band 10
Die Spätmittagssonne stand einer weißglühenden Scheibe gleich am westlichen Himmel, als die beiden Reiter die Ausläufer der Kalksteinberge des Cap Rock Massivs verließen. Staub wallte unter den stampfenden Hufen ihrer Pferde auf, während sie nebeneinander auf einen kleinen Creek zugaloppierten, dessen schmales Band sich träge durch das Land schlängelte.
Jim Crown, Town Marshal von Rath City, und Richard Anderson, der Vorsitzende der Viehzüchtervereinigung, hatten sich lange im Indianerreservat aufgehalten, zu lange, um noch pünktlich zum Abendessen in die Stadt zu kommen. Jim musste dabei an Linda, seine Verlobte, denken. Garantiert würde sie wieder vor dem Wohnhaus auf ihre Ankunft warten und ihnen Vorhaltungen machen, weil sie das gute Essen aufwärmen musste.
Er kannte ihr Temperament zur Genüge, und bei dem Gedanken daran stahl sich unweigerlich ein Grinsen in sein Gesicht.
Trotzdem, die Unterredung im Dorf der Comanchen war einfach zu wichtig, um sie wegen eines Abendessens einfach abzubrechen. Es ging letztendlich um Krieg oder Frieden im County.
Der Friedensvertrag des letzten Winters sicherte Häuptling Sonnenadler jeden Monat eine bestimmte Anzahl an Rindern zu, die seinen Stamm vor dem Hungertod bewahren sollten. Diese Tiere stammten zum größten Teil aus Andersons Herden, deshalb war es eine Selbstverständlichkeit, dass sich der Rancher und der Häuptling von Zeit zu Zeit zu einem Powwow trafen.
Crown war auf Wunsch der Halbindianerin Asha mit von der Partie.
Seit den unseligen Ereignissen in der Reservation, die mit dem Tod der beiden Unterhäuptlinge Powderface und Kleiner Vogel endeten, suchte sie ständig seinen Rat.1
Inzwischen war der Creek in Sichtweite gekommen und Crown packte die Zügel fester. Aber seine Vorsichtsmaßnahme erwies sich als unbegründet. Die sengende Sommersonne von Texas hatte den kleinen Creek, der während der Regenmonate schäumend und gurgelnd ins Tal rauschte, in ein schmales Rinnsal verwandelt, über das sogar ein Kind springen konnte, ohne nass zu werden.
Als sie den Creek durchquerten, spritzte das Wasser kaum bis zu den Steigbügeln hoch. Selbst in der Flussmitte stand es nicht höher als zwei Fuß und die Pferde hatten keine Mühe, ihre Reiter trocken durch den Fluss zu bringen.
Am anderen Ufer zügelte Jim unvermittelt seinen Braunen.
Seitlich von ihm hatte sich etwas bewegt.
Er richtete sich im Sattel auf und schwenkte den Blick nach rechts. Ungefähr hundert Yards von ihm entfernt war ein Mann damit beschäftigt, mit einem klobigen Hammer mehrere Pflöcke in den Boden zu schlagen.
Er war groß und hager und etwa halb so alt wie der Town Marshal.
»Was zum Teufel macht denn Frank da?«, wunderte sich Crown.
»So, wie es aussieht, will Bentons Sohn sein Land einzäunen«, mutmaßte Anderson, nachdem er sein Pferd ebenfalls zum Stehen gebracht hatte.
»Aber warum?«
Der Rancher zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, am besten wir fragen ihn.«
»Gut!« Crown nickte. »Ich bin schon auf seine Antwort gespannt.«
Sie ritten im Schritt auf Frank Benton zu, der so in seine Arbeit vertieft war, dass er die Reiter erst bemerkte, als sie unmittelbar hinter ihm die Pferde zügelten. Als eines der Tiere schnaubte, wirbelte Frank erschrocken herum. Nachdem er die Reiter erkannt hatte, verfinsterte sich seine Miene zusehends.
»Hallo Frank!«, begrüßte ihn Richard Anderson. »Was treibst du denn hier?«
»Das geht euch gar nichts an«, fauchte Frank.
»Schlechte Laune oder was?«
»Eigentlich hätte ich es mir ja denken können, dass du deine Nase auch in diese Sache hineinsteckst«, erwiderte Frank, ohne auf die Frage einzugehen. »Aber Gott sei Dank kann ich auf meinem Land immer noch machen, was ich will, und muss dir darüber keine Rechenschaft ablegen.«
Nichts in seiner Stimme erinnerte daran, dass er der Sohn eines befreundeten Ranchers war, den die beiden Männer schon seit Ewigkeiten kannten.
»Immer mit der Ruhe, Frank!«, beschwichtigte ihn der Rancher. »Weder ich noch Marshal Crown haben die Absicht, sich in deine Angelegenheiten zu mischen. Wir wundern uns nur, was du hier treibst, schließlich wurde an diesem Abschnitt hier am Fluss noch nie ein Zaun errichtet.«
»Das stimmt«, sagte Frank. »Deshalb hätte ich mir die Arbeit auch gerne erspart, aber unser Käufer verlangt nun einmal, dass wir unser Land einzäunen.«
»Euer Käufer?« Anderson schien mehr als überrascht. »Ihr wollt verkaufen?«
»Nicht wir, ich!«, berichtigte ihn Frank. »Ich will verkaufen, und zwar an George Evans!«
»An George Evans?«
Jetzt war es Jim Crown, der sich erstaunt gab.
»Seit wann ist der denn unter die Rancher gegangen? Ich dachte, der macht sein Geld nur mit Holz.«
Seit man in den Bergen zur Grenze nach Arizona Silber gefunden hatte, wurde im ganzen Land nach dem wertvollen Metall gegraben. Siedlungen schossen wie Pilze aus dem Boden und überall wurden ständig neue Stollen in die Felsen getrieben. Zum Abstützen der Förderschächte und für die Bretterbuden der Minencamps benötigte man mehr Holz, als in der Umgebung vorhanden war, sodass Männer wie George Evans sich eine goldene Nase damit verdienten, dieses aus anderen Gegenden herbeizuschaffen.
»Normalerweise ist es mir egal, wenn jemand im County seinen Besitz veräußern will«, mischte sich Anderson wieder in das Gespräch ein. »Aber nicht bei euch, du kannst das Land nicht einfach an Evans verkaufen!«
»Wieso nicht?«, entgegnete Frank ungehalten.
»Weil dein Vater und ich einen Vertrag haben, der die Nutzung des Flusses und der umliegenden Weiden zwischen uns regelt«, erinnerte ihn der Rancher.
Die Ranch von Anderson lag mitten in einem weitläufigen Tal, das von der Front Range im Norden bis zu den Ausläufern der Sangre de Christo Mountains im Süden reichte. Das Land mit seinem heißen Sommer und dem kurzen aber bitterkalten Winter eignete sich kaum für den Ackerbau, sondern eigentlich nur zur Viehzucht. Doch selbst die Rinder durften nicht immer an der gleichen Stelle grasen. Die Herden mussten ständig die Weiden wechseln, sonst wäre das karge Grasland bald abgeweidet und das Land zu einer Einöde geworden.
Außerdem benötigten die Rinder Wasser, viel Wasser sogar.
»Wenn George Evans auf eurem Land einen Zaun errichtet, werden sowohl eure Tiere als auch die unseren nicht mehr umherdriften können und deshalb ständig dieselben Stellen abweiden. Dadurch wird die Vegetation so nachhaltig zerstört, dass die Erde keinen Halt mehr am Wurzelwerk findet. Schon der nächste Sturm könnte das bisschen, was wir hier noch an fruchtbaren Boden haben abtragen«, erklärte Richard. »Außerdem würde meinen Rindern dann auch die Tränke fehlen.«
»Das tut mir zwar leid«, entgegnete Frank Benton mit einer Stimme, die vor Schadenfreude geradezu triefte. »Aber ich fürchte, dass ich dir nicht helfen kann, wenn Mister Evans auf den Zaun besteht.«
»Du verdammter Bengel!« Anderson glitt vom Pferd und stapfte wütend auf den Nachbarssohn zu. »Du wartest doch schon lange darauf, mir eins auszuwischen.«
»Wundert dich das?«, fragte Frank und seine Stimme knirschte dabei vor Wut. »Hier im County geschieht doch nichts mehr ohne die Zustimmung des allmächtigen Mister Anderson, und wehe, es tanzt jemand aus der Reihe. Es wird höchste Zeit, dass dir mal jemand auf die Füße tritt, um dir zu zeigen, wie groß du in Wirklichkeit bist.«
»Und dieser jemand bist wohl du?«, wollte Anderson wissen, während er sich drohend vor dem jungen Benton aufbaute.
»Warum nicht? Ich bin schon mit ganz anderen Leuten fertig geworden.«
»Mach, was du willst, aber denke dabei auch an deinen Vater. Sein Name hat schließlich noch einen guten Klang im County«
»Lass Dad aus dem Spiel, oder …«
»Oder was?«, entgegnete der Rancher kalt.
Anstatt zu antworten, nahm Frank Benton den Hammer in seiner Rechten hoch.
»Seid ihr verrückt geworden?«, zischte Jim. »Hört sofort auf damit.«
Die beiden Männer starrten sich feindselig an.
»Ich werde die Sache mit deinem Vater klären«, sagte der Rancher.
»Da gibt es nichts mehr zu klären, Anderson«, behauptete Frank mit Nachdruck. »Der Verkauf ist perfekt, ich habe den Vertrag mit Evans bereits unterschrieben.«
***
Die Sonne stand tief im Westen und ihre letzten Strahlen tauchten den Himmel in leuchtendes Purpur. Vom Ufer des Sweetwater Creeks drang leise das Muhen und Schnauben einer kleinen Rinderherde zu den nahen Hügeln hinauf. Dort, verdeckt von einem Wald aus Gelbkiefern und Eschen, hielten fünf Reiter, die allesamt schwer bewaffnet waren.
Großkalibrige Colts steckten in ihren tief geschnallten Halftern und Winchestergewehre in den Sattelscabbards.
Lewis Miller, ein Hüne von über sechs Fuß Größe und zweihundert Pfund Körpergewicht, verzog sein Gesicht zu einem gewalttätigen Grinsen, während er die vorbeiziehenden Rinder und die beiden Cowboys beobachtete, die immer wieder Nachzügler an die Herde heranführen mussten.
»Okay Jungs, dann wollen wir mal.«
Als die Männer ihre Pferde anspornen wollten, hob Miller die Hand.
»Denkt daran, der Boss will, dass wir es auf die raue Art machen, verstanden? Die sollen gleich beim ersten Mal merken, das es kein Spaß ist. Anderson muss aus dem Tal verschwinden.«
Die anderen nickten und zogen die Colts.
Mit wilden Schreien stießen sie den Pferden die Hacken in die Weichen, schossen aus den Colts in die Luft und verließen den Schutz des dichten Waldes. Wie eine wild gewordene Indianerhorde galoppierten sie der kleinen Herde entgegen.
Die Hufe trommelten auf den Boden. Staubfahnen wehten zum Fluss hinunter. Die überraschten Cowboys wussten zunächst nicht, wie sie reagieren sollten. Sie hatten zwar auch ihre Gewehre und Colts dabei, aber bevor ihnen der Gedanke kam, zu den Waffen zu greifen, waren die Reiter heran.
Eine Kugel fegte Mike Jones, einem der beiden Cowboys, den Hut vom Kopf, während sein Sattelpartner von einem Gewehrkolben getroffen wurde. Der Mann stieß einen gellenden Schrei aus und flog über die Kruppe seines Pferdes hinweg. Er überschlug sich und blieb benommen am Boden liegen.
»Seid ihr verrückt geworden?«, schrie Mike. »Was soll das?«
»Das wirst du gleich erfahren, Kuhtreiber«, sagte Miller, während seine Männer über die Köpfe der Rinder feuerten.
Tatenlos musste der Cowboy mit ansehen, wie sich die vom Krachen der Schüsse verschreckten Tiere in alle Himmelsrichtungen verloren.
»Von heute an werden hier keine Rinder mehr ans Wasser getrieben, kapiert?«
Mike Jones riss erstaunt die Augen auf.
»Aber … aber warum?«, stotterte er. »Das hier ist doch eine offene Weide, und außerdem hat die Bar-X ein Abkommen mit den Bentons.«
»Aber nicht mit meinem Boss«, sagte Miller hart. »Das Land am Sweetwater Creek gehört seit heute nämlich ihm und er duldet keine Rinder an seinem Fluss. Hast du verstanden?«
Mike zuckte die Achseln. »Ich bin ja nicht schwerhörig. Aber wenn hier neue Regeln gelten, sollte das dein Boss zuerst mit meinem klären und nicht mit mir. Ich bin nur ein einfacher Cowboy, der seinen Namen auf den Kochtopf von Mister Anderson geschrieben hat.«
»Keine Sorge, das wird er, und jetzt pack deinen Partner und dann seht zu, dass ihr Land gewinnt. Wenn wir euch noch einmal hier erwischen, wird es rau für euch.«
»Und was ist mit den Rindern? Mit eurer Knallerei habt ihr die ganze Herde verschreckt. Jetzt muss ich erst einmal zusehen, dass ich die Tiere wieder zusammenbekomme.«
»Du musst gar nichts, außer von hier verschwinden. Los, haut endlich ab.«
»Das kann ich nicht, mein Rancher hat …«
Was Mike sonst noch sagen wollte, blieb für immer sein Geheimnis. Einer von Millers Handlangern, ein kleiner, verschlagen dreinblickender Mann mit einem Frettchengesicht und wasserhellen Augen, war unbemerkt an seine Seite gekommen. Auf einen Wink von Miller hin knallte er ihm mitten im Satz den Lauf seines Revolvers an den Kopf.
Der Waffenstahl traf Mike mit voller Wucht an der Schläfe und ließ ihn im Sattel wanken. Das Frettchengesicht zog mit einem meckernden Lachen den Fuß aus dem Steigbügel und trat dem Cowboy mit voller Wucht mit dem Stiefel gegen die Brust.
Mike stürzte aus dem Sattel.
Als er mit dem Rücken auf den Boden krachte, vermeinte er für einen Moment, in der Mitte auseinanderzubrechen. Ein unbeschreiblicher Schmerz jagte wie eine heiße Welle durch seinen Körper und in seinen Ohren rauschte das Blut.
Die Welt um ihn herum begann zu verschwimmen.
»Hast du endlich kapiert, dass wir hier keine fremden Rinder mehr dulden?«
Mike Jones hörte die Frage nicht mehr. Er war längst bewusstlos.
Unterdessen war es seinem Sattelpartner gelungen, unbemerkt wieder auf sein Pferd zu kommen. Millers Männer schossen zwar hinter ihm her, aber ihm gelang die Flucht trotzdem. Vielleicht auch deswegen, weil es die Halunken nicht unbedingt darauf anzulegen schienen, ihn zu treffen. Sand und Staub wurden von den Kugeln in die Luft geschleudert und die Männer lachten, bis der Cowboy zwischen den Hügeln verschwunden war.
Die vollständige Story steht als PDF, EPUB und MOBI zur Verfügung.
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