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Mit den Konquistadoren ins Goldland Teil 1

Gustav Dittmar
Mit den Konquistadoren ins Goldland
Eine Erzählung aus der Zeit der Welserzüge
Teil 1

An einem kühlen und windigen, aber sonnigen Oktobertag des Jahres 1534 herrschte am Hafen der spanischen Stadt Sevilla lebhaftes Treiben. Drei Schiffe lagen dort am Ufer des Guadalquivir, bereit zur Ausfahrt, hochbordige, seetüchtige Fahrzeuge, nicht unähnlich den Schiffen, mit denen vor einem Menschenalter Christoph Kolumbus, der Admiral des Ozeans, ausgefahren war, um auf der Fahrt gen Westen Indien zu erreichen. Zahlreiche Schauerleute waren damit beschäftigt, Kisten, Lasten und Fässer über die schmalen Laufstege hinüberzuschleppen und in den dunkeln Schiffsbäuchen zu verstauen. Jetzt brachte man sogar eine Koppel Hunde herbei, große weiße, gelb gefleckte Tiere, die sich wütend ineinander verbissen und mit der Peitsche auseinander getrieben werden mussten. Dann kamen Pferde, mächtige, starkknochige Rosse. Es war nicht leicht, die ungebärdigen Tiere zum Betreten der schwankenden Bretter zu bewegen, und es gab viel Geschrei, bis endlich das letzte Pferd, ein schöner Rappe, glücklich an Bord war.

Auf Kisten und Ballen saßen am gepflasterten Ufer die Fahrgäste, eine stattliche Anzahl. Sie schienen noch einmal ihre Lungen mit der kühlen Luft füllen zu wollen, die vom nahen Meer herüber strich, bevor sie für Wochen eingepfercht wurden in den dunkeln, dumpfen Schiffsräumen. Zum großen Teil waren es Männer – nur wenige Frauen waren dabei – und sie unterschieden sich in Aussehen und Sprache von den zierlichen, dunklen Sevillanern, die das Schauspiel der ausfahrenden Schiffe in Scharen angelockt hatte. Fast alle waren sie blond und überragten die Spanier um Haupteslänge. Ihre Sprache aber klang härter als die spanische, und sie redeten bedächtiger als die lebhaften Südländer. Sie sprachen Deutsch, süddeutsche Mundarten zumeist, Schwäbisch, Alemannisch, Fränkisch. Nur ein junger Mann in der Tracht des erzgebirgischen Bergknappen, der sich soeben zu seinem zwölfjährigen Sohn hinunterbeugte, um eine Frage des Wissbegierigen zu beantworten, sprach unverkennbar Sächsisch.

Die Stimmung der Auswanderer war ernst, doch schienen sie – zumal die Jüngeren, die in Gruppen plaudernd beisammenstanden – voll Zuversicht. Nur eine junge blonde Frau weinte unablässig still vor sich hin.

An einem Kistenstapel stand ein hochgewachsener junger Mann. Er steckte in einem derben dunklen Tuchwams, das schon reichlich abgeschabt und ihm sichtlich zu klein war. Er mochte siebzehn Jahre zählen. In der Hand hatte er eine Schiefertafel, auf der er mit Kreide die Zahl der Kisten vermerkte, die die Schauerleute wegtrugen, um sie in den Schiffen zu verstauen. Offenbar war er damit beauftragt, darauf zu achten, dass nichts gestohlen wurde, eine Sorge, die bei solchem Treiben wohl nicht unberechtigt war. Er entledigte sich seiner Aufgabe schlecht und recht, ohne große Aufmerksamkeit. Immer wieder schweiften seine Blicke von der Tafel und den Kisten hinüber zu den Schiffen, auf deren Masten soeben die Flaggen gehisst wurden. Er kannte die Farben gut, schon von daheim, von Konstanz her. Auch dort wehten sie auf dem stolzen Haus und den Bodenseeschiffen der Augsburger Firma Bartholomäus Welser, Ulrich Ehinger und andere Mitverwandte. Es waren, um es kurz zu sagen, die Farben seines Hauses, denn er, Hans Hauser aus Konstanz, war Angestellter des großen Augsburger Handelshauses und zurzeit Lehrling, jüngster Kopist, Botenjunge, Türschließer, Faktotum in der Niederlassung der Welser zu Sevilla.

Plötzlich ging eine Bewegung durch die Menge. Zwei Männer, von denen der eine, blonde, die bis zu den Knien reichende pelzverbrämte deutsche Schaube, der andere, dunkle, den kurzen spanischen Mantel trug, näherten sich dem Ankerplatz der Schiffe.

Die Auswanderer und Matrosen liefen zusammen und rissen die Mützen von den Köpfen. »Vivat Hohermut! – Vivat Hutten!«, so schrien sie. Auch die Spanier riefen »Vivat!« und zerbrachen sich die Zunge an den ungewohnten deutschen Namen. Hans Hauser aber warf Tafel und Kreide aufs Pflaster und rannte, so rasch ihn seine Füße trugen, zum Schiffssteg, den die beiden Männer schon beinahe erreicht hatten.

»Vivat Hohermut! – Vivat Hutten!«, so schrie er aus Leibeskräften, sodass der Blonde aufmerksam wurde.

»Sieh da, Hans Hauser! Grüß Gott!«, so sagte er lächelnd und gab ihm die Hand. Dann schritt er mit seinem Gefährten über den Steg.

Hans Hauser stand wie betäubt. Dass Hohermut, der erste Faktor des Hauses Welser in Sevilla, ihn, den jüngsten Stift, des Morgens freundlich begrüßt hatte, wenn er das Kontor betrat, das war er gewohnt und fand es ganz in der Ordnung. Aber Georg Hohermut von Speyer war doch kein Kaufmann mehr! Cr war jetzt Gouverneur und Statthalter des Königs in Venezuela, jener Provinz im indianischen Land, die vom deutschen Kaiser und spanischen König Karl den Welsern verpfändet war, um der großen Summe willen, die sie ihm geliehen hatten. Und dieser Hohermut, der gleich hinter dem König kam oder mindestens gleich nach dem alten Herrn Bartholomäus, dem Chef des Hauses, der morgen auszog, um unerhörte Abenteuer zu bestehen und mit Gold und Edelsteinen beladen heimzukehren, er hatte ihn, Hans Hauser, begrüßt, ganz schlicht, auf gut Deutsch »Sieh da, Hans, grüß Gott!« und ihm die Hand gereicht.

Hans Hauser starrte den beiden Männern, die in der Kajüte des größten der drei Schiffe verschwunden waren, nach wie einer Erscheinung aus einer anderen Welt. Da wurde er plötzlich derb in die Wirklichkeit zurückgerufen.

Ein rothaariger, pockennarbiger Mensch in schwarzem Samtwams und lächerlich weiten Pluderhosen überschüttete ihn mit einer Flut spanischer und deutscher Schimpfworte. »Caramba!«, schrie er. »Stehen da, tuen nix. Faule Pelz, avanti, an die Arbeit!«

Es war Francisco Garcia, Kommis des Hauses. Hans hasste den eitlen und tückischen Gesellen, der sich schon ganz als Nachfolger Hohermuts in Sevilla gebärdete, von ganzem Herzen. Als aber der Spanier gar eine Bewegung machte, als wolle er Hans schlagen, da riss dem Jungen die Geduld. Blitzschnell hatte er den Gecken gefasst, und im Nu lag der Spanier rücklings auf dem Pflaster. Das ging so schnell und sah so drollig aus, dass die Umstehenden in lautes Lachen ausbrachen.

Garcia, zornrot, sprang auf. »Ise Gemeinheit!«, schrie er. »’alten fest, fresche Lümmel, ‘alten fest!«

Hans sah, dass die Sache nicht gut für ihn stand. Kurz entschlossen ergriff er die Flucht und war bald den Matrosen entwischt, die ihn, übrigens kaum ernstlich, auf Garcias Geheiß verfolgt hatten. Als er merkte, dass die Verfolger von ihm abließen, nahm er seinen Weg wieder zum Flussufer, das er oberhalb der Stelle erreichte, wo die Schiffe lagen. Er war hier schon außerhalb der Stadt. An der Uferböschung warf er sich ins Gras. Seine Stimmung war nicht rosig. »Verdammter Welscher!«, knurrte er. Da saß er nun fern der Heimat im fremden Land, allein und verlassen. Dunkel entsann er sich seines Vaters und seiner Mutter, die bald nacheinander gestorben waren, als er kaum zehn Jahre zählte. Der Junge musste froh sein, dass ihn der Oheim und Vormund, der Präzeptor, ins Haus nahm. Er hatte es nicht gut bei dem harten, strengen Mann. Dann brachte ihn der Vormund mit dreizehn Jahren zu den Welsern als Lehrling. Er müsse die Vorsehung preisen, hatte er gesagt, dass ihm seine, des Präzeptors, hoch angesehene Stellung in der Stadt Konstanz zu solch vielbegehrter Stellung verholfen habe, und Hans hatte sich pflichtschuldigst bedankt, obwohl er eigentlich etwas ganz anderes hatte werden wollen als Kaufmann. Was, das wusste er selbst nicht so recht, nur, dass er gewiss nicht sein Leben lang auf einem Kontorschemel hatte sitzen wollen. Trotzdem hatte er sich als leidlich anstellig erwiesen und war bald zur Welserischen Faktorei nach Lyon und von dort nach Sevilla gekommen. Und da saß er nun! Was er soeben angestellt hatte – er fühlte es immer deutlicher -war eine Riesendummheit. War erst Hohermut ausgefahren und Garcia erster Faktor des Hauses, dann war seine, Hansens, Rolle ausgespielt. Dann konnte er betteln gehen in den Straßen von Sevilla.

Hans griff sich verzweifelt in den blonden Schopf. Da fiel sein Blick zufällig auf die Welserflagge. Sie wehte lustig auf den Masten, die die Dächer der Stadt überragten.

»Wenn ich nur mitkönnte!«, seufzte er. Doch daran war ja nicht zu denken. Er wusste die Bedingungen genau. Mindestens zwanzig Jahre musste man alt sein und eine Ausrüstung haben, die bei den Welsern gekauft sein musste, ganz abgesehen davon, dass die Überfahrt eine Menge Geld kostete. Er war aber noch keine zwanzig Jahre alt und hatte auch kein Geld, und dass Garcia ihm nichts borgen würde – andern Auswanderern pflegte das Haus Kredit zu geben – war sicher. Was tun? Nicht einmal heimgehen ins Welserhaus mochte er, wo am gemeinsamen Tisch Garcia den Vorsitz führte.

Da er Hunger verspürte, kletterte er über den Zaun eines Gartens und plünderte einen Rebstock. Die Trauben sättigten zwar nicht viel, aber er hatte doch wenigstens nicht mehr das elende Gefühl der Leere im Magen. Dann warf er sich wieder ins Gras und träumte mit offenen Augen: vom Bodensee und von Konstanz, von der Mutter, die hochgewachsen und blond war und immer lachte, vom Vater, an dessen Hand er, ein winziger Knirps, schwimmen gelernt halte im See. Dann vom indianischen Land, von nackten Wilden mit Pfeilen und Bogen, von goldenen Schätzen, seltsamen Tempeln, schönen braunen Frauen. Über solchen Träumen musste er eingeschlafen sein, denn die Sonne stand schon tief, als er erwachte. Sofort überfiel ihn wieder die verzweifelte Frage: Was nun?

Von der Stadt her tönten Gesang und Musik. Unwillkürlich zog es den Einsamen dorthin. Die Straße zu der Schiffbrücke über den Guadalquivir, die zum Stadtteil Triana führt, war voll Menschen.

»Was geht hier vor?«, fragte Hans einen der Gaffer.

»Wisst Ihr das nicht?«, erwiderte der Angeredete erstaunt. »Sie ziehen hinüber nach Triana in das Barfüßerkloster, die Messe zu hören vor der Ausreise nach India.«

Da nahte auch schon der feierliche Zug. Musikanten eröffneten ihn. Sie vollführten mit Posaunen und Trompeten, Schalmeien und Sackpfeifen, Trommeln und Heerpauken einen gewaltigen Lärm. Es folgten, die Litanei betend, zu vieren in der Reihe, eine Anzahl Observanzmönche, Angehörige jenes Ordens, dem die Kirche die Bekehrung der armen, irregeleiteten Indianer zum rechten Glauben zur besonderen heiligen Aufgabe gemacht hatte. Sie trugen Kruzifixe und Bilder, auf Holztafeln gemalt, die den heiligen Vätern als Anschauungsmittel dienen sollten bei der Unterweisung der Heiden in der christlichen Lehre.

Dann kam zu Pferd in reicher spanischer Tracht der Führer Georg Hohermut von Speyer, an seiner Seite Philipp von Hutten, der fränkische Ritter. Ruhig blickte Hohermut, von Zeit zu Zeit die Hand zum Gruße hebend, auf die jubelnde Menge, die die Straße säumte. Reiter folgten auf schönen Araberpferden, deren Zaumzeug mit Schellen behangen war, deutsche und spanische Hauptleute.

»Seht«, sagte der Sevillaner, den Hans angesprochen hatte und der gut unterrichtet schien, »seht, das ist Sanchez de Murga und jener Kleine auf dem Schimmel Joacimo de la Pesia! Der andere, bärtige, ist ein Deutscher, Andreas Gundelfinger, der Majordomo der Flotte. Und jener, der allein reitet, mit dem mächtigen roten Bart …«

»Ich weiß«, sagte Hans, »das ist Nikolaus Federmann aus Ulm.«

»Seht die Zornesfalte auf seiner Stirn«, versetzte der Spanier.

Man sprach in ganz Sevilla vom Zwist des Ulmers mit dem Führer Georg Hohermut. Federmann, der schon einmal einen kühnen Zug in die indianische Wildnis angeführt hatte und mit reichen Schätzen heimgekehrt war, hatte bestimmt damit gerechnet, dass ihn die Welser auch zum Führer der neuen Expedition bestimmen würden. Doch die Herren Bartholomäus und Anton Welser, kluge Kaufleute, die sich die Gunst der spanischen Krone nicht mutwillig zu verscherzen gedachten, hatten den großen blonden Pfälzer, obwohl er noch nie indianischen Boden betreten hatte, dem finsteren Federmann vorgezogen, dem der Ruf ebenso großer Tapferkeit wie unerhörter Grausamkeit vorausging. Furchtbar, so wollte das Gerücht wissen, hatte Federmann unter den armen Indios gehaust. So musste sich der Ehrgeizige diesmal mit der Stelle eines Generalkapitäns begnügen. Starr vor sich hinblickend und der Zurufe der Menge nicht achtend, ritt er allein hinter dem Führer.

Hinter dem Ulmer folgten eine Reihe Trommler und Pfeifer und endlich, in drei Fähnlein geteilt, die Landsknechte. Sie trugen hirschlederne Wämser und eiserne Sturmhauben, römischen Helmen nicht unähnlich, und waren wohlgerüstet. Die meisten hatten Armbrüste, andere Rapiere und kleine Rundschilde, sogenannte Rodellas, davon man sie Rodellierer nannte, oder Tartschen. Manche aber schleppten schwere Feuergewehre mit sich, in der Sprache der Landsknechte halbe Haken geheißen.

Die Fähnlein, die lustig im Winde flatterten, waren weiß-blau – sie galten als Hohermuts Farben – weiß-rot in den Welserfarben und gelb-weiß-rot mit dem burgundischen Kreuz, die Fahne der kaiserlichen Majestät.

Der Tross machte den Beschluss, Handwerker aller Art, Schuster, Schneider, Zimmerleute und der unvermeidliche Profos mit seinen Steckenknechten.

Im ersten Glied des ersten Fähnleins fiel Hans ein starker, etwas schwerfälliger Mann auf. Er hatte ein breites, fast viereckiges Gesicht und gute blaue Augen. Die blonden Haare standen steil gebürstet in die Höhe. Es war unverkennbar ein Deutscher. Neben ihm schritt ein schlanker, dunkler Jüngling in der Tracht des deutschen fahrenden Schülers. Auf der Stirn hatte er eine breite rote Narbe, offenbar die Spur eines Säbelhiebs. Hans Hauser ahnte nicht, dass die beiden bald seine Kameraden sein würden, Freunde auf Leben und Tod.

Der Zug überschritt die Guadalquivirbrücke und betrat die mächtige dreischiffige gotische Klosterkirche, in der die Altarkerzen nur spärliche Helligkeit verbreiteten.

Hans hatte sich mit den anderen in die Kirche gedrängt. Der Prior des Klosters hielt selbst das feierliche Hochamt. Der Gesang des Priesters stieg zum Gewölbe auf und ballte im weiten Raum, dass es klang wie die Stimme aus einer anderen Welt. Aus etlichen Kehlen respondierten die Landsknechte. Weihrauch stieg auf und schwebte in bläulichen Wolken um die hohen Pfeiler, die sich in der schwärzlichen Dunkelheit wie im Unendlichen verloren.

Als nach beendigtem Hochamt die Scharen ins Freie strömten, war die Nacht schon hereingebrochen. Die Landsknechte verloren sich in den Weinschenken, aus denen bald Gitarrenklang und derbe Lieder schallten. Alle, Deutsche und Spanier, schienen in den letzten Stunden vor der Ausfahrt, die gegen Mitternacht mit aufkommender Flut erfolgen sollte, noch einmal die Freuden europäischer Zivilisation in vollen Zügen genießen zu wollen, die sie nun so lange werden entbehren müssen.

Hans stand wieder einsam und hungrig auf der dunklen Straße, auf die nur da und dort ein Lichtschein aus einer geöffneten Schenkentür fiel. Er suchte in seiner Tasche und fand noch zwei kleine Silbermünzen. Das war sein einziges Vermögen. Für eine der Münzen kaufte er sich bei einem Händler, der seine Ware auf der Straße feilbot, einen Bratfisch, den er sogleich gierig verzehrte. Dann – es war nicht mehr weit bis Mitternacht – schlenderte er wieder zum Fluss. Gespenstisch ragten die Maste der drei Schiffe in den gestirnten Himmel. Schwärzlich hob sich die vom Wind bewegte Welserflagge gegen den helleren Hintergrund ab.

Hans Hauser stand lange und schaute sinnend in das schwarze Wasser, das ruhig dem Meer zuströmte. Dann sagte er plötzlich vor sich hin: »Ja natürlich, ich muss es versuchen. Es wird schon gehen.«

Er wusste, dass es völlig unmöglich war, sich vom Land aus auf eines der Schiffe zu schleichen. Die Schiffstege wurden, soweit sie nicht überhaupt eingezogen waren, scharf bewacht. Wie aber, wenn er versuchte, schwimmend ein Schiff zu erreichen? Rasch entkleidete er sich. Er trug nur ein wollenes Hemd, Wams, Hosen und ein Paar derbe Schuhe, nicht einmal Strümpfe. Alles das schnürte er mit seinem Gürtelriemen zusammen und band sich den Packen auf den Rücken. Dann glitt er lautlos ins Wasser.

Ich muss mich treiben lassen und meine Kräfte schonen, dachte er.

Das Wasser war ziemlich kalt. Die beträchtliche Strömung trieb ihn aber rasch bis an das Welserschiff, das am weitesten stromauf lag. Hans sah deutlich die Wache auf dem Hochdeck stehen. Der Matrose schaute zu der Stadt hin. Sicher kränkte es ihn bitter, dass er nicht mit den anderen Matrosen in einer Schenke zechen und Abschied von Europa feiern konnte. Als aber Hans versuchte, an der glatten Schiffswand hinaufzuklettern, machte das kratzende Geräusch den Wächter sofort aufmerksam.

»Wer ist da?«, rief er in die Nacht, und noch einmal: »Ist wer da?«

Hans Hauser tauchte, ohne Rücksicht darauf, dass dabei die Kleider auf seinem Rücken durch und durch nass wurden, unter Wasser. Der Matrose starrte noch eine Weile in die Dunkelheit, dann ging er wieder auf seinen Posten am Hochdeck zurück.

Aufseufzend sagte sich Hans, dass hier nichts mehr zu hoffen war. Er ließ sich also weitertreiben bis zum nächsten Schiff. Doch so sehr er auch spähte, nirgends konnte er eine Möglichkeit entdecken, an Bord zu kommen. So blieb nur noch das dritte, am weitesten Strom abliegende Schiff, das Admiralschiff, die Trinidad, eine besonders hochbordige Karavelle. Schon wollte Hans verzweifeln an seinem tollen Wagestück, da sah er vom Bugspriet des Schiffes ein Tau niederhängen, das freilich hoch über dem Wasserspiegel endete. Mit seinen letzten Kräften – schon fühlte er, wie die Erschöpfung über ihn kam – schnellte er sich aus dem Wasser. Beim dritten Versuch gelang es ihm, das Ende des Taues zu fassen. Er kletterte empor und saß im nächsten Augenblick rittlings auf dem Bugspriet, auf dem er nun zu dem Schiffsbord rutschte. Gleich darauf fühlte er die Planken der Trinidad unter seinen Füßen.

Da löste sich ein Schatten aus der Dunkelheit. Blitzschnell verkroch Hans sich hinter dem Rettungsboot des Mittelschiffs. Der wachhabende Matrose näherte sich langsamen Schrittes. Ganz nahe bei Hansens Versteck beugte er sich über die Reling und sah lange ins Wasser. Hans klopfte das Herz zum Zerspringen. Endlich ging der Wächter so dicht an Hansens Versteck weiter, dass er ihn hätte berühren können. Als Hans glaubte, dass der Matrose weit genug entfernt sei, um ihn nicht mehr zu hören, huschte er lautlos zu der Ladeluke im Vorderschiff. Sie war offen, aber die Leiter war heraufgezogen. Hans konnte nicht daran denken, sie anzulegen, das hätte zu viel Lärm gemacht.

So schwang er sich in die Luke, hing einen Augenblick mit ausgestreckten Armen am eisernen Rand und ließ sich dann in Gottes Namen fallen. Er fiel tief und hart, alle Knochen taten ihm weh. Mühsam erhob er sich. Es war stockdunkel und dumpfig heiß da unten. Trotzdem zitterte Hans, nackt und nass, wie er war. Ein verdächtiges Knistern und Rascheln regte sich ringsum. Ratten!, dachte Hans und ihn ekelte. Über Kisten und Fässer tastete er sich mühsam weiter. Da, da war etwas Weiches, ein Sack vielleicht mit Mehl oder Hafer. Und da, ein Packtuch schien es zu sein. Völlig erschöpft streckte Hans sich aus und zog sich das Tuch über den Kopf. Ihm war sehr elend zumute und er war nahe daran, seinen tollen und unüberlegten Streich zu bereuen. In seiner Not begann er die Litanei zu allen Heiligen zu beten. Darüber schlief er endlich ein.

Fortsetzung folgt …