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Der Marone – Ein rauer Empfang

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 24

Ein rauer Empfang

Nachdem die junge Kreolin am Eingang verschwunden war, konnte Herbert sich nicht entscheiden, was er tun solle. Um Aufklärung zu haben, bedurfte es nun einer Zusammenkunft mit dem Onkel nicht mehr. Diese neue Geringschätzung hatte seine Überzeugung, dass er hier ein unwillkommener Gast sei, nur bestätigt. Keine Entschuldigung vermochte die bereits erlittene üble Behandlung wieder gut zu machen. Er wollte deshalb sofort ohne ein weiteres Wort davon gehen, allein der über die mannigfachen Beleidigungen empfundene tiefe Schmerz sowie der in ihm erwachende heiße Trieb nach Wiedervergeltung brachten ihn zu dem Entschluss, zu bleiben – jedenfalls bis er seinen Verwandten von Angesicht gesehen und ihm sein grobes Betragen vorgeworfen hatte.

Mit solchen Gedanken verblieb er im Kiosk, da sich seine Geduld nur durch die Aussicht auf die schwache Genugtuung vergrößert hatte.

Er wusste sehr wohl, dass sich sein Onkel schwerlich viel daraus machen werde, was er ihm auch sage, da es unwahrscheinlich war, dass ein solcher Charakter sich irgend ernstlich von einem Vorwurf getroffen fühlen würde. Dennoch vermochte der stolze junge Mann nicht der Versuchung zu widerstehen, seiner trotzigen und unabhängigen Gesinnung Worte zu leihen, da dies die einzige Weise war, wie er die so tief empfundene Kränkung etwas mildern konnte.

Die Laute einer fern durch das Innere des Wohnhauses tönenden Harfe erreichten den Kiosk und schlugen an Herberts Ohr, ohne ihn zu besänftigen. Vielmehr erhöhten sie seine Reizbarkeit, da er sich einbilden konnte, die Musik wolle ihn in seinem Elend noch verhöhnen.

Doch bei weiterem Nachdenken begriff er wohl, dass dies nicht sein könne. Gewiss, diese sanften Töne waren nicht darauf berechnet, ihn hämisch zu quälen. Jetzt erkannte er das Lied, das dem Instrumente wie seiner Lage entsprach. Es war Der irländische Flüchtling.

Nun wurde eine die Harfe begleitende Stimme gehört, eine Frauenstimme, die leicht als die Käthchen Vaughans zu erkennen war.

Er horchte aufmerksam. Zuweilen konnte er die Worte hören. Wie entsprechend seinen eigenen Gedanken!

Trüb’ mein Geschick, sprach herzkrank der Flüchtling,

Der Hirsch und der Wolf nennt das Walddickicht sein,

Doch mich schützt nichts vor Hunger und Sorgen,

denn Heimat und Glück sind nimmermehr mein.

Sollte das Lied nach der Absicht der Sängerin etwa ein Zeichen des Mitgefühls sein? Sicherlich übte es großen Einfluss auf seinen Geist aus, rührte ihn tief und besänftigte ihn in süßer Zärtlichkeit.

Aber nicht sehr lange hielt dies Gefühl an. Als die letzten Töne des Liedes auf dem entfernten Korridor erstorben waren, vereinigten sich die rauen Stimmen des Pflanzers und die seines Gastes zu einem lauten Gelächter – vielleicht ein Spaß über ihn selbst, den armen Flüchtling? Kurz darauf wurde ein schwerer Fußtritt auf dem Pfad gehört, die Tür öffnete sich und Herbert sah, dass es sein Onkel war, der nun endlich Zeit gefunden hatte, ihm die Ehre einer Unterredung zukommen zu lassen.

Obgleich den Augenblick zuvor noch so fröhlich, so waren nun, da er vor seinem Neffen erschien, doch alle Spuren der Fröhlichkeit aus Loftus Vaughans Gesicht verschwunden. Dies, gewöhnlich schon stark gerötet, hatte jetzt von dem Wein, den er getrunken hatte, eine Scharlachfarbe angenommen. Dennoch verkündete eine eigentümliche, noch dunklere Färbung über seinen breiten und starken Brauen den unfreundlichen Empfang, dessen sich sein Verwandter zu gewärtigen habe.

Seine ersten Worte wurden in einem Ton anmaßender Kälte ausgesprochen: »Also Sie sind meines Bruders Sohn, nicht wahr?«

Kein Handreichen dabei, keine willkommene Bewegung, selbst nicht einmal ein Lächeln der Begrüßung.

Herbert unterdrückte seinen Ärger und antwortete einfach:  »Ich glaube es zu sein.«

»Und welche Absicht führt Sie nach Jamaika?«

»Wenn Sie meinen Brief erhalten haben, wie ich wohl annehmen darf, so muss dieser die Frage eigentlich schon beantwortet haben.«

»So, wirklich«, rief Herr Vaughan in barscher Weise aus, doch augenscheinlich durch die unerwartete Weise der Antwort zurückhaltend. »Und was wollen Sie hier anfangen?«

»Weiß ich wirklich nicht zu sagen«, antwortete Herbert mit herausfordernder Miene.

»Haben Sie irgendeinen Beruf?«

»Unglücklicherweise gar keinen.«

»Irgendein Geschäft? Ich vermute, kaum?«

»Ihre Vermutungen sind vollkommen richtig.«

»Dann sagen Sie mir nur, wie wollen Sie Ihr Brot erwerben?«

»Es verdienen, so gut es geht.«

»Oder vielmehr es erbetteln, wie Ihr Vater es Ihnen vorgemacht hat, sein ganzes Leben lang bettelnd und immer von mir.«

»Darin werde ich ihm schwerlich gleichen und Sie werden ganz gewiss der Letzte sein, den ich anbettele, darauf verlassen Sie sich.«

»Teufel, Herr! Sie werden unverschämt! Das sind schöne Reden nach dem Schimpf, den Sie mir bereits angetan haben!«

»Schimpf?«

»Ja, Herr, Schimpf, sage ich. Hierher schon wie ein Bettler zu kommen, als Zwischendeckspassagier! Und dann sich der Verwandtschaft rühmen, damit jedermann weiß, dass Sie mein Neffe sind!«

»Sich der Verwandtschaft rühmen!«, wiederholte Herbert mit verächtlichem Lächeln. »Ha, ha, ha! Sie meinen gewiss meine Antwort auf eine Frage von diesem naseweisen Narren, den Sie so verehren. Sich der Verwandtschaft rühmen! Wahrhaftig, hätte ich Sie damals so gekannt, wie ich Sie jetzt kenne, ich hätte mich geschämt, die Verwandtschaft einzugestehen!«

»Aber Herr«, schrie Herr Vaughan und wurde feuerrot vor Wut, »aber Herr, nun weiter keine Worte mehr, verlassen Sie sofort mein Haus, in dieser Minute!«

»Ich hatte schon einige Minuten zuvor die Absicht, es zu verlassen und blieb einzig nur, um eine Gelegenheit zu haben, Ihnen zu sagen, was ich von Ihnen halte.«

»Was ist das? Was ist das?«

Der zornige Jüngling hatte einige der stärksten nur denkbarsten Ausdrücke auf der Zunge und wollte sie bereits seinem Onkel entgegenschleudern, als er, etwas ausblickend, einen Gegenstand gewahrte, dessen Anblick ihn sofort davon abzustehen bewog. Es war das reizende Gesicht der jungen Kreolin, das durch das halb offene Gitterwerk des gegenüberliegenden Fensters im großen Hause erschien. Sie sah auf ihn und ihren Vater nieder und hörte dem Zwiegespräche mit ängstlicher Spannung zu.

»Es ist ihr Vater«, murmelte Herbert zu sich selbst, »ihretwillen will ich kein Wort mehr sagen.« Und ohne irgendeine Antwort auf die letzte Frage des Onkels zu geben, schritt er aus dem Kiosk und ging davon.

»Halt, Herr!«, rief der Pflanzer, erstaunt über die Wendung, welche die ganze Angelegenheit genommen hatte. »Ein Wort, bevor Sie gehen, – wenn Sie überhaupt gehen wollen.«

Herbert wandte sich um und horchte.

»Ihr Brief benachrichtigt mich, dass Sie ohne Mittel sind. Es soll nimmermehr gesagt werden, dass ein Verwandter von Loftus Vaughan je sein Haus ohne Geld und unversorgt verlassen habe. Hier in dieser Börse sind zwanzig Pfund hiesigen Geldes. Nehmen Sie das, aber unter der Bedingung, dass Sie nichts von dem hier Vorgefallenen sagen, und dass Sie außerdem es für sich behalten, dass Sie Loftus Vaughans Neffe sind.«

Ohne ein Wort zu sagen, nahm Herbert die angebotene Börse, aber im nächsten Augenblick wurde auf dem kiesbestreuten Fußpfad der Klang der Goldstücke gehört – er hatte den Beutel mit dem Geld dem Onkel vor die Füße geworfen.

Dann wandte er sich zu dem vor Verwunderung fast erstarrten Pflanzer, maß ihn mit einem jede Begünstigung verhöhnenden Blicke und ging stolz davon.

Das zornig ihm nachgerufene »Hinweg von hier!« erreichte sein Ohr nicht mehr und blieb vollkommen unbeantwortet, da die Aufmerksamkeit des jungen Mannes bereits anderweitig gefesselt war.