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Sagen- und Märchengestalten – Die wilde Jagd

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Die wilde Jagd

Die Sonne war herabgesunken, über die Spitzen der höchsten Waldbäume zogen die Raben in dichten schwarzen Zügen ihren Nestern zu. Alles ruhte rings umher, die Axt des Holzfällers sowie das Klopfen des Spechtes. Mitten auf einem freien Platz im Wald stand eine bretterne Hütte ohne Fensteröffnungen. Das matte Dämmerlicht schaute durch eine weite, verschließbare Tür hinein, welche der frischen Abendluft ungehindert Zugang bot.

In der Hütte brannte ein Feuer, der Suppenkessel hing darüber und hauchte feine Düfte aus. Rund umher lagerten Holzarbeiter, kräftige Männergestalten. Der alte Weidenjörg trat zu ihnen, und die munteren Burschen empfingen ihn mit Scherz und Lachen.

»Wie steht’s, Vater Jörg«, rief der eine ihn an und wandte sein breites rotes Gesicht zu dem alten Mann hin, »habt Ihr uns auch ordentlich festgemacht?«

»Sicher ist wieder kein Weihwasser da«, unterbrach ihn ein anderer, »ich meine, der ganze Zauber schützt uns nicht, wenn etwas fehlt.«

»Hört«, sagte ein Dritter, »Wie weit habt Ihr den Kreis gemacht? Dass wir nicht etwa darüber hinaustreten, wenn einer von uns die Hütte verlässt.«

Der Weidenjörg antwortete nicht sogleich, er war des Spottes schon gewohnt, ohne darum von seinen Gebräuchen auch nur im geringsten abzulassen. Erst als es ruhiger wurde, und er hoffen durfte, sich vernehmbar zu machen, öffnete er die eingesunkenen Lippen und sprach: »Bin ich auch nicht so alt wie der Böhmerwald, so bin ich doch alt genug, um zu wissen, was auf solcher Stelle nottut, wo des Herzogs Jagd vorübersaust. Jahr aus, Jahr ein. Dankt Gott, dass er euch durch mich vor Schaden behütet, und redet nicht so spöttisch trotzend von dem geweihten Kreis, den ich allabendlich um unsere Hütte ziehe.«

»Aber««, wandte der Erste wieder ein, »seit fast drei Wochen lagern wir jede Nacht auf dieser Stelle und haben noch niemals das Geringste vernommen. So muss ich denken, Ihr fürchtet das wilde Heer ohne Grund, obschon ich weiß, dass es solche Dinge gibt, die man nicht immer erklären kann.«

Der Weidenjörg schüttelte sein graues Haupt. »Wenn Raben und Dohlen wild durcheinander rufen«, sagte er, »dann dringt so manches zu meinen Ohren, was eben so deutlich zu mir redet, als wenn du sprichst: ›Dort kommt der Jörg mit seinen närrischen Schrullen.‹ Mir ist die Vogelsprache so gut bekannt wie der Fall des Laubes oder wie der Stand der Sonne und des Mondes, und ich weiß gewiss, einmal wird mein verspotteter Kreis uns dennoch schützen.«

Die Burschen waren nachdenklich geworden.

Endlich fragte der Erste wieder: »Seid aufrichtig, Vater Jörg, habt Ihr den wilden Jäger einmal in Eurem Leben wirklich gesehen?«

»Gesehen und gehört«, entgegnete der Alte einfach und setzte sich neben den Fragenden auf den Boden der Hütte nieder, denn er war müde, und die Suppenschüssel dampfte bereits inmitten der Männer.

»Ich musste einmal um Mitternacht vom Haff herüber wandern nach Stepenitz. Der Herr Pastor hatte ein krankes Kind, dem ich die Medikamente holen sollte. Wie ich so in Eile auf dem Weg dahin gehe, höre ich es plötzlich vom Sandkrug her herüberziehen mit Hundegebell und Hussaruf. Es kam näher und näher, gerade auf meinen Weg los. Ich wusste nicht, sollte ich links oder rechts dem tobenden Heer ausweichen. Endlich war es mir so nahe, dass ich deutlich einen Reiter im flatternden Mantel erblickte, der auf einem Schimmel an der Spitze des Zuges ritt und mir mit Donnerstimme zurief: ›Mitten in den Weg!‹ Ihr könnt wohl denken, dass ich dem Ruf Folge leistete, und mich eilends auf das Gesicht niederwarf, um nicht geblendet zu werden. Da zog der ganze Tross über mich dahin, die Pferde wieherten, die Peitschen knallten, dazwischen rief es: ›Hoho!‹ und ›Huhu!‹ wie Eulen schreien.«

Der Alte schwieg, er redete offenbar nicht gern vom nächtlichen Spuk, denn es war draußen mittlerweile stockduster geworden, und der Abendwind rauschte durch die Bäume.

Aber der Bursche, dessen Neugier einmal geweckt worden, forschte weiter: »Die Leute fabeln so viel von unserem pommerschen Herzog, dass er in einer schwarzen Kutsche mit sechs Rappen bespannt durch die Luft umfahren soll. Sie sagen, er komme von Rügen, fahre am Meeresstrand entlang, hier am Sandkrug vorüber bis nach Cammin und kehre dann über Wollin nach Rügen zurück.«

»Das ist all’ eins«, entgegnete der Weidenjörg, der seinen bescheidenen Anteil an dem gemeinschaftlichen Mahl verzehrt hatte und nun eifrig an einem Korb flocht. »Den ich gesehen habe, das ist der Wode, der muss jagen bis an den Jüngsten Tag. Davon sagen sie drüben in Mecklenburg. Der Wode tut, wenn er in den Lüften dahergebraust kommt und in sein mächtiges Horn stößt.«

Nun war der Quell eröffnet und jeder entsann sich der Erzählungen, die er als Knabe von Mutter und Großmutter vernommen hatte. Endlich, da die Nacht völlig hereingebrochen war, wurde noch ein tüchtiger Armvoll Reisig ins Feuer geworfen und der alte Jörg, der zum Baumfällen selbst nicht mehr recht tüchtig sein mochte und daher die häuslichen Geschäfte versah, stand auf, um die Tür zu schließen. Einige der Burschen schnarchten bereits auf dem Stroh, tief in ihre wollenen Decken gehüllt. Aber der Alte hielt die Tür in der Hand und lauschte, denn es schien ihm, als rege sich etwas Fremdes im dunklen Wald. Auch die Burschen, welche noch wach waren, horchten dem seltsamen Geräusch, als es näher heranzog, bald hoch oben in den Lüften, bald unten auf der Erde. Einem Irrlicht gleich schwankte ein heller Schatten durch die Bäume, hierhin, dorthin, in immer engeren Kreisen um die Lichtung, wo die Hütte stand. Plötzlich stürzte ein Weib von seltener Schönheit mit langem, flatterndem Haar, nur noch halb bekleidet, durch das Gras der Tür zu. Hinter ihr tobte eine Meute wütender Hunde, und dieser nach ein Schimmelreiter, ganz wie ihn der alte Jörg geschildert hatte. Als das Weib, die Hände flehend erhoben, in die Hütte drang, schloss der alte Jörg mit mächtigem Ruck die schwere Eichentür und versperrte der kläffenden Meute den Eingang, die mit rasendem Geheul den geweihten Kreis umliefen. Als sollte das Häuschen in den Grund der Erde versinken, so bracht ein Unwetter über den Häuptern der erschreckten Holzfäller los. Dazwischen ertönte wie Donnergrollen des Schimmelreiters herrisches Gebot: »Stoßt das Weib hinaus, sonst seid Ihr alle des Todes!«

Durch einen Spalt im Dach blinkte greller Feuerschein, als stehe der ganze Wald in lodernder Glut. Einige der Männer stürzten in übereiltem Schrecken zur Tür, andere wollten dem wilden Jäger mit lautem Zuruf trotzen. Allen aber wehrte die schmächtige Gestalt des Weidenjörg, der mit seinem Leib den Ausgang verteidigte.

»Frau«, rief er endlich dem Weib zu, das in Todesangst in einem Winkel der Hütte kauerte, indem er ihr eine der grobe, wollene Decke zuwirft, »nehmt dies, Eure Blöße zu bedecken und gebt mir, was Ihr von Gewand noch am Leibe tragt. Aber schnell, die Pfosten der Hütte krachen schon von dem wütenden Anprall der wilden Jagd!«

Mit zitternden Händen raffte der Jörg das Stroh von der gemeinsamen Lagerstätte zusammen und band eine Art Wechselbalg daraus, den er mit dem Hemd des Weibes bekleidete. Dann öffnete er die Tür und reichte die auf einen langen Stab gebundene Puppe hinaus:

»Da nehmt, was Euer ist«, rief der kleine Mann so laut er es vermag, »und lasst uns das unsere.«

Mit einem mächtigen Ruck entriss ihm jemand von oben her den Stab samt der Puppe. Eilig schloss er die Tür wieder, und die wilde Jagd tobte hinweg in entgegengesetzter Richtung.

Als der letzte Ruf verhallt war, sahen sich alle nach dem Weibe um. Aber niemandem wollte sie Rede stehen. Nur schwer gelang es dem alten Jörg, ihr die Ruhe zu verschaffen, die der völlig Erschöpften nötig war. Nach und nach suchten die Burschen ihr Lager, es wurde still in der Hütte, das Feuer sank nieder und erlosch allmählich ganz. Als die Sonne aufging und die Schläfer erwachten, war das Weib verschwunden, um den Platz her aber lagen die Fetzen ihres Hemdes, welches das wütende Heer zerrissen hatte. Gar oft konnte man die Wundergeschichte aus dem Mund des alten Jörg hören.

Weshalb jedoch der Wode oder der Teufel, denn dies galt ihm gleich, das Weib gejagt habe, was er ihr zuleide tun wollte, wenn er sie erreichte, darüber bewahrte der alte Mann ein unverbrüchliches Schweigen. Wahrscheinlich wusste er selbst nicht mehr davon, als die begierigen Forscher.

Die erhabenste Gottheit, welche alle deutsche Stämme verehrten, war Wotan, der Alldurchdringende, Allmächtige, der üppiges Wachstum und Gedeihen spendete. Sein Charakter empfing jedoch schon früh eine Beimischung wilder und ungestümer Kraft. Je mehr das Christentum in den deutschen Gebieten an Boden gewann, desto düsterer und teuflischer erschien der alte Heidengott. Sehr früh schon bedeutete Wotan ein Tyrann, Wüterich, und die ältesten unserer schriftlichen Urkunden reden von Wotans, als von Wüetunges Heer. Der Gott waltete über dem Tosen der Schlachten und verlieh seinen erwählten Kriegern den Sieg. Wildes Kämpfen deutete man durch einen Vergleich mit dem Ungestüm Wotans an: »Sie hackten, als ob der Woldan seine Kirchenpforten haut.« Die in der Schlacht Gefallenen kehrten heim zu Wotan und bildeten sein himmlisches Heer, wenn er aus dem Sternenwagen, der zuweilen auch Wotanswagen heißt, durch die Lüfte fuhr. Dass der Gott sich eben so zur Erde niedersenkte, davon zeugen noch heute die Namen mancher Stätten wie Wodenesberg, Wodensholt. Wodesterne hieß eine Pflanze und der Raum zwischen dem Zeigefinger und dem gestreckten Daumen in der menschlichen Hand Woedensspanne. Er war der Gott des Würfelspiels und den Glücklichen, sagte man, läuft das Spiel auf dem Daumen. Noch heute nennt das Volk in Westfalen den Mittwoch Godenstag, nämlich Wotanstag. Um Neujahr, in den heiligen zwölf Nächten, hielten die Götter feierliche Umzüge, durch ihre Nähe den Menschen Heil, den Pflanzen Wachstum und Früchte spendend. Da wurden alle Wasser Wein, alle Bäume Rosmarin! Auch wenn die Götter ein festliches Mahl gehalten hatten, zog Wotan auf dem silberglänzenden Schimmel den Seinen voraus zur fröhlichen Jagd. Ein weiter Mantel umflatterte ihn, der breitkrempige Hut deckte die wilden Augen und das lange Bart- und Haupthaar. Den Gott, der aus nie sich erschöpfender Fülle mit vollen Händen Segen auf die Erde herabstreute, verwandelte der christliche Glaube in eine Ausgeburt der Finsternis, die, sich allmählich vom Erdboden loslösend, wie ein unseliges Gespenst den Luftraum durchtoste. Alle, die eines gewaltsamen Todes starben, nahm der wilde Jäger in sein Gefolge auf. Anderer bemächtigte er sich im Vorüberziehen, wenn sie ihren Mutwillen nicht zu unterdrücken vermochten und den Ruf der Jagenden nachäfften. Auch Weiber und Mädchen, die einen sittenlosen Lebenswandel führten, jagte er und behielt sie. Wenn der Zug aufbrach, machte er zuweilen an der Tür einer gewissen Schmiede Halt. Einige vorwitzige Burschen wollten um jeden Preis erfahren, was in der fest verschlossenen Werkstätte vor sich gehe. Sie erkletterten die Gartenmauer und spähten durch eine Öffnung hinein. Was sie dort erblicken, erfüllte sie mit Entsetzen, der Schmied musste die Füße der mitziehenden Frauen mit glühenden Hufeisen beschlagen, bis ihm der Angstschweiß von der Stirn rann. Als seine Arbeit getan war, reichte der wilde Jäger ihm den geldgefüllten Hut hin, aber der Mann war klug und nahm nicht einen Heller mehr, als ihm nach Recht und Gebrauch zustand. Da lachte der andere und sprach: »Das war dein Glück. Hättest du mehr genommen, so warst du mein!«

Ein Bäuerlein wandelte heimwärts von der Kirmes, die in einem befreundeten Dorf gefeiert worden war, und hatte dabei des Guten etwas zu viel genossen, sodass er bald die äußerste Rechte, bald die äußerste Linie des Waldweges streifte. Wie er so in seinem Taumel vergnügt dahinzog, vernahm er ein gewaltiges Brausen in der Luft, das über seinem Kopf zu sein schien. Er setzte seinen Weg fort, ohne sich daran zu kehren. Nun rief es ihm drohend zu: »Mitten in den Weg, mitten in den Weg!« Der Bauer blieb beim Zickzack, das der Wein ihn gehen hieß.

Und als der laute Zuruf noch einmal erschallte, schrie er ärgerlich dagegen: »Nur steht!« Denn er vermeinte, der andere torkele, und der Weg sei ihm nicht breit genug.

Wie aus den Wolken gefallen, hielt plötzlich vor ihm ein Reiter auf einem Schimmel und versperrt den Weg.

»Bist du so mutig?«, lachte er den Bauer höhnend an, dem vor Schrecken über die Erscheinung der Rausch schnell genug verflog, »dann sollst du Mut und Kraft an mir erweisen!« Dabei hält er ihm das Ende einer riesigen Kette hin. »Fass an, wir wollen uns beide versuchen. Aber halte fest, wenn dir dein Leben lieb ist.« Damit schwang der Reiter sich auf in die Wolken und das Bäuerlein schlang hurtig die Kette um einen nahen Eichenstamm, sodass alles Ziehen und Zerren von oben vergeblich war. Zwei Mal wiederholte sich der Kampf des wilden Jägers mit dem Menschenkind. Freilich vermochte er die Eiche nicht zu entwurzeln. Und ehe er aus der Luft hernieder kehrte, hatte der entschlossene Bauer die Schlinge wieder gelöst und hielt das Ende der Kette in seinen Händen. Beim dritten Mal krachte zwar der Riesenstamm in seinen Wurzeln, aber er hielt fest und Wotan freute sich des starken Mannes. »Du bist ein wackerer Kämpe!«, rief er von oben, »Viele hab’ ich erlangt mit diesem Stück, Du bist der Erste, der mir widersteht. Das werde ich Dir lohnen!« Mit wildem Hallo brauste er davon, hinter ihm das luftige Heer.

Der Bauer machte lange Beine, so gut es gehen wollte, in der Hoffnung, dass der Schimmelreiter ihn nicht mehr einholen würde, aber er irrte sich. Nach kurzer Frist vernahm er von Neuem gewaltiges Brausen über sich, ein gehetzter Hirsch stürzte halb tot aus der Luft herab, gerade vor die Füße des erschreckten Mannes. Wotan folgte ihm, saß vom Schimmel ab und zerlegte hurtig das Wild mit seinem Waidmesser.

»Hier nimm!«, rief er dem Bauer zu und warf ihm ein ganzes Hinterviertel hin.

Die Gabe auszuschlagen war gefährlich. Der Mann entschuldigte sich bescheiden, dass er weder Sack noch Korb bei sich trage, um das Wild hineinzutun.

»Zieh den Stiefel aus!«, herrschte der Jäger den Zaudernden an und, als dies geschah, füllte er den Stiefel mit Blut und warf dem Bauer das Hinterstück auf die Schulter. Die Angst verlieh dem Beschenkten ungeahnte Kräfte, er wanderte mit Dank und Gruß von dannen, seiner Heimat zu, ob die Last gleich bei jedem Schritt, den er vorwärts tat, an Schwere zunahm. Halb tot vor Erschöpfung und in Schweiß gebadet, gelangte er endlich bei den Seinen an. Als er die Last von der Schulter herab nahm, da war der Stiefel voll Gold und das Hinterstück ein lederner Beutel mit Silbergeld.

Wer von der wilden Jagd ereilt wurde, trug nicht selten einen Schaden am Leib davon, den er ein ganzes Jahr lang behalten musste, bis der lustige Zug desselben Wegs kam und ihm die Plage wieder abnahm. Ein allzu dreister Senner lugte durch eine Spalte seiner Hütte, um den Tross mit Muße zu beschauen.

Da rief der Vorderste einem der Nachfolgenden zu: »Du, mach dem die Fenster zu!«

Und alsobald erblindete der Mann.

Genau zwölf Monden später brauste die wilde Jagd wieder an der Sennhütte dahin, und der Führer sprach: »Heut vor einem Jahr habe ich hier zwei Fensterlein zugemacht, die sollen wieder offen stehen.«

Da fiel es dem Senner wie eine Decke von den Augen, dass er wieder sehend wurde.

Selten zeigte Wotan sich zur Milde geneigt, wenn seinem Zuruf nicht Folge geleistet wurde. Es gewährte ihm sichtlich Freude, die Widersetzlichkeit mit harter Strafe zu ahnden. Nur wo die Beleidigung nicht absichtlich geschah, wie bei dem trunkenen Bauer, zeigte er sich mehr in gutmütiger Rauheit. Einem Mann, den die wilde Jagd zu Boden stieß, weil er lahm war und nicht rasch genug mitten in den Weg treten konnte, rief eine Stimme aus der Luft herab zu: »Wer beschädigt wird, der binde sich mit rotem Garn!« Die rote Farbe war dem alten Donnergott der Germanen, dem Donar, heilig und galt im Volksglauben als eine Art Heilmittel. Ein roter Faden, um den kleinen Finger gebunden, stillte das Nasenbluten, ein rotes, wollenes Tuch oder Band vertrieb Entzündungen des Halses.

Äußerst mannigfaltig sind die Namen, welche die Sage dem wilden Jäger verleiht, lassen sie sich alle auf den Heidengott zurückführen, den die christliche Anschauung dem Teufel gleichstellt. Das Volk war nicht so bereit, den ihm lieb und vertraut Gewordenen ohne Weiteres der Hölle zu überlassen, indem es das eigentliche Wesen, die Eigenschaften und Taten des Gottes, von seinem Namen allgemach ablöste und auf bekannte Helden und Heilige übertrug. In den Sagen von Karl dem Großen, Barbarossa, Kaiser Karl V. und anderen finden sich mancherlei Momente, die an den alten Wotanglauben erinnern. Tyrannische Fürsten strafte Gott dadurch, dass er sie nach ihrem Tod ewig jagen hieß, sich selbst zur Unlust, anderen zuleid. Vor vielen, vielen Jahren drückte ein Herzog von Sachsen das Landvolk mit grausamer Härte. Seine Hirsche und Rehe weideten den Bauern die Saaten ab, der Jagdzug zerstampfte Feld und Flur und die Armen mussten bei der bittersten Kälte in ihren leicht gebauten Hütten frieren, da es bei Leibesstrafe verboten war, einen Baum im Wald zu fällen.

»Die Menschen kann ich entbehren«, pflegte der hohe Herr zu sagen, »das Wild nicht, und ich gäbe gern das Himmelreich um das Vergnügen, jagen zu dürfen bis in alle Ewigkeit.«

Das wurde ihm gewährt. Ein Bauer hatte sich erdreistet, die Hirsche, welche nächtlicher Weile ihm die kümmerlich gehegte Saat verwüsteten, mit seiner Armbrust zu vertreiben. Da ließ der Herzog ihn fangen und auf den Rücken eines Hirsches binden, der den Ärmsten in wildem Lauf durch Busch und Dornen trug, bis er irgendwo ein jammervolles Ende fand.

Ein Hirtenbube schnitt sich zur Schalmei eine Weidenrute, von der er die grüne Rinde schälte. Ihm wurde der Leib aufgeschnitten und die Eingeweide um den Baum geschlungen, von dem die Rute genommen war. Wenige Tage nachher scheute des Herzogs Ross auf der Jagd vor einem gespenstischen Mann und rannte gegen eine mächtige Buche an. Der Reiter fiel herab und brach sich den Hals. Seitdem tobt er auf einem weißen Funken sprühenden Tier durch die Wälder, von einer furchtbaren Meute gefolgt und lässt weithin sein »Wod! Wod! Hoho, hallo!« erschallen. Der wilde Reiter scheut gebahnte Wege, er sucht die öde Heide, den dichtesten Wald. Trifft er aber unversehens einen Kreuzweg an, so stürzt das Ross unter ihm zusammen und vermag erst jenseits des Weges wieder auf die Beine zu kommen.

Diese unheimlichen Jäger verfolgen alles, was böse ist: Hexen, Diebe, Mörder und Wegelagerer. Zuweilen reiten sie auf einem schwarzen kopflosen Ross, das Gesicht in den Nacken gedreht, Hetzpeitsche und Jagdhorn in den Händen, hinter ihnen ein unabsehbarer Tross Weiber, Männer und Hunde. In seltenen Fällen nur macht der wilde Jäger als ein riesengroßer, grau gekleideter Mann seine schreckenerregende Runde zu Fuß, der am Tag zwischen den Felsen wohnt. Der böse Ritter Tils sitzt in der Tiefe des Sees, in den seine Burg versank, weil er der Feiertage nicht achtete und am Christfest ein Wild erlegte, Gott zum Trotz. Er ist steinalt und grau, sein Bart reicht hinab bis zu den Füßen und ist durch den steinernen Tisch gewachsen, auf den er die müden Arme stützt. Das rastlose Umherziehen macht ihn zu einem Weltjäger und gab zu mancherlei Vermischungen Veranlassung. In Schwaben erzählt eine Sage, der Weltjäger habe unseren Herrn, als ihn dürstete, von dem Fluss verjagt, zu dessen Wasser er sich niederbeugte, und ihm voll frechen Übermutes zugerufen: »Was in den Trappen der Pferde sich gesammelt, sei gut für ihn!« Deshalb findet der Weltjäger so wenig Ruhe und Rast wie der ewig Wandernde.

Die Namen des wilden Jägers sind unendlich verschieden, je nach den Orten, an denen er haust. Im Meißner Kreis geht Hans Jageteufel ohne Kopf um. Auf Hildesheimer Gebiet zieht der Helljäger durch die Luft und wirft den Burschen in einem Dorf, die mit ihren Hunden seinen Jagdlärm vermehren wollen, ein stinkendes Pferdebein herunter, als er im Münsterland den allzu kecken Schneider mit einem Pferdehuf vom Tisch stößt und ihm dabei zuruft: »Willst du mit mir jagen, sollst du auch mit mir knagen!« Der westpreußische wilde Jäger aus dem Bullerberg warf in der Bartholomäusnacht dem Oberförster ein Menschenbein in den offenen Wagen und schrie dazu: »Da hast du auch etwas von unserer Jagd!« Bei dem Dorf Singen im Badischen treibt der Junker Marten sein Wesen. Der Buchjäger tritt hinter einer breitstämmigen Buche hervor, wie der Spatzentannjäger nach einer Tanne heißt. Unter allen der Bedeutsamste ist Hackelberg, auch Hackelberend, Hackelblock genannt. Dieser entheiligte den Sonntag und muss zur Sühne bei Tag und bei Nacht durch die Wälder jagen. Nach anderen Überlieferungen ist er nur in den Luftkreis gebannt, wo er von Weihnachten bis zum Dreikönigstag tobt, wenn der Sturmwind heult. Auf einem seiner Umzüge ließ Hackelberg seinen Hund in einer Scheune zurück. Das Tier nahm weder Speise noch Trank zu sich, es lag still und unbeweglich. Schaffte man es hinaus, so kehrte er stets auf unbegreifliche Weise wieder zurück. Als jedoch der wilde Jäger im folgenden Jahr um dieselbe Zeit wiederkehrte, sprang der Hund auf und eilte bellend der Meute nach.

Eine niedersächsische Sage meldet, dass Hans von Hackelberg im Jahre 1521 als Oberjägermeister des Herzogs von Braunschweig gestorben sei. Drei Stunden von Goslar, im Garten des Klapperkrugwirtes, liegt sein Grabstein. Der Tod dieses mächtigen Mannes geschah, der Überlieferung nach, auf eine wunderbare Weise. Als er nachts auf seinem Lager ruhte, quälte ihn ein böser Traum. Es schien ihm, als zöge er in gewohnter Weise aus zur Jagd. Da fiel ihn im dichten Forst ein grimmiger Eber an, dem er sich wacker kämpfend entgegenwarf. Allein nach langer Gegenwehr musste er unterliegen und blieb auf dem Platz, von des Ebers Zahn zum Tod getroffen. Der Traum erfüllte sich nur zu bald. Hackelberg traf auf einen wütenden Eber. Nach hartem Kampf gelang es ihm zwar, das Untier zu erlegen, doch in der Siegesfreude stieß er mit dem Fuß nach dem besiegten Feind und rief: »Haue nun, wenn du kannst.« Von dem heftigen Stoß drang des Ebers Zahn durch den Stiefel in das Fleisch, Hackelberg achtete der Wunde nicht, bis das Bein unförmlich zu schwellen begann und der Brand zuschlug. Auf dem Todesbett ermahnte ihn der Prediger zu Buße und Gebet. Davon wollte der rohe Waidgeselle aber nichts hören und antwortete: »Wenn mir nur die Jagd bliebe, möchte unser Herrgott schon seinen Himmel behalten!«

Da wandte sich der fromme Mann entsetzt von dem verstockten Sünder und rief: »So jage denn bis an den Jüngsten Tag!«

Nun durchstreift er den Harz und den Thüringer Wald, am häufigsten jagt er im Hackel, einem Wald zwischen Halberstadt, Gröningen und Derenburg. Wer in der Luft ein Kläffen hört, weiß, dass der Hackelberg naht. Seinem Zug voraus flattert die Tutursel, der Geist einer Nonne, die sich ihm freiwillig zugesellte. Es ist gut, sich beim Nahen des spukhaften Zuges auf das Angesicht niederzuwerfen, damit er dem Wanderer kein Leid antue.

In Hannover nennen die Leute den Hackelberg auch Herodes und ein altes Mütterchen erzählt: »In dem Zwölften jagt Rods oder Herodes mit seinen Hunden und man muss alle Türen fest verschließen, sobald die Sonne untergegangen ist, sonst tobt er durch das Haus und lässt einen seiner Hunde zurück.« Das geschah einmal zu Kirchdorf, in des Bauern Plate Haus. Der Hund war so groß wie ein tüchtiger Kettenhund, grau von Farbe und fraß nichts als Flugasche, die ihm sehr gut bekam. Über ein Jahr in den Zwölften ist Herodes wieder gekommen und rief an der Tür: »Alke, willst du mit?« Da sprang der Hund auf und zog mit der wilden Jagd davon.

In einem anderen Haus, wo gleichfalls ein solcher Hund eingekehrt war, sprach die mitleidige Frau zu ihrem Mann, als der erste unangenehme Schreck über das seltsame Geschenk des wilden Jägers sich gelegt hatte: »Das Tier ist nun einmal da und muss gefüttert werden.« Sie setzte ihm dabei einen Teller voll Speise hin und hoffte, dass er gierig darüber herfallen würde. Aber der Hund rührte nichts an. Der Mann ließ es aufheben bis zum Abend, als alle im Haus zur Ruhe gegangen waren, und setzte das Essen dem Tier hin. Am nächsten Morgen war die Schüssel geleert. So ging es Tag für Tag, bis nach Verlauf eines Jahres die Zwölften wieder herannahten. Da begann der Hund unruhig zu werden, und eines Abends trat Herodes als großer stattlicher Jägersmann unter die Tür und sprach: »Weil Ihr meinen Hund gepflegt und kein böses Wort dazu geredet habt, will ich es Euch danken.« Er lockte darauf den Alke mit lautem Zuruf und ging davon. In dem Bauerhof aber waltete das nächste Jahr hindurch sichtbarer Segen über Stall und Scheunen.

Die Sage berichtet nicht nur von gewöhnlicher irdischer Speise, welche die Tiere des wilden Jägers genießen, sondern lässt ihn auch zuweilen lebendige, wirkliche Hunde und Pferde ihren Besitzern entreißen, denn sein gespenstisches Geleit vermag dem Menschen selbst nichts anzuhaben. Solche Tiere kehrten nur äußerst selten ungeschädigt wieder. Andere Orte bewahren Überlieferungen von der wilden Jagd, wie sie jedes Mal an einer bestimmten Stelle anzuhalten pflegte, um die Tiere zu füttern.

An einem Brunnen tränkt Hackelberg sein Ross, auf einer Wiese lässt er es grasen. Dieselbe Sage erhielt sich vom Breithut, von dem Schimmelreiter, dem Rodensteiner und anderen, denn wenn auch der Name wechselt, die Art und Natur des wilden Jägers bleibt stets dieselbe.

Der Hackelberg war es auch, der seine Bauern in unersättlicher Jagdlust selbst am heiligen Sonntag auf Feld und Flur umhertrieb, ihm das Wild zuzujagen. Da erschienen einst zwei Reiter an seiner Seite, der eine mit mildem Wort ihn abmahnend von dem Frevel, der andere grimmig daherbrausend auf Funken sprühendem Ross. Dem Wilden fühlte Hackelberg sich zugeneigt, sprengte mit ihm davon zum lustigen Waidwerk und muss dafür nun ewig mit ihm jagen. In der Altmark tobt er nächtlich mit Pferden und Hunden vom Harz herab nach dem Dränling. Andere sagen, der alte Herr sei bei Lebzeiten ein frommer Mann gewesen, nur dem edlen Waidwerk sei sein Herz mit allzu großer Zärtlichkeit zugetan gewesen. Da er oft im Wald gesagt hatte »Gott möge für seinen Anteil am Himmelreich ihn lieber im Sölling jagen lassen bis in alle Ewigkeiten« wurde ihm der vermessene Wunsch gewährt.

Einst ging eine arme Dienstmagd nachts von einem Dorf zum anderen, auf Befehl ihrer Herrin einen geliehenen Kessel zurückzutragen. Da ereilte sie die wilde Jagd und sie warf sich auf die Erde, den Kessel wie zum Schutz über sich ziehend. Die Hunde umkreisten sie mit wütendem Gebell, endlich erschien auch Hackelberg und fragte, was sie hier zu suchen habe, allein und mitten in der Nacht.

Das Mädchen berichtete zitternd.

»Hast du das tun müssen«, forschte er mit drohender Stimme, »oder bist du freiwillig einen so bedenklichen Weg gegangen?«

»Ich musste wohl«, entgegnete die Dirne schluchzend, »am Tage ist nicht Zeit über Land zu gehen, denn die Arbeit drängt«

»Das war Dein Glück!«, rief kurz der Alte, lockte seine Hunde und tobte auf und davon.

Wer dem Nachtjäger zu antworten versteht, den entlässt er ungeschädigt. So erging es dem trunkenen Bauer, der mit Wod die Kette zog, so der kecken Jungfrau, die, mit ihren Gefährtinnen durch den Wald heimkehrend, das Gebell und den Jagdruf des wilden Heeren über sich vernimmt. In jugendlichem Übermut ruft sie ihm nach: »Huhu! Kliff, klaff!«

Wie vom Himmel gefallen, steht plötzlich der gestrenge Herr vor der Erschrockenen und donnert sie an, was ihr Begehr sei, da sie ihm zugerufen?

Aber die Dirne fasst Mut, tritt ganz zutraulich einen Schritt näher an den Furchtbaren heran und sagt: »Wir haben uns verirrt und hungern. Da ich weiß, dass du gern und willig gibst, so hab’ ich dich gerufen. Schenke uns Brot, Salz und Schmalz, dann wollen wir dir danken und eine glückliche Reife wünschen.«

Einen Augenblick schien es, als werde der zornige Hackelberg die kleine Lügnerin zerreißen. Wie sie ihm aber dreist in das wilde Antlitz schaut und, der inneren Angst zum Trotz, ein Schelmenlächeln um die Grübchen in den Wangen und um die kleinen, frischen Lippen spielt, lacht der Jäger hell auf und ruft »Nun, für diesmal soll es dir geschenkt sein!«, drückt seinem Pferd die Sporen in die Weichen und jagt hinweg. Vor den Erstaunten brannte ein lustiges Feuer und ein Kessel mit Brotsuppe kochte darüber.

Nicht gerade großmütig zeigte sich das wilde Heer gegen den Fährmann zu Winterhausen. Diesen weckte aus tiefem Schlummer ein vielstimmiger Ruf, von dem anderen Ufer des Flusses herübertönend. Eilig löste er sein größtes Fahrzeug vom Ufer ab und ruderte hinüber. Niemand war zu sehen, doch an dem Stimmengewirr, vermischt mit Rossgewieher, Hundebellen und Hörnerklang, konnte er entnehmen, dass eine große Menge versammelt sei. Es drängte sich in die Fähre mit Menschentritt und Rosshuf, bis des Kahnes Bord fast mit dem Wasser gleich stand. Zagend ergriff der Schiffer die Ruder, denn jede unvorsichtige Bewegung konnte dem schwer belasteten Fahrzeug den Untergang bringen. Dennoch gelangte er glücklich ans Ufer. Was die Unsichtbaren auf dem Wasser miteinander geredet, hatte er nicht verstanden.

Eine raue Stimme fragte ihn ganz deutlich: »Was sind wir schuldig?«

»Nichts«, erwiderte der Fährmann, dem es längst vor der unheimlichen Gesellschaft graute. »Das ist dein Glück«, lachte der Fragende auf, »hättest du das Mindeste gefordert, so wärst du von uns mitgenommen worden.«

Das wilde Heer verschwand, jeder Laut war sofort verhallt. Bebend vor Frost und Angst suchte der Mann sein Lager auf, um die erstarrten Glieder zu wärmen. Als er am nächsten Morgen erwachte, hing eine Pferdekeule an dem Pfosten seines Bettes. Das war der Lohn für seine Mühe.

Wo der wilde Geist des Umziehenden sich schärfer ausprägte, fehlte es nicht an einer Beimischung rauen Humors. Denen, die ihm nachäffen, wirft er ein verwesendes Bein oder ein Menschenviertel herab, dass manche auf der Stelle den Tod vor Schreck fanden. Eine Magd schaute nachts, schon entkleidet, zum Fenster hinaus, eine andere lag daneben im Bett. Da zog die wilde Jagd in der Luft dahin und die Jäger bliesen ein so schönes Stück auf ihren Hörnern, dass das Mädchen am Fenster sehnsüchtig hinaufrief: »Wenn ich geschürzt und gegürtet wäre, ginge ich mit!«

Im Nu standen zwei wild aussehende Gesellen neben ihr, der eine band ihr die Schürze, der andere den Gürtel um und so fuhren sie mit ihr davon. Niemals hat jemand wieder etwas von ihr gesehen oder gehört.

In Tirol heißt die wilde Jagd auch die Temper und zeigt sich besonders in den Quatemberzeiten. Einst kam ein kleiner Mann in den Hof eines Bauern und bettelte um Nachtherberge. Da sagten sie ihm, im Haus sei nicht Platz für ihn und in der Scheuer könne er nicht bleiben, denn dort ziehe nachts die Temper durch. Der Mann ließ sich aber nicht zurückschrecken, und da er eben keinen besseren Platz erhalten konnte, so blieb er in der Scheune. Es dauerte nicht gar lange, so kam das wilde Jagen an und einer aus dem Zug rief dem Knecht, der durch das Fenstergitter schaute, zu: »Willst du mit?«

Der Knecht antwortete mit einem groben Scherz, da schrie der unten ihn lachend an: »Wenn du nur nicht hinter dem Kreuzeisen ständest!«

Damit tobte die unheimliche Horde davon. Am hellen Morgen hing ein Viertel des Fremden an der Haustür, drei Viertel lagen zerrissen in der Scheuer, denn es war ein Moosmännlein und über diese hat die wilde Jagd Gewalt.

Wo der Rodensteiner nächtlich mit seinem Wagen vom Berg herunterjagt, überall wo seine Wagenspur sich zeigt, schwellen die Ähren der Fruchtfelder in üppigstem Gedeihen. Zu Grumbach, vor dem Haus des Schmieds, pflegte der wilde Jäger seine Rosse beschlagen zu lassen, dann ging der Zug weiter über Ober-Kainsbach durch eine Scheune, deren Tor zu bestimmten Zeiten weit geöffnet bleiben musste, weil sonst die Türflügel von den Anstürmenden völlig zertrümmert wurden. Wo in einem Haus zwei, auch drei Türen in einer Linie waren, brauste das wilde Heer hindurch, an manchen Orten den Leuten dicht an der Lagerstätte vorüber. Solch’ ein Haus wurde schon, wenn es noch im Bau begriffen war, von den Geistern gestört. Es wird von einem Gebäude erzählt, dass es sechszehn Mal von Neuem aufgerichtet werden musste, weil es dem wilden Jagen hindernd im Weg stand. Dann erst hielten die Steine zusammen, aber um das Haus sauste zu allen Tages- und Jahreszeiten ein heftiger Wind und die inneren Räume wurden beständig von unruhigen Geistern heimgesucht. Ähnlich lautet eine Sage aus Litauen. In der Stadt Ragnit hatte ein fremder Mann den Bauplatz zu einem Haus gekauft, auf dem er ein schönes und festes Wohngebäude errichten ließ. Da brach in einer Nacht ein furchtbarer Sturmwind los und das neue Haus stürzte ein. Seltsamerweise verschonte er jedoch die baufälligen Lehmhütten, welche unweit des Platzes standen. Der Fremde erbaute hierauf mit großen Kosten ein neues und noch festeres Haus, aber auch dies zerstörte ein Sturm, sobald es fertig war. Ein alter Mann gab ihm darauf den Rat, sich nach einer anderen Seite hin anzusiedeln, denn an der Stelle, welche er sich zum Hausbau ausgesucht hatte, wollten und müssten die Geister vorüber, wenn sie vom litauischen Friedhof zum deutschen und umgekehrt zögen.

Wem das Glück hold war, dass er in der Nähe des Rodensteins dem wilden Jäger begegnete, den lud er ein, mit ihm in die Burg zu treten, deren verfallene Mauern sich wie durch Zauber im alten Glanz aufrichteten. Da sah er denn an langen Tafeln eine Menge Ritter in altertümlicher Tracht und Rüstung von kostbarem Geschirr schmausen, aus silbernen und goldenen Bechern funkelnden Wein einander zutrinken. Dann wurde plötzlich das Gelage aufgehoben und die edlen Herren stürmten in den Burghof hinab, wo zahlreiche Jäger, Pferde und Hunde ihrer harrten, mit denen sie zur brausenden Fahrt ausritten. So tafelte im Weinberg der Schlippenbach mit seiner wilden Jagd und ein Bauer, den sie unterwegs mitgenommen hatten, sah dem Waidmannsfest zu. Ihm reichte der wilde Jäger eine ganze gebratene Ochsenkeule mit den Worten hin: »Hast du mit helfen spielen, musst du mit helfen essen.«

In der Küche eines Bauern kehrte der Rodensteiner in bestimmten Nächten ein. Die Leute vernahmen deutlich, wie das Essen zugerichtet, Feuer angezündet, der Kessel über den Herd gehängt und dann gespeist wurde. Am Morgen aber, wenn sie aus dem Schlaf erwachten, war jede Spur des nächtlichen Spuks verschwunden. Bisweilen holte der wilde Zug sich wohl auch ein Tier aus dem Stall, das geschlachtet, gebraten und verzehrt wurde. Dann breiteten sie die Haut aus, legten die aufbewahrten Knochen hinein und peitschten so lange, bis das Tier wieder völlig hergestellt an seinem Ort im Stall sich fand. Diese wiederbelebende Kraft gebührte ursprünglich nur den Göttern, welche dieselbe übten, wenn sie ihren Wirten die Zehrung vergüten wollten.

Als der Rodensteiner von seiner Burg in das Land hinauszog, des Waidwerks auch noch nach dem Tod zu pflegen, so jagte der Alte im Schönert, einem weiten schönen Wald, unweit des Klosters Branbach. Dort stand das Schlösslein, darinnen der Alte vom Berge, dessen finsterem wilden Gesicht ein jeder gern aus dem Weg ging, einst gehaust hatte. Wenn er nicht im Schönert umherzog, fuhr er in seinem Wagen gen Würzburg. Die sechs Füchse, die davor gespannt waren, stürmten wie ein Unwetter über Stock und Stein, bergauf und bergab, dass die Funken stoben. Wer ihn fahren sah, blieb, sich bekreuzigend, stehen, denn es schien kaum möglich, dass die wütenden Tiere den Wagen nicht um und um stürzen sollten. Wann der Alte gestorben war, wusste niemand recht genau, denn man sah ihn nach wie vor den Schönert durchziehen. Wie die Menschen ihn scheuten, so mied er auch sie, ebenso alle gebahnten Wege.

Von Wangen über Tettnang nach Mariabrunn fährt der ewige Fuhrmann. Das ist der Junker von der Rochenburg, zwei feurige Rosse ziehen den Wagen, zuweilen sind es vier, auch sechs Schimmel oder Rappen, die wie der Blitz über den kahlen Heideboden oder durch die Luft dahinjagen. Bisweilen sitzen zwei Gefährten in dem Geisterwagen und dann lehnt sich die Sage an den Mythos vom göttlichen Umzug Wotans und Donars, des Gottes, der in den Wolken thront und Blitze schleudert, sein Mantel ist rot, und wie triefendes Feuer wehen ihm Bart- und Haupthaar. Wenn in Schweden Pferdewiehern und Wagengerassel durch die Nachtluft herabschallen, sagt man »Odin fährt vorbei!«

Odin und Wotan sind eins. Ursprünglich war der Wagen dieses Gottes aus Gold und in bestimmten Nächten durchfuhr er in demselben das Land. Wer ihm nahte, wurde durch unsichtbare Schrecken zurückgehalten. Je weiter die göttliche Gestalt des Fahrenden in den Hintergrund gedrängt wurde, verlor auch der Wagen an seiner leuchtenden Schöne, man dachte ihn sich später silbern, dann glühend und endlich schwarz.

Wehe dem, der in Altona dem General Steenbock in seiner Geisterkutsche begegnete. Er erblindete, wie die älteste Sage berichtet, oder ihn traf sonstiges Unheil. Der Rodensteiner fährt bei Nacht seine Schätze zum Schnellerts, um sie dort zu bergen. Am Rhein jagt der blecherne Jäger vom Asberg zur Löwenburg, er trägt einen eisernen Rock, einen eben solchen Hut, ein Gewehr auf der Schulter und führt zwei Hunde am Leitseil mit sich. Wenn er pfeifend durch die Büsche geht, rauscht sein Gewand auf eine unerträgliche Weise, doch tut er keinem etwas Böses und es scheint, als sähe er die Wanderer nicht, die ihm begegnen. Von der Löwenburg wandert er in ein Tal hinunter, wo er seinen Schatz in goldener Kiste hütet, und sieht nach, ob der Kasten sich an der gewohnten Stelle befindet. Dann tut die Erde sich auf wie ein frisch gegrabenes Grab, der blecherne Jäger legt sich hinein, die Öffnung schließt sich über ihm, und er darf ruhen bis zum anderen Morgen, an dem er sein ewiges Tagewerk von Neuem beginnt. Er ist an den Asberg gebannt, zwei Mönche brachten ihn über den Rhein und man sah es deutlich an dem Schwanken und Neigen der Fähre, wie an den Schweißtropfen, die den frommen Männern von der Stirn perlten, wie schwer es hielt, den Unhold über die Flut zu schaffen.

Der wilde Jäger, mag er nun Wotan selbst, der Hackelberg oder ein anderer sein, liebt es, Menschen, denen er begegnet, auf sein Ross oder in seinen Wagen zu nehmen und eine Strecke weit hinweg zu führen. Bei Heidelberg geht ein riesiger Schimmelreiter um. Dieser ergriff einst einen Wanderer und hob ihn auf sein Tier. Ängstlich fasste der Mann nach dem Mantel des gespenstigen Reiters, um sich daran fest zu klammern, doch dieser war verschwunden und der Schimmel jagte durch die Luft davon, bis er den Wandersmann dicht vor der Stadt unverletzt zur Erde warf. Wirklichen Schaden nehmen diese Entführten meist nicht, der wilde Jäger lässt es bei dem bloßen Schrecken bewenden.

Herzog Hans Adolf von Ploen fuhr oft genug durch die Luft, denn er verstand sich auf allerlei Zauber und siegte in allen Fehden. Einst blieb während einer nächtlichen Fahrt dem Kutscher die Peitsche an einem Strauch hängen und der Herzog wies ihm bei Tag mit Lachen die Wetterfahne auf der Kirchturmspitze, um die sich die Peitschenschnur geschlungen hatte. Der General von Luxemburg hatte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen und fuhr stets über eine Luftbrücke, die der Böse im Nu erstehen ließ. Fast in allen neueren Sagen entlässt der höllische Geist willig die in seinen Wagen Aufgenommenen, wenn sie in Herzensangst ein Gebet sprechen, oder den Namen Gottes anrufen. Nicht selten verwandelte sich der schwarze Wagen während der Fahrt in einen feurigen und nahm seinen Weg zur Hölle. In der Mark wie in Schlesien gilt in manchen Sagen die Erscheinung eines schwarzen Wagens als sicheres Anzeichen eines nahen Todesfalls. Halb dem Märchen entlehnt ist das Sprichwort »Wer sich den goldenen Wagen wünscht, erhält wenigstens ein Rad davon.« Alte Weiblein wissen noch von dem schweren Wagen zu erzählen, wie er durch die Luft dahergebraust kam mit furchtbarem Peitschenknall. Darin saß der wilde Jäger, der bald hier, bald dort über einem Haus anzuhalten pflegte und wie der Geld- oder Korndrache den Bewohnern Hab und Gut vermehrte. Den schweren oder schwarzen Wagen zogen kopflose Rosse und darin saßen Geister ohne Kopf. Einmal fuhr der höllische Fuhrmann in Nieder-Östereich ganz plötzlich zwischen zwei beladene Wagen, die in der Nacht auf der Landstraße daherkamen, und sperrte ihnen auf diese Weise das Weiterfahren ab. Einer der Wagenknechte wartete ein Weilchen geduldig, dass der Fremde den Weg, auf dem er gekommen war, weiter verfolgen möchte. Als er diesen aber keine Anstalt dazu machen sah, rief er ihm ärgerlich zu, auf die Seite zu fahren und ihm Platz zu machen. Da sagte der Mann mit jener näselnden Stimme, die den Höllenbewohnern besonders eigen sein soll: »Was? Auf die Seite fahren soll ich?« Er ließ hierauf den Knecht vorüber, blieb aber eine Strecke lang so dicht hinter ihm, dass dem die Haut zu schaudern begann. Auf dem Weg stand ein Kreuz, und als sie bis dorthin gelangt waren, verschwand der Fuhrmann eben so schnell wie er gekommen.

Wie das schwarze Pferd dem Teufel und das rote, feurige dem Donnergott eigen ist, so verbindet die Sage Wotan mit dem weißen, leuchtenden Ross, dessen Erscheinung diejenige des Gottes selbst überlebt. Wo der Schimmel sich zeigt, pflegte sonst der wilde Zug dahin zu stürmen, spurlos, ohne ein sichtbares Zeichen seiner Fahrt auf den Wegen oder im Korn zurückzulassen. Nur heilige, den Kirchenbauten geweihte, oder durch eine göttliche Fügung dazu bestimmte Orte umkreiste ein silberweißer Schimmel bei Nacht, sodass man früh Morgens im Gras noch den Umriss klar erblickte.

Stete Begleiter des wilden Jägers sind die Hunde. Wie dem Hackelberg sein getreuer Alke beigegeben ist, folgen zu Sundewitt dem Nachtgeist drei Hunde mit feurigen Augen und glühenden, weit herausgestreckten Zungen. Auch König Abel, der seinen Bruder ermorden ließ und darauf selbst im Grab nicht Ruhe fand, wird von Feuer sprühenden Hunden geleitet. Er ging als Vampir um und seine Leiche musste wieder ausgegraben werden. Man durchbohrte ihm das Herz mit einem spitzen Pfahl und versenkte den Sarg an einer tiefen Stelle in die Flut. Nun zeigt er sich nicht mehr auf dem Erdboden, er schwebt in der Luft umher, und nur seine zehn weißen Hunde jagen kläffend durch Wald und Moos. Des Helljägers Tier frisst glühende Kohlen. Schenkte er jemandem ein Ross, was öfter der Fall war, so musste es mit Dornen und Feuer genährt werden. Einem anderen folgen Zwerghündlein nach, die auf der Schwanzspitze eine brennende Kerze tragen. Der Buchjäger hat fünf Hunde bei sich, deren Schlappohren gestutzt sind. Der Schimmelreiter hat deren sechs, zwei kleine, zwei mittlere und zwei ganz große. Dem Wode folgen ihrer vierundzwanzig.

Wie die Hunde entstanden sind, berichtet eine hessische Sage. Wo einst Koberstadt stand, lebte einst ein Fürst, der Kober hieß und dem Waidwerk leidenschaftlich ergeben war. Als er eines Morgens eben zur Jagd aufbrechen wollte und schon lustiger Hörnerklang die Genossen zusammenrief, trat ein Fremdling in den Hof, der aus weiter Ferne hergewandert war, um den in Finsternis schmachtenden Völkern Licht und Trost des Evangeliums zu bringen. Der Fürst hatte nicht Zeit, des frommen Mannes Worte zu vernehmen und sprach: »Willst du mit ausziehen, dem Wild nach, so komm. Vielleicht höre ich am Abend noch, was du mir zu sagen hast.«

Da zog der Fremdling mit, blieb aber an des Fürsten Seite und redete zu ihm von dem geistlichen Hungern und Dürsten nach dem Himmelreich, und wie der Herrscher eines Landes nicht von Gott eingesetzt sei, um wilder Lust zu frönen, sondern dass er ein weithin leuchtendes Beispiel frommer Sitte und unsträflichen Wandels abzugeben habe. Der Fürst machte zu so strenger Lehre taube Ohren, achtete des Mannes Rede nicht höher als das Rauschen des Windes in den Bäumen und geriet endlich, da kein Wild weit und breit sich blicken ließ, in einen furchtbaren Zorn.

»Du hast mir die Tiere verscheucht und die Freude der Jagd verdorben«, rief er ihn mit grimmig funkelnden Augen an, »deshalb will ich dich hetzen zu meiner und meines Hofes Lust!« Sprachs und spornte sein Ross, den Fremdling niederzureiten. Dieser entfloh, der Fürst jagte ihm nach und schoss einen Pfeil auf ihn ab, der den Missionär tödlich verwundete. Sterbend hielt er ein goldenes Kreuz empor, da verwandelte sich der ruchlose Fürst in einen Hirsch, der in scheuer Flucht sich waldeinwärts wandte, das Gefolge aber wurde zu einer Meute wütender Hunde, die ihm bis zum Jüngsten Tag nachsetzen müssen.

Vom Norden aus, wo sie entstand, hat die Sage einen weiten und mannigfach verschlungenen Weg durchmessen und sich in kleineren Zügen bis tief in den Süden verbreitet. Name und Gestalt unterliegen vielfachem Wechsel, nur das eigentliche Wesen, der religiöse Kern, tritt immer wieder hervor. Der Schwede nennt das Kreischen der Seevögel in herbstlicher Nacht Odens Jagd, der Schweizer hört am bewaldeten Jura den Dürst (Niesen) in milder Sommerluft mit der kläffenden Meute nächtlichen Umzug halten. In Bayern macht das Nachtgejaid oder Nachtgeleit Weg und Stege unsicher, in Böhmen das Nachtgold, das heißt Nachtgespenst. Schwaben, Hessen und Thüringer reden von einem wütenden Heer, die Schriftsteller mittlerer Zeit setzten den Teufel an dessen Stelle und Cäsarius von Heisterbach gibt zu allgemeinem Nutz und Frommen die Sage von dem hochmütigen Weib preis, das sich in neuen Schuhen hatte begraben lassen und dessen Seele dafür von Höllengeistern gejagt wird. Hackelbergs Grabstätte ist an verschiedenen Orten zu sehen, an anderen Stellen verwandelte der Jäger sich in einen wilden Mann, besonders unter den Deutschen im Alpengebiet, das sich nach Italien herabsenkt. Zur Zeit der heiligen zwölf Nächte, wie unter den Fasten, beherrscht dort der wilde Mann die Wildbahn, die Waldfrau zieht durch Wiese, Wald und am Fluss entlang und es ist mehr als gefährlich, ihnen zu begegnen. Das Vieh bleibt deshalb daheim in den Ställen und wird aus der nächsten Quelle getränkt, zu der die Kinder mit irdenen Krügen wandern. Noch weniger getraut ein Jäger sich in die Berge hinauf oder zum Wald. Die Weiber spinnen der Unholdin ein Stück Flachs zu Garn und werfen dieses in die Flamme des Herdes als ein versöhnendes Opfer.

Durch den Ardenner Wald pirscht der nächtliche Zug einem Eber nach. Wer dabei war und glücklich entkam, bringt reichlichen Fleischvorrat mit nach Hause. In Schwaben heißt die wilde Jagd auch das Muotesheer. An manchem Ort jagt der Elbel oder der Elbendrötsch die Ilmedredsche. Beide Namen bezeichnen einen, dem die Elben den Verstand verwirrten, der albern und ungeschickt ist. In der rauen Alp erschien dem Grafen Eberhard von Württemberg ein steinalter Jägersmann, dessen Haar, dem Moos gleich, das verrunzelte Angesicht umgab. Er erzählte, dass er in angemessener Lust am edlen Waidwerk einst zu Gott gefleht hätte, ihn jagen zu lassen bis zum Jüngsten Tag.

»Aber ich durchwandere das Gebirge erst seit vier Jahrhunderten und fünfzig Jahren«, schloss er, »und bin schon müde bis zum Tode.«

Unter den Wenden in der Lausitz herrscht der Glaube an einen Geist, der nach Sonnenuntergang mit lautem Hallo und Hundegebell zu Pferde durch die Luft zieht und den sie Dyterbjernat nennen. Wer ihn ungeneckt lässt, hat keine Unbill zu erdulden.

Der Weg des Geistes in den Lüften wird auf Erden durch fruchtbare Furchen in Feld und Wiesen bezeichnet. Die Sage erzählt davon.

Der Dyterbjernat war einst ein gar frommer und gütiger Herr, so fromm, dass er sein Gewand in die Sonnenstäubchen hängen konnte und dass diese es trugen. Das verdross den Teufel, und er schlich sich an einem Festtag in die Kirche, wo er alle Sünden auf eine Kuhhaut schrieb, die er mit den Zähnen auszudehnen versuchte, weil ihm der Raum zu mangeln begann.

Dabei glitt er plötzlich aus, fiel und schlug sich einen langen Eberzahn aus dem borstigen Maul. Dyterbjernat, der ihm zusah, konnte sich nicht enthalten, darüber zu lachen, und als er aus dem Gotteshaus zurückkehrte und sein Obergewand in die Sonnenstrahlen hängen wollte, fiel es zu Boden. Der fromme Mann erzürnte sich heftig über diese Zurechtweisung und streute, um Gott zu trotzen, in seine Stiefel Brotkrumen und lief darin umher. Da erfasste den Frevler ein furchtbarer Wirbelwind, trieb ihn empor in die Luft und jagt ihn dort umher, bis der Jüngste Tag ihm Erlösung bringt.

In Frankreich fährt Hugo Capet in seinem Wagen an der Mauer entlang, welche die Stadt Tours umgibt. Den Wald von Fontainebleau durchstreift le grand veneur, der Oberjägermeister, der sich an unsere Sage vom Hackelberg anlehnt. Über Großbritanniens Fluren zieht der Jäger Herne, und König Artus rauscht mit seiner Jagd durch den dichtesten Forst. Wie in Deutschland Karl der Große zu einem Wundergebilde der Sage wurde, so hat das Volk der Dänen den gefeierten König Waldmar zu nächtlichem Umzug in den Gurrewald gebannt. Er reitet stets von Burre nach Gurre. Wer ihn kommen hört, tritt aus dem Weg und stellt sich unter einen schützenden Baum, dann kann er ohne Gefahr den Zug mit ansehen. Zuerst kommen die Hunde, deren Blut lechzende, feurige Zungen durch die Finsternis leuchten. Es folgt der König auf einem weißen Ross, sein eigenes Haupt unter dem Arm tragend. Er nimmt Jahr aus, Jahr ein denselben Weg, welchen die Dänen die Wolmarsstraße nennen.

Verliert das Ross ein Eisen vom Huf, so belohnt er fürstlich den Schmied, der den Schaden mit geschickter Hand wiederherstellt.

Zuweilen ruft er Vorübergehende an, ihm die Hunde zu halten. Einem Bauer, der seinem Anruf folgte, schenkte er einen ledernen Riemen, der am nächsten Morgen in leuchtendes Gold verwandelt war. Andere Sagen nennen ihn den fliegenden Jäger, übertragen noch wohl den nächtlichen Zug auf Christian II.. Im Grünewald auf der Insel Moen ritt vor Zeiten der Grönjette (der bärtige Riese), von einer wütenden Meute gefolgt, zur nächtlichen Jagd. Auch er trug den Kopf unter dem Arm, und zwar unter dem linken, denn die rechte Hand schwingt den wuchtigen Speer. An den Mühlen oder an Wasserfällen sitzt der schwedische Wassernix, Strömkarl genannt, und spielt eine süße, bezaubernde Weise, die unwiderstehlich zum Tanz anlockt. Man darf aber nur zehn Teile des Liedes anhören, denn der elfte ist für den Nachtgeist und sein Heer bestimmt. Wollte ein Mensch dem Nix die Melodie ablauschen, so möchte er immerhin die zehn ersten Reihen nachspielen, bei der elften würden Bäume, Sträucher und Blumen, Groß und Klein, Alt und Jung, ja selbst die Sterne am Himmel und die Kindlein in der Wiege danach zu tanzen angefangen haben. Der Nachtgeist ist Odin selbst, doch berichtet die Sage auch von zwei Jägern, Jennus Maar und Nielus Hög, welche umziehen müssen.

Wie die Überlieferungen von der Person des wilden Jägers eine große Mannigfaltigkeit darbieten, so ist auch das Ziel der Jagd ein sehr verschiedenes. Bald ist es ein Hirsch, bald der wütende Eber, zuweilen ein Ochse, unter allen Tieren am häufigsten das Pferd, dem die Meute nachstrebt. An den Festen der Heidengötter schmauste das Volk gebratene Pferdekeulen, und mit einer solchen begabt dann Wotan denjenigen, der ihm Dankes wert erschien. Indessen bietet die Sage auch nach einer anderen Seite hin nicht geringere Abwechselung. Frigga, die Gemahlin Wotans, entfloh dem Gatten, der ihr durch die ganze Welt mit heißer Sehnsucht folgt. Wie er dahinbraust in wildem Zorn darüber, dass er die Geliebte nicht zu erreichen vermag, trifft seine Rache alle, die ihr zugehören, die Lohjungfern, in Thüringen die Moosleute, in Bayern die Holzweiblein, in Schlesien die Rüttelweibchen. Alle fliehen sie in Scharen vor dem anstürmenden Gott, wenn er auszieht. Bei seiner Rückkehr schleppt er die Gefangenen mit sich.

Holzfäller, die im Wald Bäume fällen, schneiden gern in den Rand der Stämme drei Kreuze ein, die nach der Mitte gerichtet sind, oder sie sprechen »Gott walt’s« beim ersten Schlag, den sie mit der Axt gegen den Baum führen. Auf solchen Stämmen sind die Verfolgten vor dem wilden Jäger geschützt, denn er scheut den Spruch und das Kreuz.

Der Jäger zu Mihla sah den Elbel eine wunderschöne Jungfrau mit flatterndem Lockenhaar verfolgen. Er hatte fruchtlos den ganzen Wald nach einer Beute durchspäht und da er nun fürchtete, überhaupt nichts zu erlegen, schoss er ärgerlich seine Büchse auf den Elbel ab. Seit dieser Zeit ging ihm kein Schuss mehr fehl.

Am Hartkogel in der Steiermark zieht die wilde Jagd in einem seltsamen Fuhrwerk, auf einem Schlitten, der wie ein flaches Schiff mit scharfem, eisernem Kiel gestaltet ist, durch die Luft. Leichtsinnige Mägde, die von den bösen Geistern hinweggeführt und in der Christnacht vom Strammer, einem Schmied zu Mitterndorf, mit glühenden Hufeisen beschlagen worden waren, ziehen das Schiff, dessen Ladung aus Galgenvögeln, irrenden Seelen und solchen Mägden besteht, die im Laufe des Jahres starben und noch keine Eisen am Fuß haben. Dieser höllische Tross jagt die Wildfrauen, welche im Schöckl wohnen. Manche haben sie von ihrer Waldkuppe zu den kleinen Weihern und Bächen niedersteigen sehen, wo sie ihre Wäsche säuberten und die schimmernd weißen Tüchlein zum Trocknen in die Sonne hingen. Die Wildfrauen sind ein Mittelgeschlecht zwischen Geistern und Menschen, auch verwünschte Seelen, die keine Ruhe finden können. Ihre Rücken sind muldenartig gestaltet. Die wilden Jäger jagen sie unaufhörlich und zerreißen sie alsdann. Nicht selten werfen sie demjenigen, der ihren Zuruf nachahmt, eine halbe Wildfrau durch den Schlot herab, oder sie hängen ihm ihr Wildbret an den Türpfosten. Allen Sagen dieser Art liegt der Glaube zugrunde, dass solche Mittelwesen sich immer wieder zu einem Scheinleben zusammenfügen, denn die einzelnen Stücke verschwinden ohne menschliches Zutun und die schlimme Jagd erneuert sich in jeder Nacht.

Grauenvoll ist ein Mythos von der treulosen Jungfrau, die ihren Geliebten dem Tode überlieferte. Dafür hetzt er sie als wilder Jäger in jeder Freitagsnacht und lässt sie von seinen Hunden in Stücke zerreißen, die mit dem kommenden Tageslicht sich wieder zu neuem Leben verbinden. So entartete die holde Sage von des Gottes Liebeswerben um die unsterbliche Frigga zu einer stürmenden Verfolgung des wilden Jägers oder böser Geister, welche einem Weib nachstellen, von dem berichtet wird, dass es in sündiger Lust aller Sitte spottete. Zieht man beim Herannahen des Zuges einen geweihten Kreis, um sich gegen Schaden zu wahren, dann stürzt wohl ein nacktes Weib hinein, Schutz erflehend. Allein die Meute tobt grimmig, der Jäger selbst ruft mit drohender Stimme »Stoß das Weib hinaus!«, dass der Zaghafte, anstatt, wie der alte Weidenjörg, mutig zu widerstehen, die Wehrlose unter ihre Feinde hinaus stößt und neuer Verfolgung preisgibt. Ähnlich erging es einem Pferdeknecht, der die Sommernacht in einer Koppel zubrachte, die sich an einen Kreuzweg lehnt. Zu dem kam eine atemlose Frau über das Feld daher und bat ihn, er möge sie doch über diesen Weg tragen. Er wollte anfangs nicht. Erst als sie händeringend klagte und weinte, erbarmte er sich ihrer und brachte sie hinüber. Da lief sie eilends fort und je weiter sie sich entfernte, desto kleiner wurde sie, endlich schien es, als laufe sie nur noch auf den Knien. Wie der Mann ihr noch nachschaute und sie beinahe ganz verschwunden war, kam der wilde Jäger tobend hinter ihr hergefahren, aber seine Hunde scheuten den Kreuzweg und er selbst vermochte auch nicht hinüber zu gelangen.

»Sieben Jahre lang verfolge ich das Weib«, rief er voll Zorn, »und wenn ich sie heut nicht fange, ist sie erlöst und ich bekomme sie nimmer! Da bedrohte er den Pferdeknecht, der in Herzensangst nun auch den ungestümen Dränger nebst seiner Meute über den Weg schaffte. Wie ein Sturmwind flog der Zug davon und als er nach kurzer Zeit wiederkehrte, hatte der wilde Jäger das Weib quer über sein Ross geworfen. Dass er dem Hirten zum Lohn eine Pferdekeule schenkt, die sich in Gold verwandelt, macht ihn dem begabenden Gott gleich.

Der bärtige Riese Grönjette verfolgt die flüchtige Meerfrau seit sieben Jahren und erlegt sie endlich auf der Insel Falster. Tot bringt er sie auf seinem Pferd zurück und lässt dem Bauer, der ihm unterdessen die Meute bewahrt, das Band, an dem er sie gehalten, als Geschenk zurück. Solange das Göttergeschenk in dem Besitz des Mannes blieb, brachte es ihm Segen an Hab und Gut.

Der Dürft nimmt gern Kühe aus den weidenden Herden zu sich in die lustige Jagd empor. Da die Tiere aber selten, und dann immer zum Tod abgejagt und mit leeren Eutern wiederkehren, wahren die Älpler sie mit einem kräftigen Segen, der den Riesenjäger vertreibt. Das Verschwinden der Tiere war eine Art von Opfer, welches der Nachtgeist sich einforderte. Im Hellhaus musste dem Helljäger, wenn er in der Christnacht vorübergezogen war, eine Kuh aus dem Stall gegeben werden, von der dann niemand etwas wieder sah. Welches Tier der Umfahrende sich ausersehen, zeigte sich jedes Mal schon vom Martinstag an, denn ein solches nahm vor allen anderen an Fett und Fleisch wunderbar schnell zu. Einst ließ sich der Hellwirt in den Sinn kommen, die herrliche Kuh, um die es ihm gar so leidtat, gegen ein geringeres Stück zu vertauschen. Da entstand ein Höllenlärm um das Gehöft her, die Kuh wütete im Stall und ließ sich durch kein Mittel bändigen. Es blieb nichts weiter übrig, als dem Helljäger das prächtige Tier hinauszutreiben. Das verdross den Wirt gewaltig, und er rief mit lauter Stimme: »Lauf in drei Teufels Namen.«

Die Kuh lief, allein der Helljäger ließ sich seit jener Zeit nicht wieder blicken.

Wer in der Zeit des Umzuges Brot backte, dem verwandelten die wohlgeformten Laibe sich in die Gestalten der wilden Jagd. Ein weithin verbreiteter Glaube opferte dem Schimmelreiter Hafer für sein Pferd, der zu gewissen Zeiten an eine bestimmte Stelle getragen wurde. Bei der Kornernte blieben ein oder mehrere Garbenbüschel auf dem Feld stehen, um welche sich dann ein fröhlicher Reigen schlang, die Burschen warfen ihre Mützen in die Höhe und riefen »Waul! Waul!« oder »Wol, Wol!« Aus der letzten Garbe wurde auch wohl eine Puppe gefertigt und jubelnd eingefahren. Das nannte man »den Ollen brengen.«

Kommende Zeiten werden mehr und mehr die alten Gebräuche in Haus und Feld in Vergessenheit bringen. Nur der Sage möge es vergönnt bleiben, jene mythischen Gebilde der Erinnerung zu erhalten, da sie allein den Schlüssel zu den Erscheinungen einer Wunderwelt bieten können, welche die Natur und alles in ihr mit dem Göttlichen verknüpfte.

Eine Antwort auf Sagen- und Märchengestalten – Die wilde Jagd