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John Tanner – Das Leben eines Jägers 13

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Dreizehntes Kapitel

Ich hatte damals einen Zwist mit einem Naudoway, welcher für die Way-me-ta-gu-sche-wugs-Chippeway jagte. Er war später als ich dorthin gekommen und hatte daher gewiss nicht mehr Recht zum Jagen als ich. Und doch beklagte er sich, dass ich ein paar Mal Bezirke durchstreift hatte, auf die er allein ein Anrecht zu haben vermeinte. Ich hatte vor Kurzem eine Menge Biber entdeckt, legte meine Fallen und ließ sie wie gewöhnlich bis zum anderen Tag liegen. Als ich am nächsten Morgen nachsah, fand ich heraus, dass jener Indianer meiner Spur gefolgt war, meine Fallen in den Schnee geworfen und dafür seine aufgestellt hatte. Es ging nur ein Biber in die aufgestellten Fallen, welchen ich nahm, und legte, ganz seinem Beispiel folgend, meine Fallen wieder hin. Die Sache sprach sich schnell herum, aber alle Indianer, die Naudoway nicht ausgenommen, erklärten sich gegen ihn und versprachen mir ihren Beistand. Bei Angelegenheiten dieser Art hat das, was bei einem Stamm herkömmlich ist, Gesetzes Kraft, und wer dagegen handelt, darf nirgend auf Unterstützung hoffen. Unterdrückung oder Ungerechtigkeit, die ein Mann an dem anderen in Privatangelegenheiten ausübt, kommen selten bei den Indianern vor.

Wir blieben etwa einen Monat in der Prärie, ehe wir zur Hütte zurückkehrten, in welcher wir die Alte gelassen hatten. Danach gingen wir zum Kontor am Elk River. Ich hatte mich von den Naudoway getrennt und war mit meiner Familie allein. In unserer Nachbarschaft stand eine Hütte der Tus-kwaw-go-mee aus Kanada. Als ich sie das erste Mal besuchte und unter ihr Dach trat, wusste ich nicht, wer sie waren. Der Mann kam auf mich zu, nahm meine Schneeschuhe, stellte sie ans Feuer, damit sie trocknen sollten, und gab sie, da er sah, dass sie einiger Ausbesserung bedürftig waren, einem Greis in die Hand. Bis dieser sie wieder zurechtgemacht hatte, ging ich mit ihm auf die Jagd. Er tötete an jenem Tag mehrere Biber, die er alle mir gab. Dieses freundliche Benehmen jener Familie blieb dasselbe, solange wir uns in ihrer Nachbarschaft befanden. Ihre Sprache hat Ähnlichkeit mit jener der Chippewa und weicht nicht mehr von ihr ab, als etwa die der Kris von jener der Muskegee.

Als die Zeit der Zuckerernte herannahte, verlegte ich mein Lager etwa zwei Meilen unterhalb des Forts am Elk River. Die Zuckerbäume, welche von den Indianern Sche-sche-ge-ma-winzhs genannt werden, sind von derselben Art, wie die, welche man in den Tälern am oberen Mississippi findet, wo die Weißen sie Flussahornbäume nennen. Sie sind groß, stehen aber sehr zerstreut, und deshalb machten wir zwei Lagerplätze, auf jeder Seite des Flusses nämlich eins. Ich blieb allein an dem einen Ufer, die Alte mit den Kindern auf dem anderen. Während ich den Zucker sammelte, tötete ich eine Menge Enten, Gänse und Biber. Neben meinem Lager war eine Quelle, aus welcher die Handelsleute oft Salz holten, das sie an Ort und Stelle aufbereiteten. Sie hat etwa dreißig Fuß im Durchmesser, ihr Wasser ist blau, und man hat mit den längsten Stangen nicht auf den Grund reichen können. Sie liegt ganz nah am Elk River, zwischen dem Assiniboine und dem Sas-kaw-ja-wun, etwa zwanzig Tagesreisen vom Kontor am Winnipegsee entfernt. In jener Gegend sind überhaupt viel salzige Quellen und Seen vorhanden; eine zweite von so beträchtlichem Umfang ist mir aber nicht vorgekommen.

Ich traf dort mit einem Weißen zusammen, der sich viel mit mir beschäftigte, und mich bewegen wollte, ihm nach England zu folgen. Aber ich hatte Angst, er würde mich im Stich lassen. Es wäre mir dann unmöglich gewesen, wieder zu meinen Verwandten, falls von ihnen in den Vereinigten Staaten noch einige am Leben waren, zu gelangen. Auch war mir das Jägerleben zu lieb geworden, einmal, weil es für meinen Lebensunterhalt notwendig war, und sodann, weil es mir Vergnügen machte. Ich schlug darum alle seine Vorschläge ab. Unter den Indianern, die sich im Frühjahr beim Kontor versammelten, fand ich auch unseren alten Gefährten und Freund Pe-schau-ba. Der ganze Ertrag der Winter- und Frühlingsjagd, aller Zucker, kurz jegliches, was sie nur besaßen, wurde von den Indianern gegen Whiskey eingetauscht. Als alles versoffen war, holte Net-no-kwa noch ein zehn Gallonen haltendes Fass hervor, das sie im vergangenen Jahr hinter einer Platte am Herd des Kontors versteckt hatte.

Auf dieses Schwelgerleben, während dessen es an Zank, Streit und Ungebührlichkeiten aller Art nicht fehlte, folgte wie gewöhnlich Hunger und Elend. Einige Indianer schlugen, um dem Mangel abzuhelfen, ein Auskunftsmittel vor, welches darin bestand, dass jeder anwesende Jäger sich alle Mühe geben sollte, möglichst viele Kaninchen zu fangen. Es war ein förmlicher Wettkampf, in welchem ich den Pe-schau-ba, einen der besten Jäger, und der mich in der Jagdkunst unterwiesen hatte, übertraf. Wenn es aber darauf ankam, größere Tiere zu erlegen, dann tat er es mir immer zuvor.

Vom Kontor reisten wir über den Schwanenfluss und den Me-nau-ko-nos-keeg zum Red River, hielten jedoch unterwegs an, um, von Nau-ba-schisch , einem jungen Menschen, welcher sich uns seit einigen Tagen angeschlossen hatte, unterstützt, Biber zu fangen. Bald entdeckte ich Spuren von Indianern, die kaum zwei Tage vor uns desselben Weges gezogen sein mussten. Ich beschloss, sie einzuholen, ließ die Alte nebst den übrigen Familiengliedern bei Nau-ba-schisch zurück, setzte mich auf mein bestes Pferd und ritt den Spuren folgend durch die Prärie.

Nachdem ich einige Stunden scharf hatte austraben lassen, kam ich an eine Stelle, wo noch am vorigen Abend eine Hütte gestanden hatte. Mein Pferd setzte über einen im Weg liegenden Baumstamm, als ein Präriehuhn aufflatterte. Das Ross wurde scheu und warf mich ab, sodass ich an den Baumstamm fiel und dann auf die Erde hinabsank. Den Zügel hatte ich nicht losgelassen, und das Pferd mich mit beiden Vorderhufen auf die Brust getreten. So lag ich mehrere Stunden da und fasste endlich, da ich wieder aufgestanden war, den Entschluss, mich zu den Indianern zu begeben, weil ich diesen näher zu sein glaubte, als meiner eigenen Hütte. Als ich sie eingeholt hatte, konnte ich kein Wort hervorbringen. Sie sahen aber gleich, dass ich Schaden genommen hatte, und waren mir gegenüber recht gut. Mein Sturz war sehr gefährlich gewesen und die Folgen desselben spüre ich bis auf den heutigen Tag.

Meine Hauptabsicht, welche mich bewog, diese Indianer zu besuchen, war keine andere, als mich nach Wa-me-gon-a-biew und dessen Lage zu erkundigen. Sie waren ihm aber noch nicht begegnet. Ich hielt es für das Beste, die Alte am Me-nau-ko-nos-keeg zurückzulassen und allein zum Red River zu gehen. Ich besaß vier Pferde, und eines derselben, ein schönes, munteres Tier, galt für das beste unter den 180 Stücken, welche ein aus Kris, Assiniboine und Chippewa bestehender Kriegerhaufen den Fall-Indianern abgenommen hatte. Während eines sieben Monate dauernden Feldzuges hatten die Krieger ein Dorf zerstört, 150 Schädelhäute erbeutet und viele Gefangene gemacht. Am zehnten Tag nach meiner Abreise vom Me-nau-ko-nos-keeg erreichte ich das Kontor am Moose-River und vernahm dort, dass Wa-me-gon-a-biew sich in Pembina am Red River aufhalte. Herr Mackee gab mir einen Führer mit, der mich bis zur Quelle des Flusses von Pembina geleitete, wo ich den Handelsmann Aneeb traf, von welchem ich schon einmal gesprochen habe. Eine Tagesreise von seiner Hütte entfernt, fand ich die Wohnung von Wa-me-gon-a-biews Schwiegervater, der mich aber, weil sein Schwiegersohn gerade abwesend war, nicht sehr herzlich aufnahm. Er wohnte neben einer Gruppe von Kris, die etwa hundert Hütten haben mochten. Da ich wohl sah, dass die Sachen nicht so standen, wie ich wünschte, schlief ich Nachts bei einem alten Kri, den ich anderweitig kennengelernt hatte.

Dieser sprach am anderen Morgen zu mir: »Ich fürchte, sie machen dir dein Pferd tot. Sieh einmal nach, wie sie damit umgehen.«

Ich eilte demnach fort und sah denn auch, dass mehrere junge Menschen und Kinder mein Pferd zu Boden gerissen hatten und schlugen. Mehre hielten es fest, und ein Mann stand auf dem Leib und prügelte es, soviel nur seine Kräfte erlaubten.

»Mein Freund«, rief ich ihm zu, »steig mal da hinunter.«

»Das will ich wohl bleiben lassen«, erhielt ich zur Antwort.

»Nun, so sollst du denn sehen, wie dir es geht«, sprach ich, warf ihn um, riss einigen anderen die Zügel aus den Händen und führte das Pferd zur Behausung des alten Kri. Es hatte sich aber nie wieder recht erholt, so schändlich wurde es behandelt.

Ich wollte natürlich den Grund eines so auffallenden Benehmens wissen und erfuhr endlich, dass Wa-me-gon-a-biew nach einem Zwist, den er mit seinem Schwiegervater gehabt, seine Frau verlassen hatte. Bei jener Gelegenheit waren das Pferd und der Hund des Alten getötet worden, und nun hatten seine jüngeren Freunde auf meine Kosten Rache genommen. Wa-me-gon-a-biew hatte, wie mir es schien, anfangs keine Schuld gehabt. Er behandelte seine Frau wie jeder andere Indianer und hatte sie nur verlassen, weil der Alte sich nicht von ihr trennen wollte, und von ihm verlangte, er solle ihn auf allen seinen Zügen begleiten. Wa-me-gon-a-biew wollte nicht so abhängig sein, hatte sich aber so lange ruhig und friedlich verhalten, bis die Verwandten seiner Frau ihn zuerst angriffen.

Da ich allein war, so befürchtete ich, sie möchten auch mich verfolgen und schlecht behandeln. Das ließen sie indessen bleiben, und ungehindert erreichte ich am anderen Tag die Hütte, in welcher damals Wa-me-gon-a-biew mit seiner zweiten Frau wohnte. Sein neuer Schwiegervater, den ich schon länger kannte, war sehr erstaunt, als er hörte, dass ich vom Me-nau-ko-nos-keeg kam, denn man pflegt in jener Gegend nicht gern allein zu reisen.

Nachdem ich vier Tage mit meinen Freunden gejagt hatte, machte ich mich, von Wa-me-gon-a-biew begleitet, auf den Rückweg zu Net-no-kwa. Wir mussten in dem Dorf, wo sie mir mein Pferd hatten totschlagen wollen, anhalten. Der Alte war gerade nicht da, kam aber, als er von unserer Ankunft hörte, mit seinen Brüdern eilig herbei. Wir schliefen in jener Nacht in einer Hütte, die unweit vom Zelt des Handelsmannes lag. Ich hatte mir vorgenommen, wach zu bleiben, denn ich fürchtete, bestohlen oder schlecht behandelt zu werden. Doch die Müdigkeit übermannte mich und ich schlief ein. Es war schon ziemlich spät in der Nacht, als Wa-me-gon-a-biew mich weckte, um mir zu sagen, dass der Alte da gewesen sei und ihm sein Gewehr unter dem Kopf weggenommen habe. Er sei völlig wach gewesen, habe sich aber unter seiner Decke ganz ruhig verhalten und seinen ehemaligen Schwiegervater nicht aus den Augen gelassen. Dieser sei nach vollbrachtem Diebstahl aus der Hütte hinausgegangen. Ich antwortete, es geschehe ihm ganz recht, und er habe verdient, sein Gewehr einzubüßen, weil er gestattet, dass ein Greis ihm dasselbe unter dem Kopf habe wegnehmen dürfen. Meine Bemühungen, ihm dasselbe wieder zu verschaffen, blieben fruchtlos.