Hessische Sagen 21
Stimme aus dem Brunnen
Einige Hundert Schritte vom Mainzer Tor zu Friedberg befindet sich ein alter Brunnen. Die Leute erzählen, vor alter Zeit haben sich ein Jude und das Jahr darauf auch dessen Kind hineingestürzt. Seitdem fordert der Brunnen jedes Jahr sein Opfer, und wenn es sich einmal ereignet, dass sich in einem Jahr niemand hineinstürzt, so ruft es, wenn ihm jemand nahe kommt, mit sehr vernehmlicher Stimme von unten herauf: »Komm herunter! Komm herunter! Und, der dann in der Nähe ist, muss sich hineinstürzen.
Die Totenlache
In der Fulda ist nahe der Stadt, die den gleichen Namen führt, eine Stelle, welche die Totenlache heißt. Da wohnt eine Nixe, die jährlich am Johannistag ein Opfer fordert. Meist ist es einer der vielen dort badenden Knaben, der ihrer Gewalt verfällt.
Die Lahn hat gerufen
Noch immer, ehe eins in der Lahn bei Gießen ertrunken ist, hat sie gerufen und das haben die Müller und Bleicher, die an dem Wasser sind, schon oft gehört. Es geschieht jedes Mal mittags zwischen elf und zwölf Uhr. Da rauscht die Lahn auf, schlägt starke Wellen und dann ruft es mit lautem Schrei aus dem so aufgeregten Wasser:
die Zeit ist da!
die Stund’ ist da!
wär’ nur der Mensch da!
Nun hört man mit heimlichem Schauder erzählen: »Die Lahn hat gerufen, es ertrinkt bald wieder eins. Und das ist auch allemal zugetroffen, es ist bald darauf wirklich eins in der Lahn ertrunken.«
Bei Neustadt am Hessler ruft oft die Lahn in langen, dumpfen und hohlen Tönen: »Ich will einen Menschen haben, einen Menschen will ich nahen.« Dann gehen die Fische haufenweise ins Garn, denn es wird ihnen bange.
Regen als Beweis der Unschuld
Es ist bei den Leuten der Glaube, dass es Regen gibt, wenn in der Quittenwiese zu Staden das Gras gemäht oder Frucht geschnitten wird. Woher das komme, das erzählt die folgende Sage: Vor alters sollte einmal eine Kindesmörderin hingerichtet werden. Vergebens bat sie um Gnade und beteuerte, sie sei unschuldig. Als sie nun zum Tode geführt wurde, sprach sie: »Ich bleibe dabei, dass ich unschuldig bin und zum Zeichen dafür soll es immer regnen, wenn in der ›Quirrewiss‹ gemäht oder Korn geschnitten wird.« Sie wurde hingerichtet, aber seit der Zeit gibt es jedes Mal Regen, wenn in der genannten Wiese Heu oder Grummet gemäht oder Korn geschnitten wird, ein offenbares Zeichen, dass sie des Mordes unschuldig war.
Der Ehlborn
In der Gambacher Gemarkung nach Holzheim hin liegt der Ehlborn, welcher ein besonders gutes Wasser hat, nach welchem zu Gambach die Sterbenden zu verlangen pflegen. Wenn darum Kranke Wasser aus dem Ehlborn fordern, so sieht man dies als ein Zeichen ihres nahen Todes an, und der ihnen aus dem Born gereichte Trunk ist, wie die Leute zu sagen pflegen, gleichsam die Letzte Ölung.
Der Nornborn und der Güldenborn bei Dauernheim
Zwischen dem hohen Berg und dem Auwäldchen bei Dauernheim liegt ein Feldgrund, welcher beim Volk »de Nernburremd« d. i. der Nernboden heißt. Dort ist der Nernborn, wie ihn das Volk nennt. Man schreibt aber die beiden Namen Nornboden und Nornborn. Das Wasser des Nornboms ist dunkel, aber nicht trübe und von auffallender Kälte. Die Leute trinken nicht daraus. Sie glauben, es sei gefährlich aus dem Nornborn zu trinken, man kriege das Fieber davon. Nicht weit von dem Nornborn an dem grauen Berg ist »de Güleborn«, Gelleborn, Gëälleborn, d. i. der Güldenborn mit gelblichem Wasser, welches die Leute ebenfalls nicht trinken. Der Güldenborn fließt nicht jedes Jahr und man sagt, er sei oft Jahrelang trocken. Das Volk glaubt, dass er nur in Friedenszeiten trocken sei und wenn er fließe, so bedeute dies Krieg.
St. Gangolf Brunnen
Die Christen hatten einst unter der Anführung des heiligen Gangolf den Milsburger Riesen belagert. Es war ein heißer Tag und alle dürstete sehr, doch nur ein Quell rieselte in der Gegend und dessen Eigentümer, ein geiziger Bauer, wollte nur gegen gutes Geld Wasser hergeben. Da zahlte Gangolf ihm einen Helm voll Wasser, gab zuerst seinen Knappen zu trinken und goss den Rest in einen hohlen Stein mit der Bitte zu Gott, es frisch zu erhalten. Doch siehe, da sprang ein fröhlicher Quell aus dem Stein, an dem sich alle reichlich labten, des Bauern Brunnen aber versiegte.
Der Bonifaziusbrunnen bei Horas
St. Bonifaz betete einst im Wald bei Horas die Tagzeiten und hatte seinen Bischofsstab neben sich in die Erde gestoßen. Es war aber sehr heiß an dem Tag und der Heilige von Beten und Durst so erschöpft, dass er kaum noch Kraft fühlte, sich zu erheben, um zum fernen Fluss zu wanken. Er zog seinen Stab aus der Erde, um sich auf diesem zu stützen, doch da sprang dem Stab ein schöner, frischer Quell nach, der bis heute noch dort quillt.
Der Siegfriedsbrunnen
Dieser liegt bei Hilfertsklingen und Grasellenbach im Odenwald und an ihm sollen zwei Männer einander erschlagen haben. Die Hirtenknaben gingen nicht gerne in den Mittagsstunden in die Nähe des Brunnens, denn sie sagten, alsdann erscheine dort der Siegfried, und der habe Hörner auf dem Kopf, wie der lebendige Teufel.
Kinderbrunnen
In Eberstadt holt die Hebamme das Kind aus dem Brunnenkellerchen, welches ganz voll von Kindern ist. Es bringt aus diesem stets Zucker oder andere Naschereien mit, welche unter die Kinder in der Nachbarschaft verteilt werden. Auch holt man da und in Jugenheim die Mädchen in Rosenblättchen, die Buben in wilden Dornrosen.